Raumkunst & Planungsmethoden

Manfred Wolff-Plottegg
Vortrag TU-Wien 22/01/1997

Sagt man, daß sich die Architektur im Laufe der Kulturgeschichte eindeutig weiterentwickelt hat, ist das ziemlich banal; stellt man aber fest, daß die Architektur mit den Entwicklungen in diesem Jahrhundert nicht richtig Schritt halten konnte, begibt man sich auf ein umstrittenes Feld.

Als Planer sollten wir jedenfalls davon ausgehen, daß wir uns heute nicht so steif wie im 19. Jahrhundert oder in der klassischen Moderne benehmen, wo es galt weitgehend prädeterminierte Vorstellungen umzusetzen, sondern daß wir versuchen mit den heutigen Umgebungsvariablen vernünftig umzugehen. Dh. wir sollen die kulturellen, technischen Entwicklungen akzeptieren und sollen dazu mit einem Entwurf tatsächlich etwas neues liefern.

   
36194 Dom Trient                                                        36150 Sierpinsky

Zur klassischen Baukunst sind neue Entwicklungen hinzugekommen.

Das Knopf-Detail am Dom in Trient ist besonders interessant: es hat sich in der Spätromanik international wie ein Virus verbreitet: es ist auch in Mödling, in Würzburg, in Böhmen, in Frankreich, als Bauteil ist es oben bei der Zwerggalerie und unten beim Portal zu finden Das ist wichtig, weil die Frage des Ortes heute sehr entscheidend ist.

Ich will nicht über Symbolkraft und vermutete Hintergründe extemporieren, sondern lediglich festhalten: es anders ist als alle bis dahin bekannte Säulendetails - erfüllt also meine Anforderung an einen architektonischen Entwurf etwas neues zu produzieren. Ich glaube es gehört unbestritten zur Baukunst.

Das schon im Jahre 1916 von Sierpinsky erfundene Sierpinsky-Dreieck - habe ich quasi stellvertretend für alle neuen Systemtheorien (Fraktale Geometrie, Chaos Theorie und Fuzzy Logic) ausgewählt. Es zeigt wie eine einfache Regel (fraktale Geometrie, linearer Dialekt), ein Algorithmus drei unterschiedliche Anfangsbilder (Dreieck oder Quadrat, Schrift) transformiert. Die Regel hier lautet: halbiere die Größe der Elemente und setzte 3 an stelle von einem; schon nach wenigen Schritten wird das Limesbild erkennbar, es ist in allen Phasen ein selbstähnliches Bild. Es ist sozusagen der Regel implizit;

Das wichtigste Faktum dabei ist: das Limesbild ist unabhängig vom Anfangsbild, der Input ist egal, die Regel bestimmt das Produkt. Das Austauschen des Inputs bringt kein anderes Endbild. Und daraus folgt, daß der inhaltliche Input, der Wunsch, die Zielvorstellung nicht maßgeblich sind, sie werden vom Algorithmus, vom prozeßhaften Instrumentarium des jeweiligen Systems übersteuert - ob man will oder nicht. Das ist der Grund, warum man aus einem gewissen Fahrwasser oft nicht herauskommt.

Erst eine Änderung der Vorgangsweise, zB. zusätzlich eine Rotation, ändert das Ergebnis. Vor allem die Vorstellung einer prozeßhaften, systemischen Architektur bietet aber Ansätze zur Überwindung der Regeln der traditionellen Limesbilder. In diesem Sinn war mir immer wichtig, die Planungsmethode hinsichtlich der Morphogenese der Architektur zu thematisieren.

Genau betrachtet verstoßt das Knoten-Detail von Trient gegen viele heute gängigen Regeln der Architektur:
Hier kann man nicht sagen form follows function - die Form wird offensichtlich aus einem anderen Zusammenhang geholt und der Säule darübergestülpt. Da eine Druckkonstruktion, eine Säule mit der Formensprache einer Zugform Seil/Knopf versehen wird, handelt es sich nicht um strukturelle Architektur im heutigen Verständnis, auch nicht um eine statisch optimierte Leistungsform. Es verstößt gegen unsere Vorstellung von Materialgerechtigkeit und gegen unser Verständnis von Handwerksgerechtigkeit (so etwas herauszumeißeln ist pure Schinderei!). Insgesamt und vor allem widerspricht es aber der sogenannten Ablesbarkeit, weil es eben kein derivatives Element ist: Es ist losgelöst von der linearen Argumentation der Architekten und auch vom Ort.

