Forum Alpbach 2001
"Schnelligkeit der Architektur"
Vortrag Architekt Plottegg 18. Aug. 2001
Zero-Identity / Speed / Fake
(Argumentationshilfen zur Beschleunigung der Architektur)
In der Architektur gibt es einige Zeitlimits – das Hemd wird jeden Tag gewechselt, die Epidermis in 4 Wochen, nach 5 Jahren wird neu ausgemalt, nach 10 ein Badezimmer erneuert, nach 50 ist ein Gebäude abgeschrieben (auch wenn es schon vorher technisch überaltert war) etc., und für Touristen und Kunsthistoriker ist die Skala nach oben offen, es gilt: je älter desto besser. Die Zeitung von gestern ist nur mehr Makulatur, heutige Informationen in den Neuen Medien sind schon vor morgen überholt, da sieht Architektur überhaupt ziemlich alt aus. Architektur ist ein langsames Medium, noch langsamer sind vergleichsweise nur die DNA-Ketten
(aber selbst diese sind manipulier-, beschleunigbar).
Pyramiden ca. 4000 Jahre, Stephansdom ca 850 Jahre:
Überlebensstrategie durch Funktionswandel
In Schenzen, dem an Hongkong angrenzenden rotchinesischen Hinterland, gibt es einen Architekten für 1 Million Einwohner, er muß ca. 1 Hochhaus pro Woche planen. Das muß schnell gehen, da kann nicht mit soviel Singularität, Liebe zum Detail und Ironie wie in Wien vorgegangen werden. Seit Fischer hat es 300 Jahre bis zum Umbau des MUQA gedauert, seit dem Wettbewerb 15 Jahre bis zur Eröffnung und den Leseturm gibt es noch immer nicht.
In Österreich ist Architektur zusätzlich langsam, weil sie "ewig" halten soll. Daß etwas zumindest 1000 Jahre überdauern soll ist nicht nur bautechnische Ideologie, sondern wird auch von den Architekten selbst gefördert, weil nur wenn das Gebäude in die Geschichte eingeht, geht auch er selbst dort ein und aus. Meinerseits halte ich wenig von einer ewigen Architektur, mehr von einer flüchtigen, von der Art zb. eines videoclips, einer Architektur der Veränderung, quick and dirty, einer mutierenden, autokatalytischen Architektur, nicht des Beharrens. Und da mit der Ästhetik, mit der Größe, Höhe, Schlankheit, nichts mehr zu holen ist, zeichnet sich ab, daß zukünftig die Weltmeisterschaftspunkte nur mehr für prozeßorientierte, primär kurzfristige, "schnelle" Architekturen vergeben werden.
Bourgeoisie & Computer im 20. Jhdt. - Identität schluckt Novität
Zu den unterschiedlichen Zeitbegriffen, daher auch unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegriffen gehört, daß bei uns sogar das Neue in das alte Gewand gepreßt wird. Das ist typisch österreichisch. Es wird auf "Bewährtes" (siehe Rückbesinnung) gesetzt, vordergründig zB. aus Gründen der Sicherheit, wie ich vermute aber aus Phantasielosigkeit / Unkreativität. Und seit auch die Langlebigkeit im Sinne von "Sustainability" ein Ziel geworden ist, habe ich den Verdacht, daß damit nur ein neues Argument für das Überleben, die Anciennität konstruiert wird (1). Hier überlagern sich wertkonservative Haltungen und mediale Eigenschaften, was die Hartnäckigkeit und Beständigkeit in lieb gewordenen Attitüden potenziert.
Das ist nicht nur ein spezifisch österreichisches, es ist ein allgemeines Problem der Architektur. Sie hat schon die Paradigmensprünge im Maschinenzeitalter übersehen, die des elektronischen Zeitalters und jetzt erst recht die der Digitalität; auch die Entwicklungen im 20. Jhdt. weg vom Expressionismus, weg vom Determinismus hat die Architektur verschlafen, 2000 Jahre Form / Funktion / Konstruktion, Funktionstrennung im CIAM, bei Neufert und in der staatlichen Verwaltung haben auch die klassiche Moderne überlebt.
