Urnenfriedhof / Krematorium Linz 

Manfred Wolff-Plottegg & Arne Böhm & Rainer Wührer ; architects Graz
Competition 1999


Wird bei einem Entwurf von vorne herein jede Assoziation mit bereits bekanntem, schon gesehenem, jede Referenz zu Ort, Thema, Funktion und was immer bisweilen als Ausgangspunkt für ein Projekt an den Haaren herbeigezogen wird negiert und wird zudem auch jedes formale und sonstige Wunschbild eliminiert, gibt es kein Ziel, weil es als solches dann eben nicht mehr (prä-)definiert ist. Dann geht es vielmehr um die Frage, wie kann unbekanntes geplant werden und hier liegt eine Chance dem Determinismus in der Planung zu entkommen. In diesem Zustand bekommt die Architektur eine Autonomie jenseits der bekannten Regeln, verliert die Rigidität.
Das interessante an Urnenfriedhöfen ist, daß sie in jeder Beziehung viel weniger prädeterminiert sind als zB. der soziale Wohnbau, es also keine direkten "Soll"-Bilder gibt . Auch ist die Funktion (weil es nur mehr um die Asche, nicht um den Menschen geht) relativ einfach, womit auch von der üblichen anthropozentrischen Tendenz in der Architektur abgewichen werden kann. Neben diesem planungstheoretischem Ansatz, scheint sogar im konventionellen inhaltlichen Bezugsgedanken die Ziellosigkeit beim Krematorium selbstredend angebracht: denn es ist der Ofen selbst, der jedes Ziel, jede Form verschwinden läßt.

Zur Entwicklung des Projektes wurde ein 3D-Vektorenprogramm verwendet, wobei speziell die Funktion der Blöcke angewendet wurde. command: insert <block name>, insertion point, scale factor, rotation angle; Auf das Areal wurde also vorerst ein x-beliebiger Block eingesetzt - im gegebenen Fall die 3D-Daten einer Klomuschel.

Daß ein beliebiges Ausgangselement genommen werden kann, läßt sich leicht an einem bekannten Beispiel aus der Fraktalen Geometrie erkennen: Das schon im Jahre 1916 erfundene Sierpinsky-Dreieck zeigt, wie eine einfache Regel, ein affin-linearer Algorithmus (fraktale Sprache, linearer Dialekt) drei unterschiedliche Anfangsbilder (Dreieck, Quadrat, Kreis) transformiert. Die Regel hier lautet: halbiere die Größe der Elemente und setzte 3 an stelle von einem; Schon nach wenigen Iterationen wird ein Limesbild erkennbar, es ist in allen Phasen ein selbstähnliches Bild, ein quasi endgültiges Bild, es ist unabhängig vom Anfangsbild und von der Wahl der Wahrscheinlichkeiten, ein Ausschnitt daraus (Dilatationsinvarianz) bringt keine neue Information, im Bildinhalt repräsentiert sich der Algorithmus selbst, er ist sozusagen der Regel implizit. Das wichtigste Faktum dabei ist: der Input ist egal (Dreieck / Quadrat), die Regel bestimmt das Produkt. Das Austauschen des Inputs bringt kein anderes Endbild. Und daraus folgt, daß jeder inhaltliche Input, der Wunsch bzw. die Zielvorstellung nicht maßgeblich sind, sie werden vom Algorithmus, vom prozeßhaften Instrumentarium des jeweiligen Systems übersteuert - ob man will oder nicht. In diesem Sinn kann also ein beliebiges Element genommen und damit das Projekt entwickelt werden, zB. ein Klomuschel-Block, wenn nichts anderes rasch zur Hand.

Der Klomuschel-Block wurde sogleich aleatorisch vervielfältigt, "unregelmäßig" über das Grundstück gestreut. Dabei wurde er gleichzeitig räumliche gedreht und seine Größe variiert (scaling). Maßnahmen bei welchen die Objekte gemäß den fraktalen Regeln selbstähnlich bleiben.

Mit dieser Konfiguration war aber auch schon die Gesamtanordnung des Projektes gegeben - sozusagen sein Limesbild - ihm ist das fertige Projekt implizit, quasi in den Daten noch ohne spezifisch körperhafte Erscheinung.

