Manfred Wolff-Plottegg

ARCHITEKTUR-ALGORITHMEN






Einführung
(M.Plottegg und P.Weibel )


Vorwort


Dieser einführende Essay verdankt sich einem Seminar über "Experimentelle Architektur" am Institut für Hochbau und Entwerfen an der Universität Innsbruck, zu dem wir von Univ. Prof. Architekt Volker Giencke im Sommersemester 1996 eingeladen worden sind. Da Architekturtheorie in Österreich sich momentan als Aufbereitung historischer Phänomene erledigt und die Theoriebildung über aktuelle moderne Architektur stagniert, war die Einladung, in Innsbruck als Gastprofessoren in einer Reihe mit Peter Cook und Toyo Ito zu lehren, so ehrenvoll wie experimentell. Das Interesse an Experimentalmethoden auf akademischem Boden und die Auswahl der lehrenden Personen bezeugen eine Bereitschaft für Innovation und Risiko, die ebenso ungewöhnlich wie wünschenswert ist. Wir danken daher Volker Giencke, seinen beiden Assistenten Rudolf Palme und Clemens Bortolotti und den zahlreichen engagierten Studierenden, auf deren Mitschriften dieser Essay beruht, für die Gelegenheit, unsere Gedanken in einem aufgeschlossenen Klima entwickeln zu können.

Bereits in der Vorankündigung formulierten wir, welches Selbstverständnis Architektur heute haben könnte:

Unter dem Einfluß der telematischen Medien und Maschinen haben sich nicht nur Distanzen (die Verhältnisse von nah und fern) und Skalen (die Verhältnisse von groß und klein) verändert, sondern vor allem die Beziehung zum Ort selbst: hic et nunc, da und dort sind variable Größen geworden. Ort und Raum als prinzipielle Medien der Architektur werden in Frage gestellt (siehe Dekonstruktion). Ortlosigkeit, Dislokation sind neue Kategorien des Architektonischen. Ebenso werden individuelle Entscheidungsprozeduren, die den Architekten als Baukünstler in die Nähe einer traditionellen, an der Skulptur und am Bild orientierten Auffassung von Kunst stellen sollen, abgelöst durch neue Planungsmethoden, die an den komplexen Systemtheorien der Medien und Maschinen orientiert sind. Computerbasierte Algorithmen können daher Daten individueller Signaturen ersetzen.

Dieser Ansatz geht weit über die bisherige Auffassung von experimenteller Architektur hinaus, bewegt sich jenseits von Informel, Materialexperiment, Alternativ-Bauten, Modellarchitektur. Unkonventionalitäten allein sind in diesem Sinn nicht experimentell. Die neue Definition der experimentellen Architektur experimentiert mit der Semantik der Architektur. Indem wohlbekannte Architektur-Regeln neu parametrisiert werden, was zu den Architektur-Seminar-Spielregeln gehören wird - ohne auf das Ergebnis Einfluß nehmen zu wollen - entsteht erst eine neue gleichsam "experimentelle" Definiton der experimentellen Architektur.

Aus dieser Präambel entstand der Arbeitstitel für das Architekturseminar "Experimentelle Architektur und Algorithmendesign". Zur selben Zeit erfolgte auch die Zusammenstellung dieses Buches und somit war a posteriori subsumierend der Titel "Architektur-Algorithmen" naheliegend, zumal die für dieses Buch ausgewählten Schriften Manfred Wolff-Plotteggs von einem methodischen, prozessualen Ansatz ausgehen. Gleichzeitig markieren die hier vorgestellten Arbeiten, die den Zeitraum der vergangenen 30 Jahre umfassen, die jüngsten Entwicklungen einer Architektur, die sich vom Objekt / Gebäude, vom Begriff der Endzustandsplanung emanzipiert hat und nunmehr zu einem systemischen Architekturbegriff mit der Vorstellung einer Entwicklungszustandsplanung führt, der sich in verschiedenen Projekten der aktuellen Architekturszene immer deutlicher artikuliert.

Körper - Maschinen - Systeme

1. Architektur noch Körper
Die Maxime Der Mensch ist das Maß aller Dinge durchzieht von Vitruv über Leonardo da Vinci bis Le Corbusier u.a. in verschiedenen Motiven (von Körperkult bis Anthropozentrismus) die Architekturgeschichte.
Gemäß auch heute noch allgemein verbreiteten Gemeinplätzen wird die Schutzfunktion der Architektur auf den Körper bezogen. Das Haus oder Gebäude sei eine Hülle, eine Box, eine Kiste, ein Würfel, deren Proportionen und Skalierungen auf den Körper bezogen sind. Die alten, vom Körper abgeleiteten Raummaße wie Elle, Fuß, Spanne etc. bezeugen deutlich, wie die historische Raumerfahrung, die eine Raumerfahrung durch den Körper war, auch zum Modell der architektonischen Raumerfahrung wurde. Der Modulor von Le Corbusier (1951) ist bis heute statischer Ausdruck jener Architektur, die sich auf den Körper als Maß und Modell bezieht. Das Werkzeug (vgl. hiezu auch Neufert) wird zum Sinnbild überhöht, indem es zum Idealmaßstab wird. [1]
Diese an und für sich diskutable Auffassung von Architektur kann natürlich vollkommen verelenden, wenn das Gebäude als bloße Hülle definiert wird, als Membran (eine weitere körperliche Metapher), welche bestimmte Verhältnisse von Innen- und Außenzuständen regelt (z.B. das Verhältnis der Temperaturen oder der Helligkeit). Es liegt natürlich nahe, diese Funktion des Gebäudes mit dem Körper zu vergleichen und daraus eine Architektur als Extension des Körpers abzuleiten, die sich auf 3 Stufen aufbaut: 1. Stufe der Architektur: die Haut; 2. Stufe der Architektur: die Kleidung; 3. Stufe der Architektur: das Gebäude. [2]

Diese Auffassung von Architektur als Extension des Leibes[3], die sich historisch berechtigt aus der ursprünglichen Schutzfunktion der Architektur ableitet und körpergerechtes bzw. körperbezogenes Bauen genannt wird, ist erst im 20. Jahrhundert destabilisert worden: erstens weil sich unsere Raumerfahrung durch Transportmaschinen wie Eisenbahn, Auto, Flugzeug entkörperlicht hat und zweitens weil die technischen Medien - vor allem die telematischen Medien - unsere Auffassung von Raum und Zeit radikal verändert haben. Somit ist jener Kunst, die den Raum gestaltet, nämlich der Baukunst, die historische Grundlage entzogen worden.

Diese veränderte Auffassung von Architektur ist aber bei genauerer Betrachtung implizit in der körperbezogenen Architektur schon ausgebildet. In originalen Darstellungen der modernen Architektur der 20-er Jahre sind vor dem architektonischen Motiv zumeist Maschinen abgebildet: Autos, Flugzeuge, Schiffe (später auch Raumkapseln) sind Metaphern der Moderne, vom revolutionären Rußland bis zum Esprit nouveau. Die Almanache der Architektur glichen Almanachen von Maschinen.[4]

Es war schließlich Le Corbusier selbst, der nach dem Körper die Maschinen als Modell für die Architektur nahm und damit die Architektur selbst als Maschine definierte: die berühmte Wohnmaschine. Aber nach wie vor herrschte die traditionelle anthropozentrische Position, die lediglich mit dem Flair der Maschine auf einer ästhetischen Ebene kokettierte.

2. Architektur und Maschinen

Die moderne Auffassung von Architektur leitete einen grundsätzlichen Wandel ein, der vielleicht selbst Le Corbusier verborgen blieb.

In seinem Œuvre zeigt sich die Konkurrenz zwischen der Idee des Körpers und der Idee der Maschine. Der Zwiespalt der Architektur zwischen Körper (modulor) und Maschine (unitee d'habitation) ist bis heute noch nicht überwunden: einerseits perpetuiert die Architektur in Ritualen des Materialfetischismus die Körperhaftigkeit, andererseits erliegt sie der Faszination der Maschine in der Ästhetisierung.[5] Buckminster Fuller baute einen Caravan, Hollein verwendete Flugzeugträger und Eisenbahnwagons metaphorisch. Archigram's walk in city entwarf Mobilität und Flexibilität.[6]

Der Beziehung Körper / Maschine ist auch die Frage des Materials und dessen Verarbeitung implizit: Das Handwerksprodukt gilt als körperverbunden, traditionell, individuell und wird 200 Jahre nach Beginn der industriellen Revolution als Original noch immer ideologisch höher bewertet als Maschinenprodukte. Während in den 20-er Jahren die "klassische" moderne Architektur begann, sich mit dem Thema Maschine auseinanderzusetzen (siehe Bauhaus), wird in Österreich mit den Wiener Werkstätten (Joseph Hoffmann) die Rückkehr zum Handwerk propagiert.[7] Während Gropius bereits 1913 im Werkbund-Jahrbuch Fotos von amerikanischen Beton-Silos (z.B. Buffalo) publizierte, die daraufhin durch die Avantgarde-Magazine zirkulierten (De Stijl 4 + 5, 1926, Buch neuer Künstler von Kassak und Moholy-Nagy, 1922), schworen sich die Wiener auf Holz und Marmor ein. Mit der Ablehnung der modernen Maschinen ging damals der Kontakt zur internationalen Szene verloren.[8] Von Loos bis Hollein zieht sich die Spur der Materialideologie.[9]

In diesem Sinn sind die ersten Versuche der klassischen Moderne, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, noch nicht der Wandel selbst, sondern nur die Einleitung dieses Wechsels, weil die meisten Architekten im Stilistischen und bei niederen, primitiven Maschinen als Modell stehen geblieben waren. Erst später, mit dem Systemgedanken, findet der Wechsel von der Statik zur Dynamik, von der Struktur zum System, von der Mechanik zur Mobilität, von der Hardware zur Software, von der Konstruktion zur Konfiguration statt.

Es sind die höheren Maschinen, die sogenannten kybernetischen Maschinen oder Automaten, das sind Maschinen mit selbständigen Steuermechanismen bzw. selbstregulierenden Prozessen, welche eine neue Positionierung der Architektur provozieren könnten.[10] Hätte die Architektur ein genuines Maschinenverständnis gehabt, hätte sie von Anfang an die Maschine als Steuermechanismus verstanden, deren Entwicklung bis zur Selbststeuerung gehen kann, wären der Architektur viele Retardierungen, Sackgassen, Engpässe, Blockaden erspart geblieben. An der Kritik des zentralen Steuermechanismus historischer Maschinen, wo die ganze Maschine nicht funktioniert, nur weil ein winziger Teil kaputt ist, hätte sie das versteckte hierarchische System auch in der Architektur erkannt. Die Lösung hier wie dort sind dezentrale lokale Steuermechanismen verteilt im architektonischen System. Der Systemgedanke, frühzeitig auf die Architektur angewendet, hätte die Entwicklung der Architektur zu einem evolutionären System mit lebensähnlichem selbststeuerndem Verhalten enorm beschleunigt.

Es gibt im wesentlichen 3 Typen von kybernetischen Maschinen:

I. Maschinen, die die Funktion von Sinnesorganen nachbilden: solche, welche Außenweltinformationen aufnehmen (die Rezeptoren) und solche, die an die Außenwelt Information abgeben (die Effektoren). Die Sinnesorgane sind natürliche Rezeptoren und Effektoren. Die Telemaschinen wie Telefon, Television, Satellit etc. sind künstliche Rezeptoren und Effektoren. Sie nehmen Informationen von der Außenwelt auf oder geben sie an die Außenwelt ab. Sensoren-Technologie besteht ebenfalls aus künstlichen Rezeptoren und partiell aus künstlichen Effektoren. Die automatische Steuerung von Jalousien je nach Sonnenstand, von Belüftungs- und Heizungs-Maschinen je nach Luftfeuchtigkeit oder Temperatur etc. sind Beispiele für eine begrenzte Schnittstellen- bzw. Sensoren-Technologie in der Architektur.

II. Logischen Maschinen, die das Zentralnervensystem und die Rechentätigkeit nachbilden, die dort stattfindet und die wir Denken nennen (von der Rechenmaschine bis zum Computer).

III. Maschinen, die das Leben selbst bzw. einzelne Lebenserscheinungen simulieren. Hier gibt es natürlich sehr viele Maschinen, z.B. lernende Maschinen, Schachautomaten, zellulare Automaten, Beweis-Automaten, selbstreproduzierende Automaten etc. Walter Grey hat einer dieser Maschinen in dem Essay An Imitation of Life (Scientific America, 1950) den Titel Machina Speculatrix gegeben. Wir aber wissen heute, daß die Konzepte, die hinter den maschinellen Modellen zur Nachbildung einzelner Lebenserscheinungen standen, zu eng waren, und daher diese Simulationen des Lebens gar nicht leisten konnten.

Was diese Maschinen leisten sollten, können nämlich nur Systeme. Statt von Maschinen sprechen wir daher heute von dynamischen, komplexen und adaptiven Systemen mit lebensähnlichem Verhalten. Die Systemtheorien, die sich damit beschäftigen, sind: Chaos-Theorie, AI (artificial intelligence), AL (artificial life), cognitive science, neuro-science, u.a. Technische Strategien sind dabei Software-Agenten, autonomous agents, swarm-architecture etc. Die Maschinen- und Automatentheorie als Leitmodell wurde abgelöst von der Theorie komplexer Systeme. Auf Kybernetik und AI folgten AL-Systeme.

Kybernetische Maschinen finden erst heute im Typus der Sensorentechnologie Einsatz, z.B. bei Jean Nouvel (Centre du Monde Arabe). Von den 3 Maschinen-Typen nimmt die gegenwärtige avancierte Architektur also erst den Maschinen-Typ I in Angriff, nämlich die Sensoren-Technologie, die Schnittstellen-Technologie (vgl. auch das Tron-Haus von Sakamura).[11]

Da die Architektur ohnehin nie ernsthaft imstande war, eine komplexe Architektur auf dem Niveau komplexer Maschinen zu bauen, empfiehlt es sich, diese historische Chance einfach zu überspringen und die Zukunft der Architektur auf dem Systemgedanken zu fundieren.

Am Beispiel von Le Corbusier ist angedeutet worden, daß auch die Medien in der Entwicklung der Architektur eine große Rolle spielen. Die möglichen Chancen, die in einer Verkoppelung von Medien und Architektur liegen, stehen noch offen.[12]

3. Architektur aber System

Insoferne kann auch die Architektur nicht bei den Körpern oder Maschinen als Leitmodell und Metasprache stehen bleiben, sondern muß als Leitwissenschaft die zeitgemäßen naturwissenschaftlichen Modelle wie Komplexitätstheorie, Chaostheorie, deterministische nonlineare Syteme, AL-Theorie etc. annehmen. Mit der Terminologie dieser Wissenschaften (autokatalytische Prozesse, adaptive Systeme, genetische Algorithmen) kann man die neue Vision einer Architektur als dynamisches komplexes System mit lebensähnlichen emergenten Verhaltensweisen und mit variablen Zustandsänderungen (Konfigurationen) statt statischer Konstruktion beschreiben. Ansatzweise gibt es solche Denkmodelle in Projekten von Peter Eisenman und Coop Himmelb(l)au, aber nicht nur in der dekonstruktivistischen Architektur, die Derrida folgt, sondern auch in jenen architektonischen Projekten, die Deleuze und seiner Theorie der Falte folgen, z.B. Bernard Cache.[13]

Wenn wir nun auf die alten Modelle mit den neuen Einsichten zurückblicken, sehen wir, daß nur ein primitives Modell des Körpers als Maß der Architektur diente, nämlich ein statisches, mechanisches Modell, das auf der Anatomie und nicht wie ein dynamisches Software-Modell auf der Chemie aufbaut. Der Körper wurde als simple Maschine statt als Code und System gesehen.

Aids zeigt uns radikal, wie das Immunsystem des Körpers, die chemische Konfiguration, wichtiger ist als die Muskulatur, die anatomisch-tektonische Struktur. Sozusagen unsichtbare Viren zerstören die sichtbare Architektur der Anatomie. Der Körper ist vor allem eine chemische Fabrik, in der die chemischen Zustandsfolgen, die temporale Codierung der Nervennetze, wichtiger ist als die räumliche Gestalt und die anatomische Konstruktion. Die gleiche Kritik gilt natürlich auch für das Modell der Körper und Maschinen in der Architektur. Auch die Architektur sollte sich als Metabolismus, als thermodynamisches Zustandsfolge definieren können.

Die Zukunft der Architektur besteht erstens darin, die alten Körper und Maschinen-Modelle zu korrigieren und als dynamische Systeme zu verstehen, zweitens darin, auf die telematischen und kognitiven Maschinen zu reagieren, d.h. auf Maschinen des Typus II und III, die wir heute nicht mehr als Maschinen, sondern als Systeme definieren.

Insgesamt bleibt nicht verborgen, daß die Architektur die Maschinen nicht richtig verstanden hat, sonst hätte sie vom System gesprochen. Nicht Architektur und Maschine[14] ist unser Ziel, sondern Architektur als ein adaptives komplexes System mit lebensähnlichem Verhalten und künstlichem Bewußtsein, das selbständig reagiert und steuert, eine Architectura Speculatrix.

Dieser Umweg führt uns daher erstaunlicherweise erst recht zu einer Architektur als lebendem Organismus statt mechanischer Konstruktion. Auch in der sogenannten organischen Architektur werden aber primär formale Ähnlichkeiten herangezogen statt Systemähnlichkeiten. Nicht das formale Bild einer Pflanze soll architektonisch imitiert werden, sondern der dynamische Wachstumsprozeß der lebenden Organismen, nicht die Gestalt, sondern die Morphogenese. Hier liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für eine aktuelle Architektur, und in unseren Vorschlägen zu einer Architektur als Algorithmendesign findet sich das Instrumentarium für eine selbständige Morphogenese von Architektur, die Planungsmethode für eine systemische Architektur. Der derzeitige Wissensstand ist: Ein einfacher Algorithmus bildet komplexe Systeme, und das Leben als kompliziertestes aller Systeme besteht nicht aus komplizierten Regeln, sondern aus einfachen Algorithmen. Dies ist unser neues Leitmodell für die Architektur.

Durch diesen Wandel von den Strukturen zu den Systemen eröffnen sich neue Grundlagen für die Architekturproduktion.

Ortlos - Zum Diskurs der Dislokation[15]

place / displacement - site / parasite

In der traditionellen Architektur hat alles seinen Ort: Eine Wohnung[16], ein Zimmer, ein Schreibtisch sind aufgeräumt, wenn alles an seinem Ort ist; ein Staatsbürger ohne Wohnsitz hat keinen Ort; keinen Ort zu haben, ist verboten. Nicht zuletzt der Funktionalismus und die damit zusammenhängende Theorie der kurzen Wege weisen Orte zu: das Rathaus am Hauptplatz, die Speisezimmer neben der Küche, das Nachtkästchen beim Bett; Arbeiten im Büro, Erholen bei CIAM. Sogar jedes Detail hat seinen ihm zugewiesenen Ort[17] und der Nagel ist auf den Kopf zu treffen, zur rechten Zeit am rechten Ort. Bauen heißt ordnen, wo etwas hingehört.[18]

Überall ist Ort[19], und wo kein Ort ist, wird durch die Orientierung, durch die Erinnerung, sofort einer gemacht, auch Architektur kann einen amorphen Unort zu einem Ort erhöhen; die Verehrung des Ortes drückt sich in der Metapher des genius loci aus; jeder Ort ist genial; Gebäude sind Allegorien dieser Vorstellungen.

Die Idee des Ortes ist die Einheit von Körper und Raum, wie im griechischen Theater die Einheit von Zeit und Ort, wie bei Sigfried Giedion Raum Zeit Architektur. Diese Ideen des Ortes bedienen sich der körperbezogenen Raumerfahrung, der Technik der Lokalisation durch den Körper.

Die traditionellen Techniken der Dislokation: Das Entschweben in der Mystik, die Dislokation im Schamanismus, die Ortlosigkeit im Nirvana, sie dienten der Befreiung des Körpers vom Ort. Ab dem 19. Jhdt. werden neue Techniken entwickelt, um dem Gefängnis des Raumes - der Mensch ist nicht nur bei Leonardo im Viereck eingesperrt - zu entkommen. Der Körper wird durch die Maschinen (1830 Eisenbahn, 1969 Mondlandung) vom Gefängnis des Ortes befreit; die Telemaschinen (1840 Telegraphie, 1906 Hörfunk, 1927 Fernsehen) befreien die Botschaften (Zeichen) vom Boten (Körper), Zeichen-Botschaften können ohne Körper reisen.

Mit dem um ca. 1840 entdeckten Scanning-Prinzip, das für die ersten telegraphischen Versuche (Bildübertragung über Distanzen) verwendet wurde und das darin bestand, eine räumliche Dimension (Zeichnung auf einer Fläche) in eine lineare Folge von Punkten in der Zeit umzuwandeln, können wir den Beginn der neuen Raumerfahrung der Dislokation datieren. Bis zu diesem historischen Augenblick brauchte jede (immaterielle) Botschaft einen (körperlichen) Boten, der sie von einem Ort zum anderen übermittelte, transportierte, deplazierte, dislozierte. Diese Boten waren vor der industriellen Revolution primär Körper (Soldaten, Pferde, Tauben etc.). Wenn ein Mensch den Raum durchquerte, Schritt für Schritt den Ort wechselte, sich von einem Ort zum nächsten bewegte, geschah dies mit Hilfe seines Körpers oder mit Hilfe eines anderen organischen Körpers, z.B. des Pferdes. Über Jahrtausende prägte sich im Menschen phylogenetisch die Erfahrung ein, daß Ortsveränderung, Dislokation, nur durch den eigenen physischen Körper möglich wäre. So bildete sich phylogenetisch das Paradigma der körperzentrierten Raumerfahrung aus, das Jahrtausende lang unsere Zivilisation dominierte. Mit Ausnahme des Schiffes ist es kaum 200 Jahre her, seit Beginn der industriellen Revolution, daß die Dislokation mit Hilfe von Maschinen wie Eisenbahn, Auto, Flugzeug geschieht. Die maschinelle Ortsveränderung geht ungleich geschwinder vor sich als die körperliche, so schnell, daß für die historische körperliche Erfahrung des Raumes die Distanzen zwischen Raumpunkten zu verschwinden scheinen und wir daher metaphorisch vom Verschwinden des Raumes sprechen. Aber auch bei der maschinenzentrierten Raumerfahrung haben wir es noch mit physikalischen Objekten zu tun, mit nachvollziehbaren künstlichen Bewegungsapparaten, deren Kriterien noch mit unseren natürlichen Bewegungsapparaten vergleichbar sind.

Die eigentliche Revolution der Raumerfahrugn liegt in der körperlosen Transmission der Zeichen. Als erstmals Zeichen ohne Körper reisen konnten, sei es auf elektromagnetischen Wellen, sei es durch Kabel etc., wurden die Grundsteine der körperlosen Raumerfahrung gelegt. Da historisch über Jahrtausende Körper und Raum eine Einheit bildeten, wirkte diese neue körperlose Raumerfahrung auch als der Beginn des Verschwindens des Raumes, als der Anfang einer Raum- und Ortlosigkeit. Nach den physikalischen Transportmaschinen von Gütern und Menschen wie Eisenbahn, Auto und Flugzeug sind es vor allem die telematischen Transportmaschinen von Zeichen und Daten wie Telefon, Television, Internet, welche den Diskurs der Dislokation einleiteten. Dislokation (des Raumes) und Disembodiment (des Körpers) bewirken also körperlose Raumerfahrung. An die Stelle der körperzentrierten Raumerfahrung tritt in der industriellen Revolution die maschinenzentrierte Raumerfahrung und in der postindustriellen Revolution die zeichenzentrierte, symbolische Raumerfahrung. Die gesamte moderne Zivilisation würde ohne diese zeichenzentrierte Raumerfahrung, vom Bildschirm des Piloten bis zur Landkarte des Wanderers, zusammenbrechen. Ortlosigkeit als Metapher der zeichenzentrierten statt maschinen- und körperzentrierten Raumerfahrung steht also am Ursprung der Dislokation.

Der Architektur, die bisher als Raumkunst definiert wurde und, wie wir gezeigt haben, dabei immer an die körperzentrierte Raumerfahrung gebunden war, wird durch den neuen Raumbegriff jenseits der Körperhaftigkeit vollkommen der Boden entzogen. Wenn die Architekturgruppe Coop Himmelb(l)au sagt, Architektur beginnt jenseits des Raumes oder Architektur beginnt dort, wo der Raum aufhört meint sie genau das: zeitgemäße Architektur beginnt jenseits des historischen körpererfahrenen Raumes. Auch Daniel Libeskind negiert den historischen Orts- und Raumbegriff der Architektur, wie der Titel seines Buches Kein Ort an seiner Stelle bereits andeutet.[20]

Die telematischen Maschinen von Zug bis Flugzeug und die telematischen Medien von Telefax bis Television haben den Diskurs des Ortes endgültig verabschiedet, den Diskurs der Dislokation als Fundament unserer Gesellschaft erzwungen. Diesem Diskurs der Dislokation kann sich auch die Architektur nicht entziehen. Architektur als Raumgestaltung muß sich den neuen Raumvorstellungen anpassen. Die telematischen Medien zwingen der Architektur endgültig einen neuen dynamischen Raumbegriff auf. Dieser Raumbegriff ist durch Immaterialität und Ortlosigkeit gekennzeichnet. Kann also der historische Raum nicht mehr als Fundament der Architektur dienen und diese daher nicht mehr mit an diesem körperbezogenen Raum ausgebildeten formalen Kriterien und Modellen arbeiten, kann der Ausweg nur darin bestehen, von den Dispositiven der Ortlosigkeit abgeleitete Kriterien wie Mobilität, Flexibilität, Dynamik etc. für die Architektur zu beanspruchen. Idealiter müßte die Architektur sich aus einem Zustand der Zwei- und Dreidimensionalität befreien und wie das Telefax sich in eine nonlineare Folge von Konfigurationen verwandeln, eben in ein räumlich-temporales System.[21] Der Raum ist durch die telematischen Medien eine lineare Folge von Punkten in der Zeit, eine Zeichenkette (string of signs) geworden. Die Raumkunst ist somit eine Zeitkunst und das zweidimensionale flache Bild eine Zeitform geworden. Statt Ort (topos) spielen daher Unort, Ortlosigkeit (atopos) und Utopie eine größere Rolle als bisher. Eine Akzentverschiebung von Ort zu ortlos, von Präsenz zu Absenz fand statt.[22]

Einer der wenigen Architekten, der auf diese Veränderungen reagiert, ist Peter Eisenman. In zahlreichen Texten weist er immer wieder auf die sich verändernden Bedingungen im Zeitalter der medialen Dislokation hin: Auch die Architektur kann nicht länger an die statischen Bedingungen von Raum und Zeit, von hier und dort, gebunden bleiben. In einer mediatisierten Welt gibt es keine Orte im alten Sinne mehr.[23] Deswegen sieht er in Die blaue Linie die Architektur vor einer schwierigen Aufgabe: sie muß das, was sie lokalisiert, dislozieren, das, was sie setzt, gleichzeitig ent- setzen.[24] Die Versuche der dekonstruktivistischen Architektur, sich vom Ort zu befreien und pars pro toto gegen die Gesetze der Schwerkraft vorzugehen, können in dieser Argumentationslinie als Effekte der Dislokation interpretiert werden.[25] Aufhebung der Schwerkraft bedeutet soviel wie Aufhebung des Ortes. Aufhebung des Ortes bedeutet soviel wie Aufhebung der Präsenz. In ihrem Versuch, die Architektur von der körperzentrierten Raumerfahrung und damit von den historischen Formen der Präsenz zu befreien, tendiert daher die dekonstruktivistische Architektur logischerweise zu einer Architektur der Absenz, wo eben der Raum und die Präsenz der Körpererfahrung fehlen. In seiner zentralen Schrift Moving Arrows, Eros, and other Errors - eine Architektur der Abwesenheit hat Peter Eisenman die Entwicklungslinien klar skizziert: Die Architektur wurde immer auf die Größe des Menschen bezogen. Fünf Jahrhunderte hindurch dienten die Körperproportionen des Menschen der Architektur als Grundlage. (...) In dieser traditionellen Betrachtungsweise besitzen drei verschieden große Gebäudetypen wie z.B. ein Haus, ein Theater und ein Wolkenkratzer denselben Maßstab, d.h., sie sind nur ein Vielfaches der Größe eines Menschen; das macht das Maß des menschlichen Körpers stillschweigend zu einer Grundvorgabe, zu einer Art Urmaß. (...) Scaling befreit die Architektur von der Metaphysik des Maßstabes. (...) Diskontinuität, Rekursivität und Selbstähnlichkeit sind wechselseitig voneinander abhängige Aspekte des scaling. (...) Die Privilegierung des Ortes als Kontext schlechthin führt zur Unterdrückung anderer möglicher Kontexte.[26]

Desgleichen deklarierte Plottegg schon 1989 die Ortlosigkeit als den eigentlichen Ort der Architektur: "Das binäre Haus hat keine Dimension, es ist selbst ohne Ort in einem Umraum ohne Standpunkt (...) das binäre Haus ist gegenstandslose, entmaterialisierte Architektur".[27] Ortlosigkeit wird zu einem zentralen Thema der Architektur.[28] Mit der digitalen und telematischen Ortlosigkeit wird die Architektur zu einer Architektur der Absenz. Auch Daniel Libeskind schreibt: So werden wir Zeugen der Ereignisse, die aus der Architektur der Präsenz eine Architektur der Absenz machen.[29]

Peter Eisenman wehrt sich ebenfalls gegen die Metaphysik des Ortes und der Präsenz in der Architektur.[30] Er spricht von einer Architektur als Text, um darauf hinzuweisen, daß heute nicht die Realien des Raumes, sondern die Signifikanten des Raumes die Regeln abgeben. Im telematischen Zeitalter, wo Zeichen ohne Körper reisen und dieser immaterielle Zeichenverkehr die Welt ökonomisch und kulturell zusammenhält, spielen die Signifikanten, Symbole und Zeichen, d.h. das nicht Präsente, das nicht Physikalische, also die Sprache der Absenz, eine größere Rolle denn je gegenüber der physikalischen Präsenz, wird auch die Ordnung der Bausteine zur Ordnung der Zeichen.

Die Architektur muß mehr denn je Zeichen- und Textcharakter annehmen, um auf das Primat der Signifikanten reagieren zu können, das durch die von der telematischen Revolution bewirkte Freiheit der (körperlos reisenden) Zeichen und die Verschiebung des Ortes, die Dislokation durch die telematischen Medien, entstanden ist. Die aktuelle Architektur baut auf den entmaterialisierten, entkörperlichten Raum, auf den Raum der Zeichen und Signifikanten.

Durch das Scanning-Prinzip und die entsprechenden Technologien wurden also Botschaften ohne Körper möglich. Bote und Botschaft, Körper und Zeichen wurden separiert. Die körperlosen Codes führten auch zu einer Separation von Körper und Ort. Die historische Gleichung von Körper und Ort zerfiel, die Körperlosigkeit führte zur Ortlosigkeit. Die telematischen Medien, die Raumerfahrung durch die telematischen Medien, haben eine körperlose Ortlosigkeit ein für allemal eingeführt. Der Ort, der physikalische, körpererfahrene Ort, geht der Architektur als Medium verloren. Parallel dazu gesellt sich der "ortlose" Raum der telematischen Maschinen und Medien.

Dieser Diskurs der Dislokation hat selbstverständlich auch in der Geschichte der Architektur selbst bereits seine Wurzeln. Schon immer sind die Architekten gegen die physikalischen Grenzen von Raum und Zeit angerannt, gegen das Gefängnis aus Ziegeln und Steinen, gegen die Schwerkraft und die Masse.[31] Was heute elektronische Medien an Möglichkeiten bieten, die Grenzen von Wänden zu überschreiten[32], wurde früher mit den zu Verfügung stehenden Mitteln der Zeit versucht: die perspektivische Illusions-Malerei simulierte Räume jenseits der Möglichkeiten des Architekten. Rückblickend können wir sagen, daß in der Auseinandersetzung zwischen Architektur und Wandmalerei in Kirchen und Palästen jene radikale Differenzierung von Präsenz und Absenz schon stattgefunden hatte. Palladio baute als Architekt lokale Architektur mit Präsenz, diese wurde durch die Malerei von Veronese um die Dimension einer dislokalen Architektur der Absenz ausgeweitet: Der Maler setzt sich in der Illusionsmalerei (virtuelle Architekturen und Landschaften) über körperhafte und physikalische Begrenzungen hinweg.[33]

Im Barock ist der Einfluß der perspektivischen Malerei auf die Architektur ungeheuer. Die Perspektive in der Malerei animierte dazu, daß auch die bis dahin vernachlässigten Seitentrakte und Hinterfassaden ins Blickfeld der Architektur gerückt wurden.

Neben diesen traditionellen Ansätzen der Ortlosigkeit, welche die Architektur der Malerei verdankt, gibt es auch Momente der Dislokation in der Geschichte der Architektur, welche sie den Maschinen verdankt.

Die Idee der unterirdischen Architektur und die barocke Wandmalerei verbindet die Problematik des Visuellen,[34] allerdings in konträren Positionen, nämlich einerseits Negation des Visuellen, andererseits Apotheose des Visuellen. Die trompe l'œil-Technologie der Wandmalerei im Barock und Rokoko hat Räume geschaffen, die entweder nicht real und in diesem Sinne real nicht sichtbar waren oder die Unsichtbares, das real nicht gesehen werden konnte, visualisierten. Die Virtuosen der Illusionsmalerei in Kirche und Palästen waren die ersten Architekten des cyberspace, des virtuellen Raumes.[35] Die unterirdische Architektur war sowieso unsichtbare Architektur.

Die Illusionsmalerei hat also die klassische Gleichung zwischen Realität und Visibilität schon leicht und unbemerkt gestört. In der klassischen Wirklichkeitsauffassung bis 1840 galt die Regel: Was real ist, ist sichtbar, was irreal ist, ist gemalt. Das Sichtbare und das Anwesende bilden eine Einheit. Was nicht gesehen werden kann, ist das Abwesende und das Irreale. Die Illusionsmalerei hat das nicht Anwesende im Ansatz sichtbar gemacht. Die klassische Gleichung heißt also: Was anwesend ist, ist sichtbar, und das Abwesende ist unsichtbar. Was das Subjekt sieht, ist das Anwesende. Das nicht Anwesende ist nicht sichtbar. Der Maler konnte aber bereits das nicht Anwesende malen. Dies war nicht die Hauptaufgabe der Malerei, die in der Mehrheit auf der realistischen Abbildung der Präsenz bestand, aber als Häresie konnte die Illusionsmalerei diese Regel brechen. Es ist hingegen die zentrale Aufgabe der Medien als Sprache der Absenz, das sichtbar zu machen, was nicht anwesend ist. Freud hat in Das Unbehagen in der Kultur (1930) die Schrift als Sprache der Absenz definiert und formuliert, daß die Technik als Sprache der Absenz diese Arbeit der Schrift fortsetze.

Die Aufgabe der Technik und in der Folge der technischen Bild- und Tonmedien ist also, das, was räumlich und zeitlich abwesend bzw. vergangen ist, anwesend zu machen. Die telematischen Medien haben also in der Dialektik von Präsenz und Absenz neue Akzente gesetzt und so aus der Architektur der Präsenz zu einer Architektur der Absenz geführt. Die Dialektik von Präsenz und Absenz hat schon immer eine Dialektik des Sichtbaren und Unsichbaren in sich enthalten. Die telematischen, technischen Medien haben in ihrer Aufhebung der historischen Definition der Gleichung zwischen Ort und Ortlosigkeit als Präsenz und Absenz auch eine neue Gleichung zwischen Ort und Sichtbarkeit und damit zwischen Präsenz und Sichtbarkeit eingeführt. Der Diskurs der Dislokation hat also die alte Gleichung zunichte gemacht. Die klassische Gleichung: Das Anwesende ist sichtbar und das Abwesende ist unsichtbar, gilt nicht mehr. Die neue durch die telematischen Medien eingeführte Gleichung lautet: Auch das Abwesende kann visuell anwesend gemacht werden. Statt der statischen Definiton der Visibilität gibt es nun einen dynamischen Diskurs des Visuellen, statt klarer Grenzen zwischen sichtbar und unsichtbar, zwischen Präsenz und Absenz gibt es nun variable Zonen der Visibilität. Das technische Sehen hat die klassische Ontologie und damit die klassischen Konzepte des Visuellen zerstört.

Durch die Medien wurde das Primat des anthropomorphen Sehens aufgehoben. Wenn Fernseh- und Satellitenkameras ständig Bilder aus Zonen jenseits der Reichweite und der Perspektive des menschlichen Auges in die Wohnzimmer liefern, ist der Triumph des technischen Sehens und des maschinellen Auges nicht mehr zu leugnen. Die telematischen Medien haben vor allem eine visuelle Dislokation bewirkt. Die Architektur als Raumkunst muß auf diese Veränderungen durch die visuelle Dislokation und den Verlust des anthropomorphen Sehens reagieren. Die Entkörperlichung im Reich des Visuellen hat eine neue Raumsprache provoziert. Die Medien, die parallel zum realen Raum einen elektronischen immateriellen Datenraum errichten - besonders beispielhaft im weltweiten Datennetz, im Cyberspace erkennbar -, operieren nicht mehr mit den historischen konstanten Konzepten und Realien des Raumes, sondern operieren mit den Zeichen des Raumes. Auf die Separation von Bote und Botschaft, von Körper und Zeichen folgt die Separation von Raum und Zeichen. Die Zeichen des Raumes flottieren frei, dislozieren sich vom realen physischen Ort. Der Diskurs der klassischen Architektur war auf Ort, Raum, Körper, Materie, Masse, Schwerkraft udgl. aufgebaut. Der Techno-Diskurs der Dislokation hat die historischen Unterscheidungen und Grenzen aufgehoben. Der Diskurs der nicht-klassischen Architektur baut auf Ortlosigkeit, immateriellen Zeichen, dynamischen Systemen, flottierenden Daten etc. auf. Der Diskurs der Dislokation betrifft also nicht nur den physikalischen Ort, sondern auch die Dislokation der Zeichen-Wirklichkeit von der Sinnes-Wirklichkeit und die Dislokation des Visuellen vom Raum bzw. von der Anwesenheit (Präsenz). Im Zeitalter des Primats des technisch gestützten und vernetzten Sehens wird die Raumsprache der Architektur zunehmend zu einer reinen Zeichensprache und neuer Formen technisch gestützter Visibilität.

Auch hierzu, zur Veränderung des Visuellen im Diskurs der Dislokation hat Peter Eisenman einen treffenden Kommentar: Das elektronische Zeitalter stellt eine große Herausforderung an die Architektur dar, da jetzt die Wirklichkeit durch Medien und Simulation bestimmt wird, der Schein mehr als das Sein gilt, das Sichtbare mehr als das, was ist. (...) Was wir sehen, und wie wir sehen, wird durch die Medien radikal uneindeutig.[36] Das Sichtbare wird zu einem Spiel zwischen Abenz und Präsenz.

Die moderne Glastechnologie ermöglicht Glasfassaden, die die Lesbarkeit des Raumes ambivalent werden lassen. Elektronisch gesteuerte, aus Quarzkristallen gebaute Scheiben erlauben ein mobiles Spiel von Zonen der Transparenz und Opakheit. Solche Gläser wiederholen den Diskurs der Dislokation im Diskurs von Visibilität und Invisibilität. Mit Hilfe von variablen Zonen der Visibilität, die systemisch gesteuert werden, entfaltet sich eine variable Dislokation des Visuellen von transparenten zu opaken Feldern. Die gleichen Felder können einmal opak und transparent sein. Der Zustand des Visuellen ist nicht endgültig definiert und nicht statisch, er ist mobil, flexibel, transitorisch und dynamisch. In dieser Dislokation des Visuellen wird der Diskurs der Dislokation, welcher die Architektur schon auf verborgene Weise beherrscht, visuell zum Ausdruck gebracht.

Der architektonische Raum nähert sich nicht nur einem Raum der Falten im Sinne von Deleuze, sondern der moderne architektonische Raum ist eher als Raum des mappings und remappings zu verstehen. Der physikalische Raum und der elektronische Raum fusionieren, indem sie sich ineinander und durcheinander abbilden. Das visuell Anwesende wird auf das Abwesende gemappt, das dadurch sichtbar wird. Bei der Illusionsmalerei war es genau umgekehrt: Das visuell Abwesende wurde malerisch auf das architektonisch Anwesende gemappt. Die Realität wird in der zeitgemäßen Architektur, die auf die telematischen Veränderungen reagiert, insgesamt zu einem Drahtmodell, das die Architektur, indem sie als variable Textur (statt in der alten Haut-, Membran-, Fassaden-Funktion) fungiert, temporär sichtbar macht. Die Architektur steuert die Zonen der Visibilität. Das Wirkliche wird zu einer Bandbreite von Abwesenheit und Anwesenheit. Die Architektur reguliert wie ein wandernder Zeiger die Sichtbarkeit auch in bislang unsichtbare Zonen hinein, sie macht Räume lesbar und unlesbar.[37] Man sieht Menschen und Objekte nur, wenn die Architektur als Steuersystem es will. Die Architektur selbst kann abwesend und unsichtbar werden. Unsichtbare Architektur kann durch user sichtbar werden. Architektur mappt virtuell und real ineinander.[38] Die Architektur wird zum Fleisch für das wireframe- Modell der Realität. Diese Theorie des Mappings verschiedener elektronischer, physikalischer und sozialer Räume ineinander als neuer "Ort" der Architektur liegt dem Konzept von virtual und real life space zugrunde.[39]

Die gleiche Differenzierung von real und virtual hat nicht nur den klassischen Raum - sondern auch den klassischen Bildbegriff erreicht. Die in der Perspektive angelegte Synchronisation der Bewegung des Beobachters und der Bewegung des Bildes hat im cyberspace einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Das Wort cyberspace ist abgeleitet von dem Begriff cybernetics, den Norbert Wiener 1947 als Titel seines Buches über Kontroll- und Steuermechanismen in Lebewesen und Maschinen einführte. Kybernetik ist die Wissenschaft von Schnittstellen, von Ankoppelungstechnologien zwischen Lebewesen und Maschinen. In den 60-er Jahren wurden diese Ideen nicht nur von Medien-Theoretikern, Medien-Architekten u.a. wie Marshall McLuhan bzw. Buckminster Fuller aufgenommen, sondern auch von der Science-fiction-Literatur, z.B. von David F. Galouye, dessen Roman Simulacron III (1964) von R. W. Fassbinder 1973 unter dem Titel Welt am Draht verfilmt wurde. In dieser Tradition schuf William Gibson in seinem SF-Roman Neuromancer (1984) den Begriff cyberspace und meinte damit den Raum des immateriellen Netzes hinter dem Bildschirm. Die seit 1966 (von Ivan Sutherland) entwickelte Schnittstellentechnologie zwischen Mensch und Computer kulminierte Ende der 70-er Jahre in einem Helm auf dem Kopf (HDM / head mounted display), der dem user zwei Minimonitore vor die Augen hielt, die an einen Computer angeschlossen waren. Die im Computer gespeicherten virtuellen Objekte wurden durch die im Computer mitvollzogenen Kopfbewegungen des cybernauten verändert und an die Darstellungen der Objekte in den Monitoren weitergeleitet. Der vom Betrachter gesehene virtuelle Würfel drehte sich also mit dem Kopf mit. Ende der 80-er Jahre kam ein Handschuh (data glove) dazu, der es ermöglichte, Objekte im virtuellen Raum des cyberspace zu dirigieren, indem die Hand selbst im virtuellen Raum abgebildet war und die virtuelle Hand mit der realen Hand in ihren Bewegungen korrespondierte. Ist also in der klassischen Bildkunst seit Cezanne die Perspektive verbannt, erlebt sie im cyberspace eine Ekstase. In den alternativen virtuellen Welten sind perspektivische Darstellungen möglich, die das normale menschliche Auge nicht erreichen kann. Auch hier spielt die Skalierung durch die perspektivische Transformation eine zentrale Rolle. Cyberspace- und VR-Technologie sind also die avanciertesten Schnittstellentechnologien zur Zeit im Bereich der Automatentypen I und II und nähern sich bereits dem Typus III. Wenn wir bereit sind, Systeme, in welchen zwischen input in das System und output des Systems eine nicht vollkommen vorhersehbare und berechenbare Beziehung herstellbar ist, lebende Systeme zu nennen, nähert sich auch das Bildsystem der VR lebenden Systemen.

Algorithmendesign als Architektur

Am Beispiel der Entwicklung der technischen Bildkunst läßt sich am besten die Entwicklung für die Baukunst skizzieren, denn der alte Bildbegriff paßt heute genausowenig wie der alte Raumbegriff. Die Dislokation der Telemedien hat dazu geführt, daß das klassische Bild, das von Alberti als Fenster definiert wurde, das einen gefrorenen Ausschnitt eines Teils der Welt zeigt, zu einer Tür umgeformt wurde, durch die man in multisensorielle, akustisch-visuelle, virtuelle Ereignisräume mit Hilfe der Cyberspacetechnologie ein- und wieder austreten kann.

Der moderne technische Bildbegriff ist erst einmal die Definition des Bildes als Feld, wie er auch noch in der Malerei gilt, z.B. colour field painting (Farbfeldmalerei). Das technische Bild ist ein Datenfeld geworden, ein Feld von Variablen. Jeder Punkt des Bildes ist variabel und kann jederzeit verändert werden. Dies ist nur möglich, weil die Information des Bildes im Computer virtuell gespeichert ist.[40] Im gemalten Bild, aber auch in der Fotografie und im Film, ist die Information eingesperrt, sie ist im Trägermedium materiell und physisch lokalisiert. Im Computer ist die Information nicht eingesperrt, sie ist gleichsam immateriell und disloziert. Die Virtualität der Speicherung der Information im Computer ermöglicht also die Variabilität der Bildinhalte. Das technische Bild ist also nicht nur ein Feld von Variablen, sondern ein dynamisches Feld von stets veränderbaren Ziffern bzw. Zeichen bzw. Daten. Das technische Bild ist nicht allein der Bildschirm oder die Leinwand, sondern besteht aus Eingabe- / Ausgabe-Periferiegeräten (Kamera, Projektor, scanner etc.) und dem Rechner mit Speicher etc. Der Datenraum entsteht also aus mehreren gekoppelten Systemen. Das technische Bild ist also kein bloßes Bild mehr, sondern ein dynamisches Bild-System. Die Virtualität der Datenspeicherung und die Variabilität der Bildinhalte ermöglicht schließlich die Viabilität des Bildinhaltes. Die Variablen des Bildfeldes können nämlich zu intelligenten Agenten mit eigenständigen Agenden werden. Das Bild wird tendenziell ein dynamisches Bild-System, das lebensähnliches Verhalten aufweist. Das Verhalten des Bildes wird nämlich schlußendlich nicht mehr nur vom user gesteuert, sondern das Bild steuert sich selbst - autokatalytisch. Genetische Algorithmen, autonome Agenten bzw. software-agents übernehmen im technischen Bildsystem die Steuerung der Morphogenese.

So wäre die Entwicklung der Architektur von einem bloßen Gebäude (Körper / Hülle) zu einem Bausystem skizzierbar. Nicht nur der user bzw. die Umwelt (Klima etc.) steuern mittels Interfacetechnologie, wenn auch nur partiell und minimal, das Verhalten des Gebäudes (Heizung etc.), sondern das Gebäude steuert sein Verhalten selbständig. Wie wir per touchscreen das Verhalten der Daten auf dem Bildschirm verändern und aus der Tiefe des cyberspace lotsen, kann man sich vorstellen, daß wir mittels eines elektronischen Menüs und neuartigen Schnittstellentechnologien das Verhalten (das Aussehen) des Gebäudes verändern. Auf die Selbststeuerung des Bildes könnte eine Selbtststeuerung des Gebäudes folgen. Wie das Bildsystem zu einem Beobachtersystem wurde, könnte das dynamische Baufeld zu einem Benutzersystem werden, in dem nicht nur der Benutzer die Ereignisse im Bausystem selbst steuert, sondern auch den Kontext, die Umwelt und das Umfeld des Bildsystems partiell mitsteuert. Die Architektur sollte wie das Bild eine kontextkontrollierte und kontextgesteuerte Ereigniswelt bzw. künstliche Welt werden. Die Vorstellung einer Schutzfunktion und einer Trennung zwischen natürlichem bzw. urbanem Umfeld und häuslichem Innenraum wird dadurch absolut obsolet. Der Bau ist wie das Bild ein Datenfeld, in dem der Werteverlauf der Variablen nicht mehr durch den user gesteuert wird, sondern durch sich selbst: Z.B. ein Tisch verändert sich von selbst, ohne daß ein Mensch eingreift.

Eine der Schwierigkeiten des Algorithmendesigns entspringt dem falschen Verständnis des Algorithmus selbst. Algorithmus heißt zwar Handlungsanweisung zur Lösung eines Problem in endlichen Schritten, aber damit ist nicht gemeint, daß die Lösung vorgegeben ist, noch daß sie erreichbar ist. Der Ausgang einer algorithmischen Prozedur ist offen. Der input kann bekannt sein, die Handlungsanweidung kann bekannt sein, aber das Ergebnis der output kann vorerst unbekannt sein. Die Auflösung bekannter, historischer, traditioneller Algorithmen, die nachweislich zur Verelendung führen, kann zu neuen Limesbildern führen, zu von Architekten selbst nicht geahnten (Limesbildern und) Lösungen.