Ein Knoten von Konrad Wachsmann zeigt deutlich den Unterschied zwischen den in Trient angewendeten Regeln und den heutigen.

Mit diesen Vergleichen: klassiche Baukunst - neue Systemtheorie, bzw. Knoten Trient und Wachsmann Knoten möchte einerseits die Bedeutung der Regeln für das Produkt, den Einfluß der Planungsmethode für die Morphogenese demonstrieren und gleichzeitig den Anspruch auf Ausschließlichkeit von Regeln relativieren. Und es ist mir wichtig darauf hinzuweisen, daß es gute Baukunst gibt, auch wenn sie nicht im Einklang mit den von uns heute allgemein anerkannten Regeln steht. Das betone ich insoferne ausdrücklich, als ich mich gerne jenseits der üblichen Regeln bewege.

Welches Selbstvertändnis Architektur im Environment der neuen Systemtheorien und von Computer, Internet haben könnte, habe ich in der theoretischen Einführung zu meinem Buch Architektur Algorithmen analysiert:

Der Begriff Der Mensch im Raum, die Körperhaftigkeit der Architektur, ist von Vitruv bis Leonardo, bis zum Modulor historisch eingebettet; die klassische Architekur hat eine antropozentrische Sehweise: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, eine Vorstellung, die auch heute noch oftmals im Vordergrund steht.

Seit dem Beginn des Maschinenzeitalters wird diese Position destabilisiert, die traditionelle Relation, die Einheit von Körper (Mensch) und Raum wurde durch die neuen Transportmedien (Eisenbahn, Auto, Flugzeug) erstmals aufgehoben.

Indem die Distanzen schrumpften entstand ein neuer Raumbegriff. Der Raum ist nicht mehr homogen wie bei Euclid oder Descartes. Auch Henri Bergson hat schon Intention und Extension, Zeit und Dauer unterschieden.

Und im 20. Jhdt. wird die Destabilisierung der klassichen Raumvorstellung durch die telematischen Medien, den Computer und besonders durch das Internet verstärkt. Die Raumerfahrung im cyberspace ist nicht mehr körperbedingt, sondern Informationsbedingt, dh. das berühmte Thema „Raum, Zeit und Architektur“ (Sigfried Giedion) stellt sich heute 50 Jahre später anders dar.

Vordergründig sind es heute der Minimalismus, die Leistungsform, die Entmaterialisierung die als Metapher für die Befreiung von Schwerkraft und Masse firmieren, die Nur-Glas-Konstruktionen stehen für die Befreiung vom Gefängnis des Raumes - aber eben nur bildhaft, nicht systemisch.

Die bauliche Entwicklung von Einfriedungen von der massiven mykänischen Zyklopenmauer, zum Lattenzaun, zum Maschendraht, zum Stacheldraht, zum elektrischen Weidezaun zeigt hingegen eine Loslösung von der materiellen Raumdefinition, welche schließlich zu einer elektronischen entmaterialisierten Überwachung (global positioning system, Armband für Gefangene, implantierte Chips für Elefanten etc.) führt, also zu einer Raumdefinition per System.

Die moderne Architektur hat die Revolution des Maschinenzeitalters nicht mitgemacht; Während zB. Ende des 19. Jhdts. schon unterschiedlichste Transportsysteme neue Raumerlebnisse ermöglichten, wurde in Wien der Ringstraßenstil entwickelt; (der übrigens auch heute noch im elektronischen Zeitalter sehr beliebt ist);

Corbusier hat zwar die Wohnmaschine als Wortschöpfung erfunden, mit Maschinen, mit beweglichen Teilen hat die Unite d´habitation in Marseilles nichts zu tun; Holein hat den Flugzeugträger auf die Wiese gestellt und als Stadt deklariert, eine erstarrte Form eines Organismus als Mißverständnis der Maschine; Ron Heron hat 1964 gleichzeitig die walk in city gezeichnet, am Beginn des elektronischen Zeitalters eine echte Architekturmaschine, aber weit entfernt von Realisierungsgedanken. Und das heutige high tec design (zB. der Tisch von Norman Foster), agiert ebenfalls mehr auf der Welle der Techno-ästhetik als auf effektiver Technologie. Der Kontakt der Architektur zur Maschinentechnologie beschränkte sich also zumeist auf formale Anleihen, daher war die Architektur nicht imstande das Niveau komplexer Maschinen zu erreichen.