Man sieht, die Probleme sind tief verankert, auch schon in den Theorien des klassischen Altertums: zB. im Paradigma der Einheit von Ort / Zeit / Handlung (2) und in der Vitruv´schen Einheitsregel von Form / Funktion / Konstruktion (die noch immer angewandt, gelehrt wird, weil kaum jemand eine Alternative dazu riskiert). Derartige Trinitäten sind suspekt, wenn wir heute in Viel-dimensionalität agieren.
Leonardo, stellvertretend für alle Weltverbesserer
Vitruv / Alberti / Palladio / aber auch Corbusier usw.
Und dazu gesellt sich noch die europäisch-anthropozentrische Sicht, die Idee von Harmonie und der holistische Anspruch von Trinitäten (selbst um den Preis, als Mensch in den Proportionen eingesprerrt zu sein). Daher kommt ja auch der Untertitel zum Symposium: "Kann die Rückbesinnung auf die ganzheitliche Rolle des Architekten als Gestalter von Form, Konstruktion, Funktion, Prozess und Politik dazu beitragen, eine europäische Haltung in dieser Frage zu entwickeln?" – natürlich nicht und es ist auch nicht anzustreben. (3)
Da die alten Paradigmen ohnehin überall fett herumhängen, braucht man sich gar nicht erst zurückzubesinnen, die Frage ist viel eher wie werden wir das nach 2000 Jahren endlich los. Zudem muß ich eingestehen, daß ich bezüglich Rückbesinnung nicht sehr gut bin, viel eher habe ich diverse Techniken zur Loslösung und Abnabelung von Althergebrachten entwickelt. Dazu werde ich einige handwerkliche Überlegungen anstellen bzw. Behauptungen aufstellen.
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Algorithmen Architektur
Waclaw Sierpinski 1916, frakltale Geometrie, linearer Dialekt |
Koch´sche Kurve |
Das Sierpinski-Dreieck zeigt wie durch Anwendung einer einfachen Verformungsregel schon bei wenigen Iterationen ein selbstreferentielles Limesbild entsteht - das Limesbild mit der Message "ich bin die Regel". Dieses ist unabhängig von der Ausgangsform, ausschließliches Ergebnis des angewendeten Algorithmus. Nur eine Änderung der Regel führt zu anderen Limesbildern.
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Unter diesem Aspekt einige Beobachtungen zur Architektur und ihrem Umfeld: Eine der dominantesten Regeln ist Der gute Geschmack (in jeder Lebenslage, bei jeder Selektion), und daher müsse einem ein Haus gefallen, dem Architekten selbst, dem Häuslbauer, dem Landschafts-Denkmalschützer, usw.; Das Ergebnis ist überall zu sehen, die Verhüttelung als Mikrozensus des österreichischen Geschmackes.
Auch hier in Alpbach ist die angewendete Architekturregel klar erkennbar, vordergründig die vom Bürgermeister verordneten Holzbalkone mit Blumenkisteln und den Tiroler-Satteldächern, unabhängig davon ob fake oder nicht, formal anzüglich oder lächerlich für Hotel, Wohnhaus, Feuerwehr, Lagerhaus, egal. Was das Alpbacher Limesbild aber ausmacht ist die totalitäre Anwendung, geradezu unglaubliche autokratische Konditionen, undenkbar in der Welt der Neuen Medien - auch hier ist die Rückständigkeit der Architektur erkennbar, und alle sehen es gern, kostümieren sich entsprechend selbst!
Da jede Auseinandersetzung auf der inhaltlichen Ebene verlorener Aufwand ist, soll die Regel geändert werden (siehe Sierpinski), also überlege ich jenseits vom Narrativen, Inhaltlichen, von Zieldefinitionen, Besserwissereien, Qualitätsbegriffen und Weltverbesserungen. Wie ist es möglich etwas zu planen was ich noch nicht kenne, wie ist es möglich dem Determinismus (heute planen, morgen betonieren und 1000 Jahre überdauern) zu entkommen?