Wir haben schon mehrmals angeregt, das Gebäude nicht mehr als Endzustand(splanung) zu betrachten, sondern als dynamische Folge von Zuständen, als Definition von Zustandsübergängen. Gemäß den geschilderten Überlegungen ist bei erster Annäherung paradoxerweise das Ziel des Algorithmus, das Ziel aufzuheben. Was bei einem Entwurf herauskommen soll, war bisher eine Zieldefinition; jetzt darf unbekannt sein, was beim Generieren herauskommen kann. Das Unbekannte soll herauskommen.[41] Die von Cozens[42] vorgeschlagene neue Malmethode ist aus heutiger Sicht als Algorithmus interpretierbar, dessen Spezifikum darin besteht, durch die Verlagerung der kreativen Tätigkeit von der Kreation auf die Interpretation - das ist der eigentliche Algorithmus des Cozenschen Verfahrens (ich sehe etwas in einem Bild, was ich zuvor nicht gesehen habe) - Unbekanntes zu entdecken. Der neue Zielzustand ist also unbekannt. Bei der zweiten verschärften Annäherung wollen wir nicht nur die klassische Zielvorstellung sondern auch den Anfang, den Ursprung abschaffen.[43] Weder der Sollzustand ist determiniert (weil ja auch zugegebenermaßen die Ist-Zustände nicht definierbar sind), keine Anfangsbedingungen und keine Ziele. In diesm Sinn kann auch kein Unterschied zwichen input und output gesehen werden, in einem autokatalytischen System sind output und input verschliffen.

Diese ursprungslose, ziellose Architektur ist auch dem Protest Peter Eisenmans gegen die Metaphysik des Ursprungs verwandt, allerdings mit dem Unterschied, daß er Architektur nicht als systemische Übergänge von Zuständen sieht. Architektur könnte als Transitionsfunktion von variablen Konfigurationen (Zuständen) definiert werden. Im Rahmen einer solchen Funktion könnten wir verlangen, daß ein Gebäude auch über seinen eigenen Zustand Auskunft geben kann. In der Tat gibt es schon einige Gebäudetypen, die dazu im Stande sind. Natürlich sind es nicht die traditonellen Gebäude aus Stein und Mörtel, sondern die technisch avancierten Objekte wie Autos, Flugzeuge, Schiffe.[44] Es gibt also schon Ansätze zu Bauwerken als Systeme autonomer Agenten, als komplexe Kontroll- und Steuermechanismen. Ein Bausystem, das anzeigt in welchem Zustand es sich befindet, bezeugt Selbstbeobachtung. Es ist also bereits ein Beobachtersystem 2-ter Ordnung. Durch avancierte Steuer- und Kontrollmechanismen könnten Gebäudesysteme als komplexe Kontrollsysteme n-ter Ordnung entworfen werden. Solche Gebäudesysteme würden natürlich auch lernende Systeme sein. Sie könnte schließlich wie selbstreproduzierende Automaten sich selbst fortzeugen. Das Haus steuert nicht nur sich selbst und seine Gestaltung und Zustände, sondern auch seine Fortpflanzung. Es reproduziert sich selbst, ein Haus erzeugt ein anderes Haus. Ein Haus lernt[45], ein Haus wird mehr als eine Gedächtnismaschine, es wird ein Gehirn.

Das Gebäude der Zukunft wird seine eigene Morphogenese, d.h. seine Form und sein Aussehen, ohne die Hand des Architekten selbständig bzw. autokatalytisch steuern können. Diese künftige Aufgabe kann durch Algorithmen erreicht werden. Auch im Bausystem werden autonome Agenten bzw. intelligent agents ihr Verhalten selbst steuern. Sie entwickeln eigene Entscheidungen, eine eigene Entscheidungsprozedur. Auf die Selbststeuerung des Bildsystems folgt die Selbststeuerung des Bausystems. Die künftige autokatalytische Architektur entwickelt eigene Entscheidungsprozeduren. Die Herstellung der Objekte im Bausystem wie das Verhalten des Bausystems folgen autonomen Algorithmen.

Unter Algorithmus versteht man ein Verfahren zur Lösung eines Problems, das nach endlich vielen Schritten abbricht und dabei entweder eine Lösung des Problems produziert oder es als unlösbar zurückweist. Ein Algorithmus ist also eine Verfahrensanweisung, eine Handlungsanweisung, eine Entscheidungsprozedur. Das Besondere am Algorithmus als Lösungsprozedur ist nicht nur seine Endlichkeit und Allgemeinheit, sondern vor allem seine jederzeitige Anwendbarkeit. Der Algorithmus ist ein Verfahren, das für jeden möglichen Zustand, der bei der Bearbeitung des Problems entstehen kann, eine genaue Anweisung bereitstellt, die auf diesen Zustand anwendbar ist. Ein Algorithmus ist also eine generelle Handlungsanweisung, die jederzeit gültig ist, objektiv, methodisch und effektiv. Ein Algorithmus zum Gedichtschreiben[46] kann z.B. darin bestehen, keine Worte mit dem Buchstaben R zu verwenden oder nur Worte aus weniger als sieben Buchstaben zu bilden, die sich in einem Wort nicht wiederholen dürfen. Das Wort Architektur z.B. fällt nicht darunter, denn es wiederholen sich die Buchstaben R und T. Kann ein Problem nicht abgeschätzt werden, weil es zuviele Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten gibt, zu viele Imponderabilien, zu viele Einflüsse, zu viele Abweichungen von den initialen Bedingungen, wie dies zumeist in der Architektur der Fall ist und daher das Ergebnis höchstes und meistens ein subjektiv beeinflußter Zufallsalgorithmus ist, empfiehlt sich die Anwendung eines einfachen Algorithmus - und sei es der strenge Algorithmus der Bauordnung: Die Anzahl der Möglichkeiten - folgt man der Bauordnung - ist zwar immer noch groß, aber zumindest endlich. Der Architekt erspart sich erheblichen Zeitaufwand, wenn er einem prädefinierten Algorithmus folgt. Natürlich laufen fremd erzeugte Algorithmen (wie die Bauordnung) Gefahr, viel Unsinn zu produzieren[47]. In der Sprache der EDV würde man den Algorithmus der Bauordnung als Brute-force-Methode bezeichnen. Es empfiehlt sich daher als Architekt, eigene griffigere Algorithmen zu entwickeln.

Die Idee der algorithmischen Entscheidungsmethode entstand im Jahre 1914, als der norwegische Mathematiker Axel Thue über einige Entscheidungsprobleme bei der Veränderung von Zeichenreihen nachdachte. Er hat in seiner Arbeit Probleme über Veränderungen von Zeichenreihen nach gegebenen Regeln das erste Umformungs- bzw. Umschreibungs-Programm (Rewriting program) geliefert, das über Buchstaben-Ketten (strings of signs) operiert. Gegeben seien ein endliches Alphabet X aus 6 Buchstaben (A,B,C,D,E,F) und die beiden Umformungsregeln AB und BAB. Er stellte sich dann die Frage, ob jederzeit von einer beliebigen Zeichenreihe z.B. ABACADABA gesagt werden könne, daß sie mit Hilfe der beiden Umformungsregeln aus dem vorgegebenen Alphabet abgeleitet werden könne. Thue hätte nun durch endloses Probieren herausfinden müssen, ob das möglich wäre. Um das zu vermeiden, suchte er nach einer Entscheidungsprozedur, die ihm in endlichen Schritten die Antwort gibt oder das Problem wegen Unlösbarkeit abbricht. Er suchte also nach einen Algorithmus. 1947 bewies Emil Post die "rekursive Unlösbarkeit" des Thue-Wortproblems. Der Linguist Noam Chomsky verwendete in den 50-er Jahren Semi-Thue-Systeme für den Aufbau seiner mathematisch logischen Modelle zur Beschreibung formaler syntaktischer Strukturen natürlicher Sprachen. Die Programmiersprache Algol-60 (algorithmic language) von Naur und Backus griff ebenfalls auf Semi-Thue-Systeme zurück. Jedes korrekte Programm ist ja nichts anderes als die Beschreibung eines Algorithmus, einer Handlungsanweisung. Programmiersprachen sind Sprachen zum Formulieren von Algorithmen. Die Programme, die den Computer nutzbar machen, nennt man Systemprogramme und faßt sie unter dem Oberbegriff Betriebssystem zusammen. Benutzerspezifische Probleme werden durch sogenannte Anwenderprogramme gelöst.

Ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung von Algorithmen gelang, als der belgische Biologe Aristid Lindenmayer 1968 die Theorie der genetischen Algorithmen aufstellte, indem er Thue-Systeme als Wachstumsprogramme, als Wachstumsanweisungen interpretierte, indem er neue Zeichenketten-Umschreibemechanismen einführte, die später nach ihm benannten L-Systeme, wo alle Buchstaben eines Wortes parallel und simultan, nicht sequentiell wie bei Chomsky, ersetzt werden. Umformungsprogramme, Umschreibesysteme von Zeichenketten sind gleichsam linguistische Wachstumsprogramme. Aus der Zeichenkette mit den Buschstaben A,B und den Umformungsregeln A(B und B(AB entsteht so eine Sequenz, die Wachstumsprozesse simuliert. Przemslaw Prusinkiewiz und Lindenmayer hatten die "algorithmische Schönheit der Pflanzen" entdeckt.[48]


Man sieht deutlich, wie die Umformungsregeln auf geometrische Weise die Wachstumsform eines Baumes visualisieren. Mit Hilfe numerischer genetischer Algorithmen konnten folglich im Computer nicht nur die exakten Formen biologischer Organismen wie Blätter, Bäume, Wälder, Wolken, Wellen nachgebildet werden, es konnten sogar Wachstumsprozesse in Echtzeit simuliert werden. Davon kommt der Name dieser Algorithmen, nämlich genetische Algorithmen. Diese steuern die Morphogenese von Formen. Algorithmische Architektur steuert die Genese von baulichen Formen und Entscheidungen. Die Schönheit der Architektur wird algorithmisch sein.

Architektur als komplexe, adaptive, dynamische Systeme geschieht innerhalb eines Algorithmus.[49] Der Architekt wird von einem Algorithmus abgelöst. Der Architekt baut nicht mehr, sondern bildet Algorithmen, Verfahrensanweisungen für die Architektur; bezogen sich seine bisherigen Verfahrensanweisungen auf das Sandschaufeln, betreffen sie jetzt Daten- und Informationstransfers. Da die Algorithmen als Entscheidungsmethode historisch so eng an die Morphogenese gebunden sind, war es nur logisch, daß sich daraus eine evolutionäre Architektur entwickeln würde. Schon Nicholas Negroponte, heute Chef des M.I.T. Media Lab, Prophet der totalen Digitalität, um 1970 Mitglied der Architecture Machine Group am M.I.T, hat den Designprozeß für die Architektur als evolutionär definiert und diesen Prozeß an die Maschine überantworten wollen.[50] Das Systemdenken in der Architektur führte mit Hilfe von Algorithmen zu einer Architektur als lebendes evolutionäres System. Es geht in dieser "evolutionären Architektur" (John Frazer) nicht um die Kopie natürlicher Formen, sondern um die Simulation naturähnlicher Prozesse, der Entfaltung von Architektur als Organismus. Computerunterstützte Architektur soll nicht die subjektiven Lösungsvorschläge von Architekten bei der Produktion neuer Formen unterstützen, sondern ein Vorgehen fördern wie bei zellularen Automaten, die sich gemäß genetischen Algorithmen entwickeln, ähnlich den Umschreibungsregeln, die sich auf Felder beziehen, wie in John Conways populärem Spiel game of life (1970). J. Frazer und seine Studenten von der AA London haben seit 1990 annäherungsweise so einen architektonischen Universal Constructor entwickelt.[51] War früher der Plan der Generator, wie Le Corbusier gesagt hat (le plan est le generateur), verstehen wir heute Algorithmen als generative Regeln, als Erzeugerregeln, als Übergangsregeln von Ordnungen.

Algorithmische Handlungsanweisungen als Planungsmethode führen zu einer prozeßhaften Architektur, zur Vorstellung, daß Architektur eben nicht mehr Architektur ist, sondern ein einfacher Vorgang, der zur Architektur führt. Was diesen Algorithmus bedingt, steuert ebenfalls ein Algorithmus, denn für den Planungsprozeß selbst werden Algorithmen quasi als Betriebssystem entwickelt und für die zu bauende Architektur entsprechende Anwenderprogramme, die ebenfalls Algorithmen sind. Die Vorstellung eines Algorithmus als Betriebssystem der Architektur überwindet auch das tradierte Paradoxon von Planungen: Plane ohne festzulegen![52] Architektur als Betriebssystem ist Planen auf höherem Niveau, Architektur begibt sich auf die systemtheoretische Metaebene.

Klarerweise sind Algorithmen nicht an das Gefängnis des Lokalen gebunden. Definiert sich die traditionelle Architektur im Cartesianischen Koordinatensystem - in der ersten mathematischen Erfassung der physikalischen Welt, wo den 3-dimensionalen Objekten der Welt Punkte im Koordinatensystem zugeordnet werden konnten und diesen Punkten Zahlen, so daß im Prinzip die Welt zu einer berechenbaren Maschine wurde - so sucht die algorithmische Architektur diesem Gefängnis des Lokalen durch Fernkorrelation von Ereignissen zu entkommen. Im WWW, wo eben die Ereignisse der Welt durch binäre Codes repräsentiert werden - durch jene edle Erfindung von Leibnitz, alle Zahlen der Welt durch zwei Ziffern darstellen zu können -, im digitalen Datenraum kommt es zu einer Implosion des klassischen Raumes. Die Distanzen, Maßstäbe und Skalierungen, die im klassischen realen Raum gelten, gelten im nicht-klassischen, immateriellen Datennetz bzw. Netzraum nicht mehr. Dort sind alle Entfernungen gleich. Dort gelten auch die Gesetze, daß es mehr Verbindungen als Knoten gibt und je exponentieller die Zahl der Verbindungen steigt, desto komplexer das Netz wird. Und bei einem bestimmten Maß der Komplexität emergiert im Netz eine neue Eigenschaft, die Selbstorganisation. Architektur kann sich daher auch fernkorreliert, eine Form der Dislokation, im Datennetz entwickeln. Evolutionäre algorithmische Architektur schafft neue Schnittstellen zur Umwelt, die weit über die bisher von den Beschränkungen des Körpers vorgegebenen Grenzen hinausgehen. Auf die Dislokation folgt im Netz eine weitere Stufe des disembodiment, die von den telematischen Medien eingeleitet wurde. Browse architecture[53] im Netz ist am weitesten entfernt von körperzentrierter Architektur. An die Stelle des Bauherrenwunsches tritt die Information des highways, die inputs sind ready-mades, das surfen beliebig, die Selektion und Interpretation automatisch, die sites (auch Bauplätze) translokal. Ihre fernkorrelierten Zeichenketten verhalten sich wie Gruppen, ihre Datenclusters wie Schwärme von Individuen. Swarm-architecture ist ein Ergebnis algorithmischer Architektur. Dort wo Architektur nicht mehr die Signatur eines Individuums ist, nicht mehr nur ein System architektonischer Ornamente[54], sondern ein System, das sich selbst generiert, dort lebt die Architektur.[55] Algorithmen als achitekturerzeugende Regeln, unabhängig vom beliebigen Geschmack des Architekten, befreien aus dem Gefängnis der architektonischen Modellwelten und den Beschränkungen der architektonischen Planung. Der digitale öffentliche Algorithmus ersetzt den individuellen Algorithmus des demiurgischen Architekten und die bisherigen Architektur-Regeln (Stile etc.), die dieser entwickelt hatte.

Zur steirischen Architekturszene [56]

Zwischen Konzeption, Formalismus und Pragmatik

Eine genealogische Skizze

Als in den 60-er Jahren eine neue Generation mit utopischen und visionären Architekturprojekten die opportunistische, mittelmäßige Nachkriegsarchitektur in Österreich aus den Angeln zu heben versuchte, geschah dies nicht nur in Wien (Coop Himmelb(l)au, Günther Feuerstein, Hausrucker und Co., Hans Hollein, Missing Link, Walter Pichler u.a.), sondern auch in Graz (Raimund Abraham, Friedrich St. Florian, Bernhard Hafner, Helmut Richter u.a.).[57] Der Aufstand gegen den Würfel als Grundmodul der Architektur ging vielleicht in Graz in viel schärferer Form vor sich als in Wien, da - unbelastet von Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos - sich der Widerstand gegen den banalen Pragmatismus öffentlicher Bundesbauten und gegen die genossenschaftlichen Wohnbauschachteln der Wiederaufbauzeit direkter artikulieren konnte. Auch die Anwesenheit vieler ausländischer Studenten hat zu einem internationalen Klima beigetragen. Die normative Kraft legitimer historischer Vorbilder hat in Graz nicht zu retardierenden Auseinandersetzungen mit eben diesen geführt. 1950/52 wurde das Künstlerhaus noch als Schachtel mit Kirchengrundriß errichtet, bereits 1967 setzten Domenig & Huth die Antithese durch den Ausstellungstransformator für trigon '67 Ambiente dagegen. Von hier aus und den weiteren einflußreichen Trigon-Ausstellungen Architektur und Freiheit (1969) und intermedia urbana (1971) kann in der Negierung der kompakten Kubatur eine alle Strömungen umfassende, gemeinsame Entwicklung der Grazer Architektur gesehen werden.

Wenn nach der anfänglich revolutionären Stimmung der 60-er Jahre in Wien nur wenige Architekten ihre ursprünglichen Intentionen auch in reale Gebäude umsetzen konnten und die meisten im Laufe der Zeit auf eine historisierende und eklektische, konservativ postmoderne Architektur zurückfielen oder in einer neuen Einfachheit mündeten, lag es nicht nur daran, daß die Gemeinde Wien eine viel dogmatischere und reaktionärere Haltung gegenüber der Architektur einnahm als das Land Steiermark, sondern auch daran, daß viele der rebellierenden Architekten zu sehr den individualistischen Gestus des bildenden Künstlers für sich beanspruchten, anstatt methodischen Planungsgrundsätzen und systematischen Theorien zu vertrauen.

Der methodische Ansatz von Bernhard Hafner, der unter dem Titel Struktureller Städtebau 1966 in der Neuen Galerie ausgestellt wurde, erwies sich für die Grazer Entwicklung als signifikant und geschichtsmächtig. Hafner hat schon 1966 Architektur im Rahmen der Urbanität als System definiert: So bildet jedes sozial organisierte Volumen ein totales energetisches System, weil es von Mannigfaltigkeiten erfüllt ist.[58] Er verstand seine strukturelle Architektur als quantitative Lösung genannter Systeme. Mit diesen frühen strukturellen und systemtheoretischen Konzeptionen waren für die damalige Generation die wichtigsten Impulse gesetzt, die sich in mehreren Wettbewerbsbeiträgen manifestierten (Hafner, Frey, Richter, Gerngroß, Capra, Hellweger, Murauer). Mit dieser urbanistischen Architekturauffassung, die sich an dynamischen Systemen, also an der Stadt, orientierte und nicht an vom Modell Haus ausgehenden archaischen Archetypen, begann eine Linie, die mit den später entstehenden Theorien der Komplexität, der Fraktale und des Chaos zum heute dominierenden Architekturparadigma wurde.

Die Mehrheit der Architekten, die heute in relevanten Ausstellungskatalogen und Büchern zur österreichischen Architektur die Steiermark vertreten[59], kommen aus dem konzeptionellen Ansatz der "klassischen" Grazer Schule.

Die systematische Planungsmethode mit einer experimentellen Theorie hat sich in jüngster Zeit durch den Einsatz von Computern noch verstärkt. Die ursprünglich noch bejahte Idee einer persönlichen, gleichsam handschriftlichen Schöpfung von Architektur als Baukunst wurde zugunsten einer maschinengestützten systemorientierten Heuristik aufgegeben. Individuelle Expression, persönliche Signatur, subjektiver Stil wurden als Konstruktions- und Entwurfsmethode, als Generierungs- und Planungsmethode gänzlich verworfen. Am Beispiel des Programms von Manfred Wolff-Plotteggs binärer Architektur kann man erkennen, wie genetische Algorithmen, gleichsam als Erzwingungsmethode, die Architektur als sich selbst organisierendes System ohne persönliche Handschrift generieren, ein intelligentes Axiom vorausgesetzt.

In Graz ist also bereits in den 60-er Jahren Architektur als System und zwar als energetisches und flexibles System definiert worden, was auch der avancierte Standpunkt von heute ist.

Eine Loslösung der Architekten vom Berufsbild und von den architektonischen Inhalten des 18. und 19. Jhdts. ist trotz dieser Ansätze nicht erfolgt, weil nur wenige versuchten, aus den aktuellsten Entwicklungen, aus mit dem Systemgedanken verbundenen Konzepten der Selbstähnlichkeit, der Selbstabbildung, der Selbstorganisation, der Faltung und Fraktalität, des Fragments, des Chaos und der Komplexität avancierte Ansätze für ihre Tätigkeit zu gewinnen. Der Großteil der Archtitekten profilierte sich im eher pragmatischen Baugeschehen, wobei sich nicht zuletzt durch die Anwendung neuer, teilweise experimenteller Bautechnologien und -materialien zweifelsohne eine typisch Grazer bzw. steirische Architektursprache entwickelte.

Die in vielen Jahren entstandene Fülle von interessanten Gebäuden führt vor allem in den Augen von ausländischen Architekten zur Idealisierung der Situation, weil an den hochglänzenden Publikationen[60] historische Ungleichzeitigkeiten und politische Dissonanzen der Parteien, die teilweise kontraproduktiven Aktivitäten der pragmatischeren Abteilungen für die Bauausführung, und nicht zuletzt der selbstzerfleischende Konkurrenzkampf nicht abgelesen werden können. Diesem Idealbild entspringt die berühmte Bemerkung von Peter Cook (Mitglied der legendären Architekturgruppe Archigram) von 1983: Es gibt mehr Architektur im verschlafenen Graz als im geschäftigen Manchester. In einem anderen Artikel über die österreichische Architektur beschreibt Peter Cook Graz und Wien als die beiden Pole der österreichischen Sensibilität, als welche er die kühle Präzision der Wiener und den wilden Expressionismus der Grazer Architekten[61] nennt. Es ist klar, daß diese Dichotomie nicht haltbar ist und falschen Klischeevorstellungen entspricht. Wien ist viel expressiver als Graz.

Cook wiederholt daher seine Wertschätzung der Grazer Architekturszene auch 1988: In einer Stadt namens Graz gibt es (ehrlich gesagt) im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr interessante Architektur als in der Hauptstadt Wien.[62] Ein ähnliches Lob für die Architekturszene der Steiermark stammt von Dietmar Steiner: Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß die Steiermark Österreichs unbestrittenes 'Architekturmusterland' ist, denn nirgendwo sonst gibt es eine derartige Dichte an Qualität und Engagement von Architektur, das sich in Projekten und Bauten niederschlägt. [63]

Die Grazer Schule der Architektur hat eine komplexe Strategie des Überlebens entwickelt, eine Art Doppel-Strategie (entsprechend dem österreichischen Doppeladler im Staatswappen, der Freiheit und Gefangenschaft symbolisiert). Sie leistet einerseits Widerstand gegen die politischen Machthaber, indem sie auf ihren innovativen unbequemen Ideen beharrt, und arbeitet andererseits mit den Machthabern zusammen. Die Architekten in Graz stellten sich dem Machtproblem der Architektur, während es in Wien verlogen oder opportunistisch umgangen bzw. verschleiert wurde. In Graz entstand ein Doppelspiel zwischen Architektur und Politik. Die Architekten brauchen die Mächtigen, um bauen zu können. Die Mächtigen brauchen die Architektur, um sich zu repräsentieren.[64]

Im Grunde ist es wahrscheinlich wie überall. Der Aufschwung und der Schwung der Grazer Architekturszene verdankt sich den gruppendynamischen Anstrengungen von heroischen Individuen, die in einem Wechselspiel von minimaler politischer Unterstützung und maximaler politischer Behinderung es dennoch wider aller Erwartungen immer wieder zustande bringen, etwas in diesem Lande zu bewegen und zu bauen. Die innere Dynamik der Grazer Architektur, siehe Frey, Giencke, Hafner, Kada, Wolff-Plottegg, stellt sie auch in Widerspruch zur Politik (gegen politisch getragenen Wohnbau, gegen Wiederaufbaumentalität, gegen bequeme Konsensarchitektur). Die äußere Dynamik zwingt die Grazer Architektur zur Kooperation mit der Macht der Politik, allerdings ohne den ästhetischen Widerstand aufzugeben.

Plotteggs Programm

Schon im Wettbewerbsbeitrag zu trigon '69 Architektur und Freiheit wird in der Diktion, im Diskurs wie auch im Projekt selbst vieles von dem vorweggenommen, das heute die Architekturszene in ihrer Bauweise und in ihrer Theorie bestimmt: Wir befinden uns in einem Netz von Sachverhalten, dessen Information den Demonstrationsraum bildet. Damit erfolgt die Abwendung von materiellen Sachverhalten, von gebauten Phänomenen und die Zuwendung zum Netz; die Abtrennung von einem materiellen Raum und die Zuwendung zum Informationsraum, zum sozialen Raum, zum Vertragsraum.[65] Dementsprechend wird durch die Tendenzen der Immaterialisierung auch Kritik an den Begriffen Masse und Materie geübt: Dabei wird Masse (Materie) nur mehr für Geräte verwendet, die Sachverhalte für uns wahrnehmbar machen. D.h., die Masse definiert nicht mehr den Raum, sie dient nur mehr dazu, Raum zu vermitteln.

Implizit ist auch eine Absage an den monokularen, stabilen Standpunkt, darunter versteckt eine Absage an die natürliche Skalierung, auch eine Absage gegen den perspektivischen, geometrischen Raum in seiner historischen, logozentrischen, kolonialen Erscheinungsform. Es geht um eine Deskalierung, um eine Veränderung der Skalierung gemäß der Intensität. Nicht das Größte und das Naheliegendste, sondern das Intensivste wird zum Gegenstand unserer Erfahrung. Wir sehen also nicht Elemente des Raumes, wie Größe oder Nähe, sondern die psychische Erfahrung der Intensität wird zu einem Maßstab.

Der Text der Architektur wird definiert von seinem Kontext. Das hier auftretende von der Wirklichkeit abgelesene Phänomen der Verschachtelung von Umwelten ist selbst Umwelt. Jeder Text kann zur Umwelt werden, und jede Umwelt wiederum kann zu einem Text werden. Hier sind also erste Ansätze einer Systemtheorie vorhanden, die aus der Differenzierung eines Systems von einer Umwelt und aus der Subdifferenzierung dieses Systems als Umwelt für ein weiteres System besteht. Aus diesen Umweltsystemen werden aber nicht Materialien selektiert, sondern aus dieser Umgebung werden Bilder, Töne und Zeichen herausgelöst und zu einer Anordnung konstruiert. Diese Architektur hat also von Anfang an neben dem systemtheoretischen Ansatz auch einen semiotischen Ansatz: Statt Materialismus regiert der Individualismus der Bilder, Töne und Zeichen. Insoferne ist auch die Hardware dieser Architektur gekennzeichnet durch Zeichenmaschinen. Mit telematischen Maschinen wird der Netzgedanke nicht nur als System, als Software, sondern auch als Hardware verwendet. Z.B.: Auf ein feinmaschiges Netz werden Lichtbilder projiziert und zwar von beiden Seiten, also ein mobiler Standpunkt, der auch vom Kubismus bekannt ist. Dazu die Erkenntnis von James Joyce put allspace in a notshall, daß eben sozusagen das Magnum an Skalierung, der gesamte Kosmos - all space - in eine Nußschale - nut shell - hineinversetzt werden kann, also eine Verneinung des Raumes im not-shall. Der gesamte Raum kann sozusagen implodieren, kann vernichtet werden, im kleinstem Maßstab aufgehoben werden.

Zum zweiten sind Lautsprecher und Bildröhren aus der Teletechnologie die eigentlichen architektonischen Elemente. Wir wollen in der Anordnung Anschlüsse an das Netz von Sachverhalten der erfaßbaren Welt ermöglichen. Wir sehen es sehr deutlich, daß die Welt selbst in diesem frühen Manifest von 1969 als ein Netz von Sachverhalten definiert wird, als information flow - wie das heutige Architekturtheoretiker, u.a. Laura Kurgan, definieren.[66] Das Problem des Informationsflusses und der stabilen gebauten Architektur ist hier schon theoretisch angesprochen worden: Für uns ist Umwelt der augenblickliche Anschlußpunkt, gegenwärtiges Erleben; Erscheinungen und Vorstellungen; hautnahe Dinge, Informationen von weit her. D.h., hier wird wie das Wort sagt, der augenblickliche Anschlußpunkt, also das gegenwärtige Erleben, ein Ecrit des Jetzt gesucht. Umwelt wird zum Anschlußpunkt, zur Grenzfläche. Heute sagen wir interface / Schnittstelle. Deutlicher noch heißt es: Der Benutzer soll erkennen können, daß er durch die künstliche Umwelt der Anordnung Umwelt umfassender erfahren kann. Hier ist der Bezug zu künstlichen Environments, intelligenten Ambienten, virtuellen Realitäten[67], die von telematischen Maschinen und von Computern unterstützt werden, gegeben. Zusätzlich die Verstärkung des Netzbildes: Man steht nicht nur mit der bisherigen Umwelt allein in Beziehung, sondern auch mit einem Bild, das seinerseits eine eigenständige Entwicklung hervorruft. In der Ebene von Bildern entstehen Probleme, die außerhalb der Ebene nicht existieren. Die Verabsolutierung der Bilder bedeutet ein Primat des Scheins. Hier können wir eine Emanzipation des Scheins vom Sein beobachten, die eigene Gesetze und eigene Probleme hervorbringt. Im Schein können Probleme entstehen, die außerhalb nicht existieren. Es handelt sich um eine frühe Thematisierung und Problematisierung der Medien-Realität, die Le Corbusier noch naiv und einfach für die Architektur benützt hat.

Materie und Gedächtnis (Henri Bergson), Finnegans Wake (James Joyce), wie auch die Bücher McLuhans sind Markierungen der Verwandlung von Raum in Zeit, von Materialien in Medien, von körpererfahrener, von statischer Architektur in maschinenunterstützte systemtheoretische Architektur.

In dem Satz Zukunft und Freiheit fordern ein offenes System wird die Forderung, Architektur als Systemtheorie zu definieren überdeutlich. Die Theorie der offenen Systeme wurde Ende der 60-er Jahre speziell in der Kybernetik besprochen. Daraus ergab sich für die Architektur (Städtebau) das Paradoxon der Planung: wie kann ein offenes System geplant werden, wenn die Tradition der Planung eigentlich eine starre Festlegung ist, die folglich zu einem vorwegnehmbaren Ergebnis statt zu einem offenen Ausgang führt? Es war evident, daß hier das traditionelle Vokabular der Architektur nicht ausreicht, aber in einem systemtheoretischen Ansatz sich derartige Fragestellungen leichter lösen lassen.

Aus der Idee, nicht fertige, nicht antizipierbare Objekte herzustellen, sondern lediglich eine Handlungsanweisung zu geben, gründet sich die Planungsmethode Plotteggs, a posteriori Algorithmusdesign genannt. Im Falle der Metamorphose einer Stadtwohnung von 1970 wird ein analoger, kein digitaler Algorithmus definiert. Der scheinbar einfache Algorithmus Bedecke alle Möbel einer Wohnung mit einem Tuch erzeugt aber eine sehr komplexe Wohnung, so daß diese Wohnung sowohl im Erscheinungsbild wie auch in der Skalierung ausschauen könnte wie eine Stadt. Die Tatsache, daß ein einfacher Algorithmus ein komplexes System hervorrufen kann, entspricht einem berühmten Grundgesetz der Komplexitätstheorie, nämlich daß das Leben als kompliziertestes aller Systeme nicht aus komplizierten Regel besteht, sondern daß nach einem bottom up approach relativ einfache Regeln ein kompliziertes System erzeugen.

Hier wird eine dehierarchisierende Architektur verfolgt, die sich vom künstlerischen Gestus eines individuellen Subjekts emanzipiert, indem sie den architektonischen Vollzug einem Algorithmus überantwortet. Dieser Algorithmus ist ein Programm. Hierbei sehen wir bereits das charakterische und avantgardistische der Vorgangsweise von Plottegg, eben daß ein Programm eingesetzt wird, eine Software statt einer Hardware. Die Hardware - die Möbel - werden ganz offensichtlich überdeckt. Hier erfolgt auch die Erlösung von der berühmten Sucht, in der sich Architekten üben und mit der sie gewöhnlich im Inferno landen, nämlich von der Sucht nach dem Detail.[68]

Die Ekstase der Architektur des Details wird geradezu verhöhnt, weil Details von diesem Algorithmus nicht im geringsten behandelt werden. Die Frage der Details erübrigt sich im Faktum der Skalierbarkeit, "Details" ergeben sich automatisch. Sie sind einerseits Input im Algorithmus, andererseits werden sie als Output vom Architekten nicht weiter behandelt. Der Architekt kümmert sich um das Programm, d.h. einen Code, mit dem Elemente manipuliert werden.

Der Algorithmus Über alle vorhandenen Gegenstände, die gesamte Einrichtung der Wohnung, wird ein großes Tuch gebreitet setzt formale Überlegungen außer Kraft, d.h., insoferne wird hier auch eines der üblichen Operationsmodelle, nämlich von einem Auftrag ausgehend ein Ziel zu erreichen, hintergangen. Dieser Algorithmus diente keinem Sinn. Dieser Algorithmus hat aber die Architektur als ideologischen Apparat, gerade ihn verhüllend, enthüllt. Seit Lacan wissen wir, daß in der Fiktion ja nicht nur die Realität verdrängt wird, sondern daß in der Fiktion sich auch die Realität enthüllen kann. In der Verhüllung einer Wohnung wird ein für das Ende der 60-er Jahre typischer Diskurs, nämlich eine Attacke gegen die bürgerliche Wohnwelt, durchgezogen; nicht nur indem jetzt einfach Möbel verhüllt und unbrauchbar werden, sondern vor allem, indem diese Wohnwelt und ihre historische bürgerliche Anordnung ausgelöscht wird.[69]

Die gebaute Wohnung ist im Grunde gebaute Ideologie. Mit dem Verhüllen dieser gebauten Ideologie wurde auch die bürgerliche Ideologie der Architektur als ideologischer Apparat außer Kraft gesetzt.

Logische Konsequenz dieser Metamorphose ist die Transformation der Architektur selbst. Architektur, die sich verstanden hat als Gestaltung eines ideologischen Zwecks, wird als einfallslos verhöhnt, weil sie zielorientiert und derivativ ist, sich auf bereits Vorhandenes bezieht. Hier wird zum ersten Mal eine Codierung der Architektur, die sich auf vorgegebene Funktionen und Haltungen beruft, in Frage gestellt und noch weitergehend wird die Architektur selbst insgesamt als bürgerliche Strategie aufgelöst.

Die Revolte gegen den bürgerlichen Code der Architektur, die auch eine Revolte gegen die Architektur als bürgerliche Instanz ist, ist eine klar erkennbare Strategie: Nichts scheint hier nun wichtiger als sich vorsätzlich aller logischen und moralischen, aller eingelernten Bedenken zu entschlagen. Wir brauchen hier statt "Bedenken" nur das Wort "Code" einzufügen, dann wird eine weitere Stufe von Plotteggs Programm erkennbar: neben der Erstellung neuer Algorithmen die vorhandenen Codes einfach nicht zu beachten, oder diese zu verwandeln, umzubauen, umzucodieren, zu transformieren, zu manipulieren. Noch einmal: Es geht darum, sich aller logischen, moralischen, aller eingelernten Bedenken, d.h. aller eingelernten, eingeschliffenen Codes zu entschlagen. Es handelt sich bei Plotteggs Programm um eine Revolte gegen den Code der Architektur, erstens durch paradoxe Algorithmen und zweitens durch neue paradoxe Interpretationen von vorhandenen Algorithmen.[70]

Wichtig erscheint auch der Satz: Durch das Verschwinden aller Gegenstände, die den Räumen ihre Namen (Küche, Bad, Salon,...) gaben, sind sie nun ohne prinzipiellen Unterschied zueinander. Hier geht es nicht nur um die Aufhebung der Unterschiede zwischen den Gegenständen und das Verschwinden der Gegenstände selbst, sondern auch um das Auftauchen einer Ästhetik des Verschwindens, einer Absenz der Architektur in ihrer historischen Form. Die Metamorphose einer Stadtwohnung ist insofern auch eine sehr österreichische Theorie, weil Österreich eben das Land der Verdrängung und der Verdeckung ist.[71] Das Programm als Algorithmendesign enthüllt die verdeckte Ideologie.

Neben den Merkmalen, die in diesen beiden untersuchten Manifestationen schon angesprochen wurden, also Systemtheorie, offenes System, Entmaterialisierung einerseits und Algorithmen-Design bzw. Neuinterpretation des vorhandenen Codes eines Standard-Algorithmus andererseits, kommt in der Arbeit Das zusammengebrochene Bett ein drittes Moment zum Vorschein: die Dynamisierung und die Destabilisierung. Mit dem Konzept keine Kontrolle wird der nicht deterministischen, nicht linearen Kausalität, eben der Chaostheorie, zum Durchbruch verholfen.

Es geht offensichtlich weniger um das Bett und die damit verbundenen bürgerlichen Werte und Tätigkeiten, sondern um den Kollaps der Dinglichkeit selbst. In diesem Prozeß, bei dem die Gegenstände selbst zusammenbrechen, implodieren, ist natürlich die Funktion der Sprache auch eine andere. Man könnte sagen, in der Implosion, im Verschwinden des Gegenstandes kommt es auch zu einer Implosion der Sprache, zu einer Sprachlosigkeit.

Die zeitliche Linearität, wie sie der symbolischen Ordnung der Sprache entspricht, nämlich die Abfolge von Wunsch, Plan und Realisation, diese zeitliche Linearität wiederholt sich in der traditionellen Architektur. Sie wiederholt in ihrer Entstehung und in ihrer Prozessualität eine linguistische Ordnung: zuerst der Satz, die Vorstellung, die Zeichnung, der Bau. Diese Welt wird hier auf einen einzigen Punkt gebracht, darum heißt es auch: im Augenblick des Zusammenbruchs - d.h., hier wird die Architektur als zeitliche Entfaltung auf einen einzigen Zeitpunkt komprimiert, auf eine Art von räumlicher und zeitlicher Simultaneität: KRACH, das Ist-Sein, das Jetzt, wird räumlich, wird zeitlich definiert. In der Komprimierung ist der höchste, intensivste Moment des Ist-Zustandes erreicht, das Jetzt. Diese Architektur lebt und organisiert sich in einem einzigen Augenblick - reinste Zeitarchitektur, Jetzt-Architektur, ohne Ziel, Ursprung, Anfang.

In der Hybridarchitektur von 1980 werden die wesentlichen Kernbegriffe des Programms erstmals um die digitale Dimension erweitert. Hybrid ist weder real noch fiktiv, also weder einseitig als real, noch einseitig als fiktiv definierbar, sondern eine Mischform, d.h. ein hybrides Gebilde. Die Architektur erscheint als Mischung von Realität und Fiktion. Dies ist eine radikale Bedrohung der historischen Architektur, die z.B. glaubt, Gefängnismauern seien aus Ziegeln gebaut, während sie in Wirklichkeit aus Gesetzen, aus fiktiven Gesetzen gebaut sind, aus "stones of law", wie William Blake geschrieben hat. Die Hybridität wird in eine systemische Architektur übertragen. Die Erkenntis der eigenen Hybridität gebiert eine Architektur, den Ansatz einer Architektur, die jegliche Referenz zurückweist. Hybridarchitektur ist keine Architektur, die das Reale referenziert, sondern eine Architektur, die in linguistischen Codes operiert, aber innerhalb dieser linguistischen Operationen eben nicht Sinn stiftet durch externe Beziehungen, sondern Sinn stiftet durch interne Beziehungen. Es zeichnet sich ab, was wir heute autokatalytische Systeme nennen, selbstgenerierende Systeme, sich selbst erregende evolutionäre Spiele architektonischer Elemente und Codes. Eine weitere Quelle der Produktivität bilden die genetischen Algorithmen und die präzise und innovative semantische Analyse derselben, welche sich der Architektur nicht als vorhandene Formelsprache des Bauens, sondern als Interpretation annähern. Interpretation, Neu-Interpretation vorhandener Codes und abweichende Lesarten von Algorithmen sind bedeutende Generierungsregeln und Verfahren des Plotteggschen Programmes.

Morphing zeigt, wie zwischen zwei Inputformen hybride Zwischenformen entstehen und daß im Zwischenraum, in diesem gemorphten Raum, in diesem hybriden Raum, ein unendlicher Interpretationsraum offensteht. Während Scheiße und Genuß ziemlich eindeutig in ihrer Bedeutung definiert sind, sind gerade die Interpretationen der hybriden Zwischenformen viel ambivalenter, multivalenter, mehrdeutiger und mehrschichtiger: Natürlich gibt es keine Bedeutung a priori, aber Schinken, Getränke udgl., alle möglichen Wörter, können aus diesen skripturalen Hybriden herausgelesen werden. D.h., die Architektur erreicht durch die Neuinterpretation und Interpellation der festen und stabilen Codes eine neue Freiheit.

Im mappen oder morphen, wie z.B. von Haus und von Kuh, stellt sich die Frage, wann ist das Haus ein Haus, wann ist eine Kuh eine Kuh, wann handelt es sich um ein Kuhhaus, um eine Hauskuh, um ein Haustier und diese Dinge mehr. Die Formen, die hier durch den Algorithmus erreicht werden, sind eben Formen, die der Mensch sich selbst nicht ausdenken könnte. Der Mensch kann sich noch den Algorithmus ausdenken, aber die Formen, die dabei entstehen, sind automatische Generierungen. Was sehen wir? Ein Hybrid, ein gemorphtes Bild, das Limesbild eines Algorithmus. Hier besagt der Algorithmus ganz einfach: führe zwei Formen ineinander über. Wiederum ein simpler, ein einfacher Algorithmus, der sehr komplexe Gebilde generiert. Die Komplexität ist gesteigert durch das Faktum, daß vorerst niemand weiß, was das alles soll, weil es eben neue, unbekannte Gebilde sind, deren Form nicht vom Archtitekten, nicht vom Künstler, nicht vom Subjekt erzeugt wird. Diese können sich nur mehr teilweise, in einer zweiten Stufe, in einer (interaktiven) Interpretation einbringen.

Man sieht hier sehr deutlich eine Verlagerung des kreativen Prozesses auf mehrfache Weise: Erstens entsteht der Entwurf in der computergestützten Kreativität durch einen Algorithmus, d.h. durch eine maschinengestützte Kreativität und zweitens verlagert sich die persönliche Kreativität von der Produktion von Formen auf die Ebene der Interpretation der Bedeutung von Gebilden, d.h., die architektonische Kreativität ist nicht mehr ein Formenspiel, sondern ein Sprachspiel.

Mit der generierten Architektur entlarvt Plottegg die Rhetorik der Architektur, die immer nur ein ideologischer Kleister gewesen ist, um Formenspiele zuzudecken. Hier haben wir es das erste Mal mit einer veritablen Architektur als Text zu tun, in der visuelle Transformationen, Flächenverformungen, Volumensmutationen etc. zu literarischen Optionen werden. Sie ermöglichen ein Arbeiten im Sprachraum der Architektur, wie es vorher im reinen Formenspiel der menschlichen Hand oder des menschlichen Auges nicht möglich gewesen ist. Seine eigenen Fähigkeiten übersteigend vertieft sich der Architekt in einen Algorithmus, der quasi ein Intelligenzverstärker ist. Der Algorithmus ist ein Entwurfsverstärker, ein Phantasieverstärker, wobei dann - auf der Metaebene der Metainterpretation - der Architekt, der Benutzer, die Ergebnisse des Computers interpretieren und selektieren kann, und natürlich sollen in dieser Phase auch Algorithmen als Verstärker wirken. Dadurch entsteht eine künstliche Architektur, die mehr an den sozialen Realitäten, an den sprachlichen Strukturen der Gesellschaft orientiert ist als an der natürlichen Umwelt. Die Architektur erhebt sich endgültig aus dem Naturzustand, aus der Höhle, in die sie von vielen Seiten zurückgedrängt wird.

Je mehr sie sich vom Naturzustand befreit, indem sie intensiver denn je zu einem Text wird, desto stärker wird diese Architektur auch von darwinistischen Konzepten der Anpassung (an die Umwelt, an die Bauordnung, an die Macht) und Selektion befreit und desto mehr kann sie sich im freien (Sprach-)Spiel selbstorganisieren. Selbstorganisation ist also ein wesentliches Moment von Plotteggs Programm.

Technisch gesprochen geht es einerseits um die Schaffung (Design) neuer Algorithmen und andererseits um die Neuinterpretation von alten Algorithmen bzw. der Outputs der Operationen. Man sieht deutlich, daß das Wort bzw. die Zeichnung Haus eben nicht angelehnt wird an die Referenz der Wand, sondern an ein beliebiges Element, z.B. Kuh. Beliebige Kontiguität ist ein optimaler Algorithmus, ebenso Kontingenz.

Durch diese einfachen Handlungsanweisungen entstehen Formen, die bisher nicht voraussehbar waren und die bisher auch nicht gesehen worden sind. Diese "unsichtbaren" Formen beruhen auf Interaktionen. Der Architekt ist nicht mehr der gottähnliche Demiurg, der einen Raum gestaltet. Hier ist der Architekt nicht mehr der alleinige Akteur und Autor, sondern er tritt nur mehr in der Interaktion auf, als user, um durch die Angebote des Algorithmus zu browsen. Der Algorithmus als Architekt.

Der Architekt, der ein Haus baut, gestaltet er ein Ding im Raum oder auch den Raum? Ist die Gestaltung eines Hauses als Volumen auch die Gestaltung des Leerraumes um das Haus? Ist das Haus ein chaotischer Attraktor, der den Raum krümmt? Wie schaut der Raum aus, bevor der Architekt sozusagen seinen Fuß in Form eines Gebäudes hineingesetzt hat?

Julia Kristeva oder Jacques Derrida haben bei dem Versuch, den Raum vor dem architektonischen und physikalischen Raum zu erklären, auf den Platon'schen Begriff der Chora zurückgegriffen, den wir als linguistischen oder energetischen, dynamischen Raum definieren. Allspace in a not-shall, die Verneinung des Raumes, sehen wir hier noch einmal als Motiv weitergeführt, indem ein linguistischer Zeichenraum entworfen wird.

Das repetitive Ablaufen von Programmschleifen schafft hier auf digitaler Ebene Limesbilder, ein Vorgang, welcher mit S. Exner und S. Freud als Bahnung beschrieben werden kann. Wie schafft sich ein Trieb eine Bahn, wie schafft er sich in einem vorgegebenen Netz seine Pfeile, seine Richtungen, eben die Bahnen, könnte man sagen. Die Programmschleifen schaffen also Bahnungen nach allen Seiten im Code des Raumes. Das stellt natürlich die historische Raumauffassung der Architektur in Frage.

In der Hybrid Architektur haben wir es zusätzlich zum sozialen Raum mit einer libidonalen Architektur, mit einer Energiearchitektur vor dem physikalischen Raum zu tun. Diesen Raum strukturieren die Programmschleifen, die Ursprung und Ende löschen, Ausgangsform und Endform vertauschen. Die Ausgangsform wird immer gleichgültig sein, weil sich das Produkt der Interaktion nie darauf berufen wird, nie damit hausieren gehen wird, sich schon gar nicht damit entschuldigen wird. Mit diesem Algorithmus können beliebige Ausgangsformen und beliebige Endformen eingespeist werden, sodaß Outputformen zu Inputformen werden. In diesem zirkulären Prozeß einer offenen systemischen Architektur des Algorithmusdesigns sind Anfangs- und Endzustände Felder von Variablen.

Die in der Hybrid Architektur gemachte Erfindung einer Ersetzung von subjektiver Planung oder referentieller, derivativer Planung durch einen selbständigen (autokatalytischen) Algorithmus ist auch im Projekt Urnenfriedhof die Voraussetzung. Eine kritische Menge ergibt sich zudem aus der Frage nach den verschiedenen Zuständen der Architektur. Entwurfskonzept, Endzustandsplanung Entwicklungszustandsplanung, also drei Phasen von Zustandsänderungen, drei Konfigurationen, die normalerweise extemporiert werden, führen hier zu Hybriden.

Weiters liegt in der Formulierung nicht linear und offen eine Art Beschreibung eines chaotischen Systems. Es werden die Zustandsänderungen nicht in der üblichen Ordnungen geführt, nämlich nicht in linear sequentiellen Bauabschnitten. Hier wird diese sequentielle Kontinuität nicht eingehalten, sondern sie wird subversiv reversiert. Es wird nicht mit einer Referenz auf die Wirklichkeit begonnen, mit dem Sein, sondern mit dem Schein, mit einem Bild. Auf der Metaebene des Bildes wird ein Wachstumsprozeß simuliert. Erster Algorithmus: Behandle den Lageplan als graphisches Bild! Der (Wachstums-)Algorithmus ist eine graphische Handlungsanweisung, das Verfahren des scalings. Hier werden Striche so lange vergrößert, bis sie als eine Abfolge von Punkten erscheinen. Die Pixelpunkte werden dann zu Würfeln aufgeblasen und jedes Pixel als ein Grabfeld interpretiert. Man könnte also sagen, der erste Algorithmus war die Behandlung des Baugrundstücks als Bildfläche, der zweite Algorithmus war die Anweisung der Vergrößerung. Und nun kommt die noch eigentliche Aufgabe des Architekten: die Interpretation dieser Konfiguration von frei flottierenden Pixeln; genaugenommen ist diese Interpretation nichts anderes als der Befehl break! - das Stoppen der prozessualen Abläufe, die Umwandlung zu einem Kader, zum Bild. Der Bildinhalt sind vernetzte Pixel, die Bildinformation ist das Limesbild des Algorithmus. Die Interaktion wird auf ein Minimum (just one key-stroke) reduziert und selbst diese Tätigkeit kann automatisiert werden.

Wir haben hier sehr deutlich ein selbstreferentielles Verfahren vor uns, einen autogenerativen Algorithmus. Zumal jedes Projekt in der Architektur in der Regel vorerst nur graphisch präsentiert wird, hat eine selbstreferentielle Schleife, eine graphische Manipulation dazu gedient, das Projekt zu entwickeln. Die Anfangsphase, das graphische Projekt, und das Aussehen der Endphase in der dreimensionalen Wirklichkeit sind gleichgesetzt worden (nach der Regel input = output = input etc.). Die Architektur entstand durch eine selbstreferentielle Schleife, durch einen autogenerativen Algorithmus.