Da nun aber anzunehmen war, daß der Mikrozensus  gegen ein Klomuschelprojekt ist, und es zugegebenermaßen etwas provokant wirken könnte vorzuschlagen die Aschen der Verblichenen in Klomuscheln zu schütten, lag es nahe, die Elemente auszutauschen. Das war umso naheliegender, als die Klomuscheln, entsprechend Sierpinsky, nur als vorübergehende "Platzhalter" genommen wurden. Es hätten ja auch Schuhschachteln, Äpfel, Urnen oder dgl. sein können. Der Block könnte auch ein Stufenelement sein oder ein Wandelement.

Der ursprünglich eingesetzte Klomuschelblock wird also durch einen anderen ersetzt, wobei ersichtlich wird, daß es bei größeren kubischen Block-Elementen ziemlich eng wird, dh. eigentlich kein Platz mehr für die Hinterbliebenen bleibt.


Türtreppentreppentüre Trautenfels 1992

Zusätzlich war im Wettbewerb auch die Frage einer besonderen Gestaltung gestellt - für das Türl, hinter dem der Sarg verschwindet. Und da ich schon ua. in Trautenfels eine Türe nach Algorithmen-Planung gebaut habe, wurde deren 3D-Modell als ready-made Block genommen und in die Klomuschelzeichnung insertiert. Und es zeigt sich, daß mit diesem Block auch die Platz- und Grundrißfragen gelöst sind. Geradezu schulmäßig sind hier die wichtigen Elemente der Block-Technik angewendet: das beliebige Austauschen, das Verwenden von fertigen Blöcken (Daten aus anderen Projekten) und das Scalieren.


Unterschiedliche Blöcke in selber Konfiguration

Aus der Türtreppentreppentüre von Trautenfels wird also das primäre und universale Architekturelement für den Urnenhain. Es ist ein „FRAKTALES ELEMENT“, welches in unterschiedlicher Dimension, Material, Funktion eingesetzt wird: als Stahlbeton-Fertigteil eine Wandscheibe, statische Konstruktion; als Innen-Raumteiler, als Urnenwand im Freigelände; als bewegliches Element in Niro / Alu-Leichtbauweise ein Türelement mit vertikalem / horizontalem Schiebe- bzw. Drehmechanismus, ein Gestaltungselement; etc.
 
 

Da die urspüngliche Klomuschel-Konfiguration eine bestimmte für alle weiteren Schritte fixe Skalierung der Blockelemente hatte, mußte durch eine entsprechende Skalierung des neuen Türtreppentür-Blockes eine der ausgeschriebenen Fläche / Kubatur / Raumprogramm adäquate Konfiguration gefunden werden. (Der Krematoriumsofen mit den dazugehörigen Technikräumen und die Verwaltungsräume wurden von diesem Konzept ausgenommen und in Industriestandard betrieblich optimiet.)
 
 


 

Die gesamte Anordnung der Elemente könnte folgendermaßen verstanden werden:

Der polygonale Grundriß, die verschiedenen Eingangsrichtungen und die Positionierungen des Sarges vermeiden architektonisch eine Achsen- bzw. Symmetriebildung. Anstelle totenkultischer und „gruftiger“ Rigidität wird ein offenes / variables Raumkonzept vorgeschlagen. Die Räume sind öffenbar und erweiterbar. Außenraum und Innenraum werden von denselben fraktalen Elementen gebildet, sie unterscheiden sich in der Dichte der Anordnung.

Auch das auf den fraktalen Elementen / Wandscheiben aufliegende Dach wurde aus solchen gescaled appliziert. Von den Vorbereichen – Vorplätzen und überdachten Bereichen - gibt es mehrere Eingänge in die Vorhallen, sodaß die jeweiligen Personengruppierungen sich schon im Freien bilden können. Die Vorhallen, die Vorbereiche zur Aufbahrung (Kondolierbereich) sind mit Hilfe der großen Doppeltürelemtente der Aufbahrungsräume variabel trennbar (Diskretion). Die Aufbahrungsräume sind zweiseitig öffenbar / abschließbar, was für unterschiedliche Raum- und Funktionskombinationen genutzt werden kann. Somit können in relativ kurzer Abfolge mehrere Kondukte von der Aufbahrung zur Verabschiedung geführt werden, ohne gegenseitige Störungen von anderen Verabschiedungen.
 