Wie die Globalisierung als Regel über rot, grün oder blau hobelt (siehe Sierpinski), wie das Internet - weil selbstgenerierend - nicht abzustellen ist, rückt die Frage einer Handlungs - / Planungsfähigkeit die traditionelle Werte-Diskussion ins Abseits.(4) Die aktuelle Architektur, europäische Architektur (baulich oder politisch) wird nicht nach inhaltlichen Wunschbildern, sondern vom Prozedere geprägt. Inhaltliches Denken und dazugehörige Ethik scheinen systemisch überholt - vgl. "Weniger Ästhetik, mehr Ethik / 7. Architekturbiennale in Venedig; ua. sind globale Probleme (zB. der Megacities) mit Methoden der Ethik überhaupt nicht in den Griff zu bekommen.
Der Wechsel von inhaltlichen / analogen Algorithmen zu prozeßorientierten / digitalen Algorithmen ist der Übergang zu Regeln 2. Ordnung (Regel der Regel), bedeutet die Loslösung vom anthropozentrisch / subjektiven zu einem formalisierten Prozedere. Es mag sein, daß im objekthaften Denken die Megacities tatsächlich unplanbar sind, nach der Dekonstruktion der alten Regeln bieten die neueren Systemtheorien (chaos, fuzzy, complexity) Beschleunigung. Der Architekt ist nicht mehr (demiurgisches) Subjekt, Architektur nicht mehr Objekt.
Das Erbe der Renaissance
Rückbesinnung: die Stadt als Bühne, als Platz und alles auf seinem / auf dem Platz, der distanzierte Beobachter, ohne Involviertheit, alles ist außerhalb des eigenen Erlebnisses. Zur heutigen Erlebniswelt wurde der Algorithmus umgekehrt: die instante Welt der elektronischen Informations-Medien involviert uns alle, sofort; davon abgekoppelt zu sein ist nicht mehr möglich. In der Architektur sehen wir das Ende der strukturellen, konstruktiven Architektur, wo es eben keine Einheit von Form / Funktion / Konstruktion gibt, es gilt die Information der Oberfläche. Das Autochtone hat dabei nur den Stellenwert der persönlichen Voreinstellungen in der Benutzeroberfläche des PC.
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New York / Times Square |
London / Entertainment Center |
Diese Bilder sind Spuren der Entwicklung, zeigen uns die pragmatische Dynamik: Objekt > System > Prozess; Ort > Ortlosigkeit; Identität > Differenz; Hirn / (Ab)bild / Handschrift > externe Steuerung; derivative Planung > systemisches Verhalten > generische Entwicklungen; Medien > Hypermedia; weltverbessernd / teleologisch > selbsterzeugend; physisch > virtuell; sichtbar > unsichtbar; Tiefe > Oberfläche; Funktionalismus > Multitasking; [spra:che] > formale Metasprache (z.B. html); linear > non sequential; Form / Gestalt > morphing; statisch > flüssig; Struktur > speed; narrativ > random; passiv / unschuldig > interaktiv; aktiv / autonom; Inhalt > System; Phänomenologie > Methodologie; Objektplanung > Planung der Planung; 1_ste > 2_te >n_te Ordnung; Identität > Fake; gründlich & richtig > quick & dirty
Identitäten zeitverzögert, zeitverzögernd
Und noch eine bei uns übergeordnete Regel, die uns überall verfolgt: der vermeintliche Wunsch nach Identität: regionale Identität, persönliche Identität, der Ort / das Gebäude hat Identität, ist identitätsstiftend. Alpbach hat mich an meinen Beitrag zu einem Symposium 1993 über "Regionale Identität im wachsenden Europa - das Fremde" erinnert, ich habe damals "Der Ort - die geschmacklose Nichtidentität - das Echo der Berge" getitelt.(5) Identität ist die Dimension des jeweiligen Mirkroklimas, my home ist mein Kastl, Identitätsdenken ist beharrend, retardierend, langsam. Die einzige Möglichkeit einer weiteren Globalisierung der Nanologie zu entkommen, sich von Identitäten, von der österreichischen Hinsichtl & Rücksichtl-Repräsentations-Identität, von der Referenz auf das ohnehin schon Bekannte zu lösen, scheint mir zu sein, die Zyklusdauern und die Gebrauchsdauern herunterzuschrauben, dann wird alles schneller, effizienter. Auch die Architektur muß beschleunigt werden, damit sich keine Identitäten mehr bilden können.