Anstelle einer individuellen Formgestaltung trat eine dynamische Formgebung als Produkt der Interaktion des interpretierenden Subjekts und des graphischen Algorithmus selbst. Wie gezeigt wird, können durch weitere Stufen von Algorithmen, z.B. Simulationen von Farben, auch funktionale Planungsschritte im selben Algorithmus erzeugt werden, wobei die Funktion sich als ein Spezialfall von Interpretation erweist. Die normale Hierarchie der Architektur, die sequentielle Schaltung von Funktion, Form und Konstruktion, hat sich vollständig geändert. Sowohl die Form wie die Funktion werden zu Singularitäten, Einzelfällen, Spezialfällen der Interpretation von Zustandsveränderungen.

Man könnte aus Plotteggs Programm einige Leitsätze herauslesen: Theorem 1: Architektur ist eine Folge ein System von Zustandsänderungen. Theorem 2: Diese Zustandsveränderungen werden durch Algorithmen bewirkt. Theorem 3: Ein zulässiger Algorithmus ist auch der Architekt und seine Interpretation der Produkte der Algorithmen. Der Architekt als Planer ist nicht mehr der Haupt- bzw. alleinige Algorithmus. Form und Funktion sind Nebenprodukte von Algorithmen, die durch die Interpretation des Architekten entstehen. Das ist eine vollkommene Subversion bisheriger architektonischer Codes. Es gab quasi keinen Ursprung, keinen einzigen Strich zu Beginn, keine Form. Und es gab nicht nur keinen Ursprung, es gab auch kein Ziel, keine Form im Hirn, auf die hin etwas entwickelt werden sollte, sondern aus einer offenen Planung hat sich eine offene Form ergeben, definiert war nur der Algorithmus: Bei einer endlichen Zahl von Strichen sollten Zustandsveränderungen herbeigeführt werden, wie bei einer Turing-Maschine. Das Hilfsmittel der digitalen Bildverarbeitung wurde aufgewertet und zum architektonischen Prozeß selbst. Die digitalen Bildverarbeitungstechniken wurden nicht verwendet, um eine reale Architektur zu simulieren und dann zu produzieren, sondern sie waren schon die Architektur selbst. Die Planung war das Produkt. Der Prozeß war nur ein Hilfsmittel, Produkt und Planung auf die gleiche Ebene zu hieven. Dadurch entstand eine Architektur der Inhomogenität und ein vollkommen offenes System, in dem Form, Funktion und Planung sich selbst ausgelöscht haben. Es formuliert sich also Theorem 4: Der Determinismus des Algorithmus führt zu einem Indeterminismus. Eine Handlungsanweisung, wenn sie ein Algorithmus ist, führt nicht deterministisch zu einem Endzustand, zu einem Ziel, sondern dazu, daß ein Algorithmus (der naiverweise als Determination verstanden wird, um von einem Anfangszustand zu einem Endzustand zu kommen) als selbstgenerativer Algorithmus sowohl Endzustand wie Anfangszustand löscht, also vom Determinismus zu einem Indeterminismus, zu einem offenen, chaotischen System führt.

Diesen Indeterminismus meint Plotteggs Satz: Wir brauchen nicht zu planen, es wird nach Gutdünken der Benützer entstehen.[72] Dieser Algorithmus ist eine Verallgemeinerung des Wittgensteinschen Theorems: Die Bedeutung eines Satzes wird festgelegt durch seinen Gebrauch. Architektur als Text wird zu einem Sprachspiel, dessen Bedeutung nicht vom Demiurgen Architekt deterministisch programmiert und vorgegeben und geplant werden muß, sondern die Bedeutung wird vom Benützer in einem freien, offenen Sprachspiel verliehen. Insoferne ist Planung heute so zu verstehen, daß sie auch das nicht Einplanbare, Ereignisse jenseits des subjektiven Horizonts des Planers, mit einplant.

Planung heute heißt also: meine (algorithmische) Planung plus die Komplementarität der Planung anderer Systemkomponenten, z.B. der Benützer. Planung muß also auch immer das Unplanbare schon selbst mit einplanen, zumindest den Plan anderer.

Hier sieht man auch eine Umkehrung des Satzes form follows function. Es war ja gar keine Funktion vorgegeben und die Form entstand aus dem Algorithmus. Die Funktion entsteht - wenn überhaupt - nicht vorher, sondern nachher aus einer Interpretation (Benützung) der Form.[73]

Gerade in Hinblick auf die strikteren funktionellen Vorgaben beim Projekt für die Grazer Universität wird die Radikalität dieses Verfahrens offenkundig. Hier heißt z.B. ein Algorithmus Flächenverteilung durch random, also ganz radikal im Gegensatz zu den üblichen Vorgangsweisen der Architektur, die z.B. nach Funktionszusammenhängen ordnet. Alle 500 Räume, ob groß oder klein, werden einfach durch Zufall verteilt. Das kann zu Spannungen führen, daß z.B. rein fiktiv in einem Eck 20 Hörsäle und 50 Toiletten im anderen Eck des Gebäudes sind. Der Computer ist frei von einzwängenden Bedeutungen. Er interpretiert kleine Räume nicht als Naßzellen und große Räume nicht als Hörsäle. Dadurch hat er eine größere Freiheit, weil er noch nicht von historischen Interpretationscodes, funktionellen Zuordnungscodes gefesselt ist. Ein wichtiger Algorithmus in Plotteggs Programm ist daher: Lies historische Interpretationscodes neu, paradox, konträr, beliebig, quer! Der Zufallsalgorithmus operiert also nicht nur auf der Ebene der Generation, sondern auch auf der Ebene der Interpretation!

Nur dieser Zufallsalgorithmus, den Plottegg neben selbstreferentiellen, autogenerativen Algorithmen zurückgehend auf die Methode von Cozens immer wieder verwendet, erreicht eine neuartige Analyse. Die Flächenverteilung per random steigert sich noch durch die Überlagerung von Flächen. In der Wirklichkeit liegt Zimmer neben Zimmer, konsekutiv überschneiden sie sich nicht. Im Computer sind Linienüberschneidungen durchaus möglich: Gezeichnete Räume und reale Räume können sich simultan überlagern. Daraus entstehen dann überlagernde Flächen und neue Raumformen, die selbst wiederum nicht durch den Architekten, sondern durch die erneute Flächenverteilung des Computers entstehen. Wobei dann der erste Algorithmus (unterscheide nicht zwischen realen und virtuellen Räumen) aufgehoben wird und nun gegenteilig lautet: Unterscheide zwischen realen und virtuellen Räumen! Der Algorithmus selbst transformiert die Form, die er erzeugt hat. Die Kreativität, wie schon erwähnt, besteht im Interpretieren, d.h. im Erkennen der Angebote des Computers. Die Ergebnisse des Algorithmus, den der Architekt erstellt hat und die der Computer liefert, können vom Architekten interpretiert werden. Und hier erweist sich dann seine Kreativität. Wir finden also hier nicht nur ein "overlapping" (ein Übereinanderschichten) von Flächen, sondern auch ein "overlapping of functions".

Der Architekt entwirft Algorithmen, die Algorithmen fungieren als Architekt und die Architekten als Algorithmen. Es mag als Paradoxon scheinen, wenn das nullpersönliche Entwerfen ein persönliches Anliegen Plotteggs ist. Doch ist die Aufhebung der individuellen Signatur, der Übergang zur Technik externer Algorithmen ein im Vergleich zum heutigen Stand der Technik und der Wissenschaften längst überfälliger, auf alle Fälle epochaler Ansatz.

Durch diese Algorithmen-Schleife, die wie beim Wechselstrom einmal positiv und einmal negativ ist, sich also selbst negieren kann, entsteht die Auflösung des Rechteckes, ein fraktales Gebäude, ein offenes System, mit vielen, vielen Interpretationsmöglichkeiten, also eine Architektur, die genau dem Anspruch einer Akademie gehorcht, der z.B. in dem berühmten Schillerschen Zitat Sire, geben Sie Gedankenfreiheit zum Ausdruck kommt. Nicht eine geplante Architektur entspricht dem universitären Gedanken als Ort des Wissens, der Forschung, der Freiheit, sondern eine Architektur mit Algorithmen der Unplanbarkeit entspricht der Idee der Universität und ihrem Fundament der Freiheit von Forschung und Lehre.

In einem Titel - ähnlich den Titeln des berühmten experimentellen Epistemologen, der für die Entwicklung der künstlichen Intelligenz und der Theorie der Nervennetze wichtig war, nämlich Warren McCulloch, der Titel liebte wie What is a number that a man can recognize it and what is a man that he can recognize a number?, Where is fancy bread?, What's in a brain that ink may character? - stellt Plottegg die Frage Wie kommen die Häuser auf die Wiese? Hier sehen wir das erste Mal eine computergenerierte Architektur, die auch tatsächlich verwirklicht wurde. Wir erleben cyberspace, cybercity avant la lettre.

Beim Projekt für die Wohnanlage Seiersberg war der Algorithmus selbst wiederum ein graphischer Algorithmus, ausgehend von Pixelanordnungen. Aber die Manipulation dieser Pixelanordnungen hat sich jetzt ganz eindeutig, noch deutlicher als früher, aus der Computersprache selbst ergeben. Handlungsanweisungen, die im Computer selbst vorgegeben sind, wie insert, shift, double, cancel etc., das gesamte pull-down-menu hinunter, waren Differenzierungen des Algorithmus, die dann auf die Abbildungen und Operationen auf dem Bildschirm selbst angewendet worden sind. Das Programm (der Bildschirm) selbst lieferte ein Menü von Handlungsanweisungen. Diese Handlungsanweisungen sind wiederum auf den Bildschirm als Schleife zurückgewendet worden, auf Punkte, auf Striche, Flächen, Netzwerke und diese sind wiederum mit den eigenen Menü-Befehlen nochmals konfrontiert und modifiziert worden usw. Daraus entstand eine Vielfalt von virtuellen Bildern, Datensätzen und Interpretationsmustern.

Das Wesentliche des Netzes ist, daß nicht nur die Verbindungen, sondern auch die Knoten im Prinzip gewechselt werden, d.h., daß das Netz immer neu geknüpft werden kann. Das Wesen des Netzes ist der Konnektionismus, und zwar der reversible Konnektionismus. Je mehr Verbindungen und je weniger Knoten, umso komplexer wird das Netz und umso lebensähnlicher. Aus dem Netz-Denken leitet sich die Mehrdeutigkeit der Zeichen, die Pluralität der Interpretation als Algorithmus ab. Es muß die Möglichkeit gegeben sein, einen Strich mehrfach zu deuten: einmal ist dieser Strich ein Baukörper, ein andermal eine Straße. D.h., eine mehrdeutige Interpretation ist das Wesen einer Netz-Architektur, wie sie vorher bei einer Architektur vor dem Algorithmusdesign nicht möglich gewesen ist. Das Verlangen nach Eindeutigkeit und Klarheit, Reinheit, Ordnung hat dazu gedrängt, immer zu sagen, hier ist eine Linie, und diese Linie ist eine Grenze, d.h., an dieser Linie entsteht die Mauer und zwar nicht innen, sondern außen vor der Linie. Oder es hat geheißen, hier ist die Innenmauer und das ist die Außenmauer. Die freie Interpretation, die nun möglich wird, hat durch das Wissen, daß die Fakten erst durch Interpretation entstehen, die Möglichkeit zu sagen: Eine Linie muß keine Grenze sein, die zwei Häuser durch eine Straße oder durch einen Kanal oder durch einen Fluß trennt, sondern eine Linie kann der Baukörper selbst sein.

Hier gilt es auch, die Frage der Grenze in der Architektur selbst zu stellen. Es kann z.B. eine Linie interpretiert werden als zur Innenkonfiguration gehörig oder zur äußeren Konfiguration. Der Plan als Ergebnis eines Algorithmus kann also mehrfach interpretiert werden. Eine dunkle Fläche kann bedeuten, hier ist ein Gebäude hinzustellen, eine black box, oder diese dunkle Fläche kann bedeuten, es ist eine Leerstelle. Normalerweise ist eine Leerstelle im Plan dort, wo es weiß ist, wo es schwarz ist, ist eben Materie. Genausogut kann das umgekehrt interpretiert werden. Die Koch'sche Kurve zeigt, daß es nicht unbedingt klar ist, auf welcher ihrer Seiten ein Element liegt. Es kann der Architekt im letzten Moment sogar noch einmal die Ergebnisse des Computers durch seine Maschine umstürzen. Hier sehen wir die Architektur möglichst lange im undeterminierten Zustand. Erst im aller-allerletzten Moment kippt dann die Determiniertheit als Falte in die physikalische Materialisation. Die Abstraktion soll möglichst lange aufrechterhalten bleiben.[74]

Das neue an Plotteggs Programm ist die Verlagerung des architektonischen Interesses auf die Planungsmethode, statt auf die Planungsprodukte. Das Wesentliche daran ist die Erfindung des Algorithmus als Entwurfsinstrument, des Algorithmus als Gestaltungsprozeß und Planungsmethode, die Formulierung einer toolbox für eine computerisierte Planungsmethode. Dies geschieht in der manifestartigen Theorie zum binären Haus (1988), dessen Vorläufer in der Hybrid Architektur von 1981 zu finden ist. Das Betriebssystem für diese neue, innovative, originäre Art, Architektur zu produzieren, ist eben der Computer selbst, der neue Planungsergebnisse ermöglicht, aber auch neue Planungsmethoden erlaubt. Die CPU (central processing unit) ist das Medium einer wahrhaft autonomen Architektur, die aus der Interaktion zwischen Computer und Architekt entsteht. Es wird Abschied genommen vom Architekten als allmächtigem Subjekt, als gottgleichem Kreator, als Demiurg. Der Architekt wird Designer von Algorithmen jenseits seiner Auktorialität und zum Interpreten von Codes. Wenn er gut ist, wird er zum subversiven Codebrecher und dann sogar zum Gestalter neuer Codes und neuer Interpretationscodes. Der Computer wird dabei nicht nur zur Unterstützung historischer Planungsmethoden verwendet, sondern selbst als eine neue Art von Planungsmethode eingesetzt.

Zur Situation:

Weil der vereinbarte Termin mit dem Verlag erreicht ist und wir schon in Nachtschichten für die Vorbereitung der Ausstellung inklusion / exklusion (steirischer herbst '96) arbeiten, brechen wir hier die Formulierung der Einführung ab. Wir wollten mit diesen Erörterungen das theoretische Umfeld etwas beleuchten bzw. eine "Verfahrensanleitung" zum leichteren Verständnis vorschlagen und hoffen, dabei genug Raum für eventuelle Mißverständnisse, Umcodierungen, Zufallsalgorithmen des Verstehens gelassen zu haben.

Peter Weibel / Manfred Wolff-Plottegg, Sommer 1996


PS.:(...) Nur wer den sogenannten Plotteggschen Code besitzt, hat die Fähigkeit, entweder die beiden Systeme wahrnehmungskritisch zu trennen oder sie als neues und zwar sehr aufregendes ästhetisches System zu erfahren. (...) (Friedrich Achleitner)[75]










Architektur und Freiheit

[76]


Am 26. Jänner 1839 wurde eine Schrift Arthur Schopenhauers Über die Freiheit des Willens von der Königlich Norwegischen Societät der Wissenschaften zu Drontheim mit einem Preis gekrönt. Auswirkungen auf die Umwelt haben sich in 130 Jahren nicht gezeigt. Auch alle Manifeste über Architektur versagen, da sie sprachliche Wucherungen sind und nicht Architektur. In der Folge ergeben sich derartige Behauptungen wie ”Flexibilität in der Architektur entspricht dem Verlangen nach Freiheit” oder ”organische Bauformen harmonieren organische Lebensvorgängen”. Solche Platitüden haben mit Raumbildungen nichts gemein.

Wir können die Ansicht, daß Prognoseforschung geeigneter Rückhalt für Zukunftsplanungen sein könnte, nicht teilen. Wegen mangelnder Distanz zwischen Beobachter und Umwelt ist jede Beobachtung Eingriff und verändert den zu behandelnden Vorgang.

Aus der Beobachtung, daß sich Erkenntnisse der Wissenschaften nur wenig auf die gebaute Umgebung auswirken, muß man schließen, daß die wesentlichen Veränderungen nicht auf dem Gebiet des Bauens vor sich gehen. Realisierung von Ergebnissen wird auf willkürlich in der Zukunft angenommene, beliebige Gesellschaftsformen verschoben, Auswirkungen werden auf einem falschen Gebiet erwartet. Das macht es schwierig, sich ereignende Vorgänge zu erkennen, gegenwärtige Fragen mit Vorhandenem zu lösen: Wir befinden uns in einer umfassenden, nicht schwerkraftgebundenen Umwelt, in der die Bautätigkeit nur mehr eine Nebenerscheinung ist.

Unser Beitrag zum Wettbewerb ist

eine Anordnung, die der Situation, in der wir jetzt leben, entspricht.

Von einem festen Standpunkt aus befindet man sich in klaren Distanzverhältnissen zu Erscheinungen -- sie zeigen sich in perspektivischen Größenordnungen.

Elemente, wie sie in unserer Anordnung verwendet werden, heben perspektivisch geometrischen Raum auf. Es sind Elemente des täglichen Umgangs. Nicht das Größte oder das Naheliegendste, sondern das Intensivste wird zum Gegenstand unserer Erfahrung.

Das hier auftretende, von der Wirklichkeit abgelesene Phänomen der Verschachtelung von Umwelten ist selbst Umwelt. Daher kommt es, daß die Wirkung der Anordnung nicht vor, sondern bei der Benutzung bewußt wird.

Aus der allgemeinen Umgebung werden Bilder, Töne und Zeichen herausgelöst und zu einer Anordnung reproduziert. Sie laufen für Benutzer zusammen; in ihrer Erscheinung zwar transformiert, jedoch in leicht erkennbaren Bezügen:

Wir befinden uns in einem Netz von Sachverhalten, dessen Information den Demonstrationsraum bildet.

Dabei wird Masse (Materie) nur mehr für Geräte verwendet, die Sachverhalte für uns wahrnehmbar machen.

Räumliche Anordnung

gebildet durch Herstellen von Beziehungen mit Hilfe von:

· 2 TV-Kameras als Außenstation

· 2 Bildröhren

· Lautsprechern mit Aussendungen des ORF

· einer Lichtbildprojektion

· Buchstaben

· zwei Glasflächen

bei Verbrauch von elektrischer Energie.



Auf eine begehbare Ebene sind zwei Glasflächen gestellt, die eine spiegelnd, die andere durchsichtig.

Zwei Bildröhren zeigen einen Ausschnitt der Stadt (Hofgasse -- Burggasse).

Aussendungen des ORF sind mit 40 Phon hörbar.

Auf einem feinmaschigen Netz ist eine Lichtbildprojektion von beiden Seiten her sichtbar.

Buchstaben auf der Spiegelfläche bilden den Satz:

PUT ALLSPACE IN A NOTSHALL                                                                              
(James Joyce) PUT ALLSPACE IN A NUTSHELL

Lautsprecher und Bildröhren sind aus den Empfangs- und Transformationsgeräten herausgelöst.

Für einen Besucher können alle Gegenstände und er selbst in der Spiegelfläche erscheinen.

Die Anordnung ist von allen Richtungen her zugänglich, sie kann ein- und ausgeschaltet werden. Diese räumliche Anordnung entspricht einem

Plan für direkt nicht wahrnehmbare Umweltbeziehungen und Einflüsse.

Wir wollen in der Anordnung Anschlüsse an das Netz von Sachverhalten der erfaßbaren Welt ermöglichen. Für uns ist Umwelt der augenblickliche Anschlußpunkt, gegenwärtiges Erleben; Erscheinungen und Vorstellungen; hautnahe Dinge, Informationen von weit her; Facetten des gesamten Raumes, vom einzelnen aufgefangen und zusammengefügt.

Der Benutzer soll erkennen können, daß er durch die künstliche Umwelt der Anordnung Umwelt umfassender erfahren kann.

Es gibt keine Frage, befindet man sich in ursprünglicher Bindung an die Umwelt. Diese direkte Beziehung wird gelöst, sobald man zu denken beginnt, spricht, Planungen anstellt u.ä. Bei der Loslösung entstehen Bilder (nicht von der Umwelt, sie sind jedoch selbst Umwelt). Man steht nicht nur mit der bisherigen Umwelt allein in Beziehung, sondern auch mit einem Bild, das seinerseits eine eigenständige Entwicklung hervorruft. In der Ebene von Bildern entstehen Probleme, die außerhalb der Ebene nicht existieren. Es sind Scheinprobleme.

Architektur, Freiheit, Dauer

Freiheit kann weder definiert, noch mittels Dingen dargestellt werden -- alle Versuche enden im Determinismus, womit Freiheit gerade verdrängt wird.

Freiheit ist jederzeit und allerorts möglich -- Architektur kann diesen Sachverhalt nicht ändern.

Darstellungen haftet an, nicht das Dargestellte zu sein, sondern hauptsächlich ein Ausdruck der eigenständigen Automatik der gewählten Darstellungsart. Planungen sind ihrer Art nach Darstellungen; sie eliminieren Dauer.

Freiheit sowie Zukunft sind nur unmittelbar erlebbar. Sie können nicht wahrgenommen werden. Es wird klar, daß sie nicht Phänomene des Raumes sind.

Zukunft und Freiheit fordern ein offenes System.

Eine effektive Handlung in der Umwelt ist in der Ebene eines Bildes nicht möglich. Die gesamte Umwelt mit Hilfe von Bildern in die Zukunft zu entfalten, kann nicht durch eine eigenständige Entwicklung der Bilder geschehen (es sei denn, die Bilder wären ein Duplikat der Umwelt).

Freiheit ist dem Wesen nach ein intensives Phänomen. Jede Verräumlichung läßt Freiheit zu Möglichkeiten degenerieren. Freiheit kann nicht als Bild bestehen.[77]








Metamorphose einer Stadtwohnung

[78]


Schließlich hat die abendländische Kultur auch die saftlose Kategorie Wohnen herangezüchtet.

Da dient alles einem partiellen Zweck, einem gräßlichen (weil ausgedachten) Schönheitsbegriff, Soziologie und andere Wissenschaften tragen mit rechtfertigenden Erläuterungen dazu bei. Gewohnheit und Gemütlichkeit gelten als Argument. Die Einfallslosigkeit, Ergebnis eigenartig realistischer, ausschließlich auf bereits Vorhandenes bezogener Haltung, führt Funktionen als Existenzgrundlage für Gegenstände (und vice versa) an und kommt auf den Pfaden der Logik von dieser und ähnlichen behaupteten, nichtssagenden Interdependenzen zu abstrahierten Aussagen über Wohnen[79] und sogar zu absoluten Wohnwerten.

Selbständigen Tätigkeiten wird durch konsequenten Umgang mit Einrichtungsgegenständen ausgewichen,[80] der Tagesablauf dient lediglich der Durchführung von Notwendigkeiten,[81] die dominierende, gesprochene Unterhaltung verzichtet vollends auf simultane Manipulationen und sinnliche Empfindung.

Nichts scheint hier nun wichtiger als sich vorsätzlich aller logischen und moralischen, aller eingelernten Bedenken zu entschlagen.[82]

Die Metamorphose einer Stadtwohnung: [83]

Über alle vorhandenen Gegenstände, die gesamte Einrichtung der Wohnung wird ein großes Tuch gebreitet.[84] Das Tuch wird mit einer tragfähigen Schicht Glasfaserkunststoff verstärkt.

Diese Maßnahme bringt unweigerlich eine umfassend geänderte Rangordnung der Elemente und Vorgänge innerhalb der eigenen 4 Wände mit sich. Dementsprechend sind auch folgende, teilweise schon andernorts angedeuteten, Maßnahmen wirksam:

Durch unkontrolliertes Ausstreuen von Torfmull und Humus wird die Bepflanzung eingeleitet. Üppige Vegetation breitet sich wild in den Räumen aus. [85]

Tiere werden in die Wohnung aufgenommen -- so etwa ein Ziegenbock; das Größenverhältnis zu den Räumen soll auffallend und effektiv sein. [86]

Die Frischwassersteigleitung wird angezapft. Ein unaufhörlicher Wasserstrahl ergießt sich und nimmt den Gegebenheiten entsprechend seinen Lauf.

Das alles wird auch prinzipiell durch jahrelanges Wirken von Schlamperei, getragen von vollkommener Gleichgültigkeit, eintreten. Denn mindestens ebensosehr wie das Auftreten von gewissen Dingkombinationen selbst, ist die Einstellung beim Zusammentreffen mit ihnen von ausschlaggebender Wichtigkeit: jenseits der allgemeinen, sogenannten strengen Kalkulation, deren Automatik Wohnen als a priori konzipiert vorstellt und so ablaufen lassen will. [87]

Durch das Verschwinden aller Gegenstände, die den Räumen ihren Namen (Küche, Bad, Salon,...) gaben, sind sie nun ohne prinzipiellen Unterschied zueinander.

Weiters wird in den (flächenmäßig größeren) Räumen durch Verspannen elastischer Gurte ca. 50 cm unter den Plafond eine horizontale Fläche hergestellt. Sie ist über die darunterliegenden Erhebungen erreichbar.

Überall werden in die freigebliebenen Wandflächen, im gegenseitigen Abstand von ca. 30 cm, große (300- ter) Nägel ca. 10 cm tief eingeschlagen.

Die Wohnung ist neuerdings schlüsselfertig. [88]

Die Vergangenheiten in all ihren Erscheinungsformen sind in der Wohnung versiegelt, es gilt nur mehr die Ausbeutung des Augenblicks. [89] Dem Eindringen der von außen herangetragenen Forderungen nach spezialisierten Tätigkeiten (Arbeiten) in die Wohnung ist eine räumliche Erscheinung entgegengestellt. [90]

Technische und andere Einzelheiten:

Als Tuch (zum Darüberbreiten) soll ein Nessel-(Mollino-)Stoff oder gleich eine (genügend engmaschige) Glasfasermatte verwendet werden.

Für die großen Nägel sollen in die Wand Löcher vorgebohrt und mit passenden Dübeln versehen werden. Dasselbe gilt auch für die Verankerung (Schraubhacken) der zu verspannenden elastischen Gurte.

Außer der angezapften Frischwasserleitung wird es keine Wasserentnahme geben. Als Abfluß dient der Bodengully in der ehemaligen Küche, im ehemaligen Bad oder Klo.

Die Zimmertüren werden überhaupt entfernt oder über dem Tuch horizontal abgeschnitten (wodurch der obere Teil bewegungsfähig bleibt). Es ist anzunehmen, daß einige Steckdosen frei zugänglich bleiben, im übrigen kann Strom aus den Verteilungsleitungen und Mauerdosen entnommen werden.

Wurden Zentralheizungskörper verdeckt, werden Schlitze gesägt, die entsprechende Luftzirkulation gewährleisten. Bei nur teilweise verdeckten Kachelöfen wird im oberen Teil eine Kachel durch ein Ofentürl ersetzt. Sonst wird mit elektrischen Strahlern geheizt.

Die Farbe, bzw. die Tapeten an den Wänden und Decken bleiben. Für die GFK-Beschichtung wird ungefärbtes (d.h., die Farbe spielt keine Rolle) Kunstharz verwendet.

Man sieht, wie einfach die ganze Angelegenheit handzuhaben ist.

PS. 1995: Durch meine späteren Definitionen in der Verdeckungstheorie kann ich weitere Aspekte hinzufügen. Nun ist mir klar, daß ich damals einen Prototyp der "ÖSTERREICHWOHNUNG” entwickelt habe: Sie zeichnet sich aus durch die ausgeprägte Topografie, einen sehr starken Vergangenheitsbezug (der sich ja in der Topografie manifestiert) und durch das Verdecken (die ganze Vergangenheit wird nicht etwa weggeworfen, sondern verdeckt), hat aber gleichzeitig auch etwas Aktionistisches in sich, womit ein entscheidender Schritt weg vom Milieu des Biedermeiers -- dem ursprünglich wahren Prototyp der österreichischen Wohnung -- gelungen sein dürfte. Vor allem aber: indem dieses Wohnkonzept so vielem, einschließlich meinen Innovationsbestrebungen, gerecht wird, ist es dem Österreichischen gerecht. Vgl. hierzu auch Derridas Formulierungen zur "Präsenz der Absenz".








Das zusammengebrochene Bett

[91]
Über das Zusammenbrechen und das Bett:

Das Zusammenbrechen ist ein nicht reflektierendes Verfahren, direkter (ohne jedwede Hilfsmittel) Umgang mit Objekten. Dabei wird von vornherein nicht von Sprache (Titel, Wortvorstellungen, Wünschen,...) definiert, nicht an darstellungsmäßig entwickelte Formen gebunden, nicht von Methoden determiniert, die durch vorzeitigen Ausdruck auf namen- und gestaltlose Raffinessen verzichten. Es wird, ohne unter irgendeinem Aspekt Kontrolle ausüben zu wollen, der Vorgang und die vorerst noch kryptone (Detail-)Ausbildung anerkannt. Der

K R A C H

K R A C H



(im Augenblick des Zusammenbruchs) sei Sinnbild der Autorität und Unaufhaltsamkeit eines körperhaften Vorgangs, der Simultaneität von einwirkender Kraft und Ergebnis.

Durch den Zusammenbruch erhielt die ursprünglich indifferente Fläche des Bettes in sich unterschiedliche Intensität. Dies entspricht nun weniger der allgemeinen Vorstellung von Ordnung (oder Bett), jedoch mehr der Empfindung. Die Einfachheit des Versuchs erübrigt hier jede weitere andeutungsweise Schilderung.













Künstlerschaufenster

Fischgeschäft Nordsee / Herrengasse Graz[92]


Vielschichtig an Empfindungen appellieren:

Über die rein visuelle Dekoration und Image-Pläsanterie hinaus, die Mechanik der Kontaktaufnahme erweitern. Mit einer um das Produkt konstruierten Situation dem Passanten nähertreten. Die Vitrine verlassen, die präservative Schaufensterscheibe durchbrechen, unter die Haut gehen.

Fisch, Schaufensterpuppe oder Wasserleich' -- die Einbeziehung als Maß der Wirklichkeit.

Hier in der Nordsee: inhaltlich neutralisiert, eine ungewohnte Anordnung. Wasserschlieren, Neon-Nordsee und Fernsehbild im Wasser, angerostete Eisentrümmer: Da gibt's was zum Schauen und zum Gaffen.

Plötzlich das Spritzen und das Zusammenzucken im Gedränge. Die Provokation auf den banalen Reflex gezielt.





Technische Angaben:
Durch eine zweite Glasscheibe ca. 80 cm hinter der vorhandenen wurde ein Aquarium hergestellt, darin Wasser, Fische & Krebse, Unterwasser-Eisenschrott, Neonschriftzug "NORDSEE", eine Bildröhre halb im Wasser liegend. In der Bildröhre zu sehen: Ausschnitte aus einem Nordsee-Werbefilm, Produktionsvorgänge von einem Fisch-Fabriks-Schiff.

2 starke Wasserpumpen spritzen elektronisch gesteuert im 60-Sekunden-Zyklus abrupt Wasser von der hinteren Scheibe zur vorderen, auf die Passanten zu, die sich dadurch erschrecken lassen.








Hybrid Architektur

[93]


Text zur Ausstellung:

Über das Normative hinaus, durch den Automatismus hindurch, inhaltlich Gemeintes beiseite, hybride Formen erpaart:

Der Riß im Auge ist unerträglich ?

Wo die Formen nicht mehr eindeutig, behilft sich die einfältige Vorstellung, wird Krüppel und ha liest:

SCHIRME, GETREIDE, SAKRISCHE, GEHIRNE,

GETRÄNKE, SCHEISSE, SCHÜSSE, GERTRUDE, GEBISS

Jedoch was sehen meine Ohren !



Aufgabe von Sprache -- weg von Kohärenz Identifikation Kontinuität
Der formalistische Rebell versteht kein <(WORT)>, greift unkonditioniert in den Computer, wenn nichts anderes zur Hand, läßt Formen Fetzen generieren. Das inhaltlich gemeinte Schöpfertum macht sich daraus Schlupfwinkel.[94]

Hybridarchitektur

Die Formenkanongerechtigkeit, Materialgerechtigkeit, Hausgewohnheit, Wohngewohnheit, Sehgewohnheit, insgesamt die überkommene Architekturgewohnheit[95] vergessen.[96]

Der Plan kommt in das Lachkabinett.

Prophylaktisch und demonstrativ wurde ein Hausplan in Streifen seziert, daraufhin nach gemeinen, verwordagelten Gesichtspunkten wieder zusammengepickt. Vorläufig nach dem Verlauf von "Höhenschichtenlinien".[97]


Seziertes Haus in Streifen entlang Höhenschichtenlinien.


Mit ähnlichem Impetus wird grafisch-konstruktiv mit anderen beliebigen Formen (z.B. Kuh und Haus) umgesprungen


Hybridarchitektur- Haus / Kuh, händische Addition von Polarvektoren.


Es ist evident, daß diese Manipulationen, nämlich Additionen von Vektoren bzw. Koten, der CPU[98] überlassen werden können. Sie bietet einiges an Comfort[99] und sogleich eine Reihe weiterer Manipulationen an:

Sind die Daten von verschiedenen Ausgangsformen erfaßt, können diese mehrfach untereinander gekreuzt werden. Es kann auch eine Ausgangsform mit weiteren rein rechnerischen, unsichtbaren Formen, mit beliebigen Zahlenfolgen zu Hybriden[100] vermischt werden. Die Vermischungen erfolgen durch eine der 4 einfachen Grundrechnungsarten, durch Formeln, durch eigene Programme. Man nehme also ein ready- made, irgendeinen Grundriß oder sonst was. Die Ausgangsform wird immer gleichgültig sein, weil sich das Produkt der INTERAKTION nie darauf berufen wird, nie damit hausieren gehen wird, sich schon gar nicht damit entschuldigen wird.

Unter der Prämisse, daß die Produkte anders aussehen dürfen als antizipierte Produkte aussehen können, müssen beliebige Ausgangsformen nach beliebigen Regeln vermischbar sein.

Laß das Haus, statt über den Bergrücken, auf dem Rücken einer Kuh ablaufen:

                                  d-i-e-k-u-h-r-a-n-n-t-e b-i-s-s-i-e-f-i-e-l!

Nimm zur Abwechslung einen Meerbusen, eine Felsnase; nimm Österreich fürs Österreichhaus[101].

Mische Kuh und Genuß.

Schon ein einfaches Programm, wie hier das Hybridprogramm, demonstriert die Produktionsfähigkeit der CPU. Die Mischungen bringen neue Vorfälle mit sich. Über das binäre Produkt hinaus eröffnet die INTERAKTION durch die Behauptung "Architektur"[102] weitere Perspektiven.

Der Stellenwert von Behauptungen läßt sich im Falle der Mischung[103] von SCHEISSE & GENUSS beobachten: Das Bild der maximalen Mischung hat keine klar erkennbaren Buchstabenformen, kann daher im strengen Sinn einer Schriftkonvention nicht gelesen werden, kann nichts bezeichnen -- soferne Schrift üblicherweise bezeichnet. Das Sprachexperiment kann jedoch für Überlegungen über Verhalten und Gebrauch, über den Umgang mit Formen und mit Unbekanntem bemüht werden.


Vorerst heißt also das generierte Schriftbild -- die Kalligraphie selbst -- nichts. Dennoch liest zB. ein Oberkellner mit Entschiedenheit und ohne Zögern "G E T R Ä Nnbsp;K E", eine Garderobierin liest "S C H I R M E"[104]: das ist einerseits Beleg für das Entstehen neuer Interpretationen (Behauptungen) als Ergebnis von Irritationen[105], andererseits Beleg dafür, daß, dem Absurden zum Trotz, gewohnte Sehweisen (hier berufsbedingte) durchs Hintertürl penetrant wirksam sind.

Weiters wurden zwei typische Formen aus dem klassisch-modernen Architekturbrevier in der CPU gemixt: ein Thonetsessel & das Modulor-Manderl.

 

Was ist aber das binäre Produkt, wie kann mit der größten Mischung weiter verfahren werden, hat der Modulor am Thonetsessel Platz genommen oder wurde dem Thonetsessel das Modulormaß verpaßt? Unter Beibehaltung der Inhalte der Ausgangselemente ergibt sich z.B.:

a) der Einsatz des generierten "Modulor-freaks"[106] in seiner ererbten Funktion, also ein Überarbeiten von Ronchamps, von dem Dampfer von Marseilles, etc. -- sie sehen nun anders aus! Der ersten Programmschleife folgt also eine weitere, die das Ergebnis der ersten (der freak modulor) als Ausgangselement verwendet, usw. usw. Die Austauschbarkeit wird deutlich erkennbar, die Entwicklung scheint mit open end dynamischer als sie bei akademischer Anwendung des Modulor üblicherweise ist. Als modus procedendi vielversprechend, ist das Produkt eine "Fetzenlaberl-Architektur"[107].

b) ein neues Sesselmodell. Es bringt im Vergleich zu einem am Papier entwickelten Entwurf, der von Materialgerechtigkeit und Ergonomie gesteuert ist, neue Aspekte für die Entwicklung von Sessellehnen.

c) Jenseits des inhaltlich bezogenen Bereiches ergibt sich ein Gebilde, wie es bei "getrieße" sehr deutlich wurde.[108]

 

Wie an diesen relativ einfachen Beispielen schon gesehen werden kann, ist das Mischen von vorerst beziehungslosen Formen in der CPU ein von außen nicht leicht nachvollziehbarer Vorgang.

Wenn auch die Ergebnisse nicht vorhersehbar sind, ist der technische Ablauf des Hybridprogrammes leicht verständlich. Einander zugeordnete Punkte der zwei Ausgangsformen werden mit Ordnern (es könnten auch Kurven oder dritte Ausgangsformen sein) verbunden. Ihre Durchstoßpunkte durch eine dazwischengeschobene Bildebene ergeben das Hybridbild.[109]

Die Ergebnisse der Mischungen sind bisweilen so weit entfernt von den Ausgangsformen, daß eigentlich schon Formentwicklungen, metamorphe Entwürfe vorliegen. [110]

Soferne zwei Ausgangsformen eine ungleiche Anzahl von Punkten (Linien, Flächen) aufweisen, müssen programmiertechnisch Punkte[111] generiert werden, um die Transmissionslinien bilden zu können. Dieses "Erfinden" von Punkten macht klar, daß virtuelle Bilder auf diesen Ordnern keine Vorbilder (was die Ausgangsformen ja eigentlich sind) haben. Die so generierten Bilder sind notwendigerweise aus dem CPU-Verfahren heraus entstanden, sind somit den üblichen bildenden Gedanken, dem Diktat der Sprache, entkommen, können sich nicht auf eine Zweckhaftigkeit berufen. Sie entziehen sich der gebräuchlichen "architektonischen Beweisführung".

Kommentar:

Die Negation der Gewohnheiten, von der Planung bis zur Architektur- Hochglanzpräsentation, fordert unvorhersehbare Formen, addiert zu jeder Kote (Gewohnheit) einen beliebigen Wert, ändert Winkel und Länge von Vektoren. Die Ungewißheit möbliert (recycelt) das Österreichhaus im Zeitschnitt des generierten Bildes für den modulor-freak. Wie hier Daten grafisch gemischt werden, liefert der Einstieg mit variierten Programmen, Sektorenbildung, Zuordnung, Generieren von Punkten etc. auch Objekte in 3- D, räumliche Collage, die Metamorphose[112] von stereometrischen Elementen.

Der kurze Gedanke[113] sagt: "Kuhhaus" und sieht sich in der Kuh wohnen. Die Kuh ist für mich aber kein Haus wie für den Wurm oder die Trichinen, wie der Walfisch für Jonas[114]. Die Namensgebung (Kuh, Haus, Kuhhaus, Hauskuh?) ruiniert den architektonischen Kontext. Dieser ist auch ohne Namen baubar, sicherlich auch benutzbar.

Aus der Vielschichtigkeit der Aspekte im Hybridprogramm wird klar, daß es der INTERAKTION nicht um eine spezielle Form geht, sondern um die Produktivität, Produktion von Architektur, darum, was Architektur sein kann, um Architektur.








"In welchem Style sollen wir bauen"

[115]


Kennwort Gartenzwerg

(...) Fangen wir nocheinmal mit dem Gartenzwerg an, nocheinmal mit dem zweifachen Fehlverhalten, das ihn hervorbringt: Indem man Gegebenheiten nicht oder nicht zu ihren günstigen Zwecken sieht, Widersprüchlichkeiten nicht akzeptiert in dem, was sie sein wollen, angebotene Brauchbarkeiten nicht anwendet, wird ein erster Schritt weg von der Realität gemacht, der dann durch einen zweiten, kaschierenden wieder gut gemacht werden soll. Dieser führt aber nicht zurück, sondern entfernt noch mehr. Die Natur, die eigene Person werden in ihrer Eigenheit und Entwicklungsfähigkeit nicht wahrgenommen, und sofort wird ihnen und der Fehleinschätzung etwas übergestülpt, der Schnörksel: Der Ersatz ist diminutiv - um das Ungenügen zu verbergen - das Hausgärtlein, der Gartenzwerg.

Erinnern wir uns an die vielen glatzerten Autoreifen, die alljährlich von Naturschutzverbänden, Fremdenverkehrsvereinen, Pfadfindern und sonstigen Idealisten aus den Wäldern entfernt werden. So ein Slick im Wald könnte ja auch eine Bereicherung des Biotops sein: Regenwürmer, Asseln, Nacktschnecken darunter, ein bissl Wasser drinnen, Spinnweben, Wasserläufer, Kaulquappen, Libellen. Die Wiese ist grün und sonst nichts, der Purismus, hier ausschließlich visueller Umgang, hat sich durch das Bildhafte vom Wesen der Natur, vom üppig-wuchernden Lebendigen, entfernt. Die stilisierte Natur im Blumenkistl, Vogelkäfig, Aquarium ist kaschierender Ersatz, Reduktion.

Nehmen wir die Altstadterhaltungsgesetze, den Umgang mit gewachsenen Strukturen her: Als das entstand, was man heute erhalten will, wurde mit aktuellen Intentionen aktiv gestaltet, mit Selbstverständlichkeit z.B. die Gotik barockisiert, locker Sekundärarchitektur dazugespuckt, die Entwicklung war im Fluß. Diese Vitalität, die die Altstadtkerne hervorbrachte, was heute noch deren Faszination ausmacht, wird im derzeitigen, statischen Altstadtbild nicht mehr akzeptiert, das Wesen des Herummanipulierens wird auf ein visuelles Angleichen reduziert, das Gestalten durch die Reproduktion von Bildern ersetzt.

Es ist wie beim Gartenzwerg: Wenn der direkte Umgang mit Dingen, die Beziehungen gestört sind, die Fähigkeit dazu nicht vorhanden ist, dann wird symbolisiert und stilisiert. Es wird im kleineren angedeutet, was man eigentlich nicht zusammenbringt, also ein Modellhandeln als Ersatz. Dieses besteht auch darin, daß in die Zukunft projiziert wird. Der Realitätsbezug ist in dieser Dimensions- und Zeitverschiebung gefährdet, und je mehr dieser aufhört, je stärker das Modell, der Ersatz, wird, umso leichter wird ein Transfer. Transfers erfolgen rund um den Globus und quer durch die Weltgeschichte: Es kommen griechische und römische Trümmer in die Renaissance; Gotik, Renaissance, Barock ins 19. Jh.; die Vergangenheit ins Postmoderne -- die Postmoderne von Amerika nach Europa; der Eisschrank zu den Eskimos; Trulli nach Berlin; Nilpferde nach Schönbrunn; englische Schlösser nach Amerika; das Tiroler Haus ins Burgenland; chinesische Restaurants nach Wien; die Jungfrau zum Kind.

Das Phänomen der Dimensionsverschiebung, daß gewisse Bereiche, Erscheinungsformen und Produkte jeweils in einer kleinen oder verkleinerten Form entstehen, tritt mit großer Regelmäßigkeit auf, fast schon als Gestaltungsprinzip: Da ist die Natur bei uns im Autoreifenblumenkistl, bei den Japanern im Bonsaibaum subsumiert, im chinesischen Garten ist durch Sand und Steine der ganze Kosmos repräsentiert. Es gab den Vergleich, daß die Atomkerne von Elektronen umkreist werden wie die Sonne von den Planeten, was alles in Richtung eines gesamtheitlichen Bildes gegangen ist. Die Viecher werden enzyklopädisch in einem Tiergarten, auf einer romantischen Arche Noah, in einem modellmäßig kleinen Rahmen zusammengepfercht. Architekten ziehen sich zurück auf kleine Bauaufgaben wie Caféhäuser und Geschäftsdesign (die großen Bauaufgaben werden sogenannten Baulöwen überlassen); Minimundus ist die reproduzierte Taschenausgabe der Baukunst, die Weltreise durch die Architekturgeschichte im Kieselsteinhupfen; die Nippes-Accessoires für Gebäude von Charles Simonds sind fast wie die Quarks in der Physik.

Der durchschlagende Erfolg der kleinen Produkte, nicht zuletzt im Reiz der Überschaubarkeit gelegen, soll nicht hindern, das Prozeßhafte, das zu ihnen führt, zu beobachten. Machen wir nun eine kurze synektische Exkursion: Jemand möchte ein Traumhaus, und das kostet viel Geld, Engagement, Arbeitsaufwand und Zeit, bis es fertig ist. Das ist in der Realität vielleicht nicht zu bewerkstelligen, und so baut sich die fiktive Bauherrschaft statt dessen ein Modell, zeichnet einen Plan. Wenn sie nun am Abend oder von irgendwoher nach Hause in die reale, mickrige Wohnung kommt, führt der Weg gleich zum Modell. Und statt daß sie in Wirklichkeit spazierengeht, sich hier und dort hinsetzt, aufräumt usw., sitzt sie beim Tisch, versenkt sich ins Modell hinein, in diese andere Wirklichkeit, geht im Plan spazieren, vergißt, daß das ein Plan ist, und schon sind die Löcher in den Schuhen zu Palastfenstern geworden. Sie findet die absolute Identität in diesem kleinen Modell und wohnt sagen wir zwei Stunden in dieser Modellwohnung, analog einem Kind im Puppenhaus, und geht dann schlafen ins reale Gitterbett.

Es ist dabei symptomatisch, daß mit großer Überzeugung die reale durch eine Wunsch- und Phantasiewelt ersetzt wird. Es entstehen jeweils neue, anders geartete Realitäten, im Organon-Kistl von Willi Reich, beim Bio-Adapter von Oswald Wiener, bei der Architektur-Pille von Hans Hollein, in den halluzinogenen Räumen. Deswegen steht ja auch das Fliegenschwammerl neben dem Gartenzwerg. Die ausschließliche Verschiebung in den intensiven Raum amputiert die Körperhaftigkeit, den extensiven Raum. Beim Ersatzwohnen im Modell kann man sich, ohne es vorerst zu merken, verkühlen, falls man vergessen hat, wirklich einzuheizen; wird im Modell aufgeräumt, bleibt das Geschirr in der Küche nebenan dreckig. Bei einer Architektur "im Stil" (ganz gleichgültig welchem, z.B. beim Mobil-Haus am Schwarzenbergplatz) bleiben vielschichtig reale Bezüge unangetastet.

Graduell entsteht eine eigenartige Passivität, das Herummanipulieren wird auf Hirnströme reduziert, der Umgang im Realen, der sich wohl wesentlich im Kommunikativen entwickelt, wird gestoppt. Das vorerst verniedlichende kleine Ersatzmodell produziert zusehends starre Eigengesetzmäßigkeiten, weil es im nicht kommunikativen Raum kein feedback mehr gibt, seine Produktion ist additiv, ein Größenwachstum. Die Gigantomanie des Lebkuchenhauses: My home is my castle -- im Hirnkastl. Die Obsession von einer Idee, der Hang zum Gesamtkunstwerk, wird zur Manie.

Was sich nicht kommunikativ entwickelnd realisieren kann, will sich durch Massivität und Monumentalität Platz verschaffen.

Der Monolog narzißtischen Phantasierens ist allgemein dort zu finden, wo einzelne Kriterien überzeichnet werden. Um bei den Dimensionsverschiebungen zu bleiben: Die Statik minimalisiert Konstruktionen, magert sie aus, entmaterialisiert. Stahlbeton wird vorgespannt, Fachwerke werden zu Tensegrity-Systemen, Wände und Decken werden Schalen, etc. Der geringe Materialeinsatz in Hinblick auf ein ökonomisches Leistungsgewicht wird dann losgelöst davon zur Ideologie und als Schlankheit in die Ästhetik übernommen. Sie wird zum formalen Dogmatismus. In dieser nun beziehungslos gewordenen Regel entsteht eine verschobene Geilheit: das größte Dach, die längste Brücke, der höchste Turm.

Das visuelle Reduzieren ist durchaus auch im Einklang mit einem Entmaterialisieren im Sinne des Zusammenhangs von Material und Energie zu sehen. Die Entwicklung von Einfriedungen: die massive Mauer wird zum Lattenzaun, zum Maschendraht, zum Stacheldraht, zum elektrischen Weidezaun. Indem im entmaterialisierenden Modell, im visuellen Verschwinden zugunsten eines puristischen Bildes eine Facette beherrschend wird, ein Verlust der Vielfalt eintritt, entsteht mit der visuellen Leichtigkeit gleichzeitig eine Aggressivität, die sich hier auch handgreiflich manifestiert.

Während die Dimensionsverschiebung in der Manie noch mit einer eigenen Vitalität verbunden sein kann, ist die Verschiebung in der Zeit nur mehr eine starre Übernahme von Regeln, ein Manierismus. Beiden gemeinsam ist, daß der Verschiebung ein Bruch mit dem Konkreten zugrundeliegt. Hier ist es die kleine-große Gegenwelt, dort die fiktive Ersatzhandlung in der Vergangenheit-Zukunft. Ein reduzierter Realitätsbezug besteht also ebenso in der Projektion von Tätigkeiten auf Zeitpunkte außer der Null-Zeit. Voraussetzung für beliebige Verschiebungen in der Zeit ist eine homogen-lineare Vorstellung.

