DAMEN UND HERREN IM
CAFE KORB
Ladies’and Men’s at Café Korb
by Plottegg aready 2004
swing doors with typographic pictograms (with horizontal lower part for foot operation)
Freely formed aluminum, powder-coated.
Cafe Korb / Susanne Widl Wien I, Tuchlauben 10 / Brandstätte Lavatory at Café Korb / Interior Conversion Architektur: PLOTTEGG 2004
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Publikationen: "Sinnlichkeit im
Keller" Jan Tabor "Falter" 30/04>>> |
"Falter" Stadtzeitung Wien Nr. 30/04 vom 21.07.2004 Seite: 50 &
51 Ressort: Kultur
Sinnlichkeit im Keller
BAUKASTEN von JAN TABOR
Manfred Wolff-Plottegg, Verfechter einer psychoanalytischen Baukunst,
hat das Café Korb um ein erotisches Klo bereichert.
Das Café Korb auf den Tuchlauben wurde unlängst von einem verheerenden
Wasserrohrbruch heimgesucht. Das Inzident im Kellergeschoß sowie der
Umstand, dass das Café Korb Peter Weibels Stammlokal ist, haben sich als
Glücksfall für den Bestand an aktuell vorzeigbarer zeitgenössischer
Architektur in Wien erwiesen: Endlich gibt es hier ein Baukunstwerk von
Manfred Wolff-Plottegg, das öffentlich zugänglich ist. Der Professor an der
TU Wien und Freund von Peter Weibel ist der führende, um nicht zu sagen
einzige Proponent einer aktionistisch inspirierten und psychoanalytisch
angehauchten Architektur in Österreich.
Auch Plottegg ist eine Art Wiener Architekturlegende. Man erzählt sich
von einem tollen Klo, das der Grazer Architekt bereits vor Jahren einem
namhaften Wiener Psychoanalytiker und Verfechter der Analtheorie Freuds
derart raffiniert mit Spiegeln ausgestattet haben soll, dass die
Klobenutzer an ihren Ausscheidungsprozessen teilnehmen können, was sich für
das seelische Gleichgewicht zwischen Es und Ego heilbar auswirken soll. In
der Architekturszene kursieren Beschreibungen, die an Erfindungsreichtum
und sinnlichen Farbigkeiten mit den klassischen Schilderungen von
Junggesellenmaschinen wetteifern können, jene von Franz Kafka inbegriffen.
Offensichtlich hat keiner der begeisterten Überbringer der Klokunde das
wunderbare Ding der periskopen Autoinspektion mit eigenen Augen gesehen.
Man erzählt davon mit glänzenden Augen und fügt Erinnerungen an das
legendäre Café Costes in Paris an, wo es am Klo eine spiegelnde Pissoirwand
gab. Sie war derart berühmt, dass auch Damen das kommunikative Männerabteil
in Scharen aufzusuchen pflegten. Dieses von Philippe Starck 1984 gestaltete
Café, das den Weltruhm des Designers begründete, gibt es längst nicht mehr.
Nun rückt Plottegg eindrucksvoll nach.
Die Toiletten im Café Korb befinden sich im Untergeschoß. Dort befindet
sich auch die "artlounge", ein fensterloses Kellerverlies, das von Günter
Brus, Peter Kogler, Manfred Wolff-Plottegg und Peter Weibel gemeinsam
gestaltet wurde und seither von einem Hauch des wahren Wiener Undergrounds
durchweht wird. Hier pflegen führende Philosophen und Kunstrhetoriker der
Stadt ihre theoretischen Diskurse abzuhalten. Der Zugang zum Untergeschoß
ist ein einfaches türloses Loch in der Wand mit der eleganten Holztäfelung
aus den 1950er-Jahren. Das Café Korb ist eines der letzten, die im mehr
oder weniger originalen Zustand erhalten geblieben sind.
Direkt über dem Locheingang hängt das Foto einer Aktion von Valie Export.