Eine kleine Anmerkung zum nunmehr umstrittenen Container der Demonstranten am Heldenplatz in Wien: der Burghauptmann sagt, er passe dort nicht hin, auf diesen Platz; ich denke es ist ein Fehler im Algorithmus: wenn er die typisch österreichische Identität des Einfamilienhauses hätte, wäre er standortberechtigt, wie das Einfamilienhäusl als Krönung am Parlament. Sie sehen in welcher Art man von der Rückbesinnung auf die ganzheitliche Rolle des Architekten als Gestalter von Form, Konstruktion, Funktion, Prozess und Politik profitieren kann – soferne es nicht als eine Geschmacksfrage, sondern als Intelligenzfrage, nicht als Formfrage, sondern als Systemfrage abgehandelt wird.
Das binäre Haus, Plottegg schon 1987 |
Das Binäre Haus
Für das binäre Haus habe ich einige Computer-Anwendungen als Planungsalgorithmen zusammengestellt, beliebiges Ausgangsmaterial, morphing, scaling, etc., im Wesentlichen habe ich aber die alten Vitruv- und andere Architekturregeln aufgehoben, die Ästhetik, die Geste die etwas transportieren sollte, die Wunschbilder und vorgefaßten Meinungen dekonstruiert. Die Form ist nicht mehr Bedeutungsträger, macht keine Aussage, die Funktion wird durch Prozeßhaftigkeit in Planung und Nutzung ersetzt, die Konstruktion liegt im Algorithmus (nicht im Knochen sondern in der DNA).
Natürlich könnte man sagen, das hat ja auch noch Form, Konstruktion, Funktion, aber mit dieser Brille wird man den Paradigmensprung nicht erkennen (6) – ebensowenig wie man durch Rückbesinnung an Neuerungen mitwirkt. Denn die Regeln sind aufgehoben, indem es niemandem gefallen muß, es nicht mehr deterministisch ist, die Kreator/Subjekt-Rolle sich relativiert, das Objekt (Funktion) nicht als solches existiert, sondern nur durch den Nutzer, indem Computergenerierungen den Anthropozentrismus ersetzen. Somit ist man den Krempel los.
Quick & Dirty – Forward Planning
Es ist leicht einsichtig: jede (Baukunst-) historische Sicht ist bremsend(7), ist unnötig für heutige Projekte wie Supermarkt, Hochhaus, Weltaustellung, Tankstelle........; für Venedig in Las Vegas benötigt niemand kunsthistorische Kenntnisse (über Venedig selbst oder wie zB. vor 100 Jahren Venedig im Wiener Prater war), aber man benötigt System- und Medienkenntnisse der neuen Architektur, des öffentlichen Raumes, der Aufhebung von Funktionstrennungen durch multitasking.
Da ich hier nicht vor dem Zentralkommitee spreche, mache ich es kürzer als minimal 5 Stunden, indem ich weniger argumentiere, weniger gründlich bin, nicht rechthaberisch insistierend, nicht zwanghaft schlüssig, nicht in der Tiefe gehend, an der Oberfläche surfend. Das sind auch genau die Regeln, mit denen die Architektur zu beschleunigen ist. Ich bin schnell. Das Unbekannte zu planen ist schneller als etwas Bekanntes; das kann auch nicht so leicht falsch sein, da dafür natürlich die Vergleichsbilder / Sollbilder fehlen; Bedürfnisbefriedigung ist immer zu langsam, auch alles permanent kommentieren zu wollen ist langsam, die Richtigkeit ist langsam, die Genauigkeit ist langsam, ein fake ist schnell und fuzzy logic gibt dafür den theoretischen Background.