Kunsthistoriker bringen im nachträglichen Beschreiben eine Vielfalt vom komplexen Entwicklungen zur Erstarrung, indem sie die Vitalität durch ein Netz von vermeintlichen Regeln abfiltern. Es werden eher periphere Ähnlichkeiten zu einer vereinfachten Regelmäßigkeit verbunden, als die individuellen Unterschiede gesucht. Die Feststellung, alle Chinesen schauen gleich aus, ist eine Schweinerei. Die uns allen direkt zugänglichen, widersprüchlichen Strömungen im 20. Jh. werden als Moderne katalogisiert. Der Hang zum Ordnen, Ablegen, Konservieren ist nicht nur bezüglich Ungenauigkeiten als Vernachlässigung zu sehen, sondern auch als Umgehung eines direkten Kontaktes, einer Mitwirkung.

Ist aber einmal eine sogenannte Gesetzmäßigkeit, meist irgendwo in einer linearen Kausalität begründet, festgelegt, als Modell losgelöst, stellt sie die Forderung, angewendet zu werden, und wird in die Zukunft verschoben. Der populärste Stil ist der "Antizipierte": Schon bevor ein Problem überhaupt auftritt, ist die Lösung vorhanden. Die vorweggenommene Lösung im Schubladl entwickelt nichts, führt einen Determinismus zu Ende. Der potentielle Produzent ist zum Erfüllungsgehilfen geworden, das Produkt zum Zitat. Im 19. Jh. wurde über Kirchen, Wohnhäuser, Fabriken etc. unter anderem die Neugotik gestülpt, heute ist es das Altstadterhaltungsgesetz. Der Funktionalismus, als Zerstückelung des Ganzen eine tragende Vorstellung des Maschinenzeitalters, behauptet sich bis heute.

Dem Zitat ist es gleichgültig, ob es sich selbst, eines anderen oder irgendeine Regel spielt. Weder die vorweggenommene noch die nachträgliche Regel scheint für ein aktives Handeln attraktiv, und auch das simultane, interdependente Nebeneinander des Handelns und der Regel (z.B. das Manifest als simultaner Bestandteil im Surrealismus) -- ändert im Grunde nichts an einem schematisierten Verhalten, an der Anwendung einer Matrix. Die Deklaration einer Regel, eines Prinzips geht über das Handeln hinaus. Es ist nicht nur die obligate beigelegte Faselei. Sie will mehr: Im Sinne einer Teleologie darf ein Haus nicht nur Haus sein, es soll auch einen Architekturbegriff prägen, Beitrag zur Architekturgeschichte sein. Der Bruch tritt genau dort auf, wo ein tendenziöses Denken das konkrete Handeln oder Produkt für sich vereinnahmt.

Schon hier zeichnet sich im Ansatz das Streben nach einem Ideal ab, und zu diesem Mechanismus gehört, daß im Gegenwärtigen liegende Aktivitäten, Entwicklungen, Gestaltungen nicht wahrgenommen werden. Das ist die wichtigste Eigenschaft eines Ideals, daß es im Gegenwärtigen nichts zu tun haben will, weil dieses eben ihm nicht genügt. Es kommt wieder zu Schubladenprojekten, die so gut sind, nur ist die Zeit für sie noch nicht reif. Der Anspruch auf Absolutheit, eine fiktive Richtigkeit läßt immer mehr an ihnen feilen, sie werden sophistisch und entfernen sich von einer Realisierbarkeit immer mehr. Die Wichtigkeit einer Papierarchitektur à la Archigram in dem, was sie sein kann, bezieht sich weniger auf eine Ausführbarkeit als auf eine Anregung, und hier haben solche Modelle viel geleistet. Will ein Ideal aber direkt realisiert werden, ist ein ungeheurer Gewaltakt erforderlich, um es im Gegenwärtigen zu implantieren. Eine Fülle von Macht war für Haussmann erforderlich, um das (militärische) Idealbild der Boulevards über den kleinen Raster von Paris zu legen.

Es sind nun einige Phänomene in Hinblick auf Realitätsbezogenheit und Modellverhalten aufgeschienen: direktes Handeln, Vitalität, Stilisierung, Reproduktion, Dimensions- und Zeitverschiebung, Wunsch + Phantasiewelt, Gesetzmäßigkeit, Ideal. Es ist nicht unbedingt, daß Realität und Modell wie Gegensätze behandelt werden (das betrifft vordergründig sprachliche Gegensätze: ein Modell wird losgelöst, indem es festgelegt wird, es kann klein + groß sein, Zukunft = Vergangenheit sein, Ersatz = Realität), vielmehr gibt es ein Feld von Beziehungen, die sich, wenn sie abreißen, zur Obsession, Massivität, Aggression hin entwickeln können.

Wenn also in Hinblick auf das Konkrete das Hinzunehmen von Modellen ein fragwürdiges Spiel ist, fragt sich, warum dieser Hang zum Modell (in einer sehr weiten Auslegung von Stil) auftritt. Der Ausgangspunkt ist sicher in einer Unsicherheit zu finden, und das ist sowohl in bezug auf die einzelne Person als auch auf die Gesellschaft zu verstehen.

Diese Unsicherheit kann ein durchaus positives Faktum im Sinne einer freien offenen Möglichkeit sein, d.h., es liegt kein Regulativ wie das individuelle "Häuslbauen" oder die kollektive Wiederaufbaumentalität etc. vor, auch nicht eine Herrschaftsrepräsentation oder ein sozialer Realismus. Die Kunst ist frei, die Architekten sind "freischaffend", und daß dies auch so sein kann, erfordert einen emanzipierten Umgang.

Der Wunsch nach einem Modell, Vorbild, Regulativ, sich irgendwo anhalten zu können, ist eine nicht emanzipierte Reaktion auf die Unsicherheit und Offenheit. Er krallt sich leicht fest und macht handlungsunfähig. Der Wunsch, daß das, was man macht, zum Modell wird, ist der Wunsch des Unselbständigen nach Rückhalt in einer allgemeinen Bestätigung (zumindest domus, AA, GA, L'architecture d'aujourd'hui), die dann erstarrt.

Nicht nur im Bildhaften, sondern auch in Planungsstrukturen versteckt wird versucht, sich anzuhalten: z.B. an Sonderheiten des Grundstücks oder der Umgebung; deswegen sind manche Architekten froh über die Baugesetze und Denkmalschutzvorschriften und stehlen sich mit dem Hinweis auf diese aus dem Entwurf davon. Wenn ein Bauherr zum Architekten sagt: "Bitte bau mir ein Haus!" fragt der Architekt sogleich: "Bitte wo, auf der flachen Wiese oder am Berg, wie groß, wofür, für wieviel Geld?" usw. Aber die Fragerei könnte ad infinitum bis ins kleinste Detail fortgesetzt werden, in der Vermutung, daß die vollständige Information schon die Antwort aufs Problem ist. Das wäre ein Informationsverhalten, das irgendwann den Punkt übersieht zu sagen, so, das ist jetzt mein Entwurf. Es geht von der deterministischen Vorstellung aus, daß ein latent vorhandener Wunsch zur Ausführung gelangen soll, der Raum ist da -- müsse nur ausgefüllt werden, anstelle daß entwicklungsmäßig produziert, Raum gebildet wird. Hierher gehört natürlich auch die obligate Analyse als vorgeschobener Arbeitsschritt -- Untersuchung, Raumprogramm, Funktionsschema -- das archetypische und uns von klein auf anerzogene Muster der Bewährungsprobe und Überprüfbarkeit: via Grieskochberg ins Schlaraffenland? Und irgendwo im Hintergrund steht, wieweit die Fragerei eine Flucht, um sich einige Aspekte einfach vom Leib zu schaffen, oder ein Wunsch nach Einschränkung ist und somit eine Entfaltung behindert wird. Manche sagen, je mehr Einschränkungen, desto leichter arbeiten sie.

Daneben tritt immer wieder eine Entscheidungsstruktur auf. Diese setzt bereits Bestehendes voraus, einen enzyklopädischen Katalog zum Auswählen, hängt insofern mit der Informationsstruktur zusammen. Sie hat vielleicht mehr mit einem Management zu tun, und zum Exzeß angewendet kommt man auch da nicht heraus, weil man dann zwischen verschiedenen Auswahlkriterien entscheiden müßte etc. Entscheidungen lassen einen Teil einer Entwicklung sterben, bilden insofern Einschnitte.

Ein Gestaltungsvorgang unterscheidet sich wesentlich von solchen Informations- und Entscheidungsstrukturen.

Er holt sich, was er braucht.

Außerdem sehe ich, daß ich in diesem Aufsatz das Wort "Stil", obwohl es mir dauernd im Hirn herumschwirrte, selten verwendet habe, daher wäre nun vor jedes Hauptwort "Stil" zu setzen.

Also fangen wir gar nicht erst mit dem Stilgartenzwerg an, mit dem zweifachen Stilfehlverhalten, das ihn verneint. Indem man Stilgegebenheiten wenn überhaupt, dann nur zu ihren günstigen Stilzwecken sieht, Stilwidersprüchlichkeiten akzeptiert in dem, was sie nicht sein wollen, angebotene Stilbrauchbarkeiten anwendet, wird ein erster Stilschritt hin zur Stilrealität gemacht, der dann durch einen zweiten, kaschierenden nicht wieder gut gemacht werden soll. Dieser führt aber nicht hin, sondern entfernt nicht mehr. Die Stilnatur, die eigene Stilperson werden in ihrer Stileigenheit und Stilentwicklungsfähigkeit wahrgenommen, und sofort wird ihnen und der Stilfehleinschätzung etwas abgezogen, das Stilschnörksel: der Stilersatz ist keineswegs diminutiv, um das Stilungenügen bloßzustellen, das Stilhausgärtlein, der Stilgartenzwerg.

Vergessen wir uns nicht an die vielen glatzerten Stilautoreifen, die alljährlich von Stilnaturschutzverbänden, Stilfremdenverkehrsvereinen, Stilpfadfindern und sonstigen Stilidealisten in die Stilwälder gebracht werden. So ein Slick im Stilwald könnte ja auch keine Stilbereicherung des Stilbiotops sein: Stilregenwürmer, Stilasseln, Stilnacktschnecken darunter, ein bissl Stilwasser drinnen, Stilspinnweben, Stilwasserläufer, Stilkaulquappen, Stillibellen. Die Stilwiese ist alles nur nicht grün, der Stilpurismus, hier ausschließlich visueller Stilumgang, hat sich durch das Stilbildhafte dem Stilwesen der Stilnatur, dem üppig-wuchernden Stillebendigen, genähert. Die stilisierte Stilnatur im Stilblumenkistl, Stilvogelkäfig, Stilaquarium ist offensichtlicher Stilersatz, Stilreduktion (...)








Wettbewerb Urnenfriedhof

[116]


Es ist eine allgemeine Frage der Planung, wie eine Fläche -- ein städtisches Viertel, ein Gebäude, eine Wohnung, in diesem Wettbewerb die Fläche von ca. 16 Mio. m2 Friedhofsgelände -- organisiert werden kann.

Feststellung: Eigentlich zeigt ein Friedhofplan hauptsächlich Wegerln[117]. So kann das Hinzeichnen von Wegen als wesentlicher Planungsschritt gesehen werden.

Das dafür bekannte Spektrum der Formen reicht von orthogonalen Rastern (vgl. Manhatten oder die Altstadt von Peking) bis zu freieren Wegführungen (wie im englischen / chinesischen Garten), von ideologischen Leitlinien wie dem kurzen Weg[118] bis zur Verschwendung in demonstrativer Achsialität und Hierarchie. Diese Palette erscheint mir als Planungsausgang jedoch eher reizlos.

Die Frage der öffentlichen Nutzung erweitert das Spektrum der Analyse[119], nicht geplante Trampelpfade relativieren offensichtlich jedwedes Konzept. Der generelle Ansatzpunkt für das Entwurfskonzept liegt somit in Überlegungen zum Fragenkreis Endzustandsplanung oder Entwicklungszustandsplanung.[120]

Die Wettbewerbsauschreibung forderte -- quasi als Annex zum Projekt -- einen Vorschlag für eine mögliche Teilung in einzelne Bauetappen. Die Formulierung erinnert lediglich ans Würstelstandl: "Wolln S'es ganz oder aufg'schnittn?"[121] Das Projekt reagiert nichtlinear, offen:

Als wesentliche Voraussetzung für eine prozeßhafte Entwicklung am Grundstück postuliert dieses Projekt eine freie Platzwahl der Grabstellen durch die Benützungsberechtigten[122] und unterstellt, daß eine freie Platzwahl ein eigenständiges Erscheinungsbild mit sich bringt[123]. Durch diese Art einer Mitbestimmung wird vorerst eine Parkanlage mit angenommen loser Streuung der Grabstellen, u.U. auch mit Grabgruppen (Häufungen), entstehen. Bei zunehmender Anzahl der Grabstellen verkleinert sich die vorerst als Verkehrsfläche dienende Wiese, die Frequenz steigt.

Als Erweiterungskonzept wird also eine "irreguläre" Verdichtung über das ganze Grundstück vorgeschlagen -- was durch die geringen Anforderungen an die Infrastruktur[124] spezifisch naheliegt.

Der zeitliche Ablauf wird räumlich nicht additiv interpretiert; es werden also nicht drei Bauabschnitte wie Kübel nebeneinandergestellt, die dann nacheinander kontinuierlich von unten nach oben vollgefüllt werden. Dieses Projekt zeigt eine Planung für prozeßhafte Entwicklungen, es werden Spielräume geschaffen bzw. angeregt.[125]

EDV-Konzept und Arbeitsschritte:

Im Wesentlichen wurde ein reines Bildverarbeitungsprogramm[126] angewendet, eine rein grafische Manipulation von Pixel(-Daten) vorgenommen.

Der Lageplan der Ausschreibung wurde gescannt (als Bildpunkte *.img gespeichert). Unbrauchbares (z.B. Rasterlinien der Vermessung) wurden in einem Fenster markiert und elektronisch herausgeschnitten.

Als weitere Vorbereitung folgte ein Arbeitsschritt, den ich ausnahmsweise einmal als künstlerische black-box behandelt wissen möchte, weshalb ich keine weitere Auskunft darüber gebe.[127] Das Ergebnis war, daß im Fenster des gescannten Lageplanes, verschiedene Gruppierungen von Pixel- Punkten am Bildschirm in generierten Anordnungen, gleichsam in einem zusätzlichen layer, abgelegt waren.

Der somit ergänzte Datensatz wurde nun mit Hilfe einiger der Funktionen des Bildverarbeitungsprogramms manipuliert:[128]

Die anfangs generierten Striche wurden im Fenster so stark vergrößert (scaling)[129] bis sich die generierten Striche am Monitor als Würfelansammlung deutlich manifestieren.[130] Die Orthogonalität der Würfelansammlung ergibt sich durch die Pixelpunkte, die Rasterpunkte des Bildschirms.

Angesichts der prachtvollen Würfelansammlungen wird in Zusammenschau mit der Wettbewerbsausschreibung (Typologie und Maßvorgaben für die Grabstellen[131]) die Um-/ Neuformulierung der Punkte vorgenommen (1 Pixel = 1 Grab[132])

Daraufhin wurde der Zoom so ausgewählt und eingestellt, daß die Würfel als Gräber maßstäblich eingepaßt sind.[133]

Im Fenster des Lageplanes wurde nun allen Eintragungen (generierte Striche/Pixel = Gräber) die Farbe weggenommen und dann wurde das Bild durch graduelle Farbzugabe (set color[134]) neu aufgebaut[135]. Durch Zugabe von Farbe erscheinen die Punkte am Bildschirm nach und nach.

Das Phänomen der Visualisierung der Punkte auf diese Weise regte nun dazu an, die zeitliche Abfolge ihres Auftritts am Monitor als Simulation für eine Entwicklung bei freier Platzwahl[136] zu lesen. Somit ergabt diese Simulation aber auch das formale Konzept, das Grundrißmuster für die Gesamtanlage.[137]

Der schnelle Trugschluß würde nun das Modell nehmen und sagen, vielleicht könnte der Urnenfriedhof im Endzustand so aussehen, das letzte Bild ist der geplante Endzustand, die 7.000 vollgefüllten Gräber.

Bis zu diesem Planungs-Entwicklungsstand erschien es klar, daß es Gräber (Punkte) gibt, für deren Situierung es ein Simulationsmodell gibt. In der Bilderabfolge fällt auf: Je mehr Pixel (Gräber) kommen, desto dichter wird die Anordnung. Aus den vereinzelt verstreuten Punkten entstehen zusehends zusammenhängende Netze, im Auge springt das Positiv-Muster in ein Negativ-Muster um, die Maschenweite verengt sich nach und nach.





Dieses Überspringen im Auge zu einer vernetzten Sehweise legt optisch nahe, die nun zusammenwachsenden einzelnen Punkte = Gräber als Netz = Wegenetz zu interpretieren. Die Summe der sich aneinanderreihenden Punkte (Gräber) ergibt Linien (Wege). Die INTERAKTION deklariert[138] also die Grabplatten als Wegelemente und kommentiert nun diese Leseweise :

· In alten Kirchen wird seit Jahrhunderten über Grabplatten gegangen.

· Grabplatten haben den jeweiligen Urnenschacht als Fundament. Der Weg braucht keinen eigenen Unterbau, Marmorgrabplatten sind gute Gehoberflächen. Schotterung bzw. Asphaltierung wird gespart.

· Die Flächenbilanz wird optimiert, indem eine Doppelnutzung (Grabfläche = Wegfläche) praktiziert wird[139], was als overlapping of functions ein bekannter Architekten-Trick ist. (So können statt der geforderten 7.000 Grabstellen leicht 10.000 und mehr erreicht werden.)

· Das Normierte (Grabgröße[140]) ist öffentlich, das Serielle (7.000 Grabplatten) wird aneinandergereiht (Weg).

· Die Restflächen neben Grab = Weg sind Grünflächen. Nicht seriell, ist sie die eigentliche private (gestaltete und gehätschelte) Zone; sie ist aufgewertet, da sie nicht mehr der Einrahmung der Grabstelle, nicht mehr der Grenzbildung zum Nachbarn dient.

Somit ergibt sich ein weiterer Ansatz (für eine weitere INTERAKTIONs-Schleife) zur Entwicklungszustandsplanung bzw. zur Lösung der Frage der Vorleistungen: Nur dort, wo Gräber sind, wird gegangen, und genau das liefert ja das overlapping. Das legt aber auch klar fest, daß keine Wege-Infrastruktur hergestellt wird, bevor überhaupt ein Grab da ist[141]. Die (Wege-)Infrastruktur ist nicht mehr Prämisse, sondern Folgeerscheinung.

In Fortsetzung des Konzepts der freien Standortwahl sollen auch die Grabstellen selbst und weitere Einrichtungen einer dynamischen Formgebung in interaktiver Planung entspringen. Eine Simulation soll die Ergebnisse individueller Formgestaltung durch die Benützungsberechtigten demonstrieren. Das betrifft Grundrißform, Höhenentwicklung, Material etc.[142]

Auf weitere Zooms der Grabplattenanlage wurden neuerdings Formen kopiert, die Verschiedenes sein könnten: Grünpflanzen, Grabsteinformen, Papierkörbe etc. Es sind wieder CPU-generierte Zufallsformen. Die Schnitte illustrieren eine individuelle Höhenentwicklung durch Grabsteine, Bepflanzung etc.

· Zur Konkretisierung der konturierten Schnitte wird festgelegt, daß der jeweilige Aushub im Umfeld des soeben ausgehobenen Grabes liegen bleibt.[143] Daraus ergibt sich, daß später errichtete Grabstellen bzw. Verkehrsflächen etwas höher zu liegen kommen.

· Ebenso eine Verteilung by random erhalten die von der Friedhofsverwaltung vorgesehenen Bänke, Großbepflanzungen, etc., sowie die Orte für die Kompostierung von Kränzen und Pflanzen.[144]

· Die Planung für die Urnenaufbewahrung und Aufbahrung erfolgt durch digitale Bildverarbeitung eines entsprechenden Arbeitsmodells: Styroporrresteln + Papierschnitzel, ohne gezieltes Arrangement, werden gescannt.[145] Das Ergebnis entspricht in seiner formalen Offenheit der freien Entwicklung der Gräber- und Wegeflächen.

· Als Wasserentnahmestellen sollen an drei zentralen Stellen große Beregnungsanlagen installiert werden, die in der Früh das ganze Areal nach Bedarf besprengen. Für Schnittblumen sind hier auch Wasserhähne vorzusehen.

Diese simulierte Planung zeigt mehrere Orte, vermutlich zur Trennung der einzelnen Verabschiedungszeremonien.

Kommentar: Phänomenal an diesem Projekt ist, daß kein einziger Strich manuell gezeichnet, keine Form im Hirn entwickelt, alles CPU-interaktiv generiert wurde.

So erklärt sich u.a. die Orthogonalität des Wegenetzes aus der digitalen Bildverarbeitung und den dabei am Monitor auftretenden Bildpunkten (Pixel). Die Spekulation, ob die Orthogonalität bei Realisierung ebenso dominant sein könnte, mag ein Hinweis sein auf die hier vorliegende spezifische Beziehung zwischen Planungsprodukt und realer Entwicklung.

Das Bildergebnis dieses Projektes ist nicht wie üblich zu verstehen, daß es in dieser Form in Realität übergeführt, ausgeführt werden soll. Es ist exemplarisch und demonstriert durch das Programm für digitale Bildverarbeitung graphische Spielräume. Es ist das Ergebnis einer Simulation; offensichtlich überzeugend, auch im Formalen. Nur darf man sich nicht verleiten lassen, dieses als Endprodukt anzusehen, es als solches in die Realität übertragen zu wollen.

Schön zu sehen und als Anregung (INTERAKTIONs-Schleife) zu verstehen ist die Inhomogeneität des Netzes in der Verteilung am Grundstück und in der Frequenz. Was anhand dieser unkomplexen Planungsaufgabe demonstriert ist: Selbst Urnen und Marmorplatten sind nicht unbedingt unverrückbar.

Das Problem bei offenen Systemen in der Planung ist offensichtlich: Ein Bauherr, der sich eine Planung (Produkt) bestellt, will wissen, was es sein wird, wie es aussehen wird. Zudem will die Architektur per üblicher Definition ja selbst eine Form, eine Funktion etc., und alle Versuche hier herauszukommen sind in der Planung und in der Realisierung diffizilst[146], was dem deterministischen Pragmatismus wiederum recht zu geben scheint, womit dann selbst in der Planung alles bleibt, wie es ist, weil in einem pragmatischen Determinismus sich allseits (auch vom Planer) leicht formulieren läßt, hingegen ein laufendes System für den Bauherrn und für alle, die involviert sind, eine unheimliche Unsicherheit bringt, weil sie nicht wissen, was dabei herauskommt, und was das dann überhaupt kosten wird. D.h. wenn ich einen Wettbewerb abgebe und sage: "Wir brauchen nicht zu planen, es wird nach Gutdünken der Benützer entstehen", dann kann es sich niemand von der Friedhof- oder Stadtverwaltung vorstellen.[147]

Der Wettbewerbsbeitrag ist also eine Simulation oder Analogie- bzw. Allegoriedarstellung zu dem, was herauskommen könnte, bei einer freien Ortswahl.[148] D.h. die ganze Arbeit war, das Konzept zu demonstrieren, indem man mathematisch rechnen läßt, am Bildschirm visualisiert: Was dabei herauskommen könnte, kann anhand von solchen Bildern gesehen werden; auch zur Beruhigung der ewig Vorsichtigen, daß nichts passiert, zum Nachweis, daß das eine ganz normale Sache ist und daß man durchaus eine offene Entwicklung frei geben könnte.[149]








Wettbewerb Universität Graz

[150]


Das Raum- und Funktionsprogramm der Ausschreibung zeigte zwei Auffälligkeiten:

1) das Phänomen der großen Zahl: insgesamt ca. 500 Räume (ohne Nebenräume, Gangflächen etc.),

2) die Standardisierung: die Größen der Räume (m2 Anzahl und Raumhöhe) sind konstant: z.B.: Professoren 24, Emeritierte 18, Dozenten 18, Assistenten 12, sonstige (Sekretärinnen) 9 bis 18, Seminarräume 30 etc. Der Unterschied zwischen den einzelnen Instituten bestand in der unterschiedlichen Anzahl an Professoren, Assistenten etc.

Mir schien es vernünftig, so viele Räume seriell vom Computer aufzeichnen zu lassen, anstatt dies selbst mit der Hand zu machen -- was irgendwie nicht meinem Berufsbild entspricht; zumindest nehme ich an, daß große Zahl und vorgegebene Typisierung schlechthin zwei Aspekte, typische input-Elemente für elektronische Datenverarbeitung sind.

Da es derzeit noch nicht möglich ist, die CPU mit einem einfachen command zu veranlassen, eine Universität aufzuzeichnen, ist eine Umformulierung der Bauaufgabe von der üblichen "analogen" Sprache in ein digitales command erforderlich; diese Notwendigkeit sehe ich nicht als Nachteil, daß es eben noch so ist, vielmehr halte ich es für eine Herausforderung an die Architektur, sich selbst und auch die Vorgangsweisen neu zu formulieren; für mich scheint es so, daß der Satz: "Baue eine Universität!" heute eben nicht mehr so leicht.











verständlich ist, es sei denn, man beschränkt sich auf bisherige Gebäudetypen, wofür aber wiederum kein Entwurf erforderlich wäre. Kurzum die Abhängigkeit der Architektur von Sprache und etablierten Vorstellungen läßt sich kulturgeschichtlich -- angesichts von neuen systemtheoretischen Erkenntnissen -- nur mit Krämpfen aufrechterhalten, die CPU fordert hier eindeutig Progressivität.

Mein Entwurf für die Universität ist also die Erfindung einer Verfahrensanweisung an die CPU, die das Raumprogramm aus einer ASCII-Datei in Architektur- Geometrie umwandelt:[151]

Berechne Vierecke!

D.h. im Detail: über Diagonalvektoren die Proportion für die vorgegebenen Flächen festlegen.

Suche Einsatzpunkte!

D.h. (x,y) in einem vorgegebenen Areal (= zwischen xmin/ymin und xmax/ymax Limiten).

Das Ergebnis: Flächenverteilungen by random, alle 500 Räume, vorerst auf einem abstrahierten Grundstück.

Ein zusätzlicher Parameter im Programm rotiert die "Zimmer" um ihren Einsatzpunkt, um einen ebenfalls by random errechneten Winkel. Die Zufallssteuerung beginnt mit dem Start- Datum&Zeitpunkt des Rechenvorgangs. Das ergibt sozusagen jederzeit neue Flächenverteilungen.[152]

Nach anfänglichem Staunen über die Vielfältigkeit macht eine Serie von derartigen Würfelungen aber schnell das Limesbild erkennbar: unabhängig von der Zeit sind die outputs selbstähnlich; auch wenn das Raumprogramm geändert wird, bleibt das Ergebnis mit Unschärfe gleich, woraus folgt, daß der input (die Ausgangsform) eigentlich marginal ist -- es hätten auch andere Raumgrößen, Grundformen sein können. Auch bei näherem Zoom zeigen sich geometrische Regelmäßigkeiten.

Die Analyse der Strukturen zeigt aber u.a. eine besondere Auffälligkeit: die Flächen überlagern sich. [153]

Das ist so evident, daß daran nicht vorbeigangen werden kann. Eine Entflechtung durch Auflösung in mehrere Geschosse ist naheliegend, aber auch eine andere Interpretation scheint weiterzuführen: overlapping of functions, der altbekannte Trick zur Optimierung der Nutzung.[154] Daraus folgt einerseits, daß die gemeinsame Kontur von 2 sich überlagernden Elementen soweit erweitert werden muß, daß die umschriebene Fläche dem Erfordernis entspricht, und andererseits, daß -- obwohl die Ausgangsgeometrie ausschließlich über rektanguläre Elemente verfügte -- nun nach der Überlagerung polygonale Umrisse / Raumkonfigurationen gegeben sind.[155]

Wichtig erscheint mir jeweils die Aufmerksamkeit im Erkennen von dem, was der Computer anbietet,[156] woraus sich die sogenannte INTERAKTION zwischen "Entwerfer" und Computer ergibt: entscheidend ist darauffolgend eine entsprechende Reaktion auf das Angebot, das in den Limesbildern enthalten ist.

Ein weiterer INTERAKTIONsschritt: Nachdem sich das Rechteck durch die Überlagerungen ohnehin schon aufgelöst hat, wird versucht, mit demselben Programm wie vorhin, für die Flächenwürfelungen jedoch leicht modifiziert, nun anstelle von rechteckigen Vierecken nur L- förmige oder auch zickzack- förmige udgl. Elemente (welche die gleich großen Flächen indizieren) zu verteilen. Diese ergeben ebenso vorstellbare Grundrißkonfigurationen, welche wie in diesem Fall an "offene Grundrisse" erinnern.

Bei dieser konzeptionellen Offenheit können eigenartige, vorerst unkontrollierte Vorfälle eintreten, wofür eventuell interaktiv im Programm korrigiert wird, noch unter dem Motto Nutzgerecht aber ohne Vorbild.

· Soferne der Flächenberechnungsvektor zufällig nahe bei 0° bzw. 90° liegt, entstehen sehr schmale Zimmer (z.B. Professor 0,5*36 m = 18m2); ein zusätzlicher Parameter verhindert, daß die Räume funktionsfremde Proportionen erhalten.

· Die Einsatzpunkte können so nahe der Grundstücksgrenze liegen, daß (speziell bei Rotationen) die Baugrenzlinien überschritten werden, was durch engere Einsatzpunktbereiche oder durch Einschränkung der Maximalwerte leicht verhindert wird.

· Theoretisch könnte der Fall eintreten, daß die Räume für alle Sekretärinnen in einer Ecke des großen Grundstücks zu liegen kommen und die der Professoren diametral in einer anderen. Indem nicht alle Einzelräume auf dem Gesamtgrundstück verteilt werden, sondern vorerst nur die Institute und in diese hinein dann die dazugehörenden Räume, ergeben sich "funktionellere" Zuordnungen.[157]

Eine weitere interaktive Auswirkung hatte die damalige (1985) 2- 1/2- D Technik, welche für die Ansichten, Axonometrien und Perspektiven angewendet wurde: Die Polygone wurden damals hochgezogen - wie parallele Wandstreifen. Um das Konzept des Null- persönlich- Entwerfens (Aufhebung der individuellen Signatur) fortzuführen, wurde in Analogie dazu das Modell ebenso aus Papierstreifen zusammengebaut, was -- durch Fehlen der Zwischenböden -- das Grundrißkonzept der Flächenwürfelungen besonders direkt veranschaulichte.

Die Technik der hochgezogenen Polygone hatte auch weitere Auswirkungen: Der Entwurf zeigt am nördlichen Gebäudeende in der Dachzone einen gekrümmten Wischer, wie eine flache Banane. Dieser vorerst eigentlich wenig bedeutsame Bauteil (entwickelt in einem Arbeitsmodell) erfuhr durch den Aufbau des Grafikprogrammes eine eigenartige Entwicklung: Gekrümmte Linien werden als Polygonzüge verarbeitet, das Hochziehen baut auf jeden Grundrißpunkt die thickness auf, d.h. generiert einen dazugehörigen, höherliegenden Punkt, beide Punkte werden durch eine Kante verbunden. Durch die vielen Kanten (wegen der vielen Einzelpunkte des Polygons) erhält nun der ursprünglich zarte Wischer mehr optisches Gewicht, der Bauteil wird dominant. Das Programm hat also angeboten, die INTERAKTION hat acceptiert, zumal das Projekt keine Einwände erhob.
In diesem Sinn wurden natürlich auch keine Fassaden entwickelt, d.h., die wireframe-elevations wurden zu Ansichten deklariert: Die vielen Striche, auch Kanten in der Tiefe des Gebäudes, werden als

"sichtbare hidden-lines" verstanden, d.h., sie werden in die Bildebene des Gebäudes vorgezogen.
Das hiermit erprobte neue Verständnis von Strichen (sie dort zu verwenden, wo man sie braucht, und nicht dort, wo sie sind) wurde weiterverfolgt, mit der Konsequenz, daß Grundriß, Ansicht, Perspektive, Modell divergieren, was ich in späteren Projekten zur Normalität erklärte, da es sich dabei einfach um mehrere Aspekte von Architektur handelt, und ich heute die Einheit von Raum und Zeit nicht mehr postuliere.
Das Projekt hat zumindest einen Ankauf erhalten, weil die Jury meinte: "Das Projekt zeichnet sich aus durch die gelungene Einfügung in das städtebauliche Ensemble hinsichtlich Dimensionierung und Strukturierung der Baukörper."[158][159]

Daran hatte ich bei der Entwicklung des Projekts eigentlich nie gedacht! Klar wird wie unterschiedlich Behauptungen sein können. Natürlich hat das genausowenig mit dem tendenziösen Formal- Dekonstruktivismus oder der Grazer Schule zu tun. Es waren die Algorithmen. Die CPU hat -- im Gegensatz zu den klassischen Architekten -- keine Formkonzepte.

Es hat sich herausgestellt, daß dieses Projekt exemplarisch für das ist, was ich unter Verfahrensanleitung und Datenmanipulation[160] verstehe, und es zeigt auch sehr konkret, wie eine computergenerierte Architektur entstehen kann. Viele der Formulierungen von "das BINÄRE HAUS & die INTERAKTION" basieren auf den bei diesem Projekt erarbeiteten Erfahrungen.








So kommen die Häuser auf die Wiese

[161]


Das Projekt Seiersberg wurde primär am Bildschirm interaktiv generiert.

Farbliche und strukturelle Pixelanordnungen konzipieren das Projekt als Ergebnis von Befehlen wie: insert, shift, setvar, double, dynamo, donut, cancel etc.

Hier auf der Abbildung (Reproduktion vom Bildschirm) sind erkennbar: Punkte, Striche, Flächen, Netzwerke.

Der Entwurf existiert simultan in vielfältigen virtuellen Bildern.

Der Datensatz ausgedruckt als Bild ist Eselsohr zum räumlichen Modell.

Der Ausdruck ist im jeweils behaupteten Maßstab immer ebener Riß und räumlicher Fetzen.

Das Modell liest Striche als Baukörper oder als Straßen, als Bananen und Zitronen, kurzum als Bebauungsplan Seiersberg.

Zum leichteren Verständnis in der Ablesbarkeit durch noch gängige Sehgewohnheiten und für eine angenehme Wohnqualität erhält jede Wohnung eine eigene Eingangstüre.[162]










Die Schüssel und das Fetzenlaberl

[163]

Zur Situation:
Im elektronischen Zeitalter ist fragwürdig, wie weit die bisherigen, historisch weit zurückdatierenden Architekturtheorien noch Anwendung finden können. Sie sind aus den unterschiedlichsten kulturellen Konditionierungen und Intentionen entstanden: inhaltsbetont (Architektur der Mächtigen, Architektur ohne Architekten), strukturbetont (Sprache, Geometrie), materialbetont (Lehmbau, Glasarchitektur). Daraus läßt sich nur eine pragmatische Theorie für den Computereinsatz in der Architektur fortspinnen.

Die Verwendung des Computers im Rahmen der Architektentätigkeit ist heute noch weitgehend umstritten, nicht nur aus Mangel an einer progressiven Theorie, sondern auch aus Gründen des primär akademisch-konservativ-klassisch-charismatisch geprägten Berufsprofils der Architekten. Obwohl Techniker, haben die Architekten Berührungsängste gegenüber diesem, heute wohl virulentesten Teil der Technik. Werden die Architekten die letzten Handarbeiter sein?

Anfangsschwierigkeiten und Orientierungslosigkeit bei Einführung von neuen Technologien sind legendär und bringen eine breitgefächerte Ablehnungsfront mit sich. Der Narrenkastl-Kalauer: "Das ist ja ein Blechtrottel, da kann nur herauskommen, was man eingibt", stimmt, soweit die CPU nur pragmatisch, imitativ verwendet wird[164]. Mystifizierung und Verteufelung des Neuen sind im Grunde genommen Schutzbehauptungen des konservativen Creator- Architekten, der pygmalionartig alles für sich beansprucht, narzistisch auf sich bezieht, der sich dem Medium nicht ausliefern, sich nicht entäußern will. Die Große- Bruder- Ideologie, die Manipulierbarkeit von Daten werden vorgeschützt. Achtung: Virus! -- Er könnte auch die persönliche Handschrift befallen!

International betrachtet gibt es in der Architekturproduktion, zumindest in der pragmatischen Anwendung, bereits weitreichende Praxis und Akzeptanz der neuen Gegebenheiten. In Österreich hinkt die Entwicklung nicht zuletzt deshalb hinten nach, weil diesbezüglich auf den Architekturfakultäten weder Forschung noch Lehre betrieben wird.[165]

Auch die aktuelle Architekturdiskussion beschäftigt sich nicht visionär wie in den Zwischenkriegs- und teilweise noch in den 60er- Jahren mit Konzepten bzw. Perspektiven spruchreifer Entwicklungen, vielmehr ist ihr das Lavieren über die Frage des Stils wie vor 100 Jahren wichtig.

In der daraus resultierenden Konzeptlosigkeit scheint im theoretischen und teilweise im anwendenden Bereich Einstimmigkeit zu herrschen, formal keine Hexe- Kniesebein- Lebkuchenhäuser zu entwerfen, keine Kinderzeichnungen von Häusern mit Rauchfängen bauen zu wollen. Nirostaprofile, wie Schindeln verwendet, entlarven jedoch den Konsens als vordergründiges Lippenbekenntnis, das Verschimmelungs- Manifest ersetzt ornament und verbrechen.

Ohne eigenen dynamischen Beitrag zur Elektronik, ohne adäquate parallele Entwicklung steht die Architektur unmündig da. Sie ignoriert (nur nicht sich selbst)!

Diese Szenerie sieht sich seit Mitte der 70- er Jahre -- nun Ende der 80- er Jahre schon sehr heftig -- mit den auf allen anderen Gebieten sehr erfolgreich eingeführten Computern konfrontiert, weiß aber nicht damit umzugehen. Die gängige Art der Verwendung des Computers in den Architekturbüros (soweit sich diese überhaupt dazu entschließen konnten) zielt nur auf Imitation von bekannten, bereits praktizierten Arbeitsschritten ab. Dieser pragmatische Einsatz bringt für die Architekturproduktion nichts Neues und geht im Grunde genommen auch am Computer vorbei, der über ein anderes, weitaus größeres Potential verfügt.

Warum hinsichtlich der Entwicklung von neuen Aspekten für die Architekturbranche nichts geschieht, hängt auch damit zusammen, daß z.B. die Softwareerzeuger i.allg. Informatiker sind und nicht Architekten. Ihre Fragestellung lautet nicht: "Wie können Fragen der Architektur gelöst werden bzw. welchen autonomen Beitrag könnte die Elektronik dazu leisten?", sondern: "Wie können EDV und CAD die Architektenarbeit, wie sie derzeit geleistet wird, substituieren?" Sie imitieren daher Arbeitsgänge: Ausschreibungsprogramme als spezifische Anwendung von Textverarbeitungsprogrammen, Hochbaupläne als Anwendung von draw- Programmen, Statik als digitaler Nachvollzug der händischen Berechnung etc. Der Informatiker reflektiert nicht die architektonische Lösung einer Bauaufgabe.

Die Architekten selbst bleiben -- obwohl allgemein mediengeil und von avantgardistischem Selbstverständnis -- im Computereinsatz konservativ. Darüber können auch nicht die vielen bunten Schaubilder und Pseudo- Animationen hinwegtäuschen. Dieses Programm ist aus architektonischer Sicht abgestürzt.

Solange der Computereinsatz lediglich das ohnehin schon Bekannte reproduziert, könnte als Maßstab die Wirtschaftlichkeit gelten: Ist eine händisch gezeichnete Perspektive billiger oder eine CAD- gezeichnete? Auf denselben Punkt läßt sich die Frage des Vorteils der Verkoppelung von einzelnen Teilprogrammen (CAD, Bauphysik, Ausschreibung, Statik etc.) zu einem Programmpaket reduzieren. "Kaufen Sie sich diesen Computer, er nimmt Ihnen die lästige Routinearbeit ab, und Sie haben mehr Zeit für den Entwurf", sagen die Hardware- Vertreter in der Ansicht, Kreativität sei eine Funktion der Zeit.

Es hat für mich den Anschein, daß durch eine originäre Auseinandersetzung mit einer computer- medialen Planungsmethode die Chance gegeben ist, eine Fülle von Fragen der Architektur neu zu stellen und neue Orientierungen zu finden. Änderungen stehen ins Haus, Paradigmensprünge vor der Tür.

Eine aktualisierte Theorie könnte sich auf Sachverhalte der Elektronik, auf mathematische, auf kybernetische Modelle beziehen. Meine Theorie für Computerarchitektur das BINÄRE HAUS und die INTERAKTION -- basiert auf EDV- strukturellen Vorstellungen und projektbezogenen Erfahrungen, welche die Notwendigkeit geänderter Verhaltensweisen und Denkmuster im Planungsverfahren implizieren. Meine Überlegungen sind aus der Arbeit mit dem Medium, in Verbindung mit einer Methode zu sehen. Das Hauptaugenmerk lege ich auf das Auffinden neuer Manipulationsmöglichkeiten.

Mit dem Begriff BINÄRES HAUS erfasse ich primär den CPU- spezifischen Bereich von CAD- Datenstrukturen unter dem Aspekt von Ordnungen, Geometrien, Erscheinungsformen. Thematisch nicht gebunden hat das BINÄRE HAUS keinen Namen wie z. B. ,,Villa". Es ist nicht gebaute Architektur, es ist ein architektonischer Gedanke. Je weiter dieser das inhaltliche Denkgebäude verläßt, um so konkreter wird das BINÄRE HAUS.

Die INTERAKTION liefert die theoretische und handwerkliche Voraussetzung für einen progressiven Umgang mit der CPU im Planungsprozeß. In der Überwindung retrospektiver Planungsabläufe findet sie andere Ansätze und damit andere architektonische Ergebnisse. Sie manipuliert das BINÄRE HAUS -- auch ohne "architekturspezifische Programme.

Jenseits der herrschenden imitativ- pragmatischen Planungsideologie ist der interaktive Umgang mit der CPU ein methodischer, konzeptioneller Ansatz für eine autonome Architektur. Das Formenvokabular liefert die CPU- Struktur.








Das binäre Haus / Projekt

[166]

Der direkte Vorläufer ist bekannt: die Hybridarchitektur (1981 noch eine 2-dimensionale Formenüberführung). Nachdem wir zwischenzeitlich den Architekturgenerator als selbstentwickeltes Programm (Cezet Zechner) für ZUG-ZOOM-SCHÖN-SCHNELL (1987) eingesetzt hatten, stand 1988 schon ein gut entwickeltes 3-D morphing-programm von Aegis zu Verfügung.

Die Randbedingung für Aegis war, daß beide Grundformen dieselbe Anzahl an Polygonen (Flächen) und dieselbe Anzahl an Punkten aufweisen mußten. Da es nicht systemkonform wäre, dies analog zu entwickeln, wurden diverse Dateien danach durchsucht; schließlich wurde die CPU in einem Datensatz von der Umgebung eines Wettbewerbsareals in Vorarlberg fündig: Ein Pfarrkindergarten und ein Zweifamilienhaus erfüllten die Bedingungen!

Im Morphing läßt sich die Anzahl der Überführungsschritte festlegen und mit jedem Schritt auch die Perspektive ändern. Flächen mit einer Punktreihenfolge gegen den Uhrzeigersinn waren nicht sichtbar, wodurch bei entsprechendem Blickwinkel einzelne Flächen verschwanden, was zur raschen Auflösung der vorerst kompakten Baukörper wesentlich beitrug.

Zu den so zusammengefügten gemeinsamen Daten wurden noch gerade verfügbare, entsprechend getrimmte Daten von einem Fitness-Center zusätzlich dazugemischt. Da bei den vielfachen Verformungen auch für das geübte Auge das Erkennen von Entwicklungsstufen schwierig ist, wurden schließlich noch einige objekthafte Markierungen implantiert, sodaß in Summe vier Datensätze transformiert wurden.

Hier entstand die wesentliche Formulierung, daß der input für den output gleichgültig ist.[167]

Auf dem Gesamtplan sind einige Entwicklungsschritte nachvollziehbar. Sie sind jedoch auch im zeitlosen Nebeneinander, als simultan vorhandene Zustände lesbar.










Das binäre Haus & die Interaktion / Theorie

[168]

Das binäre Haus:
Das BINÄRE HAUS existiert nur in der CPU. Hier wird eine eigenständige Architektur generiert. Die Spielregeln der Kommunikation sind nicht mehr durch Emotionalität und Subjektivität, sondern durch Eigenschaften der CPU geprägt.

Der Grafikmodul der CPU bildet am Monitor aus den rot- grün- blauen trio- pitches des Elektronenstrahls die pixel. Die Größe der pitches bedingt der Monitor, die Größe der pixel die Auflösung des Grafikmoduls bzw. des Programmes. Aus ihnen sind entsprechend den Programmeingaben Buchstaben, Ziffern, Punkte, Striche, Flächen zusammengefügt.

Ein Datensatz der CPU kann am Monitor unterschiedlich in Erscheinung treten: im Hexadezimal-, Binär-, ASCII-, List-, Grafik-Modus, etc.

Die pragmatische Sehweise verwendet Zeichen, die etwas darstellen sollen, als Bedeutungsträger. Im konventionellen Plan legen bestimmte, gut eingespielte Konventionen fest, wie Buchstaben zu lesen sind, z.B. als Wort, Striche, z.B. als Blattrand, ein Strichpaar z.B. als Wand. Dabei ist jedoch der Wille zur Kommunikation vorausgesetzt. (Warum wird das Strichpaar am Blattrand jedoch nicht als Mauer gelesen? Richtig verstehen zu wollen, setzt einiges an Gutmütigkeit voraus.)




Im Kontext des binären Hauses sind den Zeichen des Datensatzes Bedeutungen nicht immanent. Striche sind vorerst wirklich nur Striche, haben visuelle Bildhaftigkeit, meinen nichts. Striche sind Fahrer über den Bildschirm.

Binäre Striche sind inhaltsentleert: Nicht einmal mit der Lupe oder mit einem extremen Zoom kann ich da ein Inhalt finden!





Weil sie keine Bedeutungsträger sind, nicht vorbelastet sind, sind sie leicht manipulierbar. So können sie beliebig kombiniert gelesen werden: als Einzelstrich, als Strichpaar, als Raster; räumliche Striche können flächig gelesen werden und vice versa. Da es keine Lese- Konvention gibt, erfordern sie ein aktives Verständnis.

Ein Punkt erscheint in allen geometrischen Darstellungen als Punkt (vgl. eine Kugel). Daraus folgt für den Monitor, daß idente pixel gleichzeitig ihr eigener Grundriß, Aufriß, Schnitt etc. sind. Daher können die Striche, die Pläne des binären Hauses gleichzeitig als Grundriß, Aufriß, Schnitt, Axonometrie, Perspektive - quasi multivalent - angesehen werden.

Typisch für das BINÄRE HAUS ist das Scintilieren der Bilder im Auge. Die Bilder sind nicht eineindeutig, nicht eindeutig. Mehrdeutig jeweils ergibt der Augenblick die Interpretation, die Verwendung, die jeden nächsten Moment andere sein könnten.

Datenfiles von Koordinaten können z.B. in ein Musikprogramm geladen und als Melodie wahrgenommen werden. Ob Grafik oder Musik, sie sind nicht Darstellung eines vorher Unartikulierten, sie sind selbst Erscheinung, wie die Koordinaten auch selbst Erscheinung sind.

Striche sind nur eine Erscheinungsform des binären Hauses -- sie dienen der visuellen Vorstellung und Präsentation. Die visuelle Orientiertheit findet die instant info des comicstrips.

Das Formenvokabular des binären Hauses liefert das Programm: Verfügt ein Zeichenprogramm nur über Würfel als Kubaturen -- ist der Entwurf ein Würfel. Das Quadrat des gezoomten pixel ist nicht die reduzierte Form der klassischen Moderne, nicht Ausdruck wie bei Loos, Malewitsch oder Mondrian.

2- D- Striche am Monitor oder plot sind 3- D- Koten im Datenfile. Die Punktdatei wird je nach Programm durch verbindende Linien, durch 3- Eck- Flächen oder durch einfache stereometrische Körper zu einem Objekt strukturiert. So ist im Datenfile das BINÄRE HAUS definiert, insgesamt ist es in der CPU virtuell vorhanden -- komplett! Daß das BINÄRE HAUS komplett vorhanden ist, ist ein wesentliches Merkmal.

Daher lassen sich nach Belieben viele Bilder (Schnitte, Risse, Axonometrien etc.) des latent präsenten "Baukörpers" unmittelbar auswerfen, z.B. eine Serie von Perspektiven aus verschiedenen Standpunkten. Sie sind Ausschnitte des in der CPU simultan vorhandenen Materials. Die Präsentation für das Auge ist augenblicklich (präsent).

Abgerufene Bilder sind gleichwertig. Ein Grundriß ist ebenso eine willkürlich spezifische Ansicht wie eine beliebige Perspektive oder Axonometrie, gleichgültig ob wire- frame, hidden- line oder solid.

Solche essentiellen Eigenschaften der CPU lassen bereits die Eigenschaften des binären Hauses und seine spezifische Architektur erkennen:

Der absolute Maßstab für die Pläne des binären Hauses ist ein pixel, für die CPU ein bit. Das BINÄRE HAUS selbst hat -- obwohl vorhanden -- keine Dimension. Die Dimensionslosigkeit steht in direkter Relation zur Namenlosigkeit der Striche. In der Dimensionslosigkeit hat die Behauptung einer bestimmten Größe den Stellenwert außenliegender Selektion.

Die ohne Aufwand erzielbare große Menge an Perspektiven, läßt den Standpunkt in der Architektur verschwinden. Die Vielzahl der Perspektiven ermöglicht die Auflösung der einfachen Stereometrien zu komplexen Gebilden und führt schließlich zur Animation.

Das Zoomen (in die Tiefe), das Shiften (auf und ab, rechts und links) nehmen der Architektur den Ort: die Orientierung erfolgt nicht mehr auf Grund von räumlichen Zusammenhängen -- es gibt keinen Blattrand mehr, Süden und die Hölle sind nicht unten! Der architektonische Ort, schon lange nicht mehr sakral, vernichtigt sich. Selbst ohne Ort befindet sich das BINÄRE HAUS in einem ebensolchen Umraum. Hier ist die Dislokation ein häufig auftretendes Phänomen.