Es stellt die Künstlerin dar, wie sie sich liegend an den Rand eines
abgerundeten und mit einer roten Linie markierten Gehsteigs anschmiegt. Es
geht um Körpersprache. Diese rote Gehsteiglinie korrespondiert mit den
Linien der beiden Handläufe, die mit roten Kunststoff belegt sind, der
wiederum mit dem roten Linoleum der Stufen harmoniert. Es handelt sich um
erotisches Rot.
Erst nach dem Besuch der tollen neuen Toilette fällt auf, wie erotisch
die Gestaltung des Café-Interieurs aus den frühen 1950er-Jahren war. Neben
dem Export-Foto hängt jenes Plakat, mit dem die kunstsinnige Cafetiere
Susanne Widl im Frühjahr 2002 zur Eröffnung der im einstigen
Kegelbahnkeller eingerichteten Artlounge eingeladen hat. Das Motto der
Artlounge stammt wohl von Weibel selbst: "Die Rückkehr der Kommunikation".
Die Rückkehr der Klommunikation. Das neue Klo im Korb von Manfred
Wolff-Plottegg ist ein Meisterstück der kommunikationsfördernden
Innenarchitektur - dies fällt bereits vor den beiden Milchglas-Flügeltüren
mit ihren großen schwarzen Piktogrammen auf. Die Benutzer erscheinen als
Schatten. Allenfalls sieht man deren Füße. Denn die beiden Abteile befinden
sich in ein und demselben Raum, die betriebliche Trennung der Geschlechter
erfolgt durch ein endloses Paravent, das in der Luft zu hängen scheint. Die
Lichtkörper befinden sich hinter dieser reich gekurvten Wand, die wie eine
endlose Schleife in den orthogonalen Raum hineingewickelt wurde, als
handelte es sich um einen weißen Schleier.
Die Paraventwand ist aus pulverbeschichtetem weißem, matt glänzendem
Alublech, welches das indirekte Licht weich zu reflektieren und dank der
Krümmungen so zu verteilen vermag, dass man sich in der Mitte der
Lichtquelle wähnt, meint, eine Lichtgestalt zu sein. Der Fußboden, ein
terrazzoartiger Belag in sattrotem Ton, reflektiert das Licht, glänzt
derart, dass man die Klovisite als ein glamouröses Raum-Licht-Ton-Erlebnis
auffassen kann. Das frivole Spiel des Architekten mit der Balance zwischen
der Intimität des Klobesuches und dem Klobesuch als eine Form der
Kommunikation ist gewagt. Und geglückt. Das Klo im Korb ist schön.
Offensichtlich ist es ein Spiel mit der sinnlichen Form- und
Farbensymbolik des ursprünglichen Stiegenzugangs. Vermutlich ist diese neu
erreichte Einheit zwischen der Toilette und der Treppe eine Anspielung an
die Treppenmetapher in der Traumdeutung Freuds.
Keine falsche Deutung erlauben die Türpiktogramme. Sie schließen an die
Konkrete Poesie der Wiener Schule an. Aus einem I und zwei Beistrichen
wurde ein Penis, aus zwei Klammern eine Vagina. Die beiden Zeichen sind so
angebracht, dass man es nicht anders lesen kann, als dass der Penis in die
Vagina will.
Wenn man beginnt, aufrichtig darüber nachzudenken, was die Einheit der
hübschen Piktogramme wirklich bedeuten könnte, stellt man fest: Eigentlich
müssten die Männer hinter das Frauenparavent wollen, die Frauen hingegen in
die Männerabteilung. Dort aber befindet sich die Urinalmuschel, das
unverkennbare Zeichen der maskulinen Vorgangsweise. Der Architekt ist also
nicht konsequent gewesen. Die Spiegel hängt in beiden Coupés ausschließlich
über den Waschbecken.
JAN TABOR
ist Architekturkritiker in Wien. In der unregelmäßig erscheinenden Rubrik
"Baukasten" beschreibt er seine Stadtansichten:
Kommentare zu Bauwerken, Ausstellungen, urbanen Phänomenen.
