Türen |
WC-Anlagen |
Treppen |
Zubau |
Videofilm: Trautenfels aus Sicht der Bauteile |
Walter M. Chramosta: Grimmi(n)ge(r) Gegenkodierungen
(ARCHITEKTUR & BAUFORUM Nr. 152 / 1992)
Manfred Wolff-Plotteggs Eingriffe in Körper und Seele von Schloß
Trautenfels
Das Bauen ist nicht zuletzt ein Erkenntnisvorgang, der den Architekten
im besten Fall auf einem höheren Bewußtseinsniveau zum nächsten
Projekt entläßt. Ärgerliche, weil Iähmend-redundante
Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Entwerfen, insbesondere unter
der starken Vorgabe eines Baudenkmals, fordert den Intellekt, wenn es um
technische Strategien der Erhaltung geht, oder die Emotion, wenn die Einfühlung
in den Charakter des Ortes gefragt ist. Die Umdeutung eines wertvollen
Hauses ist in jedem Fall eine Grenzüberschreitung - zeitlich, technisch,
methodisch. Wer sie scheut, wird weder alten noch neuen Ansprüchen
genügen. Wer sie wagt, hat zumindest die Chance, dem Objekt das zu
geben, was es verdient und braucht. Manfred Wolff-Plottegg wagt auf Schloß
Trautenfels an wenigen Stellen relativ viel und gewinnt für sich wie
für den Betrachter überzeugende Einsichten. Seine Eingriffe sind
keine Schönungen, eher sind es Freilegungen, Bloßstellungen,
Feststellungen. Es sind apodiktische Sätze am Rand der Denkmalpflege,
über die es sich nicht zu streiten lohnt, denn es sind subjektive
Sätze. Wer sich auf sie einläßt, wird davon einen Gewinn
haben. Wer sie negieren will, wird von ihnen nicht bedrängt werden.
Sie bezeugen Respekt vor dem Denkmal ebenso wie kritische Distanz. Wer
diese Kommentare zu lesen verstanden hat, der kann sie schmunzelnd vergessen
und mit der gewonnenen Einsicht zu neuen Taten schreiten.
Der prozeßhafte Aspekt dieser Art von Denkmalpflege wird dadurch
manifest, daß die Beifügung sich als Produkt einer ausdrücklichen
Gegenwart gibt, ohne Absicht, dem Alten sich mimetisch zu nähern oder
mit ihm in einen Dialog zu treten. So wie früher das Vorhandene radikal
der jeweils gängigen Mode geopfert werden konnte, wagt es Wolff-Plottegg
hier, ganz heutig und ganz er selbst zu sein.
Sein Witz, seine Lust an der Irritation, sein Vergnügen am Experiment spricht aus allen Einbauten auf Schloß Trautenfels. Zudem stehen diese baulichen Beigaben nicht nur mit dem historischen Konstrukt in Spannung, sie beinhalten noch selbst ein hohes Potential an Widerspruch - einerseits zur intendierten Funktion des Bauteils, anderseits zu der durch die Erscheinung geweckte Erwartung des Betrachters. Als dichtestes und auch kontroversiellstes Bündel sich konkurrierender Anzeichen und Leistungen erscheint die ,,Türtreppentreppentür" , ein Nebeneingang in das Schloß, aber ein Hauptobjekt gestalterischer Zuwendung.
Ein zweiteiliger Klappmechanismus verdeckt im geschlossenen Zustand die Maueröffnung und gestattet in der aufgeklappten Stellung den surrealen Aufstieg ,,in" die Wand neben der Tür. Bei der Feststellung, daß zwei Himmelstreppen hier erstmals als paradoxe Türflügel fungieren, sitzt dem Schöpfer erwartungsgemäß der Schalk im Nacken. Der ernste Denkmalpfleger wird einwenden, daß diese Sperre wenig mit der dem Schloß vorgelagerten Loggia harmoniert. Dagegen ist aber gerade die mitschwingende Heiterkeit das Ferment in Wolff-Plotteggs Intervention, das emotionale Bezüge zur barocken Lebenslust nachvollziehbar macht.
Eine Treppe ist im menschlichen Bewußtsein als Hilfsmittel der vertikalen Eroberung bis ins Metaphysische verankert. Die Tür ist das Symbol der Grenze, der Schwelle, jedenfalls markiert sie die im horizontalen Fortschreiten erlebbare Differenz. Der Treppen-Tür-Zwitter verschmilzt diese Erfahrungen und erzeugt somit eine Gegenkodierung; eine Treppe wird vorgezeigt, aber eine Tür ist gemeint. Ist die Treppe zum Schein - die Handläufe leiten geradezu in die Sackgasse - benutzbar, ist sie als Sperre nicht aktiviert. Ohne Dienstbarkeit stellt sie sich als leistungsfähiges Instrument dar; sperrt die Treppe dann in Wirklichkeit den Durchgang, wird sie also zur Leistungsform, transformiert sie sich zur autonomen Plastik vor der Wand.