Wie durch die Namenlosigkeit die funktionellen Zusammenhänge aufgehoben werden, sind durch die Dimensionslosigkeit und Ortlosigkeit auch die räumlichen Zusammenhänge gelöst. Räume werden, dem Zentralismus zum Verderb, verstreut, Bauteile auseinandergenommen.

Die CPU arbeitet in Echtzeit bzw. Nullzeit und komprimiert somit die Dauer der Zeit zur Simultaneität, verschiebt eine Vielzahl von zeitabhängigen Kategorien: So hat die CPU keine selektive Erinnerung. Der Speicher arbeitet nicht geschichtlich, macht keine wertende Erfahrung.

Im zeitlosen Raum gibt es keine Erinnerung, keine Lehre aus der Geschichte. Im Raum ohne Bedeutungen gibt es keine Bewertungen. Somit fehlen die Grundlagen für eine Ableitbarkeit. Das BINÄRE HAUS ist nicht hereditär, schlicht und einfach grundsatzlos.

Die Aura der Raumqualität, außen und innen, sich öffnend / schließend, Intimität und Öffentlichkeit, Gemütlichkeit und Agoraphobie, verbleiben nun nur mehr den Kommentatoren als sprachliche Relikte und Accessoires.

Der besseren Unterscheidbarkeit der vielen Striche am Monitor dienen die Farben und Muster. Die rot- grün- blauen Farben des trio- pitches sind Faktum, nicht Farbkonzept. (3D- Flächen werden von der CPU automatisch gerastert, nicht vom Fliesenleger !)

Die CPU zeigt Monitor-Bilder nur nacheinander, sie wechseln sich ab, indem sie wieder verschwinden oder sich überlagern. Dadurch haben sie -- obwohl sie am Monitor optisch wahrnehmbar sind -- musikmediale Eigenschaften. (Plots und prints hingegen sind bildmedial, nebeneinander gleichzeitig sichtbar.)

Diese Eigenschaften (der Status) des binären Hauses zusammengenommen bilden seine qualifizierte Abstraktion, sein Hauptmerkmal. Das BINÄRE HAUS ist gegenstandslose Architektur. Diese Architektur ist zeitlos. Sie ist das durch CPU- Filterung entstandene Extrakt. Es ist entmaterialisiert und dem Zweck entfremdet, ist befreit von der "Pflicht" der architektonischen Beweisführung.

Die pure Striche- Konstellation bietet eine neue variable Relation von Abstraktion und Konkretisierung: Sie verlangt nicht nach einem vorweggenommenen Ergebnis. Strich ist gleich Strich bietet keine andere, neue Vorstellung, sondern eine Null- Vorstellung.

Diese spezifische Sehweise des CPU- outputs -- das BINÄRE HAUS -- ist Vorbedingung zur INTERAKTION. Das aktive, produktive Lesen ist hier erforderlich, nicht die Abstimmung hinsichtlich irgendeiner Richtigkeit.

Das BINÄRE HAUS ist real, sofern Bereitschaft besteht, seine Eigenheiten anzuerkennen. Dem konventionellen Vokabular wird der Begriff der Komplexität zu Hilfe eilen, um die vielschichtigen Zusammenhänge der gegenstandslosen Raumvorstellungen zu beschreiben.

Axiome im binären Haus

1 Das BINÄRE HAUS existiert nur in der CPU.

2 Binäre Striche sind inhaltsentleert.

3 Pläne des binären Hauses sind mehrdeutige Risse.

4 Das Formenvokabular des binären Hauses liefert die CPU.

5 Das BINÄRE HAUS ist in der CPU komplett vorhanden.

6 Die Präsentation für das Auge ist augenblicklich (präsent).

7 Abgerufene Bilder sind gleichwertig.

8 Es ist selbst ohne Ort in einem Umraum ohne Standpunkt.

9 Die Namenlosigkeit der Striche läßt sie ohne funktionellen Zweck.

10 Das BINÄRE HAUS selbst hat keine Dimension.

11 Die CPU komprimiert die Dauer der Zeit zur Simultaneität.

12 Monitor-Bilder sind musikmedial, plots und prints bildmedial.

13 Das BINÄRE HAUS ist gleichzeitig & zeitlos, nicht hereditär.

14 Das BINÄRE HAUS ist gegenstandslose, entmaterialisierte Architektur.

15 Ein binäres Haus ist baubar.

Interaktion

Die INTERAKTION manipuliert das BINÄRE HAUS.

Sie liefert die theoretische und handwerkliche Voraussetzung für einen progressiven Umgang mit der CPU im Planungsprozeß. In der Überwindung retrospektiver Planungsabläufe in der Architektur findet sie andere Ansätze und damit andere Ergebnisse.

Der Interaktivist beteiligt sich nicht am Mythos, daß durch Analyse / Synthese der stationäre Charakter von Planungen verlassen werden könnte, vielmehr nimmt er in unterschiedlicher Weise spezifisch elektronische Elemente in die Planung hinein, sieht zu, was dabei herauskommt. Für ihn gibt es a priori keine vorgefaßten Bilder. Er bleibt Hedonist.

Beim interaktiven Arbeiten wird eine Bisotiation der CPU und des Planers eingeleitet, um durch Verbinden von zwei nicht zusammenhängenden Faktoren zu einer einheitlichen neuen Vorstellung zu gelangen.

Die Verknüpfung des Auftrages: "Baue eine Villa!" mit dem alten Gassenhauer "Bauen heißt Ordnen!" läßt sich als beispielhaftes gedankliches Konstrukt für den Beginn einer interaktiven Manipulation heranziehen:

Ein Blick in Stadt und Land zeigt, was Bauen bisher bedeutete. Unabhängig davon ist das Ordnen von Daten die ursprünglichste Funktion der EDV. In der Bisotiation kann ich mir nun natürlich von der CPU ihr inhärente Ordnungen als bauliche Anordnungen z.B. durch folgende commands servieren lassen:

· Ordne das Haus nach Materialien!

· Ordne das Haus nach Baustoffpreisen!

· Ordne die Zimmer nach m2- Größe!

· Ordne Zimmer alphabetisch!

Dieser Prozeß umgeht bzw. eliminiert ohne geringste Anstrengung ratzeputz sowohl alt eingesessene Villa- Vorstellungen als auch penetrant gebräuchliche Architekturmuster, wie etwa Funktionalismusgläubigkeit, Formenfetischismen oder Zwänge der Ökonomie.

Der Prozeß der interaktiven Bisotiation setzt als erste Bedingung die Loslösung des Planers von inhaltlichen Attitüden voraus, wobei die wertneutrale Struktur der CPU Unterstützung bietet. Dieser Distanzierung und Abnabelung von gewohnten Planungs- und Denkschemata kommt wesentliche Bedeutung zu, da erst dadurch ein ungezwungenes Vorgehen in den folgenden Phasen ermöglicht wird.

Eine weitere Voraussetzung für die interaktive Bisotiation ist die untendenziöse Verwendung der CPU, nämlich sie in ihrem ureigensten Metier (im gegebenen Beispiel: ordnen) einzusetzen, sie zu verwenden als das, was sie ist (Rechner, Speicher), ohne ihr Teleologien überzustülpen.

Die INTERAKTION schließt von sich aus, von vornherein, nichts aus. Die CPU- Kompatibilität wirkt als einziger Filter. Alles Dahergelaufene ist willkommen, zumal es weiterführen kann.

Sie benötigt nicht architekturspezifische Programme, bedient sich vorteilhafterweise vorhandener Programme, auch artfremder Natur, und wird sich fallweise eigene schaffen.

Welches Programm läuft, wird bei der Umformulierung bestimmt: Der ursprüngliche Auftrag: "Baue eine Villa!" im Analogsystem wird im gegebenen Beispiel als Formulierung: "Bauen heißt Ordnen!" im interaktiven Digitalsystem zum command.

Die Umformulierung muß sich u.U. an der zu Verfügung stehenden hardware, kann sich aber auch an Programmen orientieren.

Hier erfolgt sie durch Abstraktion. Es können beliebige andere Kriterien angewendet werden: Adaption, Assoziation, Generalisierung, Kombination, Modifikation, Spezifizierung, Substitution etc.

In einem ersten Arbeitsschritt muß also eine Bauaufgabe, ein architektonisches Problem, umformuliert werden, um für die CPU verständlich zu sein, damit sie überhaupt manipulierfähig wird. Dieser erste Schritt ist nicht nur die Aufarbeitung für die CPU, sondern erfordert parallel dazu den Wechselschritt des Planers von der inhaltlich- analogen zur interaktiv- digitalen Planungsmethode.

Allein diese Notwendigkeit der Umformulierung der Aufgabenstellung bringt einen Paradigmensprung im architektonischen Denkkonzept mit sich und gleichzeitig eine andere Architektur.

Eine sehr präzise Beschreibung des Übergangs vom analogen Entwerfen zur Vorgangsweise im interaktiven Konzept findet sich in folgender Gegenüberstellung:

    

"To sketch ... is to transfer ideas from the mind to the paper ... to blot is to make varied spots ... producing accidential forms ... from which ideas are presented to the mind ...; To sketch is to delineate ideas; blotting suggests them". (A. Cozens: A new method of assisting the invention in drawing original compositions of landscape, 1785)

Der Entwurf ist der Transfer von Ideen vom Hirn aufs Papier ... die INTERAKTION macht verschiedene bits & pixel ... produziert zufällige Formen ... von welchen dem Hirn Ideen präsentiert werden ... Entwerfen stellt Ideen dar, begrenzt sie, die INTERAKTION schlägt sie vor. Darin versteckt ist der- wenn einmal erkannt - relativ einfache aber radikale Schritt weg vom kreativen Anthropozentrismus.

Die CPU produziert z.B. mit Hilfe des Ordnen- Programms eine Anzahl von losgelösten accidential forms, Formen, die nicht gedacht, nicht abgeleitet, weder einem subjektiven Gestaltungswillen verstrickt sind, noch den traditionellen Regeln der Architektur.

Der output ist eine Vielzahl von Vorfällen (Ergebnissen). Diese sind zwar mathematische Berechnungen, aber insofern zufällig als sie, wie sie sich präsentieren im voraus nicht imaginierbar sind, nicht vorsätzlich deterministisch herbeigeführt werden können.

Das mißtrauische und autoritäre Verlangen nach Kontrolle, der Amme des Determinismus, ist auch in dieser Phase kontraproduktiv, Komplexitäten würden durch dezidierte Regelhaftigkeiten limitiert. Die CPU determiniert nicht von sich aus, sie ist absichtslos.

Somit ist Zufall auch ein Kürzel für das gleichgültige Desinteresse der INTERAKTION an Vorhersehbarkeit und Nachvollziehbarkeit.

Alle outputs sind affin, sie sind vom selben Programm generiert worden. In ihrer Affinität sind sie gleichwertig, somit ist ein output nicht Verbesserung eines anderen. (Eine Verbesserung setzt eine zeitliche Abfolge voraus. Die CPU- Zeit hat nicht geschichtlichen Charakter, insofern kann sie keine Verbesserungen produzieren.)

Wesentlich hingegen ist dem Interaktivisten der Facettenreichtum. Unterschiedliche Umformulierungen, unterschiedliche hard- und software liefern unterschiedliche outputs, digitale Aneinanderreihungen. Zu den jeweiligen Unterschieden gibt es weitere Nuancierungen.

Der Interaktivist konsumiert das BINÄRE HAUS als feedback- menue der CPU- outputs:

· den umgekehrten Fluß: vom output ins Hirn, vom Extensiven (außenliegend, Ausdehnung) zum Intensiven (intern, Intention, Intensität);

· das Phänomen der musikalischen Sprache der Monitor- outputs;

· die Verschiedenartigkeiten der binären Erscheinungsformen.

Der Generator soll mindestens so lange laufen, bis mehr Material vorhanden ist, als die Katharsis im analog- singulären Schaffensakt bringt. Das übliche Interdependenz- Gestammel von Qualität versus Quantität trifft nicht die CPU: Sie produziert endlos bei gleicher Qualität.

Das Vorliegen einer größeren Anzahl von Vorfällen ist für die INTERAKTION wesentlich, zumal sie sich an diesen weiter entfaltet. U.a. erleichtert sie das Heraussondern und Erkennen wesentlicher Merkmale der Vorfälle. Das Potential der CPU ist einmal mehr Ursache für den Umgang. command: quit.

Die Gegenstandslosigkeit des danach vorliegenden Materials ist das wichtigste Charakteristikum für den interaktiven Planungsprozeß. Obwohl in der Gegenstandslosigkeit undeterminiert, liegt das Projekt fertig vor. Wir befinden uns in der Welt des object trouveé, des ready-mades, im binären Haus.

Nun findet sich ein im Alltäglichen ausgebildetes Hirn immer schnell etwas, das aussieht wie ... Das läuft wie geschmiert. Schon bekannte Inhalte werden übergeordnet (wie die Bauordnung festlegt), willkürlich (weil der Bauherr / der Planer / dieses braucht) und unwillkürlich (weil 'ES' jenes wünscht) hineingelesen. Die INTERAKTION verweist auf die Antithese von Das habe ich bewußt so gemacht!

Unter der Voraussetzung, daß veränderte Präferenzen akzeptiert werden, ist das BINÄRE HAUS sofort baubar: nimm irgendeinen der vielen Striche und deklariere ihn zum Abflußrohr! Daß etwas funktioniert (z.B. das Wasser von der Badewanne abfließt) ist nicht mehr Ziel, sondern Effekt der Namensgebung.

Striche werden in der INTERAKTION zu einem Baukörper deklariert, soferne Architektur gebaut werden soll. Die Namensgebung bestimmt den Zweck und hübsch! sagt mein Geschmack.

Der Vorteil der INTERAKTION: Die Interpretation, der Nutzen, der Gebrauch, die Anwendung sind wesentlich unterhaltsamer und flexibler als eine gebundene rigide Planung, als ein antizipiertes Bauwerk es sein kann.

Das ist das Schnellverfahren: bits & pixel, Punkte, Striche, Flächen (Kubaturen) sind generiert, das BINÄRE HAUS wird zur Villa decodiert, lediglich die Materialisierung und die Verwendung fehlen.

Die INTERAKTION macht dabei in dieser Planungsphase mit den Strichen schon das, was schlaue Nutzer mit den gegenständlichen Produkten der Architekten machen -- es sich so richten, wie man es will. Das ist Beweglichkeit in der Einstellung, nicht Tischerlrücken am Monitor.

Es ist ersichtlich, daß das Verweilen in der Gegenstandslosigkeit durch das Schnellverfahren unterlaufen wird. Jedoch können weitere Schritte der INTERAKTION die Konkretisierung (die Interpretation zum zweckhaften Objekt) noch weiter hinausschieben.

Die Abstraktion soll möglichst lange aufrecht erhalten bleiben, da die übliche Tendenz, mit jedem Planungsschritt die Material- und Funktionsfrage zunehmend zu determinieren, das BINÄRE HAUS demoliert. Material und Zweck, diese Elemente konventioneller Architektur, werden vorerst nicht bzw. als krypton behandelt.

Indem Vorfälle austauschbar gelesen werden, wird durch Mehrdeutigkeit auf die voreilige, eineindeutige Festlegung zugunsten weiterer Vorfälle verzichtet.

Zusätzliche Formulierungen und neue Umformulierungen können im recycling gefunden werden, indem Farben (Farbänderungen), Striche, Punkte, das BINÄRE HAUS selbst als tatsächlich von unbekanntem Inhalt behandelt werden: Was könnten sie nicht alles sein!? Erfinderisch wird das Neue und das Mißverständnis behauptet.

Die Ausgangsposition ist nun schon wesentlich verändert, die Formulierungen sind weitaus offener, als es die erste Umformulierung war.

Mit diesem Verständnis werden neue INTERAKTIONs- bzw. CPU- Schleifen angezettelt, wie schon praktiziert, werden neuerlich Vorfälle generiert.

Die interaktive Architekturproduktion wird durch diesen Ablauf zum Füllhorn, zeichnet sich durch Vielschichtigkeit aus. Das Ergebnis eines Arbeitsdurchgangs reicht für mehrere Projekte. Die Produktionsmenge war dem industriellen Zeitalter ein Problem, der INTERAKTION ist sie Trivialität.

Der Überfluß an Material wirkt sich in erhöhter Beweglichkeit des Projekts und des Interaktivisten aus. Er dient der Animation, der Simulation, wird nicht durch Auswahl eingeschränkt.

Eine Evaluation der Produkte (jenseits des Erfolgs bzw. meines Interesses) ist vermutlich systemfremd, d.h., die INTERAKTION kennt keine bestimmten, vorbestimmten Regeln der Bewertung.

Gleichzeitig ist mir klar, daß in diesem besonderen Freiraum Ergebnisse weniger abgesichert sind. Die Möglichkeit von Extremlösungen, blödsinnigen Ergebnissen (z.B.: Der Strich, der zum Abflußrohr deklariert wurde, ist zu kurz!) liegt nahe; die erhöhte Beweglichkeit, die zu diesen führte, wird nun aber auch ein partout Festhalten an diesen vermeiden, wird wissen, wie weiter mit ihnen umzugehen ist.

Die auffallend vielen pixel in der Präsentation sollen nicht davon ablenken, daß die INTERAKTION vom allerersten Schritt an geänderte Planungsparameter in die Projekte einbringt. Natürlich können auch INTERAKTIONs- Produkte nach den alten Kriterien Funktion- Form- Konstruktion betrachtet werden, jedoch bleibt dabei offen, wieweit eben diese Brille auch etwas anderes sehen kann.

Der interaktive Umgang mit der CPU ist also ein methodischer, konzeptioneller Ansatz für eine autonome Architektur.

Axiome der Interaktion

1 Die INTERAKTION transformiert das BINÄRE HAUS.

2 Sie kennt keine vorgefaßten Bilder.

3 Die CPU agiert untendenziös und will so verwendet sein.

4 Sie fordert die Loslösung des Planers von inhaltlichen Attitüden.

5 Sie benötigt nicht architekturspezifische Programme.

6 Die CPU produziert endlos bei gleicher Qualität.

7 Outputs sind eine Vielzahl von Vorfällen.

8 Ein output ist nicht Verbesserung eines anderen.

9 Die Abstraktion soll möglichst lange aufrecht erhalten bleiben.

10 Striche werden in der INTERAKTION decodiert.

11 Erfinderisch wird das Neue und das Mißverständnis behauptet.

12 Die Namensgebung bestimmt den Zweck.

13 Zusätzliche Formulierungen werden im recycling gefunden.

14 Die interaktive Architekturproduktion wird zum Füllhorn.

15 Das BINÄRE HAUS wird zum realisierbaren Baukörper deklariert.








README.1ST

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by M. PLOTTEGG schon am 28.8.1991 um 20:40 Uhr

DIE GEGENSTANDSLOSIGKEIT DER ARCHITEKTUR! software-Sammler und -Jäger mit circa 300.000 km pro Sekunde Fetzenlaberln als Ergebnis produzieren je neuer um so besser die Schüssel hardware kein langfristiges Anlagegut TäGLICH FRISCHE BITS UND PIXEL Wohin mit dem Schrott? Cad pragmatisch ist phlegmatisch! Die INTERAKTION beginnt mit Schwung und Elan läßt STRICHE FETZEN FLIEGEN potenziert sich gerne durch gegenseitige Aufmerksamkeiten Sie holt sich was sie braucht vachement vous plaire est notre unique envie "kaufen Sie diesen Computer Sie haben mehr Zeit für den Entwurf!" sagen Vertreter in der Ansicht Kreativität sei eine Funktion der Zeit fatal error Da kann die CPU nicht helfen -- paßt hier nicht her; time out! Maschinensolipsismus -- Laissez les faire le monde va de soi même! Bauen ist die gequantelte Außenprojektion -- trashcan command: del *.* command: draw / new line Erst der Mensch ist das Maß aller Dinge und jetzt werden die chips immer kleiner überhaupt Die Manie einer Materialgerechtigkeit weicht meiner Obsession einer Computergerechtigkeit Ausrede das Programm ist abgestürzt! Das BINÄRE HAUS existiert nur in der CPU Binäre Striche sind inhaltsentleert Pläne des binären Hauses sind mehrdeutige Risse Das Formenvokabular des binären Hauses liefert die CPU Das BINÄRE HAUS ist in der CPU komplett vorhanden Die Präsentation für das Auge ist augenblicklich (präsent) Abgerufene Bilder sind gleichwertig Die Namenlosigkeit der Striche läßt sie ohne funktionellen Zweck Das BINÄRE HAUS selbst hat keine Dimension ist selbst ohne Ort in einem Umraum ohne Standpunkt Die CPU komprimiert die Dauer der Zeit zur Simultaneität Das BINÄRE HAUS ist gleichzeitig & zeitlos nicht hereditär Das BINÄRE HAUS ist gegenstandslose entmaterialisierte Architektur Ein binäres Haus ist zu autonomer Architektur baubar Die INTERAKTION transformiert kennt keine vorgefaßten Bilder Die CPU agiert untendenziös und will so verwendet sein Sie fordert die Loslösung von inhaltlichen Attitüden Sie benötigt nicht "architekturspezifische" Programme Die CPU produziert endlos bei gleicher Qualität outputs sind eine Vielzahl von Vorfällen Ein output ist nicht Verbesserung eines anderen Die Abstraktion soll möglichst lange aufrecht erhalten bleiben Striche werden in der INTERAKTION decodiert Erfinderisch wird das Neue und das Mißverständnis behauptet Die Namensgebung bestimmt den Zweck Zusätzliche Formulierungen können im recycling gefunden werden Die interaktive Architekturproduktion ist ein Füllhorn Das BINÄRE HAUS deklariert sich zu einem realisierbaren "Baukörper" bricht die Formenkanongerechtigkeit Materialgerechtigkeit Hausgewohnheit Wohngewohnheit Sehgewohnheit insgesamt die überkommene Architekturgewohnheit vergessen ist evident daß diese Manipulationen nämlich Additionen von Koten bzw. Vektoren der CPU überlassen werden können bietet einiges an Comfort und sogleich eine Reihe weiterer Manipulationen an: Daten von verschiedenen Ausgangsformen können diese mehrfach untereinander gekreuzt werden Eine Ausgangsform mit weiteren rein rechnerischen unsichtbaren Formen mit beliebigen Zahlenfolgen zu Hybriden vermischen Unter der Prämisse daß die Produkte anders aussehen dürfen als antizipierte Produkte aussehen können müssen beliebige Ausgangsformen nach beliebigen Regeln vermischbar sein d-i-e-k-u-h-r-a-n-n-t-e-b-i-s-s-i-e-f-i-e-l ! GETRIEßE z.B. ein Oberkellner mit Entschiedenheit und ohne Zögern Behauptungen durchs Hintertürl Durchstoßpunkte durch eine dazwischengeschobene Bildebene ergeben Soferne zwei Ausgangsformen eine ungleiche Anzahl von Punkten (Linien Flächen) aufweisen müssen programmiertechnisch Punkte generiert werden um die Transmissionslinien bilden zu können macht klar daß virtuelle Bilder auf diesen Ordnern keine Vorbilder haben Die so generierten Bilder sind notwendigerweise aus dem CPU-Verfahren heraus entstanden sind somit den üblichen bildenden Gedanken dem Diktat der Sprache entkommen können sich nicht auf eine Zweckhaftigkeit berufen entziehen sich der gebräuchlichen "architektonischen Beweisführung" Der Riß im Auge ist unerträglich? Wo die Formen nicht mehr eindeutig behilft sich die einfältige Vorstellung wird Krüppel Der formalistische Virus versteht kein <(WORT)> greift unkonditioniert in den Computer wenn nichts anderes zur Hand läßt Formen Fetzen generieren Das inhaltlich gemeinte Schöpfertum macht sich daraus Schlupfwinkel im Digitalsystem gibt es noch keine Gewohnheiten generiert unvorhersehbare Formen! für jede Kote ein beliebiger Wert ändere Winkel und Länge von Vektoren recycle convert Wegerln hauptsächlich ideologischen Leitlinien wie "kurzer Weg" bis zur Verschwendung im update vers.* "Wolln S'es ganz oder aufg'schnittn?" Ein Arbeitsschritt den ich als künstlerische blackbox behandelt wissen möchte weshalb ich keine weitere Auskunft darüber gebe Die Orthogonalität der "Würfelansammlung" ergibt sich durch die Pixelpunkte Interaktive Reaktions Schleife: und dann wurde das Bild durch graduelle Farbzugabe neu aufgebaut man hätte sagen können das sind jetzt vollgefüllte 1024x768x256 für deren Situierung es ein Simulationsmodell gibt In der Abfolge fällt auf: im Auge springt das Positiv- Muster in ein Negativ- Muster um auf weitere Zooms der Styroporresteln + Papierschnitzel "ohne gezieltes Arrangement" entspricht in seiner formalen Offenheit den einzelnen Verabschiedungszeremonien Für Schnittblumen sind auch hier Wasserhähne vorzusehen Phänomenal ist daß kein einziger Strich gezeichnet keine Form im Hirn entwickelt alles CPU- interaktiv ist Das Bildergebnis also nicht wie üblich verstehen daß es in dieser Form in Realität übergeführt ausgeführt werden soll offensichtlich überzeugend auch im Formalen Sagt man läßt ein System laufen eine Unheimlichkeit sie nicht wissen was dabei herauskommt vorstellen wie das ausschauen könnte Also eine Simulation oder Analogiedarstellung zu dem was herauskommen könnte bei einer freien Ortswahl indem man mathematisch rechnen läßt; Astralgrundriß Projektanalyse zwei Auffälligkeiten: 18 emeritierte Professoren sind schlechthin typische Elemente für elektronische Datenverarbeitung in der Dachzone einen gekrümmten Wischer wie eine flache Banane die INTERAKTION hat akzeptiert zumal das Projekt keine Einwände erhob commodore 64 Anagramme zur Erhöhung der Reisegeschwindigkeit und der Modernisierung der Betriebsmittel gearbeitet außerhalb des erklärbaren Vorstellungs- und Lebensbilds lagen TÄGLICH FRISCHE BITS & PIXEL denn SO KOMMEN DIE HÄUSER AUF DIE WIESE: Farbliche und strukturelle Pixelanordnungen konzipieren das Projekt als Ergebnis von Befehlen wie: insert shift stretch setvar extrude double dynamo erase donut cancel etc. Punkte Striche Flächen Netzwerke Der Entwurf existiert simultan in vielfältigen virtuellen Bildern Der Datensatz ausgedruckt als Bild ist Eselsohr zum räumlichen Modell Der Ausdruck ist im jeweils behaupteten Maßstab immer ebener Riß und räumlicher Fetzen Das Modell liest Striche als Baukörper oder als Straßen als Bananen und Zitronen kurzum als Das schönste Haus der Welt Erläuterung: durch Datenmanipulation im listing erfolgte die neue Komposition stabilisiere die Striche im Raum! das ist ein Abflußrohr oder ein Bett; wer zuerst benutzt entwirft Daß sich die somit erzielten Punkte nicht nur in der Präsentation optisch sondern auch inhaltlich von Produkten anderer Planungsmethoden unterscheiden liegt in der konzeptionellen Verwendung der CPU begründet Haus und Kuh haben eine unterschiedliche Anzahl von Punkten und Polygonen Für die Fenster muß am Bauch der Kuh ein Pendant generiert werden Mischungen sind Formüberlagerungen Formentwicklungen Formveränderungen sie sind überall anzutreffen Bisweilen sind ihre Regeln authentisch erkennbar STRICHE FETZEN FLIEGEN dieser Text # 54595890 A, 5748357 B, 39503 C Architekturtheorie als Folge der CAD- Impulse Herumtappen in einem Analogsystem zu der Planungsmethode in einem Digitalsystem konvertieren Die Folgen sind ephemer Im binären Haus leben Architekten gut: Transzendent Fetzen aktuell austauschbare Begriffe ratzeputz Beliebigkeit und Taiwan- clone "in einer Zauberwelt treten die Feen nicht in Erscheinung" Beim "schönsten Haus der Welt" hat Metamorph die Virulenz der INTERAKTION hier vorgebrachte Überlegungen sind CPU- Methode liegt im Auffinden von Manipulationsmöglichtkeiten Thematisch nicht gebunden hat es keinen Namen wie z.B. "Villa" nicht gebaute Architektur ist ein architektonischer Gedanke Je weiter dieser das inhaltliche Denkgebäude verläßt um so konkreter wird das BINÄRE HAUS








Die Synthetische Dimension

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README.1ST / update

9728 Bytes 10/12/1991 10:52 am

TUTORIAL.TXT

3584 bytes 10/12/1991 10:51 am

SONNEBUSENHAMMER[171].PIC

200000 bytes 10/11/1991 09:26 pm

README.1ST / UP DATE

von M. Plottegg & CPU 80386

schon am 2.Oktober 1991 um 10:52 Uhr

Wo die Formen nicht mehr soll offensichtlich komplett vorhanden Die Präsentation für das Auge ist augenblicklich präsent Das BINÄRE HAUS selbst hat keine das ausschauen versteht kein Pendant generiert Also eine Mischungen sind Formüberlagerungen Formentwicklungen Simulation Dimension ist selbst ohne Ort in einem Umraum ohne Standpunkt Formveränderungen sie sind überall anzutreffen nicht hereditär Das BINÄRE HAUS ist gegenstandslose entmaterialisierte Architektur kennt keine vorgefaßten Bilder Die CPU agiert dieser Text # 1152512 B, 8556 Z, 115 Z, Projektanalyse zwei Auffälligkeiten: 18 emeritierte Professoren Ein binäres Haus ist zu autonomer Architektur baubar untendenziös Sie benötigt nicht gibt es keine Gewohnheiten Architekturtheorie als Folge der CAD- Impulse architekturspezifische Programme Die CPU produziert Analogsystem zu der Planungsmethode in einem zumal das convert Wegerln endlos bei gleicher Qualität Die Abstraktion soll Die Folgen sind ephemer Im binären Haus leben Architekten gut: möglichst lange aufrecht erhalten bleiben Striche werden in der INTERAKTION decodiert Zusätzliche Formulierungen können im recycling gefunden werden Das BINÄRE HAUS deklariert sich zu Fetzen aktuell austauschbare Begriffe ratzeputz Beliebigkeit und Taiwan- clone einem realisierbaren ,,Baukörper" Hausgewohnheit Lebensbildes Beim ,,schönsten Haus der Welt" hat Metamorph die Virulenz Wohngewohnheit vergessen ist evident daß diese vorgebrachte Überlegungen sind CPU- Methode Manipulationen bietet einiges an Comfort und sogleich eine Reihe weiterer Manipulationen an: Eine Ausgangsform mit weiteren rein hat es konzipieren das Projekt als Ergebnis von Befehlen wie: rechnerischen unsichtbaren Formen mit beliebigen Zahlenfolgen zu ist ein man hätte sagen können setvar extrude double Hybriden vermischen müssen beliebige Ausgangsformen nach beliebigen Punkte Striche FIächen Netzwerke Der Entwurf existiert vollgefüllte 1024x768x256 Regeln vermischbar sein ein Oberkellner mit Entschiedenheit und ohne Zögern Behauptungen durchs Hintertürl Der Datensatz ausgedruckt als Bild DIE GEGENSTANDSLOSIGKEIT DER ARCHITEKTUR! ,TäGLICH FRISCHE BITS UND PIXEL produzieren und -Jäger je neuer um so besser müssen Die INTERAKTION beginnt mit Schwung und Elan läßt STRICHE FETZEN FLIEGEN kaufen Sie diesen Cad pragmatisch ist phlegmatisch! potenziert sich gerne durch gegenseitige Aufmerksamkeiten Computer Transmissionslinien Straßen als Bananen Fetzenlaberln als Ergebnis kein langfristiges und Zitronen kurzum als bilden zu können Bilder auf time out! Maschinensolipsismus notwendigerweise aus dem trashcan command: sagt die Ansicht da kann die CPU nicht fatal error del *.* überhaupt entkommen Ausrede das Programm ist abgestürzt! paßt hier nicht her; Laissez les faire le monde va de soi même! gebräuchlichen ,,architektonischen Beweisführung" behilft Pläne ist die gequantelte Außenprojektion command: draw / new line des binären Hauses sind mehrdeutige Risse Das Formenvokabular des binären Hauses liefert die CPU Der formalistische Virus ist der Mensch das Maß aller Dinge Die Manie einer inhaltlich von weicht meiner Obsession Das BINÄRE HAUS existiert nur in der CPU Produkten entziehen sich der einer Computergerechtigkeit Abgerufene Bilder sind gleichwertig Die Namenlosigkeit der man läßt ein System laufen eindeutig Striche läßt sie ohne funktionellen Zweck greift unkonditioniert in den Computer wenn nichts Die CPU komprimiert die Dauer der Zeit zur Simultaneität läßt Formen Fetzen generieren Das inhaltlich gemeinte Schöpfertum macht sich daraus Schlupfwinkel im Digitalsystem und will so verwendet sein generiert unvorhersehbare Formen! für jede Kote eine beliebiger Wert ändere Winkel und Länge von Vektoren recycle wie -- kurzer Weg -- bis zur Verschwendung im update vers.* "WollnS' Erfinderisch wird das Neue und das Mißverständnis behauptet Namensgebung bestimmt den Zweck es ganz oder aufg'schnittn?" wissen Sehgewohnheit insgesamt die überkommene Architekturgewohnheit Die nämlich Additionen von Koten bzw. Vektoren der CPU überlassen werden können und dann Daten von verschiedenen Ausgangsformen können diese mehrfach untereinander gekreuzt werden das sind jetzt Unter der Prämisse daß die Produkte anders aussehen dürfen als antizipierte Produkte aussehen können In der Abfolge d-i-e-k-u-h-r-a-n-n-t-e-b-i-s-s-i-e-f-i-e-l! GETRIEßE z.B. auf weitere Zooms der Styroporresteln + Papierschnitzel Durchstoßpunkte durch eine dazwischengeschobene mit circa 300.000 km pro Sekunde Anlagegut ohne gezieltes Arrangement um die vous plaire est notre unique envie den einzelnen Verabschiedungszeremonien Für Schnittblumen sind auch hier Wasserhähne diesen Ordnern keine Vorbilder haben Phänomenal ist daß kein einziger Strich gezeichnet Das CPU- Verfahren heraus entstanden sind somit den üblichen bildenden Gedanken dem Diktat der Sprache und jetzt werden die chips immer können sich nicht auf eine Zweckhaftigkeit berufen Bildergebnis also nicht wie üblich verstehen daß es in dieser Form übergeführt ausgeführt werden wird Krüppel auch im Formalen eine Unheimlichkeit sie nicht wissen was dabei herauskommt <(WORT)> könnte was herauskommen könnte bei einer Das BINÄRE HAUS ist gleichzeitig & zeitlos indem man mathematisch rechnen läßt Astralgrundriß Die INTERAKTION transformiert sind elektronische Datenverarbeitung in der Dachzone einen gekrümmten Wischer Ein output ist nicht Verbesserung eines anderen INTERAKTION hat akzeptiert Projekt keine Einwände erhob commodore 64 Anagramme ist ein Füllhorn gearbeitet außerhalb des erklärbaren Vorstellungs- und Ein Arbeitsschritt den ich als künstlerische blackbox behandelt bricht die Formenkanongerechtigkeit lagen TÄGLICH FRISCHE BITS & PIXEL denn SO KOMMEN möchte Farbliche und strukturelle Pixelanordnungen Orthogonalität der ,,Würfelansammlung" ergibt sich durch die Pixelpunkte Interaktive Reaktions Schleife: insert shift stretch wurde das Bild durch graduelle Farbzugabe neu aufgebaut dynamo erase donut cancel etc. für deren Situierung es ein Simulationsmodell gibt simultan ist Eselsohr zum fällt auf: im Auge springt das Positiv- Muster in ein Negativ- Muster um immer ebener Riß und räumlicher Fetzen Das Modell liest Striche als Baukörper oder als programmiertechnisch Punkte generiert werden (Linien FIächen) aufweisen Das schönste Haus der Welt Erläuterung: durch macht klar daß virtuelle Kreativität sei eine Funktion der Zeit die neue Die so generierten Bilder sind vorzusehen alles CPU- interaktiv ist Striche im Raum! Daß sich die somit erzielten Punkte nicht nur in der Präsentation optisch sondern auch anderer Planungsmethoden unterscheiden liegt in der konzeptionellen Verwendung der CPU begründet überzeugend sich die einfältige Vorstellung Sagt unterschiedliche Anzahl von Punkten und Polygonen Für die Fenster muß am Bauch der Kuh ein vorstellen wie oder Analogiedarstellung zu dem werden anderes zur Hand freien Ortswahl Bisweilen sind ihre Regeln authentisch erkennbar STRICHE FETZEN FLIEGEN 1158 W schlechthin typische Elemente für Sie fordert die Loslösung von inhaltlichen Attitüden Herumtappen in einem wie eine flache Banane die outputs sind eine Vielzahl von Vorfällen hauptsächlich ideologischen Leitlinien Digitalsystem konvertieren Transzendent zur Erhöhung der Reisegeschwindigkeit und der Modernisierung der Betriebsmittel Die interaktive Architekturproduktion ,,in einer Zauberwelt treten die Feen nicht in Erscheinung" Materialgerechtigkeit der INTERAKTION hier weshalb ich keine weitere Auskunft darüber gebe DIE HÄUSER AUF DIE WIESE: liegt im Auffinden von Manipulationsmöglichtkeiten Thematisch nicht gebunden keinen Namen wie z.B. ,,Villa" nicht gebaute Architektur architektonischer Gedanke je weiter dieser das inhaltliche Denkgebäude verläßt um so konkreter wird das BINÄRE HAUS in vielfältigen virtuellen Bildern software-Sammler räumlichen Modell Der Ausdruck ist im jeweils behaupteten Maßstab die Schüssel hardware Wohin mit dem Schrott? Sie holt sich was sie braucht Sie haben mehr Zeit für den Entwurf! Bildebene ergeben Soferne zwei Ausgangsformen eine ungleiche Anzahl von Punkten entspricht in seiner formalen Offenheit Datenmanipulation im listing erfolgte helfen Bauen Komposition stabilisiere die keine Form im Hirn entwickelt Erst das ist ein Abflußrohr oder ein Bett; wer zuerst benutzt entwirft kleiner Materialgerechtigkeit Binäre Striche sind inhaltsentleert Das BINÄRE HAUS ist in der CPU Haus und Kuh haben eine in Realität Der Riß im Auge ist unerträglich?


TUTORIAL.TXT SONNEBUSENHAMMER.PICT [172]
Der Maßstab der Zeichnungseinheiten ist unbekannt der Raster liegt im schwarzen Hintergrund H 0000 S 0000 V 0000 R 0000 G 0000 B 0000 in dieser Situation ist es eigenartig Punkte zu identifizieren und eher unmöglich Euklid zu implantieren zumal 3D- Objekte flachgedrückt wurden der gefälschte 3D- Raum ist erste Basis für 4D- INTERAKTIONen verschiedene Elemente sind gemäß der Dilatationsinvarianz eingefügt die blauen Striche legen Relationen nahe Verschiebungen zeigen Gegenden mit unterschiedlicher Datendichte wo ist SONNE BUSEN HAMMER? (es gibt auch einen Spülkasten!) der Datenfile ist ein Produkt des Maschinensolipsismus ORIGIN: irgendein Standpunkt SETUP: center of interrest X = Y = Z = 0000 (auch im Hirn!) zoom in zoom out. [173]









Wettbewerb Spielberg

[174]

In der, Zeit als die Computer noch enervierend langsam waren und relativ wenig Speicherkapazitäten (RAM und Festplatte) hatten, war es ratsam, mit der Datenmenge vorsichtig umzugehen. Das war sozusagen ein Gebot der Stunde und hatte wenig zu tun mit dem latenten Sportgeist der Architekten, alles möglichst schlank zu halten.

In dieser Situation machten wir folgende Beobachtungen:[175]

Eine line hat die Eigenschaften: from point XYZ, to point XYZ; layer, color, linetype, u.a.

Zwischen zwei Punkten P1 und P2 wird zumeist eine continuous line gezogen. Derselbe Vektor könnte aber auch mit linetype dashed gezogen werden; es hat den optischen Anschein, als ob zwischen P1




und P2 mehrere kleine Vektoren mit Zwischenraum verteilt wären, wird der linetype dot gewählt, so hat es den Anschein von vielen Punkten etc. Tatsächlich handelt es sich in diesen Beispielen aber jeweils um einen Vektor, dessen linetype- Parameter eben geändert wurde; die Datenmenge beschränkt sich nach wie vor auf zwei Punkte und die Parameter des Vektors.

Natürlich könnte man auch -- so wie es der Anschein vermittelt -- jeweils mehrere kleine Vektoren bzw. eine Vielzahl von Punkten auftragen, dann wächst aber die Datenmenge beträchtlich an, obwohl optisch kein Unterschied besteht.

Ähnliche Beobachtungen treffen auf den hatch zu: anstatt viele lines zu ziehen, läßt sich schneller und datensparender ein hatch applizieren, z.B. der legendäre ansi31. Dieser kann über die linetype- Steuerung in dashed verwandelt werden, was wieder billiger zu erzielen ist als z.B. durch das Muster iso3w100.

Ein Parameter innerhalb der linetype- Steuerung veranlaßt, daß z.B. eine dashed line immer mit einem Strich beginnt, eben bei P1 und ebenso mit einem Strich bei P2 endet (was insofern logisch ist, sonst wüßte man ja nicht, wo Anfang/Ende ist). Dieser Parameter teilt das Anfangs- bzw. Endstrichlein zusätzlich so ein, daß es nicht kürzer als die Hälfte des Zwischenraums (= pen- up) wird. Die Relation zwischen der pen- down- bzw. der pen- up- Strecke ist im linetype definiert, die relative Größe wird durch den linetypescale reguliert.

Zusätzliche Parameter, wie patternscale für die Dichte und der angle of pattern für die Richtung, erweitern das Spektrum der Manipulationen; in der Fülle all der Variationen ergeben sich vorerst interessante grafische Ergebnisse, sozusagen algorithmische Muster, weil direkt ablesbar ist, wie der Algorithmus z.B. auf Randbedingungen (Polygon) reagiert.

Zur Interpretation der Algorithmen bzw. deren grafischer Ergebnisse folgendes Beispiel:

Ähnlich wie beim Urnenfriedhof ist auch bei einem umfangreichen Bebauungsplan (in Spielberg sollte eine Siedlung mit 1000 Wohnungen auf die Wiese gestellt werden) die Frage der Verteilung offen, was ist Gebäude, Straße oder dgl.

Durch die pen- up- Phase läßt sich Gebäudetiefe (Gebäudeabstand, bebaute Fläche oder dgl.) interpretieren; wird sie maßstäblich zum Grundstück eingestellt lassen sich rasch mehrere Bilder präsentieren. Das Grundstück wird in verschiedene Polygone (= Bauabschnitte) geteilt; so gibt es feinere Teilungen (Reihenhäuser und Einfamilienhäuser) und größere Teilungen (Geschoßbauten).






Überhaupt nur Behauptungen

[176]

Ich behaupte, mich interessiert die Frage, wie sieht eine Architektur jenseits des jeweils ohnehin schon Bekannten aus; gibt es ein architektektonisches Denken auch jenseits der Funktion- Form- Konstruktion- Kategorien und diverser anderer Ideologien: Gibt es das Paradoxon Die Gegenstandslosigkeit der Architektur?

Meine Arbeiten sind insofern einfach, als sie Behauptungen sind. Ich stelle überhaupt nur Behauptungen auf. Ich bin nicht einer Meinung, ich behaupte und meine Behauptungen bekommen den Charakter von Festlegungen.

Meine Arbeiten sind teilweise experimentell, die Methode ist einfach: Wer weiß schon, was die Striche wollen! Ich behaupte Mißverständnisse -- und arbeite bisweilen mit Computern zusammen. Computergenerierte Entwürfe entrümpeln bisherige Architekturgewohnheiten: Sehgewohnheiten, Planungsgewohnheiten, die üblichen retrospektiven Ansätze und von dort abgeleitete Konzepte. Sie haben sich der Pflicht zu analysieren entledigt, denn nur die vermeintliche Genialität der Synthese glaubt noch an eine Derivat- Architektur. Die Affirmation wird nicht mehr benötigt. Die Geschmacklosigkeit der Computer- Architektur ist phänomenal.

Ich behaupte, der kulturgeschichtlich uralte Versuch, Architektur nach Richtlinien des Geschmacks zu entwickeln und wie üblich zu verlangen, daß das Ergebnis mit dem Gefallen konvergiert, ist gescheitert: Denn was dabei herauskommt, wenn persönliche Geschmäcker vorherrschen, ist überall sichtbar -- das Limesbild des Geschmacks; ändert sich die Architektur, wenn sie nicht mehr eine Frage des Geschmacks, sondern output der Intelligenz oder einer künstlichen Intelligenz sein wird?

Autonome Architektur wird wie eine Behauptung in den Raum gestellt. Eine autonome Architektur braucht keine Beweisführung: Artifizielle Intuition in der Architektur lebt ohne Vorbilder, Erinnerungen, ohne Wünsche und Gefühle. Das BINÄRE HAUS und die INTERAKTION agieren.

Außerdem behaupte ich, daß meine Projekte nichts als Manipulationen sind:

· Manipulationen des Raums

· Manipulationen der Geometrie

· Manipulationen von Daten

Und natürlich manipuliere ich auch Manipulationen. Da wird nicht entworfen, nicht geformt, sondern manipuliert: An inventory of forms, invented by computer.

Und dabei ist festzustellen: Architektur entsteht durch einfache Verfahrensanweisungen; Voraussetzung für architektonische Manipulationen ist: Das Interesse der Architektur richtet sich nicht auf fertige, endgültige Formen, Objekte oder Nutzungen. Ein Algorithmus manipuliert, Architektur ist nicht Ausdruck von etwas, sie manifestiert sich selbst: als Grenzbild der Verfahrensanweisungen. Diese bringen den output mit sich, der input ist gleichgültig, seit jeher austauschbar: Unter der Prämisse, daß die Produkte anders aussehen dürfen als antizipierte Produkte aussehen können, müssen beliebige Ausgangssituationen nach beliebigen Regeln manipulierbar sein.

Sofern die Parameter der Verfahrensanweisungen unabhängig sind, sind Limesbilder der Architektur leicht zu modifizieren; es ist vorstellbar, daß ein Algorithmus (mathematische Funktion) die architektonische Funktion ersetzt.

Und überhaupt halte ich für bemerkenswert, daß das Wasser abfließt, ohne zu wissen, daß es der Form folgt. Eigentlich genügt es nun Verfahrensparameter für die Architektur zu definieren: ob mit oder ohne Computer, die Architektur kann sich von der analogen Sprache emanzipieren, von der Charismatik verabschieden. Nach der ethnologischen Koketterie wird Architektur ohne Architekten zur fraktalen Tatsache.

Die Realisierung, die Umsetzung in Funktion, Detailausbildung und Bautechnik, macht einer generierten Architektur kein Problem, diese bringt jedoch dem herrschenden Architektursystem Probleme, welches sich durch Fürsorge und Inhalte schon lange lächerlich macht.

Da die fraktalen Produkte sicherlich aus der konventionellen Architekturtheorie herausfallen, da sie ja auch ohne diese generiert werden, können mit Entschiedenheit und ohne Zögern meine provisorischen Behauptungen durchs Hintertürl Durchstoßpunkte in einer dazwischengeschobenen Bildebene ergeben. Sofern Ausgangsformen eine ungleiche Anzahl von Punkten, Linien, Flächen, Stereometrien aufweisen, empfiehlt sich, programmiertechnisch Punkte zu generieren, um Transmissionslinien bilden zu können, und das macht klar, daß vorerst virtuelle Bilder auf diesen Ordnern keine Vorbilder als Vorläufer haben.

Das hat sich also herausgestellt, als ich mich wieder einmal auf der anderen Seite der Schnittstelle aufhielt.








Analoge und digitale Limesbilder im Entwurf

[177]



Das schon im Jahre 1916 erfundene Sierpinski-Dreieck (fraktale Sprache, linearer Dialekt) sei einfaches Beispiel für Phänomene von Limesbildern (LB):

Ein affin- linearer Algorithmus, transformiert hier unterschiedliche Anfangsbilder; schon nach wenigen Iterationen wird das LB erkennbar, ein quasi endgültiges Bild, ein selbstähnliches Bild; das LB ist unabhängig vom Anfangsbild (Dreieck / Quadrat) und von der Wahl der Wahrscheinlichkeiten, ein Ausschnitt daraus (Dilatationsinvarianz) bringt keine neue Information, im Bildinhalt repräsentiert sich der Algorithmus selbst.

Meine folgenden Überlegungen projizieren Definitionen der fraktalen Systemtheorie in die Architekturproduktion und verwenden u.a. Algorithmus = Verfahrensanweisung = Planungsmethode = Manipulation als strukturelle Synonyme.

Analoge Grenzen: die Handschrift, der Stil

Jeder hat in seiner Selbstähnlichkeit ein latentes LB, der Gartenzwerg ebenso wie John Wayne. Wo immer sie sind, im Sattel oder auf der Scheibtruhe, sie sind unverwechselbar sie selbst. Das Verhalten (Algorithmus) prägt, unabhängig von der Situation (Anfangsbild).

Obwohl sich also ein LB quasi von selbst einstellt, sind Architekten zusätzlich bekümmert, explizit eine Handschrift als Totem zu haben. Sie lieben in der Selbstähnlichkeit nicht nur sich, sondern auch die zyklische Wiederkehr der Muster: ob Einfamilienhaus, Geschoßwohnbau, Verwaltungsbau, ein und dieselbe Handschrift und viele Schichten Transparentpapier. Das LB, als Markenzeichen unabhängig vom Projekt, gilt als Berufserfordernis.

In die persönlichen, intensiven LB blenden sich in einer weiteren Perspektive extensive LB ein, vor allem die Dominanz der Sprache, Vorbilder, LB des Zeitgeistes, berufsspezifische LB u.a.; und die Stile!: Die LB der Häuslbauer, der Genossenschaften, der Schulen, der - ismen usw.; und generell alles beherrschend das LB des Geschmacks (insbesondere des guten) und der Affirmation, des form- fit.