Die Realität des virtuellen Raumes, der Simulacra (wie Baudrillard sagen würde) ist schnell: der Virtuelle Raum der Ballerspiele (ohne Bezug zur "Realität"), die Fantasiewelten mit eigener Realität sind schnell, weil sie losgelöst von der traditionellen Wirklichkeit (Einheit von Ort Zeit Handlung) und ohne Referenz zur Außenwelt sich darum nicht kümmern müssen - also ist eine vom "ORT" losgelöste Architektur schnell. Auch die Virtuellen Räume mit Bezug zur Realität: (zB. Fahrsimulatoren, Kriegssimulatoren, Wettersimulatoren, Städtebausimulatoren, etc.) sind schnell - weil hier Lebensprozesse (beschleunigt und in Varianten) simuliert werden, und somit das Statische in Planung und Architektur überholt wird.
So wie wir im Raum der Daten die physische Realität verlassen können, den Ort, den Genius loci zur Ortlosigkeit im Datenfluß verwandeln, so können wir nunmher auch die Kontinuität der Zeit verlassen, ähnlich wie es schon Cocteau vorgeschlagen hat. Und so können wir die Architektur beschleunigen, weil das mit Schönbrunn und den Einfamilienhäusern einfach schon zu langweilig ist. Will man wirklich die Schnelligkeit der Architektur erhöhen, ist auch die Rückbesinnung auf ganzheitliche Konzepte nutzlos. Quer durch die Kulturgeschichten sind alle Eskapismen vom Raum und von der Zeit geprägt durch das gleichzeitige Loslösen vom Subjekt. Dies ist auch eine der wichtigsten Vorraussetzungen für den Übergang von der anthropozentrischen, demiurgischen, expressiven Kreativität zur Prozeßsteuerung im Computer, zu "externen" Algorithmen, dislocation - disembodyment - disidentification.(8)
Die externen Algorithmen sind geprägt von einer jeweils geänderten Subjekt / Objekt Relation, also wieweit Distanz und Trennung (vgl. Renaissance), Interaktivität, Relativität oder Vernetzung, etc. vorliegt. Von der (persönlichen) Haltung zur (autokratischen) Gestaltung, zur (algorithmischen) Systemsteuerung, zu selbststeuernden Systemen, zur Autokatalytik. Hat nicht die Entwicklung in Europa ohnehin nicht schon alle Merkmale von Prozessen höherer Ordnung, steckt nicht hinter dem Thema Rückbesinnung der Wunsch die Vernetzung zu verlassen und zur Linearität zu retardieren? Das Persönliche, Lokale, Autochtone wird zu einem Subsystem in der globalen Vernetzung, zum Schmetterlingeffekt in Systemen höherer Ordnung.
Neuronaler Architekturprozeßor Prototyp(9)
Nachdem wir seit ca. 1980 schon einige Erfahrung in computergenerierter Formfindung und Simulationen und deren Auswertung haben, befinden wir uns in der toolbox der digitalen Architektur. Die sogenannten Manipulationen (Datenmanipulation, Genmanipulation, Architekturmanipulation, Neuronale Manipulation) zeigen wie tief bisweilen schon in umfassende Systeme steuernd eingegriffen wird. In computer-generierter Architektur weisen nun game of life Modelle und generative Architektur hin zur einer selbststeuernden, selbstgenerierenden, autokatalytischen Architektur. Als Beitrag zu dieser Entwicklung haben wir 1999 den Neuronalen Architekturprozeßor Prototyp konzipiert, ein synthetischer Beitrag, referenzlos, nicht derivativ: dabei erfolgt das Generieren von Architektur direkt aus neuronalen Spikes - schnell und sich permanent erneuernd.