Und analog dazu bleibt die Architektur auch heute der Elektronik und dem Systemgedanken fern. Statt sich mit den neuesten wissenschaftlichen Forschungen zu beschäftigen, hat sie sich in den letzten Jahren zB. um Fragen des Stils bemüht (Postmoderne) und der Computer wird als unkreatives Werkzeug disqualifiziert. Durch dieses retardierte Verhalten der Architektur kommt es zu Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung: so leben wir heute mit beiden Phänomenen, im real space der traditionellen Architektur und dem virtual space der neuen Medien und Systeme.

Für das Nebeneinander von real und virtual hat es aber schon auf der analogen Ebene Vorläufer gegeben: Palladio baute als Architekt eine lokale Architektur des Ortes und mit Präsenz. Veronese hat diese durch die Malerei um die Dimension einer dislokalen Architektur der Absenz ausgeweitet: Der Maler setzt sich in der Illusionsmalerei (mit virtuellen Architekturen und virtuellen Landschaften) über körperhafte und physikalische Begrenzungen hinweg. Am Beispiel der Entwicklung der technischen Bildkunst läßt sich am besten eine Entwicklung für die Baukunst skizzieren, denn der alte Bildbegriff in der Kunst paßt heute genausowenig wie der alte Raumbegriff in der Architektur.

Alberti hat das klassische Bild noch als Fenster definiert, das einen gefrorenen Ausschnitt eines Teils der Welt zeigt. Die Dislokation der Telemedien hat dazu geführt, daß das Bild quasi zu einer Tür umgeformt wurde, durch die man in multisensorielle, akustisch-visuelle, virtuelle Ereignisräume mit Hilfe der Cyberspacetechnologie ein- und wieder austreten kann. Zur klassischen Baukunst, zur Architektur des Körpers, sind also neue Entwicklungen hinzugekommen, die neue Raumvorstellungen evozieren. Der gemeinsame Nenner für beides könnte sein: Architektur als räumliche Information zu verstehen, Raumgestaltung als räumliche Informationsgestaltung zu verstehen.

In diesem Sinn beschreibt auch Peter Eisenman die Situation:
"Das elektronische Zeitalter stellt eine große Herausforderung an die Architektur dar, da jetzt die Wirklichkeit durch Medien und Simulation bestimmt wird. Was wir sehen, und wie wir sehen, wird durch die Medien radikal uneindeutig. Das Sichtbare wird zu einem Spiel zwischen Abenz und Präsenz."

69101d    Architektur & Freiheit

Schon 1969 in meinem Wettbewerbsbeitrag zum Thema Architektur und Freiheit, habe ich skizziert, was heute den Diskurs dominiert:

Vereinfacht beschrieben: eine räumliche Anordnung im Künstlerhaus, die vom Stadt-Außenraum räumliche Informationen in den Ausstellungsraum transferiert. Zwei Bildröhren, welchen 2 Kameras im Straßenraum entprechen. Der Außenraum wird in den Innenraum tranferiert, die Größe, die Orientierung sind verschoben. Ich habe damals formuliert:

"Wir befinden uns in einem Netz von Sachverhalten, dessen Information den Demonstrationsraum bildet. Dabei wird Masse (Materie) nur mehr für Geräte verwendet, die Sachverhalte für uns wahrnehmbar machen."

D.h., die Masse definiert nicht mehr den Raum, sie dient nur mehr dazu, Rauminformationen zu vermitteln: Die Abwendung von materiellen Sachverhalten, von gebauten Phänomenen und die Zuwendung zum Netz; Die Abtrennung von einem materiellen Raum und die Zuwendung zum Informationsraum, zum sozialen Raum, zum Vertragsraum. Mit dem heutigen Vokabular würden wir sagen, diese Installation, diese Architektur ist Schnittstelle, interface zur Umwelt. Daß ich etwas sehe und erlebe, was gar nicht da ist, wird mit Informationsraum, Raum der Absenz, mit Virtualität bezeichnet. Es gibt also eine natürliche real-life Welt und zusätzlich eine künstliche Welt, die virtuelle Realität.