 

Ein weiterer fraktaler Planungsschritt, für die Beleuchtung in der Verabschiedungshalle: die Geometrie der Urnenwände (Lageplan) wird gescaled im Plafond als Leuchtstoffröhren eingesetzt. Dh. es wird auch hier nicht "entworfen", sondern das fraktale  Prinzip der "Dilatationsinvarianz" angewendet. Der Entwurf besteht nur mehr in der anfänglichen Formulierung der Vorgangsweise - dem fraktalen Konzept.


 "Dilatationsinvarianz": vom Lageplan zum Beleuchtungsdesign

Aus der Blockkonfiguration ergaben sich neue Interpretationen des Raumprogrammes: die Kondukthalle als Ergänzung der Zeremonie zwischen Aufbahrung und Verabschiedung und zur Erleichterung der Funktionsabläufe. Den Hinterbliebenen wird die Möglichkeit geboten die Verblichenen von der Aufbahrung zur Verabschiedung zu begleiten (wettergeschützt). Funktionell ist die Kondukthalle variabel genutzt, ein erweiterter Arbeitsgang / Verbindungsgang und zusätzlich auch Erweiterung der Verabschiedungshalle. Overlapping of functions, dh. dieser Bereich wird zeitlich getrennt einerseits für den Trauerkondukt von der Aufbahrung zur Verabschiedung und andererseits für die internen Arbeiten zur Aufbahrung verwendet.

Die Aufbahrungsräume sind Transitorien mit 2 variablen Wänden - zur Vorhalle bzw. zur Kondukthalle hin: Sie dienen der Aufbahrung und dem Durchschreiten des Konduktes. Das hintere „Fraktale Element“ wird geöffnet, der Kondukt bewegt sich zur Verabschiedung. Für kleinere Verabschiedungen können duch entsprechende Wandstellungen die Aufbahrungsräume verwendet werden.

Das universal angewendete „Fraktale Element“ dient zum Ende der Verabschiedung auch als Raumabschlußelement vor dem stehenden Sarg, erinnert jedoch gleichzeitig an das ähnliche „Fraktale Element“, welches sich bei der Aufbahrung, im „Transitorium“ als Türe geöffnet hat, und es findet sich wieder als Urnenwand im Freigelände. Die Mehrdeutigkeit relativiert die Eindeutigkeiten.
 
 


Der polygonale Grundriß, die verschiedenen Eingangsrichtungen und die Positionierungen des Sarges vermeiden architektonisch eine Achsen- bzw. Symmetriebildung. Anstelle totenkultischer und „gruftiger“ Rigidität wird ein offenes / variables Raumkonzept vorgeschlagen. Der Raum ist öffenbar und erweiterbar.

Die Bestuhlung ist jeweils frei gruppierbar / aufstellbar, falls erforderlich können „Fraktale Elemente“ zur Raumteilung aufgestellt werden. Die großzügige Verglasung der Außenwände (Nord und Ost) bieten Ausblick in die „Welt“.

Es gibt 2 Positionen für den Sarg: mit Innenwand (künstlerische Gestaltung) als Hintergrund oder mit „Naturfenster“ (Blick ins Freie) als Hintergrund. Zum Ende der Verabschiedung schließt sich das „Fraktale Element“ (geschoben bzw. gedreht). Hernach ist der Sarg in einem abgeschlossenen Raum und wird, nachdem die Trauergäste sich entfernt haben, wieder weggeführt.

Das universal angewendete „Fraktale Element“ dient zum Ende der Verabschiedung auch als Raumabschlußelement vor dem stehenden Sarg, erinnert jedoch gleichzeitig an das ähnliche „Fraktale Element“, welches sich bei der Aufbahrung, im „Transitorium“ als Türe geöffnet hat, und es findet sich wieder als Urnenwand im Freigelände. Die Mehrdeutigkeit relativiert die Eindeutigkeiten.









Material / Farbkonzept:
Prinzipiell werden alle Werkstoffe „natur“ verwendet. „Fraktale Elemente“: Sichtbeton Schalungsklasse 2, Niro bzw. Alu – natur; Glas in Großtafelbauweise; Böden Naturstein geschliffen (pflegeleicht), Veraltungstrakt: Oberflächen einfacher Bürostandard, Technikräume: Industriestandard


Freigelände:
Random-Anordnung der Urnenwände, folglich die Geometrie der Wegführung; dazwischen Urnengräber in freier Geometrie und Grüngestaltung. Infrastruktur von Wegen, Wasserentnahmestellen, Kompost- und Müllstellen;


*** Wettbewerbe ***