Systemtheoretisch kann vermutet werden, daß im Charakteristikum der Selbstähnlichkeit und der zyklischen Wiederkehr die Wurzel für imitatives, manieristisches und postmodernes Verhalten liegt.

Es gibt also latente, angestrebte, herbeigeführte LB, viele Verschachtelungen, sie sitzen überall, monströs, penetrant in allen Ritzen. Sie sind insistierend, wirken zumeist nicht störend, werden jeweils als die eine richtige Wahrheit feilgeboten.

Aber wenn LB einmal akut und virulent stören, gibt es aus einer steckengebliebenen Planungsschleife ohne Wechsel des Verfahrens, ohne Paradigmensprung kein Entkommen. Vordergründig inhaltliche Ansätze sind natürlich vergeblich, denn aus der fraktalen Systemtheorie ist bekannt, daß der input nicht maßgeblich ist, weil das Phänomen des LB eben auf ein und dieselbe sich wiederholende Verfahrensanweisung zurückzuführen ist.

Die Redundanz innerhalb von LB, auch systembedingte, fachliche Notwendigkeiten erfordern bisweilen ein LB, d.h. Algorithmen und Atraktoren zu wechseln: Soferne sich ein kleines Café z.B. von einer Großklinik unterscheidet, sind unterschiedliche Planungsmethoden anzuwenden, denn die Skaleninvarianz ist nur innerhalb eines LB die Regel.

Und es stellt sich heraus, daß ein Aussteigen aus einem LB jene Raffinesse erfordert, wie interne Manipulationen an einem Endo- System. Da hier mit den konventionellen Architekturtheorien, welche sich durchwegs im Objekthaften formulieren, nicht herauszukommen ist, liegt u.U. eine Chance im digitalen Experiment:

Schon die unterschiedlichen Eigenschaften von analogen und digitalen Strichen geben (pars pro toto) einen deutlichen Hinweis auf den jeweiligen Limes:

Das Blatt ist begrenzt, der händische Strich am Blatt ist begrenzt, nimmt eine bestimmte Stelle ein, hat eine Größe, es gibt oben und unten; >>> der digitale Strich ist ein Vektor im digitalen Raum, steht in Relation zum jeweils gewählten Koordinatensystem, hat keinen Maßstab (das absolute Maß für die CPU ist ein bit, für den Bildschirm ein pixel).

Händische Striche sind nicht ganz gerade, haben keinen klaren Anfang, keinen eindeutigen Endpunkt, verlaufen, verwischen (die Kalligraphie stilisiert diese Effekte); >>> der binäre Strich beginnt und endet im Datensatz mit genauen 3D- Koordinaten, am Bildschirm mit einem pixel.

In der Ungenauigkeit geben analoge Striche etwas Spielraum, die digitalen sind jederzeit exakt, lassen sich jedoch leicht modifizieren: Wenn eine analoger nicht paßt, muß man ihn auslöschen und neu zeichnen; >>> ein digitaler kann in den Daten selbst modifiziert werden, kann aber auch durch commands wie: stretch, spline, scale, rotate, change, aber auch copy, array, mirror usw. behandelt werden.

Besonders wichtig ist die Frage der Semantik: Der analoge Strich der Hand hat Bedeutung, ist Stellvertreter, Zeichen für etwas, will das aussagen, was ihm bei seiner Geburt für sein Leben eingehaucht worden ist. Analoge Striche sind imitierend, abstrahieren, was sie meinen; >>> digitale Striche im Computer sind code, repräsentieren nichts anderes als sich selbst. Sie sind irgendwelche Fahrer über den Bildschirm, sonst nichts. Insofern sind sie inhaltsentleert. Inhaltslosigkeit ist z.B. das Fehlen von Namen. Mit anderen Worten und im architektonischen Sinne: Digitale Daten bzw. pixel-Punkte haben keine Funktionen, aber auch keine Materialien oder Dimensionen. Geometrisch tritt zusätzlich das Phänomen auf, daß ein Pixel gleichzeitig sein eigener Grundriß, Aufriß, Kreuzriß usw. ist.

Für analoge Striche kennen wir Konventionen: Hier soll die Regel angewendet werden, daß die Ziffern in steigender Reihenfolge mit einem Polygonzug verbunden werden. Das gewünschte Ergebnis ist eine einfache Zeichnung, welche etwas Bestimmtes darstellt. Wer eine andere Regel, eine andere Leseweise, anwendet, z.B. die Reihenfolge der Punkte ändert, oder anstelle der gesamten Menge nur eine Teilmenge (der geraden Zahlen, der Primzahlen o. dgl.) für das Polygon heranzieht, wird ein anderes falsches Ergebnis herausbekommen. Das Verstehen, bzw. das Verstehenwollen von etwas Bestimmtem, bestimmt die Regel des Lesens.

Auch hier wieder: Nicht der input -- die Verfahrensanweisung bestimmt das Ergebnis. Der Computer selbst hat gewiß keine Regel, nach der er irgendwelche Daten liest. Er versteht im Grunde genommen nichts. Er hat weder die eine noch die andere Leseweise für Striche.

Soferne digitale Striche (Daten) nicht analog gelesen werden, kennen wir noch keine Konventionen. Wenn sie daher beliebig lesbar sind, wird die jeweils verwendete Regel des Lesens=Algorithmus ein zulässiges Ergebnis bringen. Diese Kommunikation ist weich. Digitale Bilder sind Codierungen, Informationen über sich selbst, sie sind nicht Bedeutungsträger (in analoger Darstellungstechnik), sie sind daher beweglicher interpretierbar und verwendbar.

Andererseits steht fest, daß die Information von räumlichen Formen eines der elementarsten Elemente der analogen Architektur ist. Ihre räumliche Information, die Kommunikation, funktioniert zumeist klaglos (eine Kirche sieht aus wie eine Kirche!). Im digitalen Arbeiten kennen wir noch keine derartige Konvention, und es gibt im Nanobereich eindeutige Hinweise, daß die Information von der räumlichen Erscheinung abgekoppelt ist.

Wir wissen, daß ein Buchstabe im Normalfall vier bits zur Speicherung braucht. IBM hätte also 12 bits, hier jedoch IBM (analog gelesen) 35 bits (Hügel). Mit anderen Worten: Die analoge Information der räumlichen Formen ist hier losgelöst vom Inhalt der digitalen Information. Es sind mehr Hügel da, als die Buchstaben brauchen würden, die elektronische Information der bits im Hintergrund ist eine andere als die optisch analoge der Hügel.

Nehmen wir die Loslösung, das Auseinanderdividieren von Informationen und räumlicher Form in der computereigenen Möglichkeit ernst, so ist mit dem analogen Verständnis, welches sich auf Abbildhaftigkeit, auf strukturelle Ähnlichkeiten beruft, hier wenig auszurichten.



Digitale Grenzen: Der Maschinensolipsismus leiert.

Wird die CPU, ein Programm, imitativ -- wie händisch -- pragmatisch verwendet, erhält man natürlich analoge LB (siehe oben); verfügt ein Programm nur über einfache Stereometrien und Manipulationen bzw. nur über bestimmte commands, wird die Architektur ebenso einfach.

Meine Überlegungen betreffen hauptsächlich Arbeiten, welche den Computer tatsächlich digital, u.a. interaktiv und sogar rein generierend, einsetzen. Auch hier treten LB auf -- eben auf Grund der algorithmischen Arbeitsweise --, sie sind zumeist sogar schneller zu erkennen.

Diese digitalen Entwurfsskizzen (1985) manipulieren den Datensatz (Raumprogramm mit m2- Angabe) durch Zufallswahl der Flächenproportion, des Einsatzpunktes und des Drehwinkels.

Gerade eine längere Serie von random- Verteilungen zeigt:

Das Ergebnis ist unabhängig vom Raumprogramm.

Anfängliche Unterschiede werden in der Selbstähnlichkeit obsolet.

Die Analyse der Strukturen zeigt auch bei unterschiedlichem Zoom geometrische Regelmäßigkeiten.

Ausschließlich die Funktion (Verfahrensanweisung u.a. orthogonal oder rotiert) sind formgebend.

ÜBERHAUPT scheint das mit der Architektur, mit dem Computer, mit der Architektur aus dem Computer so zu sein:

Pragmatische Architektur als Planungsdisziplin reicht weit in den Alltag hinein und okkupiert sich immer mehr mit vielem, was nicht ihr eigentliches Metier ist, und will es dennoch mit räumlichen Objekten lösen. Architektur könnte, wenn sie sich vom objekthaften, statischen Ansatz löst, zu einem direkten Interface für Manipultionen und Simulationen werden.

Dieses Verständnis von Architektur würde anstelle von Objekten (Formen, Konstruktionen etc.) vorzüglich Verfahren anweisen, denn digitale Architektur hat keine Extension. Dafür sind mehrfach Wechselschritte in der Planungsmethode zu setzen: Der Planer selbst muß nämlich beim digitalen Arbeiten mindestens zweimal die Seite der Schnittstelle wechseln:

Der erste erforderliche Schritt ist die Umformulierung der analogen Definition einer Bauaufgabe (z.B.: Plane ein Haus!) in einen der CPU verständlichen Algorithmus (z.B.: Kalkuliere Flächenproportionen by random!).

Ist das handshake mit der CPU geglückt, befindet man sich außerhalb der rechten und linken Hirnhälfte, agiert jenseits von Ambitionen, von Identität; die Schwierigkeit für Anfänger ist, die hier geltenden Spielregeln zu akzeptieren. Der Vorteil, den der Computer jedoch bietet, ist zweifelsohne der, daß er ohne Vorbelastung arbeitet, weil er eben kein historisches Denken (Erinnerung, Vergangenheit, Wünsche, Wollen) kennt. Die digitale Manipulationsfähigkeit ersetzt den analogen Spielraum.

Das Erreichen von digitalen LB ist wichtig, da sich auf Grund von Ähnlichkeiten die Selektion relativiert -- es wird gleichgültig was man nimmt; die Geschwindigkeit scheint nicht sosehr maßgebend, vielmehr jedoch die Fülle und Produktivität der Maschine. Die CPU kümmert sich nicht besorgt, was herauskommen könnte, sondern sie läßt die Verfahrensanweisungen laufen.

Der zweite erforderliche Schritt ist die Umformulierung (Interpretation) der digital ermittelten LB zurück in die noch immer analoge Welt des alltäglichen Gebrauchs. Die digitale Architektur wird materialisiert.

Unter der Prämisse, daß digital entwickelte Produkte anders aussehen dürfen als analoge Produkte aussehen können (LB), müssen beliebige Ausgangssituationen nach beliebigen Regeln manipulierbar sein.

Wenn also klar ist, daß ständig sowohl im analogen als auch im digitalen Bereich LB auftreten, zeigt eine modifizierte, interaktive Planungsmethode einen wesentlichen Vorteil: die erforderlichen Sprünge von einer auf die andere Seite der Schnittstelle (= umformulieren von analog in digital und zurück) bringt jeweils auch einen Algorithmuswechsel und somit auch andere LB mit sich.

Es steht außer Zweifel: Im abstrahierten digitalen Raum können durch mediengerechte Manipulationen weitgehend autonome Architekturen entwickelt werden. Vordringlich erschient mir derzeit, gerade für die Übergänge (Transformationen) zwischen analogen und digitalen LB entsprechende Verfahren zu finden.

Wenn wir uns also nicht mit den bereits bekannten, meist abgegriffen analogen LB abfinden wollen, besteht die Quintessenz, daß durch Manipulationen im digitalen Bereich der Architektur neue Impulse ins Haus stehen.

Türtreppentreppentür: Diese Tür sieht nicht so aus wie eine Tür. (Umbau Schloß Trautenfels 1992)








Architektur und Haltung

[178]

6 offene oder 6 geschlossene Rollen... die Intelligenz schwimmt an der Oberfläche:

Jedenfalls genügte eine Rolle, 6 Rollen sind eine dreifache Verdoppelung des Minimalismus.[179]

S: Dieser Satz ist ein Beweis meiner Hypothese Intelligenz schwimmt an der Oberfläche. Die Architektur setzt sich eben mit ästhetischen Problemen auseinander, ist daher der Zwillingsbruder des Designs und schwimmt in der Tiefe.

P: So oder so, die 6 derart verteilten Rollen geben ja Anlaß zu 6 papierabreißenden Haltungen.

S: Haltung ist eine der wichtigsten Parameter für Kunst, nur fehlte der Welt bis jetzt die Definition.

P: Die Kunst wischt ihr also mit 6 Rollen selbst eins aus.

S: Und masochistisch wie die Architektur ist, würde sie sich am liebsten selbst die Spülung betätigen.

P: Die Mächtigen sitzen an den Spülkästen.

S: Darum soll man die Lord Jim Loge nicht unterschätzen.

P: Soferne sich die Kunst die Rollen verschlossen hält, öffnet die Verdrehung zur hinteren Rolle die Architektur.

S: Die Gegensätze zwischen Kunst und Architektur werden so immer größer: Die Kunst liebt den Geräuschkontakt und haßt den Blick.

P: Der Riß zwischen Haltung und Design scheint vor der Papierentnahme verschleiert -- denn jedes Papierchen hat sein Pläsierchen.

S: Der Riß ist doch offensichtlich Schlamm.

P: Und was ist mit der Spülung?

S: In der Kunst sind die Rollen geschlossen, in der Architektur offen, somit beantwortet sich die Frage nach der Notwendigkeit der Spülung von selbst.

P: Unabhängig davon spült der Damenkasten bei den Herren, der Herrenkasten macht's bei den Damen.

S: Wie das Leben so spült: KEINER HILFT KEINEM.

Trautenfels Klo 6 Roller Umbau Schloß Trautenfels 1992

6 Rollen "Ich habe mich verschlossen" Jörg Schlick Multiple - 6 Rollen Toilettenpapier mit Banderole, 6 gravierte Halterungen, 6 gravierte Schildchen
Auflage 6 Exemplare, num. u. sig., 1989 Edition Artelier Graz








Zum Wiederaufbau der Wiener Hofburg:

[180]

Es gibt interessante Beiträge und Objekte zum Thema Neues Bauen in alter Umgebung, aktuelle wie auch aus anderen Kulturepochen. Es ist evident, daß Bauen prinzipiell etwas Neues herstellt und daß ein vitaler, durchaus aktiver Umgang mit alter Bausubstanz jederzeit vorstellbar und auch realisierbar ist. Hingegen verhindert eine konservatorische Einstellung die kulturelle Entwicklung, dient jedoch immer der Systemverstärkung.

S: Richtig, denn das österreichische System wird von Nostalgiekasperln beherrscht. Das haben auch die österreichischen Architekten bereits bemerkt -- sie gehen daher alle heimlich in Andre Hellers Phantasieschule.

P: Die Vorstellung, Trümmer des 18. Jahrhunderts am Ende des 20. authentisch wiederherzustellen, ist reichlich phantastisch. Daher kommt ja auch der Aufruf zur Rekonstruktion: Das Unvermögen, etwas Neues zu produzieren, die Unsicherheit, etwas anders zu akzeptieren und zu vertreten, rufen nach dem kunstgewerblichen Imitat und somit das Schlamassel der künstlerischen Hartleibigkeit hervor.

S: Ganz Österreich ist ein einziges Kasperltheater und Andre Heller ruft wie ein brunftiger Papagei: "Seid ihr alle da?"

P: Und die Bourgeoisie fühlt sich im Malheur ertappt: Mit heißem Puls muß in allen Fällen -- egal was passiert ist -- so getan werden, als ob nichts geschehen wäre. Krampfhaft muß der Status quo ante derart wiederhergestellt werden, daß nicht einmal das schlechte Gewissen etwas merkt, d.h.: Bevor ein Lipizzaner mit angesengter, rußgeschwärzter Mähne herumhupfen darf, wird ihm ein weißes Toupet verpaßt, der Brandgeruch wird mit Roßapfelparfum übertüncht.

S: Diese österreichische Zuckerlästhetik geht schon so weit, daß wenn man z.B. schreibt: mit zusammengezwicktem Arsch selbiges knallhart aus dem Text gestrichen wird. Die Kasperln sterben nicht aus, diese Gartenzwerge wachsen immer nach. Sie basteln sich mit all ihren Argumenten und Fachkenntnissen ein zuckersüßes, marzipanernes, detailgetreues Hofburgerl, konservieren es in Aspik und mit einer Käseglocke darüber.

P: Die Österreicher waren schon vor der Postmoderne postmodern und wollen es offensichtlich auch weiterhin bleiben. Auffallend an der Schrebergartentypologie ist, daß nach Belieben transferiert wird, z.B.: räumlich das Tirolerhaus nach Donaustadt, zeitlich das Barock in die Gegenwart. Wie echt und schönbrunngelbe Maßstabtreue sind die Kriterien, keinesfalls die Vitalität.

S: Das kommt vom vielen guten Geschmack, den alle Leute haben.

P: Architektur ist ja keine Frage des guten Geschmacks, sondern eine Frage der Intelligenz oder der Gentechnologie.

S: Optimisten sind für mich ein Greuel, denn sie haben nie Recht: auch eine Hybridsau ist eine Sau.

P: Ob Architektur oder Schwein, jede Rekonstruktion ist eine Fälschung des Zeitfaktors. Aber die Gentechnologie ist keinesfalls retrospektiv, rekonstruktiv und ausschließlich schweinisch, sondern ein philosophisches Modell, das auch in die Architektur übertragen werden kann. Eine autonome Architektur wird sich nie unter der Käseglocke der Kunsthistoriker entwickeln. Städtebauliche Architektur kann kein Derivat sein, sie ist aktive Auseinandersetzung.

S: Für diese Überlegungen wird sich Wien aber nicht hergeben, denn hier schändet man lieber eine Leiche bevor man aktuelle Architektur zuläßt -- wofür schon beim Ronnacher trainiert wurde.

P: Trotzdem könnte ich ein Projekt für die abgebrannte Hofburg entwickeln, allerdings ohne dabei einen angebrannten Kunsthistoriker zu konsultieren, weil meine Architekturen Manipulationen sind, auch jenseits der Dialektik von alt und neu.

S: Dann sollte eher mit einem Gentechniker zusammengearbeitet werden, der kongenial Gene manipuliert, ein neues und modernes Viech mit dem Namen Glutnesterl klont, das wegen seiner Schönheit jeden Lippizaner erröten läßt.

P: Und dazu wird der noch vorhandene Rest der Hofburg, einige Daten und Bauteile, manipuliert -- Architektur generiert, was der Computer ohne geschmackliche oder historisierende hangups rechnet.

S: Und vorteilhaft ist, daß diese Parallelaktion zur Hofreitschule zu 100% von den Computer- und Genlobbies finanziert wird.








Der neue Steirerhof und die Autonomie der Architektur

[181]

Die allgemeine Kritik am neuen Steirerhof überlegt vordergründig die Einfügung: Paßt das Gebäude auf den Jakominiplatz, überhaupt in die Altstadt, oder nicht?

Die gängige Vorstellung darüber, was Einfügung sein soll, reicht von der Faust aufs Auge (= paßt nicht), bis zum form- fit eines Puzzles (= paßt); da aber Formen selten so zusammenpassen können wie Yin- Yang, gibt es auch die Methode So-tun-als-Ob (u.a. postmodern) oder auch den Versuch der Tarnung (wie z.B. bei den nunmehr grünen Silokugeln in der Landschaft angewendet).

Und der Geschmack ist zweifelsohne nicht nur eines der dominantesten Kriterien für Gestaltung und Einfügung, sondern auch Maßstab der Kritik; er mischt sich wirklich überall ein. Da aber die Ergebnisse, die der permanent nörgelnde und besserwissende gute Geschmack mit sich bringt, keineswegs überzeugend sind und eigentlich nur das Qualitätsmerkmal schlechte Banalität oder ohnehin schon bekannt erfüllen, ist zu fordern, daß weiterhin nicht mehr nach der Auslese des Geschmacks vorgegangen wird.

Ich gehe daher davon aus, daß Architektur eine Frage der Intelligenz ist, nicht eine Frage des Geschmacks; daher wäre auch in der Kritik eher der Intelligenz als dem Geschmack zu folgen.

Kritik, die sich am Geschmack orientiert, verbreitet nur üblen Mundgeruch. Sie ist unansehnlich, weil sie, wo die Argumente fehlen, eben auf das Recht auf den eigenen Geschmack zurückgreift, obwohl dieser besonders normiert, selten der eigene ist. Der gute Geschmack wird sich immer über Geschmacklosigkeiten ärgern müssen, weil die Geschmäcker verschieden sind und Fachkenntnis selten ist.

Der neue Steirerhof entzieht sich diesen Kategorien. Er frustriert somit den österreichisch- latenten Wunsch zur Einfügung und Anpassung. Folgend wird nicht mehr die Architektur an einem bestimmten Ort, sondern die Irritation einer Einstellung, das Nicht- Einhalten des österreichischen Verhaltensmusters, kritisiert; das Gebäude paßt nicht zum Geschmack, nicht zur Vorstellung, nicht zum hinlänglich bekannten Wunschbild der -- vor allem emotionalen -- Kritik und daher, wird behauptet, paßt es nicht dorthin, wo es eben steht. Daß diese Art der Kritik unpassend ist, stört offensichtlich nicht.

Intelligente, d.h. geschmacklose Architektur, sieht eben nicht so aus, wie kleine Kinder Häuser malen; es ist Wesen einer künstlerischen Konzeption, etwas so zu gestalten, was nicht so aussieht wie ... (etwas schon Bekanntes, das der Geschmack gewohnt ist), und je weiter sie sich vom Geschmack entfernt, desto kontroversieller wird sie offensichtlich. In diesem Sinne muß jede Architektur ohne Geschmack auskommen, geschmacklos sein.

Architekt Krischanitz hat dieses Kunststück geschafft. Er hat ein logisches und konsequentes Gebäude entwickelt, streng und gerade nach seiner Art, welches jedoch fachlich eindeutig nicht der Grazer Schule zuzuordnen ist.

Es ist ein städtisches Gebäude ohne Geschmack und Beigeschmack, es tut nicht so als ob: Indem die Glasfassade in der Gleisdorfergasse eigentlich keine Fenster hat, daher auch keine Blumenkisterln, können keine Geranien die nicht vorhandenen Fenstersprossen nicht verdecken und die Farbgebung insgesamt ist weit weg vom Gedankengut militärischer Tarnung.








Der Ort, die geschmacklose Nichtidentität, das Echo der Berge

[182]

Alle Identitätssucher werde ich enttäuschen, weil ich keine Tips zur Identitätsfindung geben kann. Erwarten Sie sich von mir auch keine Durchhalteparolen zur Verteidigung von Regionalität -- ich nehme es gleich vorweg, die unangenehme Enge von gewollter Regionalität könnte mich veranlassen auszuwandern.

Im vergangenen Jahr sind mir einige schöne Beiträge zum Thema des heutigen Symposions aufgefallen, u.a. von Peter Weibel / Christa Steinle die Ausstellung Identität:Differenz, eine Topografie der Moderne und von Robert Menasse das Buch Das Land ohne Eigenschaften.

Theoretisch habe ich mich mit unserem Thema bislang eigentlich noch nicht beschäftigt. Als produzierender Architekt kenne ich mich im Umfeld von Planungen recht genau aus, daher werde ich aus dieser Perspektive einen Beitrag versuchen. Ich beziehe mich dabei auf die Rekonstruktion von kreativen Vorgängen (wie kommt der Strich aufs Papier?) und auf meine Individualerfahrung. Dazu werde ich einige Begriffe analysieren und mir erlauben, Analogien herzustellen:

Die Handschrift:

Der Begriff Handschrift des Architekten, des Künstlers usw. ist ja allgemein bekannt, auch Zorro hatte seine Handschrift. Mir scheint, daß sich in der Handschrift das manifestiert, was mit Identität gemeint sein könnte -- zumindest liegt in der Gleichung Handschrift = Identität die Existenzgrundlage aller Graphologen.

Handschrift ist das, was sich ein junger Künstler entwickeln möchte. Nur wenige schaffen es wirklich originär, noch seltener schafft es jemand ein 2. Mal im Leben.

Mit der Handschrift protzen jene, die den Durchbruch geschafft haben, Handschrift ist ihre trademark, ist das, was sich ein Bauherr am Graben oder am Kärntnerring einkauft.

Eine Handschrift ist nicht Maschinenschrift; wie gestochen oder unleserlich sie auch sein mag, sie hat den Hautgout der Individualität. Die Handschrift hat Charisma, sie gilt als etwas Seltenes, daher als elitär, singulär.

Dennoch pickt sie jedem auf der Hand und dann überall dort, wo diese hinlangt, sie läßt sich nicht leicht abwischen. Man sagt, die Handschrift ist unvergeßlich und unverkennbar, sie hat Format, hat Stil.

Die Art, wie sich Architekten um die Handschrift kümmern, ist verkrampft und kleinlich. Sie erkämpfen und verteidigen[183] ihre Handschrift, sie sind bekümmert, sie zu verlieren: durch Computer oder Sachzwänge, durch Senilität oder Impotenz.

Es gilt als unehrenhaft, eine Handschrift zu kopieren, zu spranzen; woher sie auch immer kommt, der Architekt erhebt copyright- Anspruch.

Die Situation ist widersprüchlich: Man will die Handschrift, den einzigartigen Entwurf, dieser soll aber nicht regionale, sondern wennmöglich allgemeine Gültigkeit und internationale Bewunderung finden.

Obwohl Architekten sich generell als modern denkend und aufgeschlossen gerieren, hängen sie dem klassischen Entwurf an: Identitätsgebung zum Exzeß -- nicht nur der Häuslbauer sucht gewollt die besondere Handschrift, auch beim sachlichen Industriebau wird corporate identity zur Dominante.

Handschriften stehen bei Archäologen hoch im Kurs, Ethnologen lieben Handschriftliches. So wie die Entwicklung der Typographie die Kalligraphie neu bewertete, ist heute der individualistische Entwurf zu überdenken. Aber der Hang zur Handschrift sitzt tief im Fleisch der Architekten, archetypisch, archaisch; daran wird die Änderung oberflächlicher Organisationsstrukturen, z.B. die Europäische Union, nicht rütteln. Wer sein Vaterland verliert (wenn Architekturkonzepte obsolet werden), will zumindest seine Handschrift bewahren.

Mein Standpunkt ist: Wenn Handschrift etwas so Elementares ist, dann soll sie sich zeigen und gegebenenfalls durchsetzten; ich kümmere mich nicht darum; ich wäre aber insgeheim froh, wenn ich davon verschont bliebe. Die Surrealisten haben ja auch alles unternommen, um davonzukommen.

Noch deutlicher: Ich halte eine Handschrift heute nicht mehr für erforderlich. Sie ist geradezu störend, wenn Planung Problemlösung sein soll, da sich Handschrift immer auf etwas schon Erprobtes beruft, zumindest auf sich selbst.

Die Fraktale Geometrie gibt uns die Vorstellung, daß in der Handschrift ein Limesbild erreicht ist, d.h. ein repetitiver Zustand, in welchem ohne Änderung der Parameter die Entwicklung stockt. Identität und Regionalität berufen sich in allen Facetten darauf, typisch sein zu wollen und das Typische besteht gerade darin, daß es ein Limesbild ist.

Ein Stil

Direkt verwandt mit der Handschrift ist der Stil, so nehmen jene Architekten, die trotz heftigster Bemühungen keine eigene Handschrift haben, halt einen Stil -- als kollektives Substitut der Handschrift. Handschriftler und Stilisten reden voneinander schlecht.

Mit dem Stil ist es wie beim Gartenzwerg: Wenn der real- life Umgang mit den Dingen, die Dynamik, die Beziehungen gestört sind, kommen die Ersatzhandlungen; wenn die Architektur, der Entwurf, nicht gelingen will, dann wird symbolisiert, stilisiert. Es wird im Kleinen angedeutet, weil das Große nicht erreichbar ist (my home ist mei Kastl), regionale Mimikry ist internationaler Stil.

Seit jeher und weltweit übertüncht der Transfer Regionales: Dimensions-, Zeit-, Inhalts- und Formverschiebungen erfolgen nicht nur für den Gartenzwerg in Graz -- auch rund um den Globus und quer durch die Weltgeschichte: Es kommen griechische und römische Trümmer in die Renaissance; Gotik, Renaissance, Barock ins 19. Jahrhundert; die Vergangenheit ins Postmoderne, die Postmoderne von Amerika nach Europa; der Eisschrank zu den Eskimos; Nilpferde nach Schönbrunn; englische Schlösser nach Amerika; das Tirolerhaus ins Burgenland; ein kleiner Schritt auf den Mond; chinesische Restaurants nach Linz.

Es ist schick, in Restaurants mit fremdländischer Küche zu essen -- auch Architekten tun dies gern. Eigenartigerweise will aber keiner von uns Architekten Trulli auf die Alpen stellen, da fügt sich das Tiroler Haus besser zur Identität, was sich aber ein Szene- Architekt auch nicht erlaubt. Und die gewissenlosen Baulöwen und die Landbaumeister, diese gestalterischen Banausen stellen Fertigteilgarageboxen auf die Almwiesen, und ein Japaner ist Weltmeister im Jodeln.

Dabei sollte ein Stil rein sein! Ein Stil kann zwar überall angewendet werden, soll sich aber nicht vermischen; er will keine Rücksichtnahmen, aber auch kein feedback. Dazu haben sich offensichtlich Spielregeln herausgestellt, was ein zulässiger (z.B. internationalistischer) oder verpönter (gekupferter) Transfer ist.

Das Problem dabei scheint mir nicht zu sein, daß jeweils nicht- regionale Formen verwendet werden, sondern daß ein kulturelles Mißverständnis vorliegt, wenn mit veralteten Kategorien gearbeitet wird: Handschrift, Stil, Zugehörigkeit, Transfer etc.

Wir wissen heute genau, wie unsinnig es ist, mit alten Programmen neue Daten zu bearbeiten; dennoch werden regionale Spezifika für den Transfer aufrechterhalten, derentwegen z.B. Kartoffel zum Schälen von Germany nach Italy geführt werden. Das stilistische Reinheitsgebot gilt, obwohl es bei forciertem Transfer nicht einzuhalten ist. Der Konflikt ist programmiert, der Bourgeois kann die Nase rümpfen.

Daß Stile nicht mehr so aktuell sind wie z.B. zur Zeit des Eklektizismus, hat sich zumindest auf der theoretischen Ebene herumgesprochen. Tatsächlich könnte man damit endgültig aufhören, denn was sollte schon passieren, wenn man keinen Stil mehr hat?

Als langjährig Involvierter und daher Kenner der Situation erlaube ich mir hier einige Bemerkungen zum Phänomen GRAZ, denn die Grazer Schule ist ein Stil, insofern ein Stil Bilder reproduziert, so wie es die Adepten ständig praktizieren.

In der Regional- Liga- Süd sprechen die Handschriftler aber nicht vom Grazer Stil, sondern von der Grazer Schule. Im Augenblick ist auf Grund heftigster Fraktionskämpfe nicht geklärt, ob beim nächsten Wettbewerb die keineswegs kleine Gruppe der reduktionistischen Minimalisten (Stilisten) oder die der Aktionisten (Handschriftler) gewinnen wird.

Nicht nur in Graz verstehen sich die Architekten selbst als modern und aufgeschlossen, sie verstehen sich vor allem als Originale (der Bauherr will ja auch zumeist individuelle, originale Bauten). Es ist geradezu Kennzeichen, daß jeder typische Architekt der Grazer Szene sich als Einzel- Kämpfer versteht. Er dürfte eigentlich gar nicht Grazer Schule sagen; er müßte richtiger die sogenannte Grazer Schule sagen und dabei immer die anderen meinen. Weil also ein jeder Architekt ein Original sein will, will aber keiner bei der Grazer Schule sein, zudem will jeder lieber weltberühmt als stadtbekannt sein. Das sind die ungeschriebenen Statuten des Vereins.

Manche Architekten in Graz bringen es trotzdem zu bescheidenem Wohlstand, sodaß sie sich ein eigenes Haus bauen können. Vermutlich aus Sparsamkeit machen sie sich die Pläne dann selbst -- wie die Häuslbauer. Und überhaupt ist mir kein Fall bekannt, in dem ein Grazer Architekt mit großzügiger Dotation einen internationalen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für sein eigenes Eigenheim ausgeschrieben hätte -- purer Geldmangel! Es gibt natürlich auch Kommentatoren, welche sagen, das wäre eben der spezifische Grazer Regionalismus; andere meinen, das wäre die typische Selbstverwirklichungszeremonie.

Die Historiker und Kritiker tun sich schwer, weil die Grazer Schule natürlich weder ethnisch noch formal rein ist und die Definitionen bisher fehlen.

Dem kann abgeholfen werden: Weil ich selbst natürlich auch nicht Mitglied der Grazer Schule bin, bin ich der einzige, der eine Ehrenmitgliedschaft bei der Grazer Schule verleiht, d.h.: wenn z.B. etwas so richtig zur Definition der Grazer Schule beiträgt, verleihe ich dem Architekten die Ehrenmitgliedschaft an der Grazer Schule, womit letztlich die Definition der Grazer Schule präzisiert wird.

Wenn Sie das verstehen, wird Ihnen auch klar sein, daß die Grazer Schule zwar autochthon, aber nicht regionalistisch ist, sie hat in vielen Facetten wirklich internationales Format.

Der Geschmack - der gute

Unabhängig von Graz ist der beliebteste Stil dennoch der des guten Geschmacks. Guter Geschmack und schlechtes Benehmen treten immer paarweise auf. Der persönliche gute Geschmack ist zumeist normiert und nicht der eigene.

Im guten Geschmack will sich die persönliche Identität definieren und manifestieren. Jedes Häuslbauerkonzept, jede Menüauswahl, jede Alltagsentscheidung wird ihm folgend getroffen, er mischt sich wirklich überall ein. So ist er zweifelsohne eines der dominantesten Gestaltungskriterien.

Da aber die Ergebnisse, die der permanent nörgelnde und besserwissende gute Geschmack mit sich bringt, keineswegs überzeugend sind und eigentlich nur das Qualitätsmerkmal schlechte Banalität oder ohnehin schon bekannt erfüllen, ist zu fordern, daß weiterhin nicht mehr nach der Auslese des Geschmacks vorgegangen wird.

Was mir beim guten Geschmack so unsympathisch ist: "Was der Bauer nicht kennt, ißt er nicht", da gibt es kein Argumentieren! Und gerade wo Argumente fehlen, wird auf den persönlichen Geschmack zurückgegriffen. Das ist postmodernes Verhalten, das sich an der Norm orientiert.

So wie sich ein Limesbild immer selbst reproduziert, sucht der gute Geschmack immer das Bekannte und die Identität findet ihre Zugehörigkeit im guten Geschmack, denn jeder gehört am Ende irgendwo hin; der gleiche Geschmack vereinigt, nicht nur die Speisekarten zeigen regionalen Geschmack.

Ich glaube das System des Geschmacks hat sich lange genug versucht, die Identitätssucher ebenso. Angesichts der miserablen Ergebnisse der Geschmacksselektion, gehe ich davon aus, daß Architektur nur mehr eine Frage der Intelligenz sein soll, nicht eine Frage des Geschmacks.

Mein persönliches Ziel ist daher die Geschmacklosigkeit. Dabei muß ich aber feststellen, daß dies zu erreichen ziemlich schwer ist -- weil wir eben noch in einem System von Geschmack und Identität leben.

Die reine Materialgerechtigkeit

Wie der Architekt sich an der Handschrift, dem Stil, dem Geschmack orientiert, geradezu festkrallt, fordert er seine Identität auch in der Materialbehandlung, die mindestens materialgerecht sein muß: der Purismus, das reine Material, die reine Form, die Klarheit -- alles im Dienste der Identität! Das Loos'sche Reinheitsgebot liefert dazu das theoretische Mäntelchen der Ausschließlichkeit. Was der Person die Identität, sei dem Baustoff die Materialgerechtigkeit.

Dem Material werden wir Österreicher gerne gerecht, so wie wir auch unserer Geschichte, der Landschaft, dem Ortsbild gerecht werden wollen. Unsere Identität ist regional ortsüblich allem gerecht.

Der Fremdenverkehrsobmann und der Ethnofreak wissen es ganz genau: Materialgerechtigkeit und Regionalität sind direkt proportional. Je authentischer (Mondphasen beachten!) das Holz im Vorarlberger Dorf, je edler Marmor und Messing beim postmodernen Portal in Wien, um so unverwechselbarer -- meint man -- ist der Charme der Identität des Orts und geht an Problemen heutiger Bauaufgaben, an aktuellen Fragen der Architektur vorbei.

Besonders übel wird dem Material mitgespielt, indem ihm eine Rolle als Bedeutungsträger gegeben wird, es soll das transportieren was gemeint wird. Glas ist klar, Holz ist heimelig, Beton ist brut. Für was die armen Baumaterialien noch herhalten müssen! Ein Ziegel oder das Wellblech haben wirklich kein Interesse daran, auch noch Bedeutungsträger zu sein -- nicht einmal für die Peripherie.

Identität wird Gebäuden durch Materialgerechtigkeit und Bedeutungsträgertum umgehängt, sie können sich dagegen schlecht wehren. Ich will mich davon aber nicht terrorisieren lassen.

Der ORT

Als Architekten sind wir sozusagen ORTskundige, auch weil wir uns dauernd mit wORTen beschäftigen. Wir müssen vor Beginn einer Arbeit vor ORT eine rauchen, so wie es in Vorzeiten üblich war. Viele Architekten fotografieren, manche vollbringen esoterische Turnübungen, um mit dem ORT eins zu werden. Es ist ein romantischer Gedanke, daß in der Region, in der überschaubaren Dimension noch alles in ORTnung ist.

Die sogenannte Bedeutung des ORTs wird zumeist nur zur derivativen Architektur mißbraucht. Die Abhängigkeit ergibt sich um so stärker, je stärker die Impression ist. Manche Architekten suchen den ORT, sie brauchen einen ORT für den Augenblick der händischen Entwurfsskizze.

Meine Antithese zur ORTsbezogenen Architektur ist: ein Grundstück, den Bauplatz gar nicht besichtigen: ORTlos = handschriftlos!

Heute beschäftigen sich systemtheoretische Ansätze mit anderen Einflußgrößen: Für mich gibt es nicht mehr den sakralen ORT, den magischen ORT, den ORT als Bedeutungsträger. Der Himmel ist nicht mehr oben und die Hölle nicht unten. Die Orientierung im 3- dimensionalen Datensatz ändert sich mit jedem neuen Koordinatensystem und beim zoom löst sich in der Dilatationsinvarianz die Größe, der Maßstab auf.

Der Raum ist keine Schachtel mehr, ein Zimmer ist kein Rechteck mehr, wir können uns vom ORT emanzipieren, weil sich die Formensprache auflöst und schließlich auch die Architektur.

Identitäten werden örtlich bezogen: Ich weiß, es gab einmal Hauslandschaften, alemannisch, burgenländisch, steirisch, tirolerisch, salzkammergutisch, mühlviertlerisch, die Pyramide am Nil, die Tempel in Griechenland, die Grazer Schule in der Steiermark.

Daß etwas hier oder dORT geschieht, hat mit dem ORT vermutlich nichts zu tun. Die autochthone Architektur ist eine pure Behauptung, lineare Logik eine abgeleitete Vorstellung: Weil das Ableiten, das Derivat, die Eselsbrücke von Unbeholfenen ist, wurde die Theorie zusammengebastelt, daß ein Gebäude mit dem genius loci ORT etwas zu tun hätte. Diese Argumentation war mir immer unverständlich: Was haben das Wittgensteinhaus, das Looshaus, das Hundertwasserhaus, das Haashaus mit dem StandORT zu tun?

Wie soll ich einem Bauherren erklären, daß sein lang gesuchtes, teuer erworbenes Grundstück ein ORT ohne besondere Identität ist, und dem Landeshauptmann, daß die Region nichts als die Sehweise eines Limesbildes ist?

Das Echo der Berge

Ich habe den Verdacht, daß die Berge schuld sind: wo mehr Berge, dort mehr Heimat, dort mehr Region. Jedes Tal hat seinen Käse, Österreich hat unheimlich viel Landschaft; da kann auch viel ORT gefunden werden und die Planer finden genug an gewünschter Komplexität. Im flatland wird in Ermangelung von Schichtenlinien gerastert.

Die Berge verleiten zum Hinaufsteigen, zum Blick darüber, zum Erhabenen, man könnte auch sagen Das heilige Erbe. Die Lederhosenhäuser sind das Echo der Berge, sie sind das Revanchefoul für Welleternit, Bramac- Dachsteine und was sonst noch alles von der Stadt auf das Land gebracht wird, was die Idylle irritiert.

Ebenso wie ich dem Biedermeier entsage, verbiete ich mir jedwede Kokettiererei mit ethnologischer Architektur, mit der sogenannten Architektur ohne Architekten -- ich glaube da hat Rudofsky einigen Schaden angerichtet. Die Architekten haben da zuviel Verständnis, zuviel selbe Wellenlänge, zuviel Holismus, zuviel Anpassung.

Die Nichtidentität

Identität ist fixer Bestandteil im Vokabular der Architektensuada: das Projekt hat Identität, das Projekt gibt der amorphen Umgebung Identität, die Trennfuge setzt den Solitär etwas ab usw. usw. Was die Identität nicht alles will, und die Peinlichkeit geht noch weiter: "Bei der Lösung der Bauaufgabe haben sich mehrere Varianten ergeben, ich habe die Entscheidung für diese getroffen -- und ich stehe dazu!" sagen sendungsbewußte Planer.

Ich meine:

· Das Projekt wird durch diese draufgeklebte Identifikation nicht besser und

· es ist nicht erforderlich, sich als Planer mit dem Produkt zu identifizieren (man bekommt dafür ja nicht zusätzlich gezahlt[184]).

Wobei mir insgesamt unklar ist, was nun Identifikation und Identität braucht oder hat: der ORT, das Gebäude, die Interpretation oder der Architekt.

Wenn ich eine Identität des ORTes nicht brauche, wenn ich die Architekturidentität nicht praktiziere, sie sogar ablehne, glaube ich in Analogie dazu, auf jegliche Identität verzichten zu können. Ich plädiere für die Nichtidentität, ich bin sozusagen ein Nichtidentitätler.

Zwar wird die Fragestellung Identität / Regionalismus im Spektrum von Fundamentalismus bis zur Integration in Europa auf Flamme gehalten, es ist aber klar, daß dabei mit Begriffen des 19. Jahrhunderts operiert wird.

Für Planer halte ich es für wichtiger, sich bei heutigen Systemtheorien möglichst gut auszukennen, also bei kybernetischen Modellen, in der fraktalen Geometrie, in der Chaostheorie oder in der fuzzy- logic;

Es scheint mir heute wichtig zu wissen, was der Schmetterlingseffekt ist, welche Parameter Systeme zum Kippen bringen und noch wichtiger, mit welchen Manipulationen diese gesteuert werden können. Eine Identität zu haben, erscheint mir dabei nicht erforderlich.

Identitäten sind aber offensichtlich in unserem heutigen System -- wenn auch als anachronistische Relikte -- noch immer Parameter. Aus Angst, sie zu verlieren, werden daher ja auch -- analog zu Altphilologentreffen -- Symposien über die Regionale Identität im wachsenden Europa -- Das Fremde veranstaltet.

Ich sehe die Notwendigkeit, durch progressive Schritte zu versuchen, sich solch einer dialektischen, fallweise sogar wertkonservativen Fragestellung zu entziehen, um etwas herauszufinden, was die ohnehin bekannten Grenzen der Architektur ignoriert.

Anstelle von regionalen Limesbildern mit Identität, Orientierung, Sicherheit wünsche ich mir einen starken Rechner. Damit werde ich eine handschriftlose, geschmacklose, stillose, ORTlose Architektur generieren, die kurzum nichtident ist.

Wer ein derartiges Gebäude generieren und bauen kann, wird nicht nur europareif sein. Ihm allein gebührt der Pritzkerpreis.

Soweit sind mir die Zusammenhänge klar. Ein entscheidendes intellektuelles Problem belastet mich dennoch: Dieses Gebäude würde vielleicht doch an einem ORT stehen, es würde vermutlich meine Handschrift haben, es würde so geschmacklos sein, daß es sogar mir gefallen könnte.

Daher arbeite ich immer am übernächsten Projekt.

PS.: In der Diskussion nach diesem Referat wurde mir von mehreren Seiten vorgehalten, ich hätte mir selbst mehrmals widersprochen -- was ich nicht in Abrede stellen will. Natürlich erlaube ich mir argumentative Ali- shuffles (auspendelnde Wechselschritte).








Die Lösung des Eckproblems in der Grazer Schule

[185]

Meine Kommentare zur Lösung des Eckproblems beschränken sich natürlich nicht auf die Ecke (links oben) beim griechischen Tempel. Sie beschäftigen sich mit Außen- und Innenecken, noch allgemeiner gesagt mit Kanten im Raum oder Strichen am Papier. Und weil ich ein aktiver Architekt bin, beschränke ich mich nicht auf Beobachtungen, sondern werde versuchen, aus Sicht des Manipulators, des Kantenmanipulators zu argumentieren.

Jeder, der einmal in Griechenland war, jeder, der eine humanistische, eine kulturhistorische Bildung hat, kennt das schweigende Staunen, von welchem der Betrachter der griechischen Tempel ergriffen wird. Für unsere Betrachtungen heute verlassen wir die Emotionen, den Schönheitsbegriff und stellen systematisch fest: Die Bedeutung des griechischen Tempels liegt nicht im Bau als solchem, sondern in dem, was durch ihn und an ihm entstand: die architektonische Ordnung.

Wir alle kennen den alten Architektenspruch Bauen heißt ordnen und wir wissen aus eigener Erfahrung, daß ein Ordnungsprinzip, welches am Beginn einer Arbeit aufgestellt wird, während der Entwicklung bis zum fertigen Gebäude häufig modifiziert wird. So ergeht es allen Anfängern, so erging es offensichtlich auch den alten Griechen.

Heute wissen wir, daß es sich beim Eckproblem im Grunde genommen um ein anderes Phänomen dreht: DEN RASTER. Wie man weiß, geht es sich mit dem Raster nie so richtig aus, weder im Grundriß, noch in der Fassade, und schon gar nicht in einer 3- dimensionalen Agglomeration. Dann folgt die Grundfrage: Darf ein Raster Ausnahmen haben? Dürfen Abweichungen auftreten, wenn ja, kann man überhaupt noch von einem Raster sprechen usw. Die Antworten sind austauschbar.

Die oft zitierte faule Ausrede: "Die Ausnahme bestätigt die Regel", hängt natürlich auch mit dem Eckproblem zusammen.

Andreas Gruber, ein Architekt, mit dem ich einige Projekte zusammen bearbeitet habe, vertritt die Ansicht, daß es sich beim klassischen Eckproblem der Griechen offensichtlich um ein Ablenkungsmanöver der Architekten handelt: Sie wollten, indem sie mit dem Finger auf die Ecke mit den Rasterabweichungen zeigten, von ihrem wahren Problem ablenken, nämlich davon, daß sie den Materialwechsel von Holz zum Stein weder konstruktiv noch formal gelöst hatten, eigentlich kläglich gescheitert waren.

Die Theorie der materialgerechten Konstruktion, von der ich nicht viel halte, würde sagen, daß die griechischen Tempel atypische Steinbauten sind, und insofern wie Arbeiten von Anfängern aussehen (kulturgeschichtlich sind sie ja tatsächlich Anfänger); aber genau das bringt uns nicht viel weiter, denn:

Das Ablenkungsmanöver geht natürlich auch dorthin, daß die Architekten, indem sie an dem kniffligen Scheinproblem tüfteln, kein Potential für neues, kreatives Arbeiten haben. Dadurch ist in der Architektur eigentlich Jahrhunderte lang nichts entwickelt worden. Erst jenen, die sich von der Hinterlist des Eckproblems emanzipieren konnten, war es möglich, Akzente zu setzen. Ich glaube, in diesem Sinn ist es leicht verständlich, warum Griechenland in der internationalen Architektur- Szene kaum eine aktuelle Rolle spielt, ähnlich wie Wien ja auch weitgehend paralysiert ist von Otto Wagner und Adolf Loos.

Es steckt natürlich auch ein Trick dahinter: Indem die Griechen sagten, es gäbe eine architektonische Ordnung und in deren Folge ein Eckproblem, haben sie die Nachwelt verpflichtet, sich damit auseinanderzusetzen; so sind Generationen von Architekten mit dem Architrav und Triglyphen und Metopen etc. gemartert worden, einige entwickelten sogar eigenartige Vorlieben dafür. Durch solche faulen Tricks kann man sich also auch Nachruhm sichern. Und so geschah es, daß bislang die Wurzel der Architektur im griechischen Tempel gesucht wurde.

Aus diesen Gründen habe ich es seit jeher abgelehnt, mich mit dieser Materie zu beschäftigen. Ich bin natürlich auch diesbezüglich ein Ignorant. Daher kann ich diese Bilder, den Architrav, gar nicht richtig wissenschaftlich erläutern. Ich glaube, es dreht sich hier um irgendwelche Abstände oder darum, was besser aussehen könnte oder sonst irgendein Argument. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, was man so alles überlegt. Ich glaube, man braucht hier gar nicht von Baukunst zu sprechen -- es ist Argumentationskunst.

Als unabhängiger emanzipierter Planer hätte ich gesagt, lassen wir beim Tempel die Eckstütze weg, wenn sie Probleme mit sich bringt, und das schien eine gute Lösung zu sein. Dann hat mir später ein Freund gesagt, daß das auch nur eine Teillösung wäre, weil dann die nächste Stütze zur Eckstütze würde usw. Daraus folgten vermutlich die stützenfreien Ecke bei Mies van der Rohe oder die hineingerückte Stütze bei F. L. Wright oder auch die runden Ecken.

Das Eckproblem tritt penetrant oft auf, und es gibt die unterschiedlichsten architektonischen Reaktionen darauf. So wurde es zum immer wiederkehrenden Begriff des klassischen Architekturvokabulars.