Wenn wir einen Beitrag zur Entwicklung der Architektur leisten wollen, halte ich es für essentiell sich in der Planung mit beidem zu beschäftigen.

36251 Biennale 95 R. Schnell

25 Jahre später: der Beitrag von Ruth Schnell zur biennale 95, Venedig; der Mensch im Raum wird heute in der Kunst der neuen Medien bereits komplett anders verstanden als es bisweilen in (fundamentalistischen) Architekturkreisen gesehen wird. Hier wird Raum als unsichtbarer wireframe verstanden, welcher erst durch die Anwesenheit, durch Fusion von Daten-Informationen real wird. Es ist erkennbar, der Cyberspace die neuerliche Umformulierung des Raumes; der Ansatz der Raumzellen der 60-er Jahre (der Bioadapter von Oswald Wiener, die Ausweitung der Sinne im Minsexpander, im Soulflipper der Himmelblauen, bzw. der Archtiekturpille von Hollein)

Wenn Architektur sich also entmaterialisiert, entkörpert, wie im Minimalismus, Reduktionismus, Leistungsform, etc., wenn sich die Architektur also vom Matereial, vom Körper, vom menschlichen Maß entfernt, sich vertechnifiziert, sehe ich in dieser Situation eine Konsequenz als naheliegend:

Auch die Planungsmethoden sind zu ändern, dh. der Entwurf, der Prozeß der Raumgestaltung, kann nicht mehr aus dem Bauch, oder aus einem individuellen Wunschbild entstehen. dh. man entwirft nicht mehr im Hirn, im Bauch, das was einem einfällt, was man zur Weltverbesserung, zur Verschönerung odgl. als Architekt beitragen möchte; der Planungsprozeß wird aus dem persönlichen Einflußbereich herausgenommen; und dafür habe ich den Begriff Algorithmenplanung geprägt.

Nocheinmal - wie bei Sierpinsky: erst durch das Umstellen des Algorithmus ändert sich der output. Erst wenn wir zB. aus dem Bereich des perönlichen Gutdünkens, Geschmackes herauskommen, in diesem Sinne eine Systemänderung vornehmen, verlassen wir die Häuslbaumentalität und ändern das Produkt.

Nach diesem kurzen Überblick wie ich den Wandel in den Vorraussetzungen und Randbedingungen der Raumgestaltung heute sehe - zur weiteren Erläuterung einige Beispiele zeigen, wie ich unter dem Aspekt der Algorithmenplanung damit vorgehe:

Nehmen wir zB. das Thema Türe: Türen sind flach und dünn, nutzlos wenn sie offen sind, die Drehachse ist vertikal. Was immer man macht, mit Teilungen, Vollholz oder nur Glas; zwei oder ein-flügelig, Türe bleibt Türe, der Entwurf bringt nichts Neues, es bleibt beim bekannten Limesbild. Erst eine Änderung der Regel bringt eine Änderung des Limesbildes mit sich. Hier die Umkehrung des Codes:

         
92400 Türtreppentreppentüre                                   92401 Türtreppentreppentüre

         
92388 Türtreppentreppentüre                                   92397 Türtreppentreppentüre


Die Türe ist nicht flach, sondern ein stereometrischer Körper.
Der Ort der Drehachse wird geändert, die Drehachse ist horizontal.
Die offene Türe ist nicht unnütz: dh es wird die Funktion Stiege daraufgestülpt, darüber-ge-mappt.

DieVorgangsweise sucht einen Algorithmus, decodiert und bzw. ändert ihn; anders gesehen bin ich über die übliche Regel FORM-KONSTRUKTION-FUNKTION hinausgegangen.

   

95204 Feuerwehrmuseum                                                                          95213 Feuerwehrmuseum

Daß eine Leiter zum Haus hingelehnt wird ist ja normal; aber gleichzeitig ist sie eine sehr hohe Türe; Die Drehachse ist hierher verlagert;

   

95203 Feuerwehrmuseum                                                                           95214 Feuerwehrmuseum

Die Türe ist nicht mehr Türe, sondern Logo, wie am Briefpapier, bei den Ortseinfahten, als Abzeichen auf der Brust der FF. hier liegt schon angedeutet was die Technik des scaling in der Planung ist; und Verschiebung der Drehachse die Dislozierung tangiert die Aufhebung des Ortes.