Prozessor 1 simuliert 3 biologische Neuronen, der "spike-train" output wird an Prozessor 2 übermittelt. Ein script, welches eine "DNA-transcription" simuliert, wandelt die hereinkommenden spike-trains in Daten für 3D-Volumen um: durch autolisp werden die "Gene" der spike-trains (DNA) in Autocad-Befehle umgewandelt. So generieren die hereinkommenden spike-trains permanent neue Volumen / Architekturen. Diese Installation ist eine Versuchsanordnung zur Demonstration eines Prinzips und zum Beweis unserer These zur digitalen Kreativität. Das Prinzip ist die folgende Gleichung: Pulsfolgen (spike trains) in biologischen Organismen = binäre Zeichenreihen (bit strings) = Daten (Koordinaten, Vektoren) interpretierbar als geometrische Volumen (solids).
Diese Gleichung verknüpft drei traditionell als wesensfremd angesehene Wirklichkeitsbereiche: die Welt in unserem Kopf: Informationen, Vorstellungen und Ideen wie sie in biologischen Organismen tatsächlich kodiert sind, die Welt der digitalen Datenverarbeitung, repräsentiert durch binäre Zeichenreihen als Vokabular der Kommunikation zwischen digitalen Prozessoren, die Welt der Generierung neuer Bilder / Räume / Architekturen
Diese drei Wirklichkeitsbereiche werden hier auf dem gemeinsamen Nenner der Informationsverarbeitung miteinander verknüpft. Die Installation demonstriert auf diese Weise, dass die Generierung von Bildern/Räumen/Architekturen nicht mehr anthropozentrisch / expressionistisch gesehen werden muß. Durch die Computeranwendung wird sozusagen ein Schritt der Emanzipation von althergebrachten Verhaltens-, Evaluations- und Produktionsmustern ermöglicht.
Die Installation besteht aus zwei miteinander kommunizierenden digitalen Prozessoren, deren Output projiziert wird.
Prozessor 1 simuliert eine Urzelle der Informationsverarbeitung in unserem Kopf: Netze von Nervenzellen (Neuronen), welche durch Synapsen verbunden sind (dargestellt durch blaue Dreiecke). Die biologischen Neuronen, die hier simuliert werden, kommunizieren mit anderen Neuronen durch einen plötzlichen Anstieg des elektrischen Potenzials (spikes): zu gewissen Zeitpunkten steigt die elektrische Spannung am soma des Neurons sprunghaft an (dargestellt durch Verfärbung des Neurons), um ca. eine Millisekunde später genauso plötzlich wieder abzusinken. Diese plötzlichen Spannungsänderungen werden über die vom Neuron ausgehenden Axone an andere Neurone weitergeleitet (in der Installation dargestellt durch kleine weiße Striche, welche die spikes repräsentieren)
Das ist die originale Art des von der Natur in unserem Gehirn verwendeten digitalen Codes: jeder einzelne spike-train ist solcher Art, daß es zu einem beliebigen Zeitpunkt entweder ein spike oder kein spike gibt – es gibt kein halbes oder viertel spike. Die Information ist im Abstand zwischen den spikes verschlüsselt, entsprechend dem Abstand der "einser" in einem bit-string. Jedes Neuron in unserem Hirn erhält als Input ebenfalls spike trains, also zeitliche Folgen von spikes, die von anderen Neuronen ausgesendet werden. Insbesondere alle Sinneseindrücke - zB. alle von uns gesehenen Gebäude - werden in die Form von spike trains kodiert bevor sie die Neuronen in unserer Hirnrinde (kortex) erreichen. In der Versuchsanordnung bekommt das simulierte Neuron 4 spike trains als Input. Die spike-trains Bio1 und Bio 2 sind tatsächlich spike-trains die von Hirnforschern (Krueger und Aiple) von Neuronen im Sehbereich des Gehirns von Affen aufgezeichnet wurden. (Statt von Affen könnten die Daten auch direkt von Besuchern abgenommen werden). Die anderen 2 spike-trains sind Pulsfolgen (=spike trains) mittels derer der Zuschauer mit dem simulierten Neuron direkt in Kontakt tritt: der Besucher kann – anstelle direkt verdrahtet zu sein – über die Tastatur derartige spike-trains eingeben. In einem biologischen Neuron haben manche der hereinkommenden spike trains eine exzitatorische Wirkung (d.h. sie erhöhen dessen Bereitschaft zu feuern), und andere eine inhibitorische Wirkung (d.h. sie hemmen seine Bereitschaft zu feuern). Dementsprechend haben in dieser Installation die spike-trains 1 und 3 eine exzitatorische Wirkung und die spike-trains 2 und 4 eine inhibitorische Wirkung auf das simulierte biologische Neuron. Der output spike-train wird als binärer Code aufgezeichnet, dh. als Folge von Nullern und Einsern (0'n (1 = 1 spike, 0 = kein spike) und in dieser für jeden künstlichen Rechner leicht verständlichen Form an den Prozessor 2 weitergeleitet.