Ich kenne derartige Überlegungen noch, da ich mit diesen architektonisch erzogen wurde, und ich weiß, daß das Marketing der Architekten meistens mit dem Erscheinungsbild der Gebäude argumentiert. In meiner Planungspraxis wende ich derartige Regeln selbstverständlich nicht an, ich halte sie für veraltet. Ich denke, es ist für den heutigen Architekten wichtiger, sich in den verschiedenen aktuellen Systemtheorien auszukennen, als in der Stilkunde. Mit anderen Worten: Z.B. ist das Leistungsprofil eines Gebäudes wichtiger als die elegante Ecklösung.

Das sind Skizzen, die einen Hinweis darauf geben, daß das Erkennen von Kanten und Ecken auch von der Theorie der Wahrnehmung betrachtet werden muß. In dem Bild links sehen wir also einige Striche. Wir können sie flach, 2- dimensional verstehen, wenn wir wollen, können wir sie auch als 2- dimensionale Darstellung eines Würfels sehen. Ob etwas eine Kante ist oder nicht, hängt wirklich nur von dem ab, was wir sehen wollen, wie bei den Zeichnungen von Escher.

Im 3- dimensionalen Raum, z.B. in einem Zimmer, nehmen wir primär die Kanten wahr, dann die Flächen; die Wahrnehmung spannt also, analog dem geometrischen Zeichner, zwischen Kanten die Fläche auf. Der Handwerker geht anders vor: Er baut die Mauer, -- zuerst die Fläche -- und die Kante ergibt sich sekundär aus der Verschneidung von Flächen. In der üblichen Darstellungstechnik sind wir gewohnt, dort einen Strich zu machen, wo räumlich eine Kante ist. Oder umgekehrt argumentiert: Wenn wir nicht so viele Striche machten, würden wir nicht überall Kanten sehen.

Die Dreidimensionalität am Drahtmodell ist relativ leicht erkennbar. In einer flächigen Darstellung, wenn die Kanten nicht besonders hervorgehoben sind, können wir nur schwer einen Würfel ablesen, da müßten wir unsere Vorstellungskraft schon sehr anstrengen bzw. mit unserem Wissen hineininterpretieren.

Dennoch wieder die Frage: Was ist 2-oder 3-dimensional zu verstehen? Und wenn es 3-dimensional ist, dann tritt die Subfrage auf, ob es eine Innenecke oder eine Außenecke ist. Diese Spielereien sind spätestens aus den barocken Anamorphosen bekannt.

Ein wesentlicher Aspekt ist daher, ob im digitalen oder im analogen Bereich, die ECKERKENNUNGSINTELLIGENZ.

Wenn man vor den Bildschirm eine Lupe hält, um eine Kante (= Schnittkante von 2 Flächen) zu vergrößern, erhält man letztlich nur Information über die trio- pitches. Das hilft wenig bei den optisch schwierigen Fragen, welcher pixel (Punkt) nun zu der einen Fläche, und ob der benachbarte pixel schon zu der anderen Fläche gehört; dies ist übrigens derzeit eines der größten Probleme von Bilderkennungsprogrammen, von 3- dimensionalen Vektorisierungsprogrammen. Am Bildschirm ebenso wie in der Natur gibt es keinen Strich, welcher die Punkte von einer Fläche gegen die andere Fläche abgrenzt. Diese Bemerkungen deuten das an, was heute in den systemtheoretischen Wissenschaften tatsächlich ein Eckproblem ist. Ich verweise hier vor allem auf die Forschungen zur Künstlichen Intelligenz, auf das Verständnis in der Fraktalen Geometrie, auf die Chaostheorie und schließlich auf die fuzzy logic.

Da wir Architekten uns in diesem wissenschaftlichen Bereich gar nicht so genau auskennen, sollen meine Überlegungen zum schöngeistigen Amusement beitragen, so wie es die Architekten gerne haben.

Auch glaube ich, daß die Grazer Schule hier weitgehend nicht so wissenschaftlich und systematisch an die Sache -- an die Ecke -- herangegangen ist, sondern vielmehr an der Oberfläche schwimmt. Die formalen Lösungen haben natürlich einiges an Lebensweisheit in sich.

Noch einige Querverweise: Wir haben festgestellt, daß die Lösung des Eckproblems direkt mit der Wahrnehmung zusammenhängt. Somit vermute ich auch, daß die hier angestellten Überlegungen spezifisch mitteleuropäische Architektenüberlegungen sind, welche von einer anderen Kultur mit anderen Wahrnehmungsgewohnheiten, z.B. den Eskimos, überhaupt nicht verstanden würden.

In diesem Sinn können wir auch feststellen, daß unsere mitteleuropäische Kultur der Wahrnehmung sich durch die Einführung der perspektivischen Darstellung geändert hat. Das läßt sich gerade in der Architekturgeschichte leicht nachweisen: z.B. die Auswirkung auf Straßen- und Platzkonzepte oder auf die Gebäude selbst, die zentralperspektivische Vorderfront etc.

Seit jeher haben mir natürlich auch die Anamorphosen gefallen, sozusagen der Exzeß der Perspektive bzw. das Spiel mit der perspektivischen Wahrnehmung: Man ist gewohnt, daß Kanten parallel laufen (sonst würden die Häuser, Straßen, Schienenstränge ja immer breiter werden - und wo soll denn das enden! - und die Parallelität gibt die Gewißheit, daß es anderswo auch so ist wie hier!); daß in der Perspektive ihr unendlich ferner Schnittpunkt = Fluchtpunkt eben ins Auge oder aufs Papier kommt ist eben ihr Trick. Mit dem Doppelspiel von realer Parallelität und dem Zusammenlaufen im virtuellen Bild kann in einer realen Konfiguration und in der Wahrnehmungsgewohnheit herummanipuliert werden.

Architektur auf der Basis von Manipulationen der Wahrnehmung zu konzipieren, ist natürlich viel effektiver, als auf der Basis von irgendwelchen ästhetischen Regeln. Ich denke hier sind einige wichtige Aspekte für unsere Tätigkeit, speziell für den Umgang mit Ecken. Es ist dies eine Fortentwicklung dessen, was der Kubismus in der bildenden Kunst schon vorgegeben hat -- und von dort geht die Entwicklung bis herauf zur Dekonstruktion. Oder noch früher: 1824 Caspar David Friedrich, die zerklüfteten Eisschollen, ein früher Beitrag zur Auflösung der homogenen Geometrie, der idyllischen Landschaft.

Der Merzbau von Schwitters ist sehr imponierend. Der Übergang von Planimetrie zur Stereometrie bringt eine Unmenge von Kanten mit sich und damit geradezu vorbildlich die Auflösung der simplen Kanten; natürlich mit einem ganz anderen konzeptionellen Hintergrund als z.B. in der Gotik. Hier haben Sie die Antithese zur Schuhschachtel. Wer behauptet, das widerspräche der heutigen Rationalität, hat keine Ahnung von den schon erwähnten aktuellen Systemtheorien. Ein postmoderner Kretin wird das alles natürlich nicht verstehen und wird mir widersprechen.

Ich denke, die Dekonstruktion hat eher die Irritation der Wahrnehmung zum Inhalt oder eine veränderte Raumwahrnehmung oder überhaupt eine nicht euklidische, nicht Vitruv'sche Architekturtheorie. Die Dekonstruktion ist in diesem Sinn weder ein formales noch ein konstruktives Konzept, sie ist pure Manipulation.

Und noch ein kleiner Hinweis aus der Fraktalen Geometrie: die Koch'sche Kurve ein einfacher Algorithmus im linearen Dialekt. Wir haben es in der Schule in Geometrie gelernt: Die konventionelle Definition für eine Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Das ist schon in der sphärischen Geometrie anders, und die Koch'sche Kurve zeigt zwei Punkte im Endlichen, deren Verbindung unendlich lang ist. Das ist sehr wichtig, wenn wir über Kanten sprechen. Überhaupt scheint es wichtig, daß wir über die Primitivgeometrie von Euklid hinausgehen. Das machen die Architekten praktisch nie, deshalb sehen die Häuser meist wie Holzklötzchen aus dem Kinderbaukasten aus.

Ich habe immer den Eindruck, daß die Architekten hinter den Entwicklungen der Wissenschaften und Künste nachhinken. Bestenfalls versuchen sie, etwas auf dem Laufenden zu bleiben, zur kulturellen Entwicklung tragen sie selten bei.

Wir reden nach wie vor von der 2- oder 3- Dimensionalität (bzw. von der noch nie erreichten 4. Dimension), gleichzeitig demonstriert uns die Fraktale Geometrie x- beliebige Dimensionalitäten -- z.B. hier die Koch'sche Kurve hat die Dimension 1,262!

Und noch ein sehr schönes Beispiel der Auflösung der Wahrnehmung: die imposanten Licht- Installationen von James Turell. Was man sieht, sind keine Raumkanten, es sind nur mehr die Grenzen von Lichtintensitäten. Die physischen Raumkanten sind durch die Beleuchtung aufgelöst. Es bilden sich neue virtuelle Kanten, welche sich quasi in der Luft befinden; der physische Raum mit den Wänden existiert optisch gar nicht mehr, er ist nur mehr die äußere Verpackung für den Lichtraum.

Diese Beispiele habe ich angeführt, um damit den vielschichtigen kulturellen Hintergrund von Ecken aufzuzeigen. Daraus resultieren für mich entscheidende Einflüsse für das Ecken- und Raumkonzept:

Die Wahrnehmung von Räumen orientiert sich an den Kanten (nicht an den Flächen).

In Analogie zu den Anamorphosen kann Architektur die Wahrnehmung manipulieren.

· Die euklidische Primitivgeometrie kann heute durch komplexere Modelle ersetzt werden.

· Die Auflösung von Kanten und Ecken ist kein formales Konzept.

Auf dieser Basis habe ich einige kleinere Projekte entwickelt. Zuerst drei Badezimmer, Umbauten von vorhandenen Räumen; aus verschiedenen Motiven wurden die Raumgrenzen, d.h. die Raumkanten verändert.

Beim kleinsten Badezimmer, welches ich je geplant habe, habe ich die Raumgrenzen aufgelöst, um den kleinen Raum größer zu machen. Der ursprüngliche Grundriß -- ca. 120 cm mal 140 cm -- mit einem kleinen schmalen Fenster war vorher ein Speiskammerl.

Dabei habe ich mehrere Kantenmanipulationen vorgenommen:

Vervielfältigungen: Neben der ursprünglichen Innenkante der Fensterleibung wurde rechts und links jeweils ein Ziegel entfernt, eine minimale Maßnahme, wodurch eine schöne Treppung entstand, welche durch die Farbgebung -- weiße bzw. schwarze Streifen - betont wurde. Gleichzeitig liegt aber gerade in den Streifen wieder eine optische Täuschung, weil diese auch ohne Kanten -- quasi als ebene gestreifte Fläche gesehen werden.

Spiegelungen: Eine Fensternische wurde abgeschrägt und mit einem Spiegel versehen. Der Spiegel reicht bis ganz zum Fenster unter 45 Grad, wodurch das Fenster auf einmal zu einem stereometrischen Körper wird.

Drehungen: Die Badewanne und der Waschtisch sind leicht herausgedreht, um eine breite Ablage zu gewinnen. Am Fußende und am Kopfende der Badewanne sind Spiegel, welche in einem leichten Winkel zueinander gedreht sind. Dadurch geht der gespiegelte Raum nicht geradeaus, sondern scheint gekrümmt zu sein.

Ganz simple Maßnahmen, welche jedoch viel bewirken. Man kann ja bei den Umbauten nicht viel machen: Viel in den Grundriß hineinzubauen reduziert einerseits die nutzbare Fläche, andererseits ist es nur möglich wenige Zentimeter in die alten Wände hineinzustemmen; wenn man sich aber auf die wesentlichen Elemente konzentriert, d.h. auf die Kanten, dann läßt sich rasch eine effektive Änderung des Raumes erzielen.

Die Wand, die Abtreppung hinter der Badewanne, ist aus Fensterscheibenglas.

Durch die Brechung der Raumkanten bricht die Wahrnehmung zusammen, sie kennt sich nicht mehr aus, weil die zur Orientierung notwendigen Kanten fehlen. Die Eindeutigkeit der Kanten ist aufgelöst, weggenommen, vervielfältigt, neutralisiert, der Raum ist nicht mehr begrenzt; vor allem sieht er nicht mehr so blöd viereckig aus.

Alle vertikalen Richtungen wurden um 7 Grad geneigt, was zusätzlich zur Verunsicherung beiträgt. Diesbezüglich möchte ich anmerken, daß es bei 7 Grad Neigung der Vertikalen eindeutig auffällt, daß da etwas schief ist. Daher bin ich in späteren Projekten immer weiter zurückgegangen, das Minimum war schließlich 1 Grad Abweichung von der Vertikalen. Das scheint mir geradezu perfekt: Man bemerkt zwar, irgend etwas stimmt nicht, man ist irritiert, man weiß aber nicht warum, weil man fast keine Abweichung sieht.

Wenn ein Waschtisch minimal geneigt montiert wird, sieht es so aus, als ob das Wasser im Becken schief wäre, was aber wiederum unglaublich ist usw. usw.

Ein anderes Badezimmer mit derselben Grundtendenz der Manipulationen, jedoch nicht so scharfkantig geometrisch wie die vorigen Beispiele: Das ist nun die soft- line.

Das Grundrißkonzept ist insofern eleganter, weil noch weniger Stemmarbeiten durchgeführt wurden, noch weniger tektonisiert wurde: Eine Plastik- Wiese auf dem Boden und an der Wand, ein in der Raummitte aufgestellter Spiegel und die legendären Fransen, zwischen dem Bidet und der Klomuschel und neben der Türe, vor der Wiese auf der Wand eine Plexiglasplatte, die Fransen beim Bidet, der Rest von der Wiese auf der Wand liegt mit der Komplementärform am Boden, sind Maßnahmen an der Oberfläche. Daher gibt es schon fast keine Kanten mehr.

Ich habe lange gesucht, bis ich das richtige Material für die weiche Kante gefunden hatte. Diese Fransen sind insofern noch weicher, als sie sich natürlich bewegen, wenn sie berührt werden.

Sie wissen, ein Architekt muß auch immer ein Detail machen, für Fotos, Publikationen, Vorträge. Das Bodendetail zur Befestigung der Fransen, mit einem Stück Gummi -- vom Autogepäcksträger -- weil ja auch die Fransen von der Autowaschanlage sind: Gebrauchtes Material, gratis - arte povera, architettura povera, spigoli poveri.

Das Fußdetail und das Detail an der Decke sind gleich, weil das Honorar gering war. Nie sollte vergessen werden: Für das richtige product- placement sollen die Frimenplaketten erst nach dem Fototermin entfernt werden.

Den Blödsinn mit den Kanten und den Fransen habe ich neben anderen Badezimmern auch allgemein fortgesetzt: Das ist eben mein Manierismus.

Der Grund, warum ich noch immer Interesse daran habe, ist, daß hier ein anderes Formkonzept vorliegt, irgendwie informell. Die Form existiert nicht als solche, die Form ist Ergebnis der jeweiligen Fahrgeschwindigkeit. Das ist ein kleiner Ansatz gegen die Regeln, gegen den goldenen Schnitt.

Auch die Türe selbst ist eine Plexiglasplatte. Die Transparenz und die Interferenzeffekte verstärken den unpräzisen, weichen Eindruck. Wenn die Türe geschlossen wird, streift sie bei den Fransen vorbei und diese wackeln dann.

Es gibt da noch viele interessante Aspekte, welche jedoch unsere Eckproblematik nicht so richtig berühren.

Ich gehe noch einmal vom Detail aus: einer Bodenecke. Der Boden ist nicht mehr eben, ist 2 Grad angehoben, der Bodenbelag ist auf die Wand mit einer großen Hohlkehle hochgezogen. Im Hintergrund

ein Spiegel und quer durch den Raum eine gekurvte, bewegliche Plexiglasplatte mit Fransen an der Endkante. Zwei Spiegel mit leichter Schrägstellung gegenübergestellt lassen den Raum in der Tiefe abbiegen. Ich wiederhole das Repertoire von vorhin: Es ist aber kein Badezimmer, sondern es handelt sich um eine Installation für eine Ausstellung in einem Eisenbahnwaggon.

Das Raumkonzept ist: Eisenbahnzüge sind normalerweise lang, dünn und dreckig. Das Konzept hier ist die Antithese dazu. Der Blick in die Tiefe der schräggestellten Spiegel zeigt nicht, wie der Zug in die Kurve fährt, sondern zeigt die manipulierte Waggonbreite von ca. 3 Metern.

Eine der Türen für das Schloß Trautenfels hat vordergründig gesehen weniger mit den Ecken zu tun. Ebenso wie es mir zu simpel erscheint, die Grundelemente der euklidische Geometrie anzuwenden, erscheint es mir eigenartig, daß eine konventionelle Türe, wenn sie offen, eigentlich nutzlos im Raum herumsteht. Deshalb habe ich eine stereometrische Türe entwickelt, welche wenn sie offen ist, zwei Treppen bildet. Die offene Türe, die Stiegen führen natürlich ins Leere.

Man könnte auch sagen, es ist pure Willkür von mir, so viele Ecken zu machen, wenn die klassische Moderne eigentlich die "Ent- Eckung" postulierte. Aber fallweise kann man ja auch etwas luxuriöser planen, es ist ja auch ein Barockschloß.

Das Wichtigste am Konzept dieser Architektur ist, daß Architektur eigentlich durch Manipulationen entsteht und daß alle Manipulationen erlaubt sind. Das Bewußtsein, daß alles erlaubt ist, ist vermutlich das wesentlichste Kennzeichen der Grazer Schule. Das, denke ich, gilt für mich, und manche meiner Freunde nehmen sich das auch heraus.

Bevor ich weiter auf die Grazer Ecken eingehe, noch einige allgemeine Anmerkungen zur Grazer Schule. Ich erlaube mir sozusagen aus der Schule zu plaudern, aber um den Eindruck der Parteilichkeit zu vermeiden, sei erwähnt, was ich so höre, was über die Grazer Schule im Ausland gesprochen wird.

In Graz gibt es eine sehr dichte Szene in der Architekturbranche. Das ist nicht das Resultat einiger Aktivisten, die den Ruf der Grazer nach außen tragen, sondern das hat natürlich mit der technischen Universität zu tun: Das Studium dauert ja durchschnittlich 7 bis 8 Jahre, da gewöhnen sich viele Studenten aus der Provinz so sehr an die Stadt, daß sie nach dem Studium im provinziellen Graz bleiben. Es gibt aber auch typische Vertreter der Grazer Schule, die noch nie in Graz waren.

In Graz ist es relativ angenehm, Architekt zu sein, weil es einige Vordenker, Galionsfiguren gibt; die Großzahl der 2. Garnitur und die Adepten brauchen deshalb nicht viel selbst zu entwickeln, sie brauchen nur so zu tun als ob -- just call it mainstream. Das heißt: Jene Architekten, die trotz heftigster Bemühungen keine eigene Handschrift haben, bedienen sich eines Stils. Und die Grazer Schule hat zweifelsohne Stil, obwohl im Augenblick auf Grund heftigster Fraktionskämpfe nicht geklärt ist, ob die keineswegs kleine Gruppe der reduktionistischen Minimalisten oder die Aktionisten beim nächsten Wettbewerb gewinnen werden.

Die Grazer Szene hat den Vorteil, daß es keine weltberühmten Vorbilder im eigenen Umfeld gibt, von welchen man sich abnabeln müßte (diesbezüglich habe ich vorhin ja schon Wien erwähnt). Daher können alle Planer recht frisch von der Leber weg planen.

Nicht nur in Graz verstehen sich die Architekten selbst als modern und aufgeschlossen, sie verstehen sich vor allem als Originale, der Bauherr will ja auch zumeist individuelle, originale Bauten. Weil also ein jeder Architekt ein Original sein will, will keiner bei der Grazer Schule sein. Da in der Systematik der Moderne das Original im traditionellen Sinn gar nicht mehr vertreten ist, entlarvt sich die Grazer Schule somit als konservativ.

Es ist geradezu Kennzeichen, daß jeder typische Architekt der Grazer Szene sich als Einzel- "Kämpfer" versteht. Er darf eigentlich gar nicht "Grazer Schule" sagen; er müßte richtiger "die sogenannte Grazer Schule" sagen und dabei immer "die anderen" meinen. Das sind die ungeschriebenen Statuten des Vereins.

Übrigens: weil ich deshalb natürlich nicht Mitglied der Grazer Schule bin, bin ich der einzige, der eine Ehrenmitgliedschaft bei der Grazer Schule verleihen kann, d.h.: wenn z.B. etwas so richtig zur Definition der Grazer Schule beiträgt, verleihe ich dem Architekten die Ehrenmitgliedschaft zur Grazer Schule, womit letztlich die Definition der Grazer Schule präzisiert wird.

Manche Architekten in Graz bringen es sogar zu bescheidenem Wohlstand, so daß sie sich ein eigenes Haus bauen können. Vermutlich aus Sparsamkeit machen sie sich die Pläne dann selbst -- wie die Häuselbauer. Und überhaupt ist mir kein Fall bekannt, daß ein Grazer Architekt mit großzügiger Dotation einen internationalen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für sein eigenes Eigenheim ausgeschrieben hätte -- purer Geldmangel! Es gibt auch Kommentatoren, welche sagen das wäre eben der spezifisch Grazer Regionalismus; andere meinen, das wäre die typische Selbstverwirklichungszeremonie.

Wer das versteht, dem wird auch klar sein, daß die Grazer Schule zwar autochthon, aber nicht regionalistisch ist, sie hat wirklich internationales Format.

Die Historiker und Kritiker tun sich schwer, weil die Grazer Schule ethnisch und natürlich auch formal nicht rein ist und die Definitionen bisher fehlten. Aus meiner Sicht ist das Phänomen nur im Limesbild des Synchretismus faßbar.

Bei einem generellen Überblick über die Grazer Architekturszene ist erkennbar, daß in der Grazer Schule entscheidende Entwicklungsschritte zur Lösung des Eckproblems erfolgten; daher könnte man heute visionär feststellen, daß es ein Eckproblem tatsächlich gar nicht mehr gibt.

Weil aber die Grazer Schule somit per defionitionem das Eckproblem gelöst hat, wird sie nie so berühmt werden wie die Griechen. Bitte machen Sie sich selbst ein Bild an Hand der Projekte.

Ich habe einige Architekten gebeten mir Diasse und einen Kurzkommentar zu den wesentlichsten Entwurfsgedanken zu geben. Ich präsentiere also das, was ich bekommen habe, nicht was ich mir selbst ausgesucht habe.[186] Nach den Bildern mit den Innenecken nun analoge Betrachtungen zu den Außenecken.

Hafner, Hafner, Hafner, Hafner, Riegler/Riewe, Riegler/Riewe, Plottegg & Computer, Plottegg & Computer, Domenig/Huth, Szyskowitz/Kowalski, Frey, Kada.

Weil die Fotos sich so ähnlich sind, erlaube ich mir noch eine Randbemerkung: Parallel zur sogenannten Grazer Schule entwickelte sich natürlich auch eine Grazer Schule der Architekturfotografie. Darüber könnte ich einen zusätzlichen langen Kommentar liefern.

Zusätzlich vermute ich, daß die stützenfreie Ecke in der Grazer Schule nicht beliebt ist: Das Abweichen von der lotrechten Vertikalen ist sehr beliebt. Da das speziell im Profil optisch zur Geltung kommt, benötigt man dafür aber eine Kante, wofür die Eckstüzten herhalten müssen.

Frey, Kada, Artec (Götz / Manhal), Artec (Götz / Manhal), Frey, Kada, Giencke, Giencke, Giencke, Giencke, Frey, Frey, Szyzskowitz/Kowalski, Szyzskowitz/Kowalski, Frey, Frey, Szyzskowitz/Kowalski, Szyzskowitz/Kowalski, Eisenköck / Domenig, Kada, Domenig/Eisenköck, Kada, Lainer, Lainer, Plottegg, Plottegg, Plottegg, Plottegg, Zechner/Zechner ("Archikamikaze"), Zechner/Zechner, Zechner/Zechner, Zechner/Zechner

Wir sind nun wieder beim Thema Innenräume:

Giencke, Lainer, Huth, Huth, Giencke, Giencke, Plottegg, Plottegg, Gruber, Gruber, Gruber, Gruber

Um zum Abschluß alle Behauptungen zur Grazer Schule und zur Lösung des Eckproblems zu relativieren, zeige ich noch ein Beispiel aus Wien. Alle kennen vermutlich den Maler Hundertwasser, weil er einer der wenigen international bekannten Künstler Österreichs ist. Er hat in den 60- er Jahren das "Verschimmelungsmanifest" verfaßt, in welchem er gegen die gerade Linie und gegen den rechten Winkel auftritt und für zertepschte Gebilde, für eine schöpferische Verschimmelung votiert. Er hat nun schon zwei Häuser in Wien gebaut, eigentlich ohne Ecken. Es gibt nun 2 Theorien dazu:

Die stammesgeschichtliche Theorie zum Eckproblem besagt (lt. Gert Polzer einem Mitarbeiter in meinem Büro), daß das Erkennen von Ecken von vitaler Wichtigkeit ist: Wer Ecken nicht erkennen kann, wird sich bei der nächsten Ecke den Schädel einrennen. In diesem Sinn soll mein Vortrag ja auch ein praktischer Beitrag sein. Daraus folgt, daß Personen mit geringer Eckerkennungsfähigkeit physisch gefährdet sind; daraus folgt, daß man in einer Republik, in welcher es an der Eckerkennungsintelligenz mangelt, besser ist, nur runde Häuser zu bauen.

Die 2. Theorie besagt: Unabhängig von der baukünstlerischen Qualifizierung derartiger Gebäude ohne Ecken muß man diese aus tierschützerischen Gründen ablehnen, weil die Hunde -- und Wien ist eine hundeliebende Stadt -- keine Ecken finden, wo sie ihr Haxerl heben können. Daher leben die Hunde mit häufigen Blasenüberdruck, daher sterben viele Hunde früher, daher muß man eine Architektur mit abgerundeten Ecken ablehnen.

Die Summe meiner Aussagen zum Eckproblem ist eigentlich folgende:

Es sind die Architekten, welche die Ecken machen, daher machen sie sich selbst die Probleme mit den Ecken.

Es ist eine Frage der Intelligenz, gute Architektur zu machen und Eckprobleme zu vermeiden.








Sollen sich Baumeister als Architekten bezeichnen dürfen?

[187]

Es handelt sich nicht um eine berufsrechtliche Frage, sondern um eine gesellschaftspolitische. Es geht nicht um einen Titel mehr oder weniger, nicht um die Verteilung des Auftragskuchens.

Es ist nicht anzunehmen, daß ab nun das baukünstlerische Niveau der Baumeisterplanungen steigt oder das der Architektenplanungen sinkt (die Unterscheidung fällt zumalen ohnehin schwer!). Daß Baumeister ab nun auch Architekten sein werden, ist die späte Konsequenz des seinerzeitigen Schlagworts Alles ist Architektur. (Daher ist mir unverständlich, warum Hollein gegen dieses Baumeisteransinnen unterschrieben hat.)

Alle sind Architekten kann unbedenklich propagiert werden, denn zur Architektur ohne Architekten (Bernard Rudofsky) fühlen sich ohnehin genügend andere (zumeist Architekten) verpflichtet. Es ist auch die Anerkennung der Leistungen von allen Arten von Land- und Stadtbaumeistern (incl. der Leistungen von Mörtel- Lugner, Hundertwasser- Rogner und anderen).

Bemerkenswert ist aber der Strukturwandel, welcher hinter dem vordergründigen Titelstreit steckt: Die Demonstration auf der Ringstraße vom 24. Jänner 1994 zeigt erstmals seit '68 gesellschaftspolitische Dynamik; daß Baumeister nunmehr Architekten werden, ist lediglich ein Vorbote der geplanten weiteren Entwicklung -- die Architekten haben sich seit jeher als Trendsetter geübt: jeder Wuckel beim Bundesheer wird Offizier, jede Krankenschwester wird Ärztin, jede Freundin wird Botschaftssekretärin, -- es wird niemand ausgegrenzt -- wir alle werden Bundespräsidenten.

Bei dieser Entwicklung freut mich besonders, daß in Österreich -- ausgehend von den Baumeistern=Architekten -- ein Stimmungsumschwung stattfinden wird: Alle latenten österreichischen Minderwertigkeitsgefühle weichen kräftigem Selbstbewußtsein. Es geht letztlich um das emotionale Wohlbefinden der Republik.

Daher votiere ich mit Entschiedenheit dafür, daß auch Baumeister sich künftig als Architekten bezeichnen.










Der Dom zu Trento hat einen Knopf in den Schuhbandeln

[188]



Eine kunsthistorische Interpretation dazu ist nicht notwendig, ich sehe gerne, wie der Wahnsinn bei diesem Detail voll schübig ist. Das Detail ist wahnsinnig gut, insofern es eindeutig die Grenzen unserer Architekturkonzepte überschreitet. Der Knopf widerspricht allen von uns heute angewendeten Regeln der Architektur: der konstruktiven Formgebung, der Handwerksgerechtigkeit, der Materialgerechtigkeit, der Optimierung etc. etc.

Die jeweils neuere Systemtheorie versucht der jeweils vorherrschenden ein Schnippchen zu schlagen; und so verhält es sich auch bei den architektonischen Entwürfen. Ob etwas tatsächlich ein Entwurf ist oder nicht, zeigt sich so gesehen am Kriterium der Grenzüberschreitung. Die Kopie von etwas bekanntem kann ich nicht als Entwurf verstehen; selbst die Tätigkeit entwerfen sollte jeweils eine neue Handlungsweise sein.

Ich erlaube mir Kritik an Architekturen, welche der Selbstähnlichkeit frönen, an Architekten, die bekümmert sind eine Handschrift zu haben und vordergründig Inhalte transportieren. Ich bedauere einfache NF- Ziegel oder I- Träger, welche die Meinung, die frommen Wünsche, sogar die Weltbilder der Planer aufs Aug gedrückt bekommen.

In rasanter Entwicklung purzeln laufend neue Systemtheorien daher; emanzipierte Architekten benötigen somit heute nicht länger die Vitruv'sche Trinität, Stilkunde etc. als Grundlagen der Gestaltung.

Die Fraktale Geometrie zeigt sehr anschaulich das Phänomen Limesbild -- ein Algorithmus, die Handlungsanweisung, (in unserem Fall die Planungsmethode) liefert ein selbstähnliches Produkt: So zählen John Wayne & Adolf Loos zur selbstähnlichen Menge der bourgeoisen Weltverbesserer. Das Auffallende dabei ist, nicht der vermeintlich propagierte Inhalt (der Sattel bzw. die langen Beine), sondern die angewendete Spielregel ist prägend. Und die Theorie der Fraktale erklärt: Um aus den Limesbildern herauszukommen bzw. um in ein anders zu wechseln, müssen die Planungsmethoden geändert werden.

Ich würde nach heutiger Sicht definieren: Der Entwurf ist eine Änderung des Algorithmus in einem System, welche ein neues Limesbild zur Folge hat.

Auch die Spieltheorien verweisen auf Handlungsweisen im Kontext, nicht auf individuelles Erleben. Beliebte und typische Architekten- Limesbilder wie Raumqualitäten, wie Innen/Aussen- Einfühlsamkeit sind dabei obsolet.

Mich interessiert die Ortlosigkeit, die Stillosigkeit, die Konstruktionslosigkeit, weil ich darin Potential zur Überschreitung von Limesbildern sehe. Die völlige Geschmacklosigkeit ist mir Rezept gegen die permanente Restaurierungs-, Verbesserungs-, Verschönerungstendenzen des Architektenvereins.

Die 6 Klopapierrollen sind ein Statement gegen den Minimalismus, denn 6 Rollen sind die 3-fache Verdoppelung des Minimalismus.

Die Spundwände sind ein Statement gegen die Entmaterialisation, das Kalkül von Leistungsgewicht.

Die Raumzuckungen und Zeitfalten (Patafüsik) sind entscheidender als die Architekturgeschichte. Was sollte das heißen: Jetzt habe ich den Entwurf, ich muß ihn nur mehr aufzeichnen? Was ist die Vision im Hirn oder das Abziehbild im Bauch? -- offengestanden zumeist Reminiszenzen, die so tun als ob.

Die neuronal-scharfe und bit-genaue Beobachtung von Wie kommt der Strich aufs Papier bzw. Wie kommen die Häuser auf die Wiese (siehe Plotteggs Planungsmethoden) gibt Aufschluß über die Architekturproduktion im methodischen Kontext.

Oswald Wiener zeichnet (siehe Probleme der künstlichen Intelligenz) möglichst authentisch einen Knopf bzw. das, was davon in seinem Hirn ist; eben nicht so wie ein Pfadfinder, der weiß,

wie ein aufgezeichneter Knopf auszusehen hat. So gesehen gleichen die Architekten zumeist Pfadfindern, die problemlos comme il faut agieren.

Architektur ist aber nicht mehr normiert, eine Frage des guten Geschmacks, sondern eine Frage der Intelligenz. Wie denkt man das Unbekannte, wie sieht eine Architektur jenseits des jeweils ohnehin schon Bekannten aus?

Wer weiß schon, was die Striche wollen! Computer generierte Entwürfe entrümpeln bisherige Architekturgewohnheiten: Sehgewohnheiten, Planungsgewohnheiten, die üblichen retrospektiven Ansätze und von dort abgeleitete Konzepte. Sie haben sich der Pflicht zu analysieren entledigt, denn nur die vermeintliche Genialität der Synthese glaubt noch an eine Derivat- Architektur. Die Affirmation wird nicht mehr benötigt.

Ein Computer ist ein optimaler Filter, denn die konzeptionelle Arbeit mit dem Computer erfordert Umformulierungen der analogen Definition einer Bauaufgabe in einen der CPU verständlichen Algorithmus, in eine einfache Handlungsanweisung.

Ist das handshake mit der CPU geglückt, befindet man sich außerhalb der rechten und linken Hirnhälfte, agiert jenseits von Ambitionen, von Identität; die Schwierigkeit für Anfänger ist, die hier geltenden Spielregeln zu akzeptieren. Der Vorteil, den der Computer jedoch bietet ist zweifelsohne der, daß er ohne Vorbelastung arbeitet, weil er eben kein historisches Denken (Erinnerung, Vergangenheit, Wünsche, Wollen) kennt. Die digitale Manipulationsfähigkeit ersetzt den analogen Spielraum.

Bisher stand fest, daß die Information von räumlichen Formen eines der elementarsten Elemente der analogen Architektur ist; ihre räumliche Information, die Orientierung und die Kommunikation, funktioniert zumeist klaglos (ein Dach ist oben, eine Kirche sieht aus wie eine Kirche!). Im digitalen Arbeiten kennen wir noch keine derartige Konvention, sodaß es leicht fällt die Information von der räumlichen Erscheinung abzukoppeln. Architektur ist nicht mehr Bedeutungsträger. Ich mache laufend diesbezügliche Fingerübungen, z.B. die Türtreppentreppentüre.

Mit anderen Worten: Die analoge Information der räumlichen Formen wird losgelöst. Nehmen wir die Loslösung, das Auseinanderdividieren von Informationen und räumlicher Form in der computereigenen Möglichkeit ernst, so ist mit dem analogen Architektur- Verständnis, welches sich auf Abbildhaftigkeit, auf strukturelle Ähnlichkeiten beruft, wenig auszurichten.

Unter der Prämisse, daß digital entwickelte Produkte anders aussehen dürfen als analoge Produkte aussehen können, müssen beliebige Ausgangssituationen nach beliebigen Regeln manipulierbar sein. Also werden Daten geschaufelt, interaktiv modifiziert, grenzenlos vernetzt.

Im übertragenen und im gegenständlichen Sinn setzen konventionelle Architekten ständig Grenzen: vom verbindenden Baukörper, welcher den Zubau dennoch klar absetzt bis zur Trennfuge im Detail, damit sich Materialien nicht berühren, nicht vermischen. In der Vorstellung Bauen heißt ordnen ist die Trennung nach Kategorien eingeprägt. Und da es Architektenwunsch ist im totalitären Creatorspiel klar und präzise zu formulieren, wird stilistisch scharf getrennt.

Fuzzy logic, die Theorie der Unschärfe, zeigt eine Methode gegen den Komplexitäts- und Genauigkeitsfimmel der Architekten. Wenn eine Menge keine exakten Grenzen besitzt, versagt die Mengenlehre. Ist innen vielleicht doch außen, oder wie oft muß ich mir widersprechen, um das Gegenteil zu behaupten? Die Unbestimmtheit, der Dunst an den Rändern, führt zu meiner Theorie der Fetzenlaberl- Architektur; diese basiert auf Systemen mit starken Selbststeuerungsmechanismen, welche in hohem Maß Autonomie verleihen und die Architektur vor den Architekten schützt.

Ob es die Architekten bzw. Auftraggeber wollten oder nicht, die Einführung der Perspektive hat das Erscheinungsbild der Architektur entscheidend geändert (die frontale Hauptfassade wurde hinfällig). Ebenso läßt die Verfügbarkeit über computergenerierte (durch morphing, scaling, random u.ä.) Entwürfe die bisherigen Intentionen und wissensorientierten Methoden ziemlich alt aussehen und bringt quasi unvorhersehbare Architekturen mit sich.

Eine Planungsmethode, welche intentionslos durch verschiedenste Netze surft, bedeutet einen weiteren unglaublichen Quantensprung. Wie selbstverständlich werden in der Reichhaltigkeit alle örtlichen Bezüge und auch persönlichen Koordinatensysteme endgültig verlassen. Architektur wird grenzenlos.

Das ist nicht Experiment, das ist digitale Realität -- in der es für die nicht formulierten Bauaufgaben natürlich auch keine Auftraggeber gibt.








Binäre Notationen zu einer digitalen Architektur

[189]


EIN PIXEL schwarz, Filzstift auf Papier, analoge Handskizze von M.Plottegg 1994; (Original rot, schon 1985)


Wir sind gewohnt: Architektur ist räumliche Information; dieser Algorithmus basiert bisher ausschließlich auf dem Prinzip von Analogien: Eine Kirche sieht aus wie eine Kirche, ein Haus wie ein Haus, ein Bett wie ein Bett.

Architektur wird auch als Bedeutungsträger verwendet; sie soll das transportieren, was gemeint wird: Glas ist klar, Holz ist heimelig, Beton ist brut, Nische geborgen, Wellblech Peripherie;

Die Intelligenz der Gebäude ist auf dem Bildungsstand der Architekten eingefroren. Sie kokettieren mit der persönlichen Handschrift, Geschmack, Anciennetät, Repräsentation; sie haben obsolete Standpunkte (oben / unten; innen / außen) und antiquierte Methoden (Prototyp Handskizze). Die Architektur ist daher wissenschaftlich, kulturell schon lange nicht mehr auf dem laufenden, die benutzten Architekturtheorien sind abgekoppelt vom Objekt.

Die von den Architekten herbeigerufene Komplexität besteht hauptsächlich im argumentativen Notstand ihrer Suada, ihr Limesbild ist der Eiertanz. Dennoch wollen sie den exakten goldenen Schnitt, die wahre Materialgerechtigkeit, die funktionelle Funktion, den reinen Stil, die klare Konstruktion.

Die Kulturgeschichte der Architektur steht damit bei einem Limesbild an: Typ Einfamilienhaus -- als gestaltetes Einzelobjekt, als Teilmenge der Verhüttelung; es ist als Kategorie in allen Architekturen wiederzufinden, vom Stephansplatz bis zum Hongkong- Peak, im reduktionistischen Minimalismus ebenso wie im opulenten Aktionismus.

Die CPU erleichtert uns den Ausstieg aus diesen persönlichen und auch systeminhärenten Limesbildern. CAD = CTL- ALT- DEL für das auch heute noch allgegenwärtige Vitruv'sche Theorem (Trinität von Funktion/Form/Konstruktion), für den analogen Algorithmus Einfamilienhaus/Geschmack/Architektur.

Die CPU verpflichtet zu neuartigen Manipulationen, die weder das Objekt noch das Nutzersubjekt zum Inhalt oder Ziel haben, sondern den architektonischen Algorithmus selbst: Denn in einem ersten Arbeitsschritt muß ein architektonisches Problem, eine Bauaufgabe Bau ein Haus in ein digitales command umformuliert werden, um für die CPU verständlich zu sein, damit sie überhaupt handlungsfähig wird. Dieser erste Planungsschritt ist nicht nur die Transformation für die CPU, sondern erfordert parallel dazu den Wechselschritt des Planers von der inhaltlich- analogen zur interaktiv- digitalen Planungsmethode. Allein diese Notwendigkeit der Umformulierung bringt einen Paradigmensprung im architektonischen Denkkonzept mit sich und gleichzeitig eine andere Architektur.

Man stellt sozusagen bei sich den Archetyp besserwissender Häuslbauer auf Datenmanipulation um. Und noch einen Schritt weiter wird die liebevolle und einfühlsame Zuwendung an Haus und Detail, die Identitätsfindung in der Architektur umgepolt: Die Spielregeln der Kommunikation sind nicht mehr durch Emotionalität und Subjektivität, sondern durch Eigenschaften der CPU geprägt. In Haus und Detail materialisieren sich nicht länger Wünsche, sie sind nicht die Rezeptoren von Träumen. Die Richtung des Informationsflusses wird umgekehrt.

Wenn Architektur weiterhin per definitionem räumliche Information liefern soll, welche räumliche Information gibt uns ein pixel, ein bit?

Ein bit ist reine Erinnerung (Speicherung, aber ohne analog- inhaltliche Information), ein pixel hat keine Erinnerung. Beide stehen uns für Manipulationen zu Verfügung: Verschiebungen im architektonischen Metier -- vom Sandschaufler zum Datenschaufler.

Verschiedene Systeme (Teilmengen) verstehen Informationen unterschiedlich (die räumliche Information einer Ecke ist für Hunde anders), die CPU schnüffelt nicht Subjektivität, ein digital generierter Strich meint nichts.

Mittlerweile ist ja sicher, daß Daten, Striche, Formen, Architekturen digital generiert werden können. Jetzt müssen wir für den Umgang mit den Strichen neue Theorien ausdenken, auch unser Verhalten in einem binären Haus im 3- dimensionalen Raum wird sich vom mauergeprägten Kodex unterscheiden. Die Vorstellung von Architektur als 3. Haut wird durch die Vernetzung (Netzleiberl) ersetzt.

Das generierte Netzleiberl bietet nicht nur Information und Kommunikation wie intelligente Wände, sondern zeigt auch -- entsprechend der Theorie der unscharfen Menge -- die neue Linie, die Fetzenlaberlarchitektur.

Kennzeichen eines konventionellen Entwurfs ist, Festlegungen zu treffen, und somit geraten konventionelle Entwürfe zu formalen Konstrukten. Ein binär/digitaler architektonischer Entwurf ist eine Änderung des Algorithmus in einem System, welche ein neues Limesbild zur Folge hat .

Der intensive Umgang mit der CPU zeigt schon hie und da Einfluß auf die Planungsmethode, die Architektur. Um aber nicht mit veralteten Theorien die Entwicklungen zu behindern, sollte unverzüglich eine digitale Architekturtheorie geschrieben werden








Grazer Plätze für die Zukunft

[190]

Ich bin in einer Gasse aufgewachsen. und habe noch keinen Platz gebaut oder gestaltet. Das ist vielleicht auch der Hintergrund warum ich "Platz" als antiquierte städtebauliche Dimension ansehe. Aus politischer und historischer Sicht sind mir Plätze weitgehend unangenehm aufgefallen, vom Helden Platz bis zum Tien A Men Platz. Deswegen bin ich auch heute noch bei weitem lieber ein Gassenkind.

Wie sich leicht nachweisen läßt, werden Plätze durch die umgebenden Gabäude, genauer genommen durch die umgebenden Fassaden gebildet. Fassadenarchitektur ist aber nicht mehr Inhalt der heutigen Architekturdiskussion, weshalb eigentlich kein Architekt mehr Fassaden zeichnen kann. Infolge dessen kann heute auch niemand mehr Plätze planen. So beschränkt sich das Vokabular heutiger Platzplaner auf die Gestaltung des Gehbelages (Oberflächengestaltung). Dieses eingeschränkte Repertoire beruft sich darauf ohnehin nur erhalten zu wollen, konzentriert sich darauf und übersieht die Notwendigkeit neue Fromulierungen zu finden.

Unabhängig davon gibt es auch den Versuch, sich - architektonisch gesprochen - über die Funktionen der Thematik zu nähern, denn es mangelt an Definitionen was aus heutiger Sicht ein Platz sein könnte. Es wird von der Vorstellung des sozialen Gefäßes ausgegangen, welches sich aber funktionell schon längst verschoben hat. Dieser Ansatz greift auf antiquierte Begriffe zurück, denn der Marktplatz hat sich zum Shoppingcenter mutiert und die Funktion des Prangers haben schon längst die Medien übernommen. Räumlich betrachtet hat sich der Platz als Außenraum in einen Innenraum gewandelt (die Repräsentations-Architektur der Fassaden wird in der Mall fortgesetzt), die Nachrichten, der Tratsch ist elektronische Komunikation und benötigt keinen Raum.

Bemerkenswert ist das Grazer Motto "Platz für Menschen": wie wenig eben die Vorstellung vom sozialen Gefäß funktioniert zeigen die Publikationen davon, wo prinzipiell menschenleere Plätze zu sehen sind (was weitgehend auch den Tatsachen entspricht). Dieses Faktum deutet zumindest darauf hin, daß Menschen gar nicht im Vordergrund der Intentionen liegen. Auch die schönen Oberflächenmusterungen sind nur für die menschenleeren Fußgängerzonen konzipiert (für den Straßenkehrer, die extremen Frühaufsteher und), denn wenn ein Platz geschäftig überfüllt ist, können Naturstein- und Betonpflaster natürlich nicht gesehen werden. Die Argumente lachen sich gegenseitig aus.

Der gerade entstehende Diskurs über die Ortlosigkeit in der Architektur stellt auch den Genius Loci von Plätzen zur Debatte. Aber wie es Architekten gibt die noch mit dem Vokabular eines Vitruv Auslangen finden, gibt es eben auch noch Leute, die sich über Plätze den Kopf zerbrechen, wie zB. heute diese illustre Runde. Natürlich kann ich nicht so tun, als ob es keine Plätze gäbe, aber ich verstehe diese als städtebauliches Erbgut, quasi zeitlich in ein kulturelles Nebeneinander verschoben, und die Faszination der berühmten historischen Plätze als ästethischen Dimension.

Um Plätze aller Art in diesem Sinn zu erhalten, ist die Beibehaltung der konventionellen Außenraumtheorien erforderlich. Dafür gibt es traditionelle Elemente: die Tauben (zB. Markusplatz) und die Autos (zB. Etoile / De Gaulle). Diese Elemente sind die wahren platzbildenden, eindeutig gestaltwirksamer als die Skulptur in Platzmitte (Camillo Sitte). Daraus folgt der Rat an alle Platzerhalter:

Tauben füttern: denn was wäre der Genius Loci vom Markusplatz ohne Tauben?

Da aber eine Stadt nicht nur von taubenfütternden, parkplatzsuchenden Menschen und fotografierenden Touristen bewohnt wird und da es sich bei Plätzen um zumeist um wertvolles innerstädtisches Bauland in bester Lage handelt, könnte man (der Theorie Außenraum wird Innenraum folgend) vorschlagen, die Plätze mit großer Dichte zu verbauen[191]. Warum dies nicht gemacht wird ist mir ein Rätsel, weil damit die Probleme der Taubenplage wie auch das der Verschandelung durch Autos gelöst würden. Im Sinne der Altstadterhaltung ist derartiges eine Aktion der Rückführung, da die Plätze zumeist durch Abbruch mittelalterlicher Häuser entstanden sind (zB. Freiheitsplatz in Graz, der Graben in Wien; unter vielen Plätzen finden sich Fundamente früherer Gabäude).

Will man heute dennoch einen leeren Platz bauen, stellt sich die Frage, wie das abgewickelt werden soll. Wollte man dafür etwa ein Häusergeviert abbrechen wie in der Gründerzeit, gibt das Ärger, weil heute buchstäblich keiner Platz machen will. De facto gibt es keine Neu-Planungen von Plätzen, und scheidet man die Oberflächengestaltung und Erhaltung aus, nur selten Gelegenheit einen "klassischen" Platz herzustellen. Ob so oder so betrachtet, die Plätze hören sich offensichtlich auf.

Rüdiger Lainer hat bei der Verbauung der Aspern-Gründe gezeigt wie ein städtebauliches Quartier ohne Blockrandverbauung und ohne Plätze geplant werden kann: wie ein Netzwerk mit unterschiedlichen Knoten, in einem städtischen und räumlichen Bezugssystem, in dem sozusagen interaktive Räume erkennbar sind.

In diesem Sinne gibt es heute die unterschiedlichsten Netze, weltweit; ob wir wollen oder nicht, wir sind im WWW, und die Netze sind ziemlich dicht, die Maschenweite klein. Für die aktuelle wissenschaftliche Forschung, die sich damit und besonders mit den Auswirkungen beschäftigt, ist die systemtheoretische Frage, was passiert in den Löchern des Netzes, ein entscheidendes Problem.

Irgendwie könnte ich die traditionellen Plätze wie die Löcher in den Netzen verstehen, vielleicht können wir uns auf diese Art neue Definitionen für die Plätze entwickeln.








Architektur zum Scheißen

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Circa 1978 hörte ich einen Vortrag 10 Thesen zur CA, das Thema war Creativität und Analität im Investors Club der CA (Credit Anstalt); Scheiße ist Geld, auch umgekehrt usw.; der Redner: ein Wirtschaftsfachmann und Analytiker (Freudianer). Folglich habe ich für ihn das Spiegelklo entwickelt, das war ihm aber irgendwie zu deutlich, weil Kinder mit 2 Jahren sich mehr für ihre Scheiße interessieren als für Freud, bzw. hat er damit wiedereinmal nachgewiesen, daß Architekten, entgegen ihrer Selbsteinschätzung, die schlechteren Analytiker sind. Dann war der Prototyp in meinem Büro montiert. Einige Besucher gaben detaillierte Erläuterungen, wie und was da alles zu sehen und zu verstehen ist; ich habe keine Aufzeichnungen, keine Statistik geführt, wurde aber dadurch dennoch Experte.