      

ÖBB 87254 ÖBB                                                                                  87291 ÖBB                                        87255 ÖBB

Für das Jubiläum 150 Jahre ÖBB wurde ein Ausstellungs-Zug der durch Österreich fuhr zusammengestellt; es sollte in einem Waggon auch die Zukunft der ÖBB demonstriert werden; niemand wußte aber wie die sein sollte; Mit der Algorithmenplanung hatte ich aber keine Schwierigkeiten: Decodierung als lang dünn und dreckig; groß weit und sauber: siehe Transatlantische Reise; die Zukunft muß in einer anderen Geometrie liegen! wie man etwas weit aussehne läßt gehört ja wieder zum konventionellen Handwerk, der Architektur; Ein Blick in die Querrichtung;

Die Projektionswand bewegt sich, der Boden ist uneben, indem der Bodenbelag mit einer großen Hohlkehle hochgezogen ist, ist die Raumkante entfernt, etc; Diese Maßnahmen stören die übliche Raumperzeption;. Mit Effekten der Raumkanten habe ich ja vielfach zB. bei Badezimmerumbauten experimentiert;

   

84023 Bad Brunngasse                                                 83132 Bad Liebiggasse

Ein Raum -zB. die Größe - wird an den Kanten wahrgenommen. Die Verschiebung von Kanten, verschiebt die Perzeption, die Raumwahrnehmungssystematik;
Hier sind die Raumkanten nicht mehr dort wo sie normalerweise sind, sondern in der Mitte der Wand; und die Fransen sind dislozierte Autowaschbürsten, welche Kanten verdecken;
Nicht der Raum selbst, sondern die Manipulation der Raumwahrnehmung stehen im Vordergrund; nicht die Form, nicht das Produkt, sondern ein Vorgang, die Wirksamkeit.
Das ist der Übergang vom Hardware-Design zum Software-Design.

   

95022 Siloballen                                                          95018 Siloballen

Die Kugeln in der Stadt arbeiten mit dem Effekt der Dislokation.
In der traditionellen Architektur hat ja alles einen ihm zugewiesenen Platz hatte, dh. es gibt eine bestimmte lokale Ordnung, das Rathaus im Zentrum, die Sitzgarnitur im Wohnzimmer etc; wird hier der Ort aufgehoben; die Siloballen kugeln ohnehin ohne Ort in der Landschaft herum, weil die Architektur für die Siloballen ja noch kein Gebäude, keinen Ort erfunden hat. Indem ich sie zwischenzeitlich in Graz gelagert habe, habe ich die Dislokation, die Ortlosigkeit auf die Spitze getrieben;

   

96513                                                 96558

Bei der Ausstellungsinstallation für "Inklusion:Exklusion: Kunst im Zeitalter von globaler Migration" habe ich natürlich ein weltweites Element verwendet, sozusagen ein Ortloses Element;

   

96525                                                   96559

und daher sind die Plakatwände natürlichund außen und innen.

        

92302 WC Trautenfels                                                                        92635 Trigon 92

So wie schon bei den WC in Trautenfels habe ich auch bei der Ausstellung "Identität:Differenz" die Spundwände verwendet. es handelt sich hier nicht nur um die Dislokation sondern auch die die falsche Verwendung von vorhandenen Elementen; Hösch-Profilen vom Tiefbau; funktionell mißbräuchlich; überdimensioniert; ähnlich falsch wie in Trient;

                   

97015                                                                    97031                                                                 97027

Meine jüngste Montage, jetzt zu Weihnachten gemacht, ein Projekt für ziemlich reiche Bauherren in Wien; der Biedermaier Tabernakelkasten, sozusagen der Innbegriff der österreichischen Bourgeoisie, wird auf den Rücken gelegt, und als Unterkonstruktion für einen Futon verwendet.

Mit diesen kleinen Beispielen wollte ich sozusagen eine analoge Vorgangsweise zeigen, wie durch bestimmte ausgewählte Regeln, zB. durch Decodierung, durch Ortsverschiebungen usw., also nicht nach persönlichem Geschmack, oder individuellem Wunschbild, sondern durch Algorithmen Architektur entwickelt werden kann. Im systematischen Ansatz dieser Arbeiten zeigen sich aber deutlich Elemente einer digitalen Vorgangsweise, klarerweise deswegen, weil ich ja schon seit 20 Jahren intensiv mit dem Computer arbeite.