Auch heute noch sind die Radikalen, die in den Revolutionsjahren der ´68er-Bewegung ausgebildet wurden, die Avant-Garde und die Rebellen. Sie sind vielleicht gealtert, aber noch immer scharf und energisch. Im Falle von Manfred Wolff-Plottegg und seiner "Damen und Herren" im "Apfelstrudel"-Café Korb in Wien hat man es mit einem so umfassenden Phänomen zu tun, dass es nicht kurz zu fassen ist. Plottegg ist der seltene Exponent von Architektur, die der österreichischen aktionistischen Bewegung folgt und (wie Jan Tabor sagt) von der Freudschen Psychoanalyse inspiriert ist. In dieser Hinsicht sollten die Toiletten in Wien nur als Spitze des Eisberges betrachtet werden. Was wichtig ist, ist sein Hintergrund. Plotteggs Text "Architektur zum Scheißen" (1995), seine Toilette mit einem Spiegel für einen Freudianer (1979), sein Projekt für eine öffentliche Toilette in Eisenstadt (1994) und seine zahlreichen Entwürfe für Badezimmer (wie jenes Jean Beaudrillard gewidmete aus dem Jahr 1996) könnten Licht in das Verständnis seines Eingriffs im Café Korb bringen. Weiters sollte das Projekt rasch und billig gebaut werden, und daher verwendete der Architekt ein System aus gekrümmten Aluminiumplatten, in Analogie zu den Stahlplatten, die er für die Ausstellung "Phantom der Lust Visionen des Masochismus" (Neue Galerie Graz 2003) verwendet hatte. Sein Entwurf basiert auf einer Reinheitstheorie, die Nutzer wollen nicht anstreifen, nicht angreifen, sie öffnen die Pendel-Türen mit einem Fußtritt. Deshalb sind die Kojen auch größer, haben die weißen Aluminiumwände keine Winkel, sogar das von hinter den Wänden kommende indirekte Licht könnte als sauber verstanden werden. Die Symbole
( ) und ,I, - einfachste Typografie für die Genitalien der "Damen" und "Herren" - sind die Türgriffe. Plottegg schöpft aus dem reichen kulturellen Background Wiens von der Jahrhundertwende bis Peter Weibel und seinen Freunden, die das Café Korb zu ihrem Asyl wählten.Text: Andrej Hrausky in: Jahrbuch.Architektur HDA.graz 04/05
Ladies and Gentlemen at the Cafe Korb
Today, the radicals, who were trained in the revolutionary years of the 1968 movement still represent the avant-garde and the rebels. They may be older, but they still have their sharpness and energy. In the case of Manfred Wolff-Plottegg and his "Damen und Herren" in the "apfelstrudel" capital Cafe Korb in Vienna we are dealing with a far larger phenomenon than could be described in these few words. Plottegg is the rare exponent of architecture who follows the Austrian Actionist movement and is inspired by Freud's psychoanalysis (according to Jan Tabor). In this respect, the toilets in Vienna should be understood only as the tip of an iceberg - what is important is its background. Plottegg's text "Architektur zum Scheißen" (1995), his toilet with a mirror for a Freudian (1979), his project for a public toilet in Eisenstadt (1994) together with his numerous designs for bathrooms (like the one dedicated to Jean Baudrillard, from 1996) could help us understand the intervention in Cafe Korb. The project had to be completed fast and was supposed to be cheap, so the architect used a system of curved aluminum plates, in analogy to the steel plates he used for the exhibition Phantom of Desire; Visions of Masochism in Art (Graz 2003). This design is based on the idea of cleanliness, acknowledging that the users are afraid of dirt in these places. They refuse to touch the walls, and even open the doors by kicking them. So the cabins are larger, the curved aluminum walls omit corners and the signs of "ladies" and "gentlemen" on the doors are repeated near the floor, where you kick them. Even the indirect light coming from behind the walls could be understood as clean. The door symbols ( ) and ,I, - simple typography for female and male genitals - are the door handles. Plottegg seizes the rich cultural background that has characterized Vienna from 1900 and continues with Peter Weibel and friends (and Manfred Wolff-Plottegg is one of them) who have chosen Café Korb as their asylum.
Andrej Hrausky