Trotzdem war nicht geklärt, wie das alles so ist, mit der Architektur, dem Geld, der Kunst und der Scheiße. So habe ich 1980 im Computer Genuß + Scheiße in ein Morphing- Programm geworfen, weil sich offensichtlich alles, zumindest viel auf der Welt und im Leben zwischen diesen Antipoden bewegt, auch Architektur. Das war eine Parallelaktion zur Hybrid- Architektur, wo man im Vorhinein nicht weiß, was dabei herauskommt. Natürlich ist es nicht Scheiße, sondern Getrieße, was ja nichts heißen kann, weil es die Mischung von Genuß + Scheiße auch nicht geben kann. Es hat also nichts von Bedeutungsträgertum, Signifikat und Signifikanz, Semantik, Semiotik, Pragmatik etc. Natürlich hat das Hirn von Testpersonen schnell etwas Bedeutung dazugefunden: der Herr Ober Getränke, die Frau Garderobierin Schirme, der Architekt Schinkel usw., ziemlich typisch, auch berufsbedingt, woraus folgt: Ganz egal, welches Hundstrümmerl dem Hirn vorgelegt wird, es will erkennen, und scheißt sich dadurch selbst, quasi als Auto- Existenzbeweis, das eigene Limesbild ins Hirn.

Und dann habe ich begonnen das Alphabet zu scheissen, einige Buchstaben habe ich schön hinbekommen, z.B. das T, das j, auch ein , ungefähr auch @, habe aber später gesehen, daß echte Künstler, wie Albert Öhlen, Piero Manzoni oder Wim Delvoye u.a., das besser können und habe die Serie abgezwickt.

Auffallend ist, daß der Scheiß&Schiff- Komplex nur selten offen behandelt wird, d.h. wenn überhaupt, dann nur hinter vorgehaltener Hand (vgl. auch hiezu die typische Handhaltung beim Schiffen). Anthropologen und Psychoanalytiker mögen ihre fachspezifischen Erklärungen dafür haben. Dennoch bleibt unverständlich, warum mit der höchsten Stufe, am einen Ende im Kreislauf aller Nahrungsmittelketten, derart schäbig verfahren wird. Da könnte allgemein mehr geoutet, besser inszeniert werden, und auch die Architekten könnten das als Arbeitsfeld verstehen und hiezu neue Artikulationen entwickeln.

Das bauliche Äquivalent zur vorgehaltenen Hand, sozusagen ihre Ausweitung, ist die Brunzecke bzw. der Scheißwinkel. Etwas einseitig könnte man behaupten, daß im Errichten von Schiff- bzw. Scheißecken der Anfang aller Architekuren zu finden sei, eher als im Errichten von Weinkellern oder anderen Kultstätten: Denn in der offenen Landschaft wird zwanghaft ein Baum, Busch oder Stein gesucht, was weniger mit dem Wind, aber vermutlich mehr mit dem Markieren bzw. Verstecken zu tun hat. In Ermangelung derartiger Naturgegebenheiten wird seit jeher architektonisch nachgeholfen, eben mit Außenecken bzw. Innenwinkeln; es gibt auch die Behauptung, daß aus diesem Grund (als Baumersatz) die Säule erfunden worden wäre.

Wenn somit festgestellt werden kann, daß die Architektur zum Schiffen und Scheißen eigentlich eine archaische, archetypische Bauaufgabe ist, muß aber gleichzeitig angemerkt werden, daß die Entwürfe dafür durch die Jahrhunderte hindurch eigentlich zum Scheißen waren. Die closets -- Wandschränke im dicken alten Gemäuer hinter einer Tapetentür -- wurden erst durch die spätere Erfindung der water- closets halbwegs funktionell erträglich, aber die Raumqualität blieb weiterhin, bis herauf zu den heutigen Pariser High- tech- Modellen, miserabel, zumeist minimalisiert. So nebenbei wurde aber damit die Verrichtung als individuelles Geschäft (einzeln und nacheinander!) geprägt, und daher gibt es für gleichzeitige, so richtig kollektive Aktionen keine Raumdefinitionen.

Die Aktion Kunst & Revolution (Uni Wien 1968, Brus, Mühl, Weibel, Wiener) zeigt unmißverständlich ein Abweichen von der offiziellen Linie, was ein Scheißlokal sein dürfe; wer kollektiv statt individuell tut und dabei das vorgesehene kleine Kammerl verläßt, um das Ambiente, die Raumqualität zu erhöhen, wird staatlich bestraft, auch weil er die Funktionalität von Räumen nicht richtig versteht. Das öffentliche Verteilen von Exkrementen ist überdies nur unsichtbar zulässig, wie in den Eisenbahnzügen, die deshalb so schmierig sind, weil das bei hoher Geschwindigkeit Fallengelassene, feinst zerstäubt, bei allen Fugen und Ritzen wieder in die Coupés zurückgelangt.[193]

Offensichtlich haben die Architekten dieses Thema nie so geliebt wie die Literaten oder bildenden Künstler, was schon an den umfangreichen Dokumentationen von Klosprüche und Klozeichnungen ermeßbar wird.

Die einzige mir bekannte wirklich großzügige Konzeption einer Abortanlage ist der Spiegelsaal in Versailles: Eine bei der großen Renovierung nach dem 2. Weltkrieg gefundene ca. 1 cm dicke Urinsteinschichte erlaubt Rückschlüsse auf seine ursprüngliche Verwendung und gibt auch eine nachträgliche Erklärung, warum es so viele Spiegel gibt (natürlich nicht der schönen Perücken wegen). Hier eröffnet sich auch die Betrachtungsweise, daß allgemein die Exkremente in Gefäßen (Töpfen, Schüsseln, Porzellan etc.) zu fassen wären, und daß man in Versailles angesichts des imposanten Raumkonzepts sogar auf Gefäße verzichten konnte. Man könnte also die Klos nach Häferlgröße und nach Kammerlgröße kategorisieren. Gefäßlos und ohne räumliche Hülle wäre eine Extremposition, d.h., es wäre dann alles (grenzenlos) Klo, d.h., das Örtchen hat keinen Ort, ist Unort, also wirklich Abort usw. usw.

Hier kann aber auch verständlich werden, warum die Geschichte der Abortanlagen bis heute architektonisch diffus und miserabel ist: Kein Architekt will Häusl- Baumeister sein, das Planungsverhalten ist beklemmend, die erforderliche Fläche wird irgendwo hineingestopft bzw. ist Füllfunktion für irgendeine übriggebliebene, zumeist innenliegende Restfläche. Architekten und öffentliche Auftraggeber suchen lieber die große Bauaufgabe, den spezifischen Ort Topos, nicht das Örtchen, schon gar nicht den Abort. Schlecht geschissen liebe Kollegen! Nur in der Ortlosigkeit liegt der Schlüssel zur Raumkunst!

Noch weiter überhöht läßt sich argumentieren: Im Scheißhaus kulminiert die Problematik heutiger Architektur, entlarvt sich die Hartleibigkeit veralteter Konzepte wie: die rigorose Trennung von innen und außen, die eindeutige Funktionszuordnung, die Tendenz zum Minimalisieren, die technoide Aufrüstung etc. Und in diesem Zusammenhang wird klar, daß die Klos auch zum Speiben da sind. Die WC- Kabine wird letztes Rückzugsgebiet für die Vorstellung Raum = Schachtel sein. Die WC- Kabine ist der Gradmesser für die Ernsthaftigkeit eines offenen Raumkonzepts, hier kann sich wahre Könnerschaft zeigen.

Damit in Eisenstadt die Häufen nicht in der Fußgängerzone herumliegen und die Fäkalien ordnungsgemäß der Kläranlage zugeführt werden können, habe ich zusammen mit A. Gruber (1994) eine öffentliche WC- Anlage am Domplatz konzipiert. Die alte ist dermaßen desolat, daß die Ubitäten von Staatsbürgern nur unter allergrößter Not benützt werden. Die üblichen Tricks und individuellen Techniken, die jeder entwickelt hat, um nicht allzuviel anzustreifen, versagen hier: Die Strategie, die Kette ganz oben zu ziehen, wo sonst niemand anderer hingreift, schlägt fehl, weil die Kette abgerissen ist und alle oben ziehen. Es ist kurzum so, wie Ludwig Fels dichtet: "Der Arsch hat es gut, wenn alles nur zum Kotzen ist..."

Die neue Version wird natürlich berührungsfrei funktionieren: Die Klokette gibt es zur Erinnerung nur als Attrappe und die Kabine ist etwas zu groß, damit man nicht anstreift. Das Auffallenste wird aber sein, daß Sanitär- Keramik in Vitrinen für alle Passanten sichtbar sein wird, mitten am Domplatz; und für die Benützer fährt die Kabine hydraulisch hoch, die Vitrine wird zum Oberlicht; und nach der Verwendung verschwindet sie wieder im Boden und wechselt auch die Luft aus wie ein Blasbalg. Das Klopapier kommt aus einem ink- jet Drucker (Tinten- Pisser), der das Papier mit den neuesten interaktiven Texten individuell versieht usw. usw.

Jetzt gibt es auch in meinem Büro (im Vorzimmer) einen neuen Prototyp vom Spiegelklo, unten aufgebohrt und eine Glasscheibe im Siphon eingesetzt, damit eine Bodenlampe durch das Wasser hindurch für den Spiegel mehr Licht gibt. Somit ist auch eine Raumbeleuchtung neu konzipiert, zwischen den Beinen zu Decke und Wand schemenhafte Schatten werfend, auch die Lichtfarbe ändert sich mit der Farbe des Wassers im Siphon, und es gibt eine male- und eine female-Version.










Zehn Fragen an zehn Architekten

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1.) Wie sind Sie Architekt geworden? Autodidaktisch; durch Finger- und Hirnübungen, bei Micro-Projekten, einigen Aktionen und Wettbewerben; ich habe immer nur Behauptungen aufgestellt, und jetzt werden diese immer öfter realisiert.

2.) Was bedeutet für Sie "Architektur"? Nicht mehr das was sie einmal war; die Vitruv'sche Trinität (Form-Funktion-Konstruktion) ist als Architekturregel absolut obsolet, ebenso form follows function und andere. Ich erkläre immer wieder: Der Plan ist tot, die Perspektive ist tot, in jeder Beziehung, im Umfeld von Computern und überwältigt von der Vielfalt des Netzes. Das Fließen im Netz plädiert für eine simultane Architektur ohne Ort. Mich interessiert, Architektur neu zu positionieren: HYBRID ARCHITEKTUR © (1980) war output von Datenmanipulationen, DAS BINÄRE HAUS © (1988) mein Konzept einer Computer-Architektur-Theorie. Seit 1994 sondiere ich durch BROWSE ARCHITECTURE © das Potential von virtuellen Räumen im Internet für eine REAL LIFE ARCHITECTURE ©. Aktuelle Architekturen basieren vorbildlos auf aktuellen Planungsmethoden und Systemtheorien: Einem intelligenten selbstregelnden System sind natürlich auch beliebige Formen zuzugestehen. Einzig die FETZENLABERLARCHITEKTUR © entspricht der fuzzy logic.

3.) Was ist für Sie ein "guter" Architekt? Wer noch besser ist als ich; das hat wenig mit Kommerz zu tun, eigentlich nur mit Geschwindigkeit: Sie verpflichtet zur Oberflächlichkeit. Schlechte Architekten hinken (wie die Kritiker) immer einige Schritte hinten nach, weil sie rechthaberisch und weltverbessernd in die Tiefe gehen wollen und dadurch einfach zu langsam sind. Ein guter Architekt, ist ein guter Surfer, bleibt an der Oberfläche: wie ein Stein, durch Selbstrotation stabilisiert, je nach seinem Anstellwinkel, im Fluge, am Wasser mehrmals, aufspringend und kurz darauf. Soferne ein Architekt, eine Handschrift haben will, entwickelt hat, ist er schlecht, weil er originell sein will. Nur schlechte Architekten planen sich ihr eigenes Haus selbst. Ein guter Architekt ist überall zu Hause.

4.) Was macht Architektur zur "Kunst"? Architektur ist Architektur und nicht Kunst. Das ist eben der Unterschied. Architektur ist auch nicht die Mutter aller Künste wie manche Holisten vermuten. Der unvergleichliche Künstler Jörg Schlick hat mir den Unterschied so erklärt: Architekten sind keine Künstler, da ihnen das subversive Element fehlt. Architekten ziehen eine Schleimspur, die direkt zu den Mächtigen führt. Architekten sind zu jedem Kompromiß bereit: Nur um bauen zu dürfen, wird ein Leseturm, ohne viel Nachdenken, gekappt. Was für einen guten Künstler zum Selbstmord führt, ist für Architekten ein Beweis genialer Strategie. Von Kollegen in den Rang eines Großmeisters gehobene Architekten erkennt man an dem typischen, breiten Architektengrinsen, d.h., die Mächtigen haben mich zurechtgebogen, ich darf bauen und trage einen schwarzen Anzug. Das alles hat natürlich nichts mit Kunst zu tun, sondern nur mit reiner Architektur.

5.) Hatten Sie "Vorbilder"? Die Architektur selbst braucht keine Vorbilder, d.h., sie braucht nicht so zu tun als ob, sie braucht nicht so auszusehen wie ... (eine Kirche muß nicht so aussehen wie eine Kirche, eine Tür muß nicht flach sein). Wenn Architektur keine Vorbilder braucht, brauche ich als Architekt auch keine. Das Pech z.B. von Lisitzky ist, daß emanzipierte Architekten keine Vorbilder nehmen, und die schwachen Architekten und Anfänger und Ministranten, welche glauben Vorbilder zu brauchen, dann ausgerechnet ihn auserwählen und mißbrauchen. Indem sich ein Architekt auf ein Vorbild beruft, wird sein Entwurf ja nicht besser.
Vorbilder sind immer retrospektiv, also eigentlich Nachbilder, das führt zu Abziehbildern, Epigonentum. Darüber können Baukunsthistoriker räsonieren, das paßt aber mit aktuellen Planungsmethoden nicht zusammen. Im Konzept Vorbild liegt auch postmodernes (Planungs-)Verhalten, postmoderne Architektur begründet: Die Konsequenz von Vorbild ist Mimikry, was bleibt anderes übrig, und viele Architekten sind dabei gerne vorbildlich konsequent.

6.) In welcher "Umgebung" fühlen Sie sich am wohlsten? Es gehört zur Architektenmentalität, zu glauben über Umgebung, d.h. extensiv, das Wohlsein bestimmen zu können, und so fühlen sich Architekten weltverbesserisch am wohlsten. Ich war noch nie im Musikantenstadl und noch in keinem Club Méditerranée, d.h., ich kenne das Verhaltensmuster des guten Geschmacks schlecht und habe geringes Harmoniebedürfnis. Ich habe aber ein gewisses Potential zur Abstraktion bzw. zur Virtualität, und real-life-architecture fasziniert mich sowohl als Planer als auch als Konsument.

7.) Was halten Sie von (österr.) Kulturpolitik? Da verweise ich zuerst auf Robert Menasses Wie es ist, wenn es bleibt, wie es ist, weil es ist, wie er schreibt. Ich sehe das Tohuwabohu als ein von Beamten & Künstlern langjährig kongenial gefördertes, klares Konzept gegen Staatsdirektiven; daran mitzuwirken, ist wahres Künstlertum, ist Kulturpolitik pur: Wenn z.B. ein Burgschauspieler Politiker wird, ist das - konventionell betrachtet - eine künstlerische Nullaktion bzw. ein politischer Flop; im Zusammenspiel jedoch prototypisch österreichische Kulturpolitik.

Da Österreich quasi intuitiv im Grunde genommen immer schon der Theorie der Unschärfe frönte, sozusagen eine fuzzy-Struktur ist, bietet es großartige Freiräume: Unklar ist mir dabei aber, warum die Gentechnologie zu den Wissenschaften und nicht zur Kunst resortiert.

8.) Wovor haben Sie Respekt? Diese Frage will ich nicht verstehen, daher überspringen. Ich nehme aber den Anlaß zur Unmutsäußerung, daß alle 10 Fragen bezüglich einer aktuellen Architekturentwicklung das Ablaufdatum schon längst überschritten haben. Sie treffen dennoch sehr gut die übliche, logorrhöetische Architektensuada.

9.) Wenn Sie durch die Stadt gehen -- worauf achten Sie? Natürlich achte ich, daß ich nicht in die Hundescheisse steige. Und ich freue mich, wenn ich Bekannte treffe. Architektur schaue ich als solche prinzipiell nicht an. Ich kritisiere nicht das Unansehnliche. Gedankliche Verbesserungsvorschläge oder schnelle Entwürfe im Spazierengehen mache ich auch nicht. Derartiges mache ich nur gegen Honorar.

10.) Haben Sie "Visionen"? Visionen befinden sich in vielen Architektur-Werkzeugboxen. Für mich gibt es nichts peinlicheres als die Visionen der Architekten, da diese ja immer rückständig sind. Ein Entwurf ist keine Vision, sondern eine Behauptung oder eine Verfahrensanweisung, und dabei komme ich auch ohne Inspiration aus. Mir genügt ein schneller Computer, ich browse ohne Visionen.








Alle lieben das Netz

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Im Umgang mit dem Internet sind mir einige Phänomene aufgefallen, die aus meiner Sicht bemerkenswert sind und für Architekten relevant sein könnten. Ich schiele mit einem Auge zum Surfen im WWW und mit dem anderen zur Architekturproduktion und erlaube mir mit einiger Großzügigkeit bzw. Unschärfe Verbindungen, Verallgemeinerungen herzustellen.

Indem Architekturregeln kommen und gehen relativieren sie sich selbst, d.h., sie sind selbst weniger dogmatisch als sie gehandhabt werden. Ich kritisiere den Anspruch der Ausschließlichkeit von Regeln sowie die Anwendung veralteter Regeln und bin ständig auf der Suche nach neuen Impulsen, die ich natürlich im Computer und neuerdings im Internet finde.

Das von mir gerne zitierte Beispiel des Knoten beim Dom von Trient (13. Jhdt.) zeigt, wie sich ein spätromanisches Detail international[196] wie ein Virus verbreitet hat. Ein Virus ist nicht lokal, nicht regional, nicht singulär oder auchtochton, er hat Eigenschaften eines Netzes. Ein Virus gefährdet bestehende Systeme, und so gefährdet die Anwendung von Netzen natürlich auch alle linearen Vorstellungen.[197] So wie das Knotenmotiv gegen alle heute langläufigen Architekturtheorien verstößt - gegen strukturelle Architektur, Leistungsform, Materialgerechtigkeit, Handwerksgerechtigkeit, Minimalismus, Reduktionismus etc. - verstößt das WWW dagegen, indem es nicht linear - eben ein Netz ist.

Die Architektur argumentiert zumeist linear; wie ich vermute zum Teil auch wider besseres Wissen, lediglich deshalb, weil in der Linearität eine größere Verbindlichkeit, unter dem Aspekt der linearen Kausalität sogar Zwanghaftigkeit postuliert werden kann - form follows function. Mit der Linearität geht die Forderung nach Schlüssigkeit eines Projektes konform. Mit einer linearen Argumentation läßt sich ein Projekt vor dem Bauherren bestens präsentieren, weil doch alles so klar und einfach ist und die vorgeschlagene Lösung als die einzig durchführbare dargestellt werden kann. Gleichzeitig stöhnen Architekten angesichts der Komplexität der Aufgabenstellung, und bisweilen habe ich den Eindruck, daß das Hauptanliegen eines Entwurfes darin besteht, Vielschichtigkeiten in Linearitäten umzuwandeln. Linearität und Determinismus gehören zum selben cluster, der noch immer so beliebt ist, weil so simpel. Evident ist, daß diese Denkschulen durch die neuen Medien und Systemtheorien auch überholt sind.

Seit ich vor ca. 30 Jahren begann, mich mit Architektur zu beschäftigen, konnte ich mehrere Ansätze zur Überwindung der alten Paradigmen mitverfolgen: McLuhan mit den Theorien bezüglich der Auswirkungen der elektronischen Medien, später die Verbreitung der Fraktalen-, der Chaos- und der Fuzzy-Theorie; ca. 1965 - 75 die urbanistische Architekturauffassung, die sich an dynamischen Systemen wie einer Stadt orientiert und nicht an den vom Modell Haus ausgehenden archaischen Archetypen; der Versuch Regelkreise bzw. Rückkoppelungsschleifen in die Architekturkonzeption einzubeziehen: strukturelle Architektur als quantitative Lšsung genannter Systeme[198]. Ab Mitte der 70-er Jahre wurde die systematische Planungsmethode durch den Einsatz von Computern verstŠrkt und mit experimentellen Theorien versucht, den Paradigmenwechsel von der analogen zur digitalen Vorgangsweise voranzutreiben. Wenn parallel dazu in den vergangenen Jahren die postmoderne und die wertkonservative Architektur eine Stagnation bzw. schon einen Rückschritt markierte, sehe ich im Internet, speziell in der rasanten Ausweitung des WWW, eine Fülle von neuen Anregungen kommen.

Es ist nicht die Frage, ob es zu Auswirkungen kommen wird - alle vorangegangenen wissenschaftlichen, technischen, medialen Erneuerungen hatten Auswirkungen auf die Architektur -, sondern wie schnell diese erfolgen. Und je schneller die Architektur darauf sozusagen interaktiv reagiert, umso geringer wird der "Kulturschock" sein. Hinsichtlich der Orwell'schen und McLuhan'schen Projektionen konnten wir feststellen, daß die Entwicklung zwar etwas anders, aber vor allem schneller als vermutet gekommen ist. Wir können nun, nachdem wir in den vergangenen Jahren schon einiges an Erfahrung mit medialer bzw. digitaler Architektur gemacht haben, offener und schneller reagieren, denn ein Großteil der zögernden Befürchtungen sind nicht eingetreten.

Auch in der kurzen Geschichte des Internet haben sich Verschiebungen eingestellt: Als nicht lokale Kommunikationsweise des Pentagons (für atomare Gegenschläge) konzipiert, wurde die strukturelle Ortlosigkeit eines Netzes genutzt, um kein Ziel abzugeben (die größten Ziel-Spezialisten bedienten sich der Guerilla-Ziellosigkeit). Der informelle Charakterzug, die Tendenz zum Anarchischen[199], der Spaß an einer instant communication war nicht geplant, stellte sich erst später ein. Die Grenzenlosigkeit des Netzes war vorhersehbar, die Auswirkungen hinsichtlich Grenzen (Staatswesen und -grenzen, Rechtspolitik etc.) waren weitgehend überraschend. Wie das Netz die Tendenz hat, den Mächtigen zu entwischen, könnte sich eine Internet-Architektur auch von den Mächtigen emanzipieren.

Nachdem die Eisenbahn als Satanssroß verteufelt worden ist, Graham Bell das Telefon selbst nicht verwendet hat und der Computer noch als Blechtrottel, der zumindest die Handschrift des Architekten nivelliert, abgelehnt worden ist, gibt es nun kaum Berührungsängste mit dem Internet. Alle lieben das Netz ist die vorbehaltlose Stimmung[200] in der WWW-community und das scheint mir die wichtigste Botschaft zu sein. Damit und mit dem Faktum, daß das Netz selbst rasant ist und selbst als Katalysator wirkt, erklären sich auch die enormen Zuwachsraten - derartige hat es bisher noch nie gegeben.

Die Struktur des Netzes ist vernetzt, so sind im Netz mit seinen vielfältigen Verknüpfungen die Linearität, Kausalität und Eineindeutigkeiten aufgehoben, es verpflichtet nicht zu einer bestimmten Vorstellung oder zu bestimmten Wegen, ja nichteinmal zu einer eigenen Identität, zumal mehrere - virtuell und in real life (IRL) - kommuniziert werden können. Every day a link to another cool site on the web. You never know where you are going until you get there.[201] Die konventionelle Illusion von Individualität wird nach wie vor erfüllt.

Zwischenzeitlich haben sich natürlich schon neue Limesbilder herauskristallisiert, im Netz selbst heftigst diskutiert, in allen wissenschaftlichen Disziplinen fachkundig analysiert: Rheingold, Negroponte, Sakamura, Mitchell u.a.[202] Natürlich gibt es auch viele plakative Überlegungen: z.B. was passiert, wenn alle Chinesen mit allen Indern gleichzeitig telefonieren (was ja über ein einziges Glasfaserkabel möglich ist), oder was geschieht eigentlich in den Löchern des Netzes? Was machen wir ohne Hierarchie, wenn unser bisheriges, eingelerntes Verhalten auf Hackordungen beruhte, wenn es keine Anleitungen, keine Zielvorgaben, die sich mit Fleiß und Ausdauer verfolgen lassen, mehr gibt?

Auch wenn es noch so interessant wäre: Uns geht es hier jedoch nicht um einen allgemeinen Diskurs über das web, sondern primär um architekturrelevante Aspekte. Sicherlich kann man mit einem konventioneller Zugang auch für eine konventionelle Architektur profitieren, so wie die häufigste Computeranwendung in der Architekturbranche - der Computer als Zeichenmaschine - ein wenig zum Komfort beiträgt. Ich denke aber, daß wir hier mit einer doppelten Fragestellung konfrontiert sind: 1. Welchen Einfluß hat das Netz auf die Architektur und 2. wie kann sich Architektur in einem zunehmend entmaterialisierten Umfeld neu artikulieren bzw. noch deutlicher, welchen eigenen Beitrag kann die Architektur zu diesen neuen Entwicklungen leisten?

Ein relativ einfaches Beispiel: Nicht zuletzt von der Schrift sind wir linear orientiert: Bücher haben einen Anfang, ein Ende, dazwischen die Zeilen, Fließtext; nur die Fußnoten erlauben einen kleinen Ausflug weg, aber hernach wieder zurück zum Text! Weil auch das dickste Buch gebunden wird, gibt es eine letzte Seite, den letzten Satz, das letzte Wort; die häufige Problematik im Leben, wer das "letzte Wort" hat, stammt vermutlich von hier. Zusätzlich hat sich etabliert, daß das letzte Wort recht hat.[203] Anders im internet: Das web ist quasi ohne Anfang, ohne Ende, die Information ist unbeschränkt, daher gibt es auch nicht das "letzte bit". Die hyper-text-marking-language (htm oder html) arbeitet mit links, Verbindungen zu anderen files. So kann auf "einer page" eine Unmenge von links eingebunden sein und in diesen links wieder usw. Der Lesefluß ist nicht linear[204], es gibt keine Seitenzahlen (wieviel noch zu lesen ist); bookmarks dienen dem Wiederauffinden; ein Buch kann man mehrmals lesen, verschiedene Personen können dasselbe Buch lesen; beim surfen ist es unwahrscheinlich, daß bei verschiedenen sessions derselbe Inhalt abläuft.

Ich bin sicher, daß die nonlineare Internetstruktur sehr bald unsere Vorstellungen prägen wird. Es stellt sich daher die Frage, welche transformierende Anwendung dieser Struktur für die Architektur entwickelt werden kann, z.B. entsprechend der html-Systematik eine Netz-Architektur. In der Entwicklung weg von den ein- bzw. zweihüftigen Gangsystemen (vgl. Kasernen, Schul- und Verwaltungsbauten etc), im Wechsel von dieser Linearität zu den offenen Grundrissen und in weiterer Folge zum Konzept des offenen Raumes, sind schon wesentliche Schritte hin zu einer räumlichen Artikulation der neuen Strukturen zu erkennen.

Wie bei der Computer-Architektur anfänglich über die vielen bunten Striche und ihre Beweglichkeit gestaunt wurde, ist im WWW die Faszination davor groß, wo die server IRL stehen, wie mit einem Klick das Environment gewechselt werden kann, wie von einer site zur anderen gesurft, scheinbar um den Globus gejettet werden kann. Obwohl wir uns in einem neuen System befinden, wird traditionell bezeichnet: homepage, site, neighbourhood, digital city, highway, superhighway; Worte aus dem real life, die zur Bezeichnung im virtuellen herangezogen werden, insoferne Hilfsbegriffe, die einer neuen Formulierung harren. Wenn überhaupt noch die Vorstellung von Ort zutreffend sein kann, ist das Netz der Ort und alle sites sind eben dort bzw. in diesem Sinne ortlos. Diese kurzen Anmerkungen zur Begrifflichkeit sollten behilflich sein, den traditionellen Architekturbegriff zu modifizieren, vor allem zu dem Verständnis, daß Architektur ein Teil des Netzes ist, ein Teil im Algorithmus des jeweiligen Limesbildes.

Bei der Frage der Bezeichnungen werden die Schwierigkeiten des Paradigmenwechsels offenkundig. Jedoch gibt es eine Eselsbrücke: Auch in der traditionellen Architektur gab es den Aspekt der Information und Kommunikation[205], schon immer war Architektur Botschaft. Selbst in der Betonung der Körperhaftigkeit und der Formen (Stile) war die Botschaft zumindest metaphorisch oder allegorisch präsent. In einer prototypisch virtuellen Architektur mit mehr oder weniger oder ohne Masse bekommt der Aspekt der Information und Kommunikation einen neuen Stellenwert: Architektur ist nicht mehr Informationsträger (Abbild), sondern selbst Information.

Bezüglich computergenerierter Architektur habe ich beim binären Haus festgestellt, daß die Loslösung des Planers von inhaltlichen Attitüden, die Distanzierung und Abnabelung vom gewohnten Anthropozentrismus wesentliche Voraussetzung ist. Dazu gesellten sich dann die Formulierungen zur Namenlosigkeit, Funktionslosigkeit, Maßstabslosigkeit etc., und es zeigt sich, daß die besprochenen Phänomene, heute verschärft und beschleunigt aktiv sind. Für eine Internet-Architektur scheint mir die Ziellosigkeit der wichtigste Begriff.[206] Dieser entspricht der Haupttätigkeit im WWW, dem surfen und browsen. Ein guter surfer kennt kein Ziel, will nichts, läßt sich gerne ablenken und durchbricht die Vollständigkeit durch Flüchtigkeit. Die Einstellung des Architekten ändert sich vom Absolutheitsanspruch eines Demiurgen, der alles planen kann, zum heutigen sehr relativierten Verständnis als Teil eines Ambientes, in welchem architektonisch-bauliche Veränderungen nur mehr Randerscheinungen sind.

Zusammengefaßt scheinen mir folgende Eigenschaften des WWW markant:

1. Das Netz ist nicht linear, ist kein Baum, ist kein Regelkreis.

2. Die Datencluster sind ohne Hierarchie, sind an sich wertlos.

3. In der Eile bleibt keine Zeit für Interpretation, bewußte Selektion.

4. Das Netz ist in progress, durch Datumsfilter immer aktuell.

5. Durch die ständige Veränderung gibt es keinen exakten Zustand.

6. Zielloses surfen ist keine Problemlösung.

Durch die browse-architecture im Internet wird Architektur beschleunigt, weil eben nichts Bestimmtes gesucht (geplant) wird: Wie das Internet vom rasanten Zugang zu einer enormen Fülle von hierarchiefreien, quasi gleichwertig nebeneinander und übereinander liegenden Daten-clusters geprägt ist, wird Architektur nicht mehr durch Baumassen, sondern im browsing und surfing manifest. War in der konventionellen Vorstellung von Planung jeder Schritt (Zeichnung) eine Entwicklungsstufe, eine Verbesserung des Vorangegangenen, relativiert nun das browsing durch die Fülle des gleichwertigen Nebeneinanders die Illusion von mein Entwurf ist der Beste, die Vorstellung einer Richtigkeit und somit auch die Fiktion einer Verbesserung. Der moderne Architekt braucht nicht mehr idealistischer Weltverbesserer[207] zu sein.

Der Aspekt der Richtigkeit wird aufgehoben, der Rechthaberei und der Besserwisserei der Architekten wird die Basis entzogen. Und somit fallen auch die Materialgerechtigkeit, Handwerksgerechtigkeit, Konstruktionsgerechtigkeit etc. Anstelle von Richtigkeit wird die Geschwindigkeit zum Kriterium und die Geschwindigkeit bringt die Oberflächlichkeit mit sich, die Oberflächlichkeit[208] löst die Genauigkeit ab. Für die erhöhte Geschwindigkeit und die Oberflächlichkeit wurde die Theorie der Unschärfe (fuzzy logic) entwickelt. Hierin liegt eindeutig die Aufforderung zur Großzügigkeit - weg von der Kleinkrämerei! Ein guter Architekt, ist ein guter Surfer, bleibt also an der Oberfläche.

Im Internet gibt es keine statischen Regeln der Architekturproduktion mehr, es geht um ein intelligentes, intraktives surfing in den Systemabläufen. Die Formulierungen der Architektur-Algorithmen im Internet werden sich nicht inhaltlich für eine Weltverbesserung im Sinne der einen oder anderen Ideologie herausstellen: Diese Architektur ohne Teleologie, wird autokatalytisch und emanzipiert sein; Architektur wird nicht mehr weltverbessernd, sondern quick & dirty sein.

Aus dem Internet und dem Computer sind mir bisher folgende Änderungen unser Planungsverhalten betreffend aufgefallen:

1. Browse-architecture im Internet beschleunigt die Architektur.

2. Richtigkeit und Verbesserung wird von Geschwindigkeit abgelöst.

3. Die Geschwindigkeit bringt Oberflächlichkeit mit sich.

4. Die Oberflächlichkeit ist großzügig.

5. Die Architektur im Internet ist quick & dirty.

Zur Frage wofür wir als Architekten derzeit zuständig sein wollen, meine ich: Wenn unsere gebaute Umwelt und auch unsere Vorstellungswelt noch von real-life Architektur geprägt ist und nun die virtuelle Architektur von vielen Seiten an uns herangetragen wird, sollten wir uns um die Überführung der traditionellen Architektur des materiellen Raumes zur neuen Architektur des Informationsraumes kümmern. Dies wird umso leichter fallen, je klarer wir Architektur als ein Medium verstehen.








Ich fordere eine positive Verdeckungsbilanz

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Ich will den Themenkreis Was ist zu sehen? kurz analysieren und zwar in Hinblick darauf, daß wir in Österreich sehr viel Landschaft und zumeist auch viele Häuser sehen.

In der jahrelangen Beschäftigung mit Gebäuden, Architektur und Umgebung ist mir klar geworden, daß es dabei immer so ist, daß das eine (oder ein Teil des einen) das andere (oder ein Stück davon) verdeckt. Das ist ein wechselseitiges Prinzip.

Auf dem Bild am Einladungsfolder zur Veranstaltung Region Ennstal / Standpunkte in der Architektur verdeckt der Genossenschafts- Wohnbau die Berge dahinter, die Berge verdecken die Häuser dahinter, links vom Wohnbau verdeckt der auslaufende Hang das Erdgeschoß des alten Bauernhauses.

Auf der Strecke von Graz nach Wien sieht man immer irgendein Gebäude in oder vor der Landschaft; ich kenne nur wenige Blickwinkel in Österreich, wo man kein Gebäude sieht, z.B. auf der Strecke Graz Trautenfels, kurz vor und nach dem Gleinalmtunnel, das wären Blickpunkte für Landschaftspuristen.

In Städten oder Ortskernen sind nur Gebäude sichtbar, man sieht sozusagen vor lauter Häusern keine Landschaft mehr. Das kann bisweilen auch angenehm sein, etwa wenn man bemerkt hat, daß österreichische Berge auch andere Berge verdecken.

Nach dieser eigentlich selbstverständlichen Einleitung nun zum Kern der Argumentation: Wie kann man dem allseits geliebten Satteldach, seinem Limesbild, entkommen?

Auf dem Bild deckt das Satteldach des Wohnbaues einen Teil unserer Landschaft ganz schweinisch ab. Schweinisch insofern, als ich für das was verdeckt wird, nämlich ein Teil unserer schönen Heimat, nichts gleichwertiges oder besseres als Ersatz geboten bekomme.

Optisch besteht der Ersatz für den Anblick der Berghänge aus zwei grauen Vierecken, d.h., ich habe den Eindruck, daß mir etwas weggenommen wird, ohne zumindest ein Äquivalent zu bekommen.

Und damit bin ich in aller Eile beim MERKSATZ meines Statements:

Das Satteldach ist nicht landschaftsgerecht, es ist -- zumindest optisch -- landschaftszerstörend; gesetzliche Vorschreibungen desselben und die allgemein geltende Forderung danach sind durch andere Forderungen zu ersetzen.

Analog dazu: Auch die Flächenwidmungspläne ruinieren die Landschaft, sie sind zumeist Zersiedelungspläne.

Es wird also unter dem Titel Landschaftsschutz und Raumordnung das Gegenteil nämlich Landschaftszerstörung betrieben.

Paradoxerweise verfolgt uns die Forderung Satteldach trotzdem überall, es wird sogar dezidiert vorgeschrieben: bei Wohnbauwettbewerben, vom Ortsbildschutz, vom örtlichen Bausachverständigen, von der Baubehörde, vom Wunschbild der Bauherren.

Bautechnisch ist das Satteldach nicht so eindeutig einzufordern, weil ja genug alternative Konstruktionen möglich sind -- Flachdächer mit Umkehrdach etc. Man soll sich z.B. von den Wohnbau- Genossen unter dem vordergründigen Hinweis auf die Bautechnik deshalb nicht einengen lassen; auffallenderweise sind nämlich die Flachdächer ausgerechnet bei jenen Bauherren und Bürgermeistern undicht, die aus ästhetischen Gründen kein Flachdach haben wollen.

Das Problem liegt also eindeutig in der Vorstellung dessen, was mit der sogenannten Einfügung in die Landschaft gemeint wird:

Die üblichen Einfügungsmechanismen reichen von konservativ (sich auf das alte (!) Gute zu berufen) bis zu militärisch (tarnen). (Aus dieser Sicht müßten alle Architekturstudenten vom Militärdienst befreit werden, damit ihnen die Grundzüge des Tarnens NICHT eingeführt werden.)

Vereinfacht gesagt, berufen sich die Einfügler immer auf eine Ähnlichkeit, nach der Regel Gleiches zu Gleichem ihr Muster ist MIMIKRY. Die offensichtlich anthropologisch kodierte Mimikry scheint mir überhaupt der essentielle Hintergrund für den generellen Wunsch der Einfügung zu sein -- warum sonst wird permanent angepaßt?

Es liegt für mich auf der Hand, daß Mimikry kein architektonisch / künstlerisches / kreatives Gestaltungskriterium ist. Im Extremfall: Nicht einmal die vollständige Mimikry, die getreue Kopie des sogenannten sich ideal einfügenden alten Bauernhauses oder Ringstraßengebäudes, stimmt.

Wenn sich z.B. irgendein altes Bauernhaus unbestritten in die Landschaft einfügt, obwohl es einiges verdeckt -- hat das vielerlei Gründe. Es ist aber keinesfalls gerechtfertigt, aus einem derartigen Gesamt- Kontext ein Element -- z.B. das Satteldach -- herauszunehmen und zu glauben, daß damit die Einfügung erledigt sei.

Bezüglich Einfügung habe ich ja durch meine langjährige Tätigkeit in der Grazer Altstadt- Sachverständigen- Kommission einige argumentative Erfahrung:

So kann ich leicht nachweisen, daß bei der landläufigen Frage der Einfügung nicht die Landschaft oder das Stadtbild, in welches sich etwas einfügen soll, das Thema ist, sondern der persönliche Geschmack des Beurteilers. Es fügt sich sozusagen etwas ein, was zu seinem Geschmack paßt, und nicht das, was zur Landschaft / Stadt paßt. Es wird also primär in eine virtuelle Umgebung eingepaßt, in eine Fiktion. In diesem Sinn gibt es viele Einfügungen, das Ergebnis sehen Sie, wenn Sie durch Österreich fahren. Schlechte Architektur, nach dem jeweiligen guten Geschmack, verstellt die Landschaft.[210]

Das fallt aber gar nicht mehr besonders auf, weil sich ja auch die Berge gegenseitig verdecken. Das Unveränderliche dieses Verdeckens wird zum Selbstverständlichen und im Übertragenen zur Norm. Und darin liegt der Grund, warum das Verdecken überhaupt ein typisch österreichisches Phänomen ist (es gibt somit auch eine topographische Erläuterung der Fälle Waldheim bis Groer).

Ich komme auf eine einfachere Argumentationslinie, zur Architektur zurück:

Physisch und optisch können wir nicht umhin, daß ein Gebäudegrundriß ein Stück Wiese bedeckt (die bebaute bzw. überbaute Fläche) und die Ansicht des Gebäudes ein Stück Landschaft verdeckt.

Was den Grundriß betrifft, kann natürlich leicht mit einem begrünten Flachdach geantwortet werden, bei einer ausreichenden Humusdecke sogar mit einer ökologisch ausgeglichenen Bilanz.

Was die Ansicht betrifft: Was sie verdeckt, daran kann man sich nicht vorbeimanövrieren. Auch Glaskörper sind Körper, die als Körper verdecken, ins Auge stechen und in diesem Sinn nicht transparent sind.

Hier bediene ich mich -- wie schon anfangs angedeutet -- des Konzepts, daß dafür, was zwangsläufig verdeckt wird, ein entsprechender Ersatz geleistet werden muß:

ICH FORDERE EINE POSITIVE VERDECKUNGSBILANZ,

DIE MICH ZUMINDEST DOPPELT ENTSCHäDIGT.

Um eine positive Verdeckungsbilanz zu erzielen, muß natürlich Architektur -- im besten Sinne des Wortes Baukunst -- produziert werden. D.h. man muß etwas zu sehen bekommen, das -- wenn man es sich wegdenkt oder wegnimmt -- das Gefühl hinterläßt, daß dann etwas fehlen würde.

Denken Sie z.B. an die Postkartenansicht von Melk: Wenn das Stift von Prandtauer herausretuschiert (realiter abgerissen) wird, dann fehlt etwas, was unseren Blick einfängt, es spiegelt sich nicht mehr in der Donau usw.; oder z.B. bei der Kirche in Aigen von Giencke: Wenn man den Turm wegnimmt, fehlt er. In diesem Sinn verdecken diese Gebäude nicht den Hintergrund.

Die Verdeckungsbilanz stellt also zwei Tendenzen gegenüber: ein Mangel- Gefühl, welches durch etwas Verdecktes hervorgerufen wird (es mangelt quasi an dem Dahinterliegenden) und nach Entschädigung ruft, und andererseits ein gewisses Sehnsuchts- Gefühl, welches von Fehlendem hervorgerufen wird.

Architektur, die sich selbst zeigt, fehlen würde, wenn sie nicht da wäre, die aber nichts verdeckt (also kein Mangelgefühl bezüglich dem Dahinterliegenden hinterläßt), die also eine positive Verdeckungsbilanz hat, ist gute Architektur.

Und jetzt noch zu einem hier in Trautenfels sehr naheliegenden Beispiel: der Restaurantzubau hier beim Schloß, gleich neben der Brücke.

Wie bekannt ist, habe ich für die Landesaustellung 1992 die Generalsanierung für diesen historischen Bau geplant und mit Hilfe von Dr. Hänsel realisiert. Nach der Einreichung und Baubewilligung wurde mir -- aus mir bis heute unerklärlichen, aber durchaus vorstellbaren Motiven -- die Ausführungsplanung für das Restaurant entzogen und einem anderen Planer übertragen.

Ich will nicht meine Architekturkritik darlegen, weil ich dafür nicht gezahlt werde.[211] Ich will nur auf das Phänomen der Verdeckung, wie vorhin schon bezüglich der Satteldächer, hinweisen.

Die Brüstung über dem Eingang verdeckt den -- zumindest aus der Ferne -- schönen Anblick des schönen Dorfes Pürgg, welches ja -- nicht nur nach der Postkarten- Wertescala -- unbestritten wirklich gut in die Landschaft paßt.

Wenn Sie im Schloßhof zum Restauranteingang in Richtung Pürgg schauen, können Sie Pürgg nicht sehen, auch wenn Sie ganz zurück zur Basteimauer gehen nicht. Nur wenn Sie auf diese hinaufsteigen, dann sehen Sie Pürgg. Ohne diese gefährliche Turnübung ist Ihnen nämlich die Aussicht durch die Brüstungsmauer über dem Restauranteingang verstellt.

D.h. der Bürgermeister, gleichzeitig Auftraggeber und Baubehörde, war vom Planer schlecht beraten und hat sich hier den Blick auf seine eigene Gemeinde verstellen lassen. Die Verdeckungsbilanz stellt fest, daß er aber nur eine unansehnliche Brüstung als Ersatz bekommen hat. Verdeckungsbilanz negativ = schlechte Architektur, oder auch umgekehrt.

Nicht nur daß es für uns Einheimische einen Bezugspunkt, Orientierungspunkt weniger gibt, ist es auch aus Sicht des Tourismus, der ja auch weitgehend von den Postkartenmotiven lebt, nachteilig. Unseren ausländischen Gästen wird eine typische Ansicht, ein Anreiz hinzugehen, vorenthalten.

Ich habe den Bürgermeister einmal auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht, ich hoffe, daß er hier -- ähnlich wie bei Produktionsmängeln von Autos -- auch in der Architektur einmal eine Rückrufaktion startet.








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[212]

INTERNATIONAL WORKSHOP ON ALGORITHMIC POETICS AND INTERNET SURFING FOR A REAL LIFE ARCHITECTURE House of Architecture / GRAZ / AUSTRIA 3. 8. -- 1.9. 1995 featuring: fplotteg@mbox.tu- graz.ac.at IRL manfred wolff- plottegg

marcos@bongo.cc.utexas.edu IRL marcos novak

gruber&gruber & pauline lyders- gustafson & sz peter szammer

Fuzzy access to what may happen in the workshop:

Architecture is about to be newly defined: surrounded by computers and surpassed by the multiplicity of the net, the linear, singular, visual logics of perspectival and orthographic projection and landscape- painting have become obsolete. The plan is dead; perspective is dead: the flow of the net redefines architecture as being instant and without place. This workshop for emancipated graduates / students advocates a non- pragmatic use of computers, a non- imitative production of algorithmically generated architecture. By tunneling through virtuality, a startup- model will be transformed into a final installation of the outcome of the workshop in an omnimedia exposition -- real life architecture.

for further information READ_ME:

http://wwwhost.cc.utexas.edu/ftp/pub/arch/graz/graz.html








Werkverzeichnis

Objekte, Projekte, Bauten, Wettbewerbe, Ausstellungen (Auswahl)

Structures gonflables (pneumatische Konstruktionen) 68; Forum Stadtpark (Ausstellung TU Graz, Grazer Schule) 68; Rauminstallation Architektur und Freiheit 69; Wettbewerb Stadterweiterung Wien Süd 70; Das zusammengebrochene Bett 71; Metamorphose einer Stadtwohnung 71; Tantra Wanderaltar und synkretistischer Hausaltar 77; Hybridarchitektur (interaktive Computerplanung) 81; Architektur aus Graz (Ausstellung der ZV im Künstlerhaus) 81; Schaufensteraktion Nordsee I / 79, Nordsee II / 82; Badezimmer: I/80, II-III/82, IV-V/83, VI/84, VII/87, VIII/90, IX/92; Wohnungs- und Büroumbau Via Sardegna / Milano 80; Geschäftsumbau Via Rubens / Milano 82; Dachbodenausbau Piazza Piemonte / Milano 82; Wettbewerb Messehalle Graz (Ankauf) 83; Wettbewerb Semaine de cuir / Paris 84; Wettbewerb Urnenfriedhof Graz (Ankauf) 85; Wettbewerb UNI Graz, RESOWI-Zentrum (Ankauf) 85; Wettbewerb AHS-GRAZ-WEST (Preisträger) 86; Täglich frische Bits und Pixel Forum Stadtpark 87; ZUG-ZOOM-SCHÖN-SCHNELL 150 Jahre ÖBB 87; Generalsanierung Schloß Flamhof / Stmk. 86-87; Wettbewerb Bebauung Seiersberg / Stmk. (1.Preis) 87; Wettbewerb Bebauung St. Peter / Graz (2. Preis) 87; Wettbewerb Dachböden Grazbachg. / Graz (1. Preis) 87; Wettbewerb la casa piu bella del mondo / Italien 88; Wettbewerb Wohnanlage Leoben / Stmk. (1. Preis) 88; Peripherie Haus der Architektur / Graz 89; Wettbewerb Amtsgebäude Alberstraße 89; Architekturgalerie München (Einzelausstellung) 90; Wohnbauwettbewerb Graz-Banngrabenweg (1. Preis) 90; Umbau Landschaftsmuseum Schloß Trautenfels 90; Betonbaupreis (Wien) 90; Landesausstellung '92, Lust & Leid (1. Preis Aussenanlagen) 90; Wettbewerb Wohnbebauung Spielberg 91; The binary room (Zagreb) (Einzelausstellung) 91; Die synthetische Dimension Amersfoort 91; The global satellit (intern. network) Zonnehof/Amersfoort 91; Großer österr. Wohnbaupreis (1. Ankauf) 91; Wettbewerb Wohnbebauung Weiz (3. Ankauf) 92; Identität:Differenz / trigon '92 Ausstellungsgestaltung 92; Wettbewerb ÖKI New York 92; Wettbewerb Landesberufsschule Bad Gleichenberg 1992 (Ankauf); Um-/Zubau Landesberufsschule Mureck (Planung 92/93); Umbau Zentralmagazin Landesmuseum Joanneum 93/94; Fußgängerzone Domplatz und WC-Anlage Eisenstadt 94; Umbau Feuerwehrmuseum Groß Sankt Florian 95; Jeffrey Shaw Place - a user's manual / Ausstellungsgestaltung 95; Wettbewerb STEWEAG 96 (Ankauf); Wettbewerb BH Leoben 96; Inclusion : Exclusion / Austellungsgestaltung 96;


Bei den verschiedenen Projekten haben u.a. mitgearbeitet:

Andreas Gruber&Gruber; Boric, Alfred; Duschan, Herbert; Giebeler, Georg; Grobbauer, Michael; Gröller, Georg; Gruber, Andreas; Hellweger, Peter; Hoier, Ulli; Krischan, Sabine; Leitner, Dorothea; Mascher, Fritz; Mitterberger, Gerhard; Moosbrugger, Georg; Nessmann, Stefan; Polzer, Gert; Popelka, Anna; Skerbisch, Hartmut; Szammer, Peter; Winterleitner, Petra; Zechner, CZ-Christoph; Zechner, MAZE-Martin; Zeder, Fin.



Verzeichnis der Abbildungen

Archiv Plottegg, Paul Ott