Ergänzend zu diesen relativ konventionellen Beispielen stelle ich also eine avanciertere Position zur Diskussion, sozusagen eine verschärfte Vorgangsweise. Die Algorithmenplanung mit dem Computer:

In der digitalen Arbeit mit dem Computer in der Architekturproduktion verwende ich den C. nicht als Zeichengerät mit dem ich immitiere, was man bisher mit der Hand gemacht hat, sondern als Architekturgenerator um unbekanntes zu generieren. Auch dafür gibt es historische Beispiele: der britische Maler Cozens hat im 18. Jhdt. "eine neue Art Landschaften zu malen" entwickelt:

   

36071 Cozens                                                               36072 Cozens

Klekse später Interpretation mit feinem Pinsel Klekse liefern Information / Anregungen vom Papier zum Hirn;

der übliche Informationsfluß: vom Hirn wie beim Entwerfen; vom Hirn durch die Hand zum Papier: Die Intention, Zielvorstellung vom Hirn auf Papier

Hier der umgekehrte Informationsfluß also der Wechsel von der antropozentrischen, Identitätssuchenden und expressiven Vorgangsweise zu einer coolen, distanzierten Vorgangsweise;

die Verlagerung der kreativen Tätigkeit von der Kreation auf die Interpretation etwas Unbekanntes zu entdecken.

Ich sehe etwas in einem Bild, was ich zuvor nicht gesehen habe. Das entspricht auch meiner Forderung ein Entwurf muß etwas bisher unbekanntes erbringen.

Vorgangsweise ähnlich der interaktiven Planungsmethode mit dem Computer, wie ich sie in der Theorie zum binären haus formuliert habe. So wie sich die moderne Kunst vom Abbild, die moderne Malerei zB. von der Landschaftsmalerei emanzipiert hat, kann sich Architektur heute von Randbedingungen wie Bauherr, Ort, Mensch etc, emanzipieren, und das geschieht besonders leicht mit dem Computer, weil dieser kein historisches Gedächtnis hat.

Uni: für alle Computer-Experten hier möchte ich betonen, das sind relativ alte Arbeiten, die ich aber deswegen ausgeählt habe, weil das Prinzip einfach zu erläutern ist:

85104 UNI Graz / RESOWI

Das Prinzip einer Morphogenese durch den Computer habe ich beim Wettbewerb Uni Graz schon 1985 angewendet, für ein Raumprogramm mit ca 500 Räumen; Entsprechend der alten Regel "Bauen heißt ordnen" wurde diesem Projekt eine algorithmische Ordnung gegeben; wie bei Sierpinsky, eine Regel zur Manipulation von Elementen; hier sind es 500 Zimmer, deren Größen (Flächen) im Raumprogramm vorgegeben sind. Nach einfachen Regeln werden die Proportionen für die Zimmer errechnet, die Situierung am Bauareal (durch die Einsatzpunkte der Rechtecke), eine weitere Regel bewirkte eine Drehung der Elemente.

Das Programm berechnet diese Fächenproportionen, Flächenverteilungen, Drehungen etc. mit random.

85105 UNI Graz / RESOWI

85169_a UNI Graz / RESOWI

Das Projekt hat zumindest einen Ankauf erhalten, weil die Jury meinte: "Das Projekt zeichnet sich aus durch die gelungene Einfügung in das städtebauliche Ensemble hinsichtlich Dimensionierung und Strukturierung der Baukörper." Daran hatte - weder ich noch der Computer - bei der Entwicklung des Projekts natürlich nie gedacht! Klar wird wie unterschiedlich Behauptungen sein können. Es waren die Algorithmen. Die CPU hat — im Gegensatz zu den klassischen Architekten — keine Formkonzepte. Hier wird deutlich, was der Unterschied zwischem inhaltlichem und algorithmischen Denken ist.

Das ist die Entwicklung des Binären hauses: entsprechend der Regel daß der Input gleichgülitg ist: die Ausgangsformen .......