Prozessor 2 ist ein Formengenerator, der die von Prozessor 1 gelieferten binären Kodes zur Steuerung einer Kette von commands verwendet: mit Hilfe eines Script-Programmes werden die einströmenden spike trains sozusagen in Daten für 3-D Volumen umgewandelt, die dann grafisch dargestellt werden. Prozessor 2 interpretiert die von Prozessor 1 gelieferten Daten zur Steuerung eines Programmes, zur Selektion und Parametrisierung in der Kette der verfügbaren commands. Nicht veränderbar durch die von Prozessor 1 gelieferten Daten sind die hardware, das mathematisch-geometrische Potential des 3D-Vektoren-Programmes und das steuernde script. Diese Invarianten prägen den erzeugten Bilder globale Muster auf, ähnlich wie die Invarianten unseres individuellen menschlichen Sehapparates und Gehirns den von uns wahrgenommen und reproduzierten Bildwelt globale Muster aufprägt, deren wir uns in der Regel nicht einmal bewusst sind. Die konkreten vom beamer projizierten Bilder sind edierte Informationen des jeweiligen Zustandes des bildererzeugenden Systems.
Man kann das Zusammenspiel von Zufälligkeiten und Gesetzmässigkeiten in der Bilderzeugung durch die beiden PC's vergleichen mit einem genetisches System. Vergleichbar einer DNA-transcription hat Prozessor 2 eine Kette von genetischen Bausteinen (=commands), deren Leseraster aus den spike-trains die RNA als edierte Information herausfiltert. Der bisherige Vorgang eines anthropozentrisch kreativen Entwurfes von Baukörpern wird – entsprechend unserer These - auf die Definition eines Genoms verlagert, welches seinerseits neue Baukörper generiert.
Das Experiment zeigt, dass relativ wenige bits, repräsentiert duch die von einem einzigen Neuron erzeugte Pulsfolge, ausreichend Komplexität besitzen, um Entwürfe für vielfältige, uns manchmal sogar überraschende neue visuelle Vorstellungen zu erzeugen. Selbes gilt für die Operatoren des Scripts, welche auf einfachste geometrischen Befehlen basieren: polyline, extrude, union, intersect, rotate etc.
Trotz der vergleichsweise geringen Komplexität des Prototyps des Neuronalen Architektur Prozessors erscheinen die daraus gewonnenen outputs differenzierter als die der bisherigen analogen Architektur-Produktion (bei gleichen Randbedingungen). Dies hat Konsequenzen für unsere Auffassung von Kunst, Architektur und menschlicher bzw. maschinell/digitaler Kreativität: es beweist unsere These, daß die Kreativität (hier Produktion von Architekturbildern) ein Produkt eines "neuronalen Prozessors" ist und als solche durchaus vom "Hirn" losgelöst werden kann.
Zahlenketten wie Informationen von Neuronen (10)
(1)
Auch in der bildenden Kunst gibt es Antiquitäten; aber sie ist dennoch dynamischer als die Architektur. zB. wie schnell die Neuen Medien dort Einzug gehalten haben, hingegen in der Architekturproduktion erst mit ca 20 jähriger Zeitverzögerung.