Auf Schloß Trautenfels täuschen noch andere Objekte über den unmittelbaren Nutzen der Dinge hinweg; ihr ins Abstrakte verweisender Charakter ist stärker ausgeprägt als ihr utilistischer. Da gibt es einen Türflügel, der aus auskragenden Stahlbetontrittstufen gefügt ist und mit der benachbarten Treppe in merkwürdigem Zusammenhang steht. Im Bergfried entpuppt sich die Stahl-Stahlbeton-Treppe zum höchsten Punkt als Harfe. An den Eingängen schieben sich Glasplatten lautlos wie Vorhänge vor die Türöffnung, an ihren Rändern mit überdimensionalem Wellschliff versehen. Die aus Spundwänden bestehenden Zwischenwände in den WC-Anlagen führen im Verein mit den industriell-spartanischen Ausstattungen zu einiger Verwirrung und zu verlängerten Aufenthalten am ,,stillen Ort" - statt der erhofften Standarderleichterung bieten sich von der gewohnt-nichtssagenden Form erheblich abweichende Einbauten an. Geradezu nur minimalistisch ohne ,,Überbau" sind das Haupttreppenhaus mit an einer Stahlbetonscheibe angeschlossenen Kragstufen, die Aufzugsgestaltung, die Behandlung der Felsen als Wandabschnitte in den Kellern und die Überdachungen der Höfe konzipiert.
Zu den erfrischend unkonventionellen Errungenschaften zählt auch die aus dünnen ,,Stahlbetonbrettern" gebildete Wand der Werkstätte in Fortsetzung der alten Bastion. Die Streifen sind so weich, daß sich schon unter Eigengewicht erhebliche Deformationen zeigen und dem neuen Trakt eine dem schweren, alten Mauerwerk analoge Lebendigkeit in der Textur verleihen. Es ist mehr als bedauerlich, daß die Wolff-Plotteggsche Deutung der Bastionsbekleidung nicht komplett umgesetzt werden konnte.
Statt dessen bildet eine plumpe Anbiederung von Burgrestaurant mit Fast-food-Charakter auf politischen Wunsch den Westteil der Bastion; daran wird unfreiwillig deutlich, wie sehr sich die Renovierung des Schlosses von den Alltagsbanalitäten der Bauwelt verabschiedet hat. Mancher wird die architektonischen Apercus Wolff-Plotteggs für teilweise nicht abgeklärt genug halten, um den Denkmalwerten standzuhalten, aber eine originäre Leistung auf der Höhe der Zeit ist sie allemal - und eine programmatische Aussage obendrein.
Die Haltung Wolff-Plotteggs wird um so deutlicher, wenn man sie einer vergleichbaren Bauaufgabe in der Steiermark gegenüberstellt. Konrad Frey hat in Mürzzuschlag einen wertvollen frühbarocken, aber devastierten Kirchenbau zum Kunsthaus erhoben. Dazu setzte Frey einen glasernen Vorbau an die Hauptfassade, gleichsam ein Signal für das Eindringen des Neuen in das Neue. Zudem wird in Mürzzuschlag ein ästhetisches Programm ohne Doppelbödigkeit durchexerziert, das durch Effizienz und Detailperfektion einen Ausdruck von ,,guter Technik'" schafft.
Das Kunsthaus bietet eine Komplettlösung aus einer bewußt
antithetischen Grundhaltung, deren Kontrastreichtum freilich auch starke
Reize ergibt. Dagegen wirken die Trautenfelser Teillösungen in ihrer
Vereinzelung sanft und homöopathisch dosiert; die Wirkungsweise ist
anders, aber deswegen nach Genuß der Gesamtdosis nicht schwächer.
Wollf-Plotteggs ,,geriatrische Anwendung'" enthält vielfältigere,
belebende Stoffe, Frey bewerkstelligt die ,,Wiederauferstehung" mit einer
Substanz - einer·funktionalen, denn bei ihm stimmt der Nutzen der
Bauteile eindeutig mit deren Anzeichen überein. In Trautenfels ist
dieser in der Moderne wie in der Postmoderne verpönte Zusammenhang
oft aufgelöst. Hier entscheidet der Gebrauch darüber, welche
,,Moral" die Gegenstände haben, wie ernst sie es mit dem Benutzer
meinen. Die Trautenfelser Objekte sind - im Sinne der Verzichtbarkeit der
Wittgensteinschen Leiter - temporäre, paradox angelegte Steighilfen
auf dem Weg zur nächsten Bewußtseinsebene; hat man sie erreicht,
kann man den zurückgelegten Weg verdrängen, sich freimachen für
das nächste Ziel. So sind die Artefakte von Wollf-Plottegg flüchtige
Wegbegleiter, die in ihrer Zeitlichkeit respektvoll vor der dauerhaften
Präsenz des Baudenkmals zurücktreten.
,,Meine Sätze erläutern dadurch, daß
sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch
sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen
die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß
diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig."
Ludwig Wittgenstein: ,,Tractatus logico-philosophicus",
Absatz 6.54, 1918.