88021 Das binäre Haus                                                                                       88020 Das binäre Haus

   

                88012 Das binäre Haus

zusätzlich Fitneszentrum bitte lassen Sie sich nicht davon ablenken, daß die Teile so herumfliegen hat nichts mit der formalen Dekonstruktion zu tun; Ich bin nur etwas subversiv im Umgang mit überalterten Architekturregeln.

hier dreht es sich nicht um einen Entwurf nach meinem persönlichen Geschmack, es ist reine Datenmanipulation, Morphing; Die Morphogenese eines komplexen Gebildes durch einfache Regeln;

Der input kann bekannt sein, die Handlungsanweisung kann bekannt sein, aber das Ergebnis der output kann vorerst unbekannt sein. beim konventionenllen Entwurf weiß man ja im vorhinein wie es weitergeht, hier kennt man noch nicht die nächtsten Schritte.

88016  Das binäre Haus

Nach der Morphogenese, nach der Datenmanipulation, nach der Gestaltung durch den Computer, die nicht mehr persönliche Formgebung ist, erfolgt die Interpretation, eine interaktive Reaktion: Durch die Interpretation wird das BINÄRE HAUS in die analoge Welt zurückgeholt: wie die Interpretation beim Maler Cozens;

auch generierte outputs müssen decodiert werden Kinderrätzel Beim Kinderrätzel sehen wir: es gibt eine bekannte Regel, der reihenfolge nach die Punkte verbinden; wenn man die Regel nicht kennt, oder eine andere anwendet gibt es andere Ergebnisse: zB. 2 Polygone, etc; wir sehen wieder: die Regel, der lese-Algorithmus bestimmt das Ergebnis Traditionelle Architektur hat ja bestimmte codes die bekannt sind, denn Architektur ist Code für digitale Architektur, im virtual space usw. haben wir noch keine festgelegten Regeln des Verstädnisses:

wie Interpretieren?

generierte Form: ohne Maßstab, ohne Funktion, ohne Intention, ohne Ziel, ohne Sollbild, ohne Stil, etc.

wir müssen diese Eigenschaften, wenn wir sie wollen, diesen Elementen verleihen:

scaling:

mapping: wir mappen die Funktion, die Verwendung auf eine Struktur, ähnlich wie Veronese auf Palladio, bzw. wie beim overlapping of functions bei Mehrfachnutzungen. Die Architektur verschiebt ihr Selbstverständnis von der reinen Hardware-Produktion weg, und adaptiert System-Eigenschaften für sich.

Anstelle von FORM-KONSTRUKTION-FUNKTION lebt diese Architektur vom Morphing, Scaling und Mapping.

Der neuen Raumvorstellung liegt also das Konzept von virtual und real life space zugrunde; sie mappt virtuell und real ineinander. Die Architektur wird zum Fleisch für das wireframe Modell der Realität. Diese Theorie des Mappings verschiedener elektronischer, physikalischer und sozialer Räume ineinander bildet den neuen „Ort“ der Architektur.

   

36243 Peter Weibel "Wand von Lascaux"                                            36253 Ruth Schnell Venedig

Zwei Bilder, welche den Entwicklungsstand in der Medien Kunst demonstrieren - was für uns Architekten noch offen ist: die interaktive Installation von P. Weibel, "die Wand von Lascaux", bei der eine virtuelle Ziegelwand durch einen realen Besucher berührungsfrei umgeformt wird, und die Installation von Ruth Schnell, Biennale Venedig 1995, bei der die realen Besucher durch ihre Präsenz im realen Raum virtuelle, vorerst nicht sichtbare Objekte sichtbar machen; Das sind auch Ansatzpunkte für sehr interessante Entwicklungen, die für die Architektur noch gar nicht richtig begonnen haben.

Es ist aber klar: Die Raumgestaltung läßt sich nicht mehr auf die konventionellen Begriffe reduzieren zB. innen und außen, weil im Cyberspace ist schon lange nicht klar, wo oben und unten ist.

Meine Einschätzung der derzeitigen Situation der Architektur ist, daß sich in Ergänzung der klassischen Baukunst nun doch sehr deutlich Elemente abzeichnen, die eine neue Entwicklung der Raumdefinitionen und neue Raumanipulationen ermöglichen, daß wir von den neuen Wissenschaften und der Kunst der neuen Medien für die Raumgestaltung viel lernen können. Unter diesen Umständen macht es wirklich Spaß Raumgestaltungen zu konzipieren, vor allem wenn man ohne jedem Pragmatismus vorgeht; ich glaube man darf ja die klassische Architekturauffassung durchaus etwas aus den Angeln heben.


*** lectures ***