Manfred Wolff-Plottegg / Beitrag zum Kochbuch "Allegro ma non troppo"
Herausgeber: Isi Werner / Johny Weissmüller Bund / Wien Graz Anchorage
Droschl Verlag Graz 2005
Besser als der gute Geschmack es verdaut / Das Rezept für Rezepte
Manfred Wolff-Plottegg schon: 29.11.98 23:28
Der GUTE GESCHMACK
Natürlich habe auch ich den GG - zwar nur als Thema: wird er doch im bourgeoisen Selbstverständnis und wo Argumente fehlen und überhaupt als Selektionskriterium verwendet. Der GG sucht in der Speisekarte was ihm schmeckt, wählt die Garderobe, die Gesprächspartner, den Umgang und dem Häuslbauer bestimmt er die Formen. Er mischt sich wirklich überall ein und ist zweifelsohne eines der dominantesten Gestaltungskriterien, der beliebteste lifestyle-Stil.
Obwohl der GG nicht der persönliche ist - sondern zumeist normiert, eine kollektive Regel in das eigene Guttünchen verpackt - definiert und manifestiert sich in ihm die persönliche Identität. Die Ergebnisse, die der permanent nörgelnde und besserwissende GG mit sich bringt, sind keineswegs überzeugend und erfüllen eigentlich nur das Qualitätsmerkmal schlechte Banalität oder ohnehin schon lange bekannt. GG und schlechte Küche (schlechtes Benehmen, schlechte Architektur) treten immer paarweise auf, also ähnlich wie lifestyle und Kochen bzw. Kochbücher lesen/schreiben. So wie sich ein Limesbild immer selbst reproduziert, sucht der GG immer das Bekannte, greift auf die (eigene) Norm zurück, ist daher postmodern und nicht kreativ - wie all die Feinspitze, die immer genau wissen was sie kochen (das Bekannte, das Gewohnte, das Gewünschte) und nörgeln wenn es nicht so ist.
Das System des GG hat sich lange genug versucht und angesichts der miserablen Ergebnisse der Geschmacksselektion, ist zu fordern, daß weiterhin nicht mehr nach der Auslese des GG vorgegangen wird und durch Geschmacklosigkeit der penetrante Haut Goût des GG vermieden wird.
DIE ALGORITHMEN
Kochrezept - wie auch Strickmuster - sind geradezu sprichwörtlich Synonym für Regel, Vorgangsweise, Algorithmus. Unter ihnen gibt es unterschiedliche Typen:
Die konservativen Algorithmen dienen der Re-produktion von vorweggenommenen Ergebnissen. Dazu gehören alle Stilregeln und Großmutters´ Rezepte, sowie alles ethnic food und alle Besserwissereien; die Themen hier sind Qualität und Authentizität, hier kann kritisiert werden, wenn etwas nicht gelingt, wenn das pawlow´sche Mundwasser nicht so richtig rinnt, wenn der Bauer was nicht kennt. Hierher rubrizieren auch die Muster zur persönlichen Körperpflege (Diäten) und individuellen Wunschbefriedigung (Lieblingsspeisen). Die konservativen Koch-Algorithmen sind also kontext-bezogen oder situationistisch-derivativ (am Freitag Fisch, für Kogler Ameisen, Preiselbeeren an Wild, Torte am Geburtstag).
Die generierenden Algorithmen überspringen normiertes Verhalten, sind also kreativ bis autokatalytisch, sorgen fürs Erstaunen.
Für diese "laß ich jedes Schnitzel stehen" und gebe ich hier eine ausführlichere Anleitung, da die von mir vorgeschlagene Vorgangsweise noch nicht weit verbreitet ist - schon gar nicht beim Kochen. Es dreht sich nicht mehr um inhaltliches / zielstrebiges (nach)kochen, sondern um Änderungen oder Neuerfindungen der Kochregeln selbst: Mein "Rezept" für alle Rezepte (Metarezept) generiert also ad hoc ständig neue Rezepte.
Auch wenn die Vorgangsweise, der Prozeß im Vordergrund steht, also das Rezept und nicht die Speise, geht es dabei nicht ums Kochen des Kochens Willen (ohne zu essen), sondern es geht um das Rezept für vorerst noch Unbekanntes, d.h. mein Rezept durchbricht den Determinismus von Rezepten.
Natürlich wird hernach auch gegessen, aber - nicht einmal wenn es mundet - wird es ein zweites Mal als "Rezept" nachgekocht; es sind Rezept-Unikate, die spätestens mit dem Abwaschen und der Verdauung wieder weg sind.
Um nicht zu wählen, zu bestellen, zu kochen was schon bekannt ist, könnte in einer ersten Phase aleatorisch vorgegangen werden. Oder alphabetisch (z.B. nach der Regel am Dienstag nur Speisen mit Anfangsbuchstaben Q zu essen), wobei es keinesfalls um das Herbeiführen eines vorweggenommenen Zieles gehen darf, es sollte über das bereits Bekannte hinausgegangen werden.
Und es zeigt sich wieder, daß nicht der inhaltlich fromme Wunsch das Ergebnis hervorruft, sondern der Modus operandi. Mit anderen Worten: der aktivere Algorithmus ist nicht inhaltlich (GG) oder ziel-definiert, sondern der methodische für das Unbekannte, Überraschende.
DAS REZEPT
Zur Zusammenstellung des jeweiligen Menüs empfiehlt sich demnach ein genetischer Algorithmus, wobei einfachheitshalber (für Anfänger) z.B. die folgenden Tabellen verwendet werden können. Zum Ausfüllen können normale Spielwürfel zu Rate gezogen werden, auch mit diversen Symbolen präparierte Würfel, die anstelle der Augen Buchstaben oder Abkürzungen für die entsprechenden Tabellenspalten aufzeigen.
Zuerst wird ermittelt, wieviele Iterationen (Ingredienzen, Nahrungsmittel oder Gänge) entwickelt werden sollen: z.B. ++ = 10
Exempel 1: "man nehme"
Kastl / Regal |
Lade / Etagere |
Produkt |
Menge |
EL |
|||
etc. |
etc. |
etc. |
etc. |
oder:
Kühlschrank |
Mitte |
Erstgesehene |
Stk |
Nebeneffekt: so gibt es nur wenig oder viel zu essen, wie es sich eben ergibt: d.h. auch hier wird nicht subjektiv vorgegangen z.B. nach "Hunger".
Exempel 2: Geschirrwahl / Küchengerätewahl
Kastl / Regal |
Lade / Etagere |
Farbe |
Form |
Oberkastl |
hinten |
CS |
rund |
p |
z |
e |
ö |
x |
, |
9 |
h |
Nebeneffekt: hier könnte das Geschirr für die Auswahl lt. Exempel 1 zu klein sein, wodurch "das Häferl übergehen" kann.
Exempel 3:
Schneiden |
Größe |
Rühren |
Mixen |
* $ |
4 * 4 T |
y Z |
n |
M |
v -t |
6 y |
j |
% |
) |
R |
B7 |
Mit ähnlichen Verfahren / Tabellen können Kochtemperaturen, Garzeiten, Vorgänge (braten, backen, grillen, blanchieren udgl.) zugewiesen werden, d.h. auch diese sind autonom und nicht mehr in einem üblichen Abhängigkeitsverhältnis zum Ausgangsmaterial (Zwiebel > schälen).
In diesem Sinn läßt sich auch der Einkauf organisieren = Muster für Einkaufszettel (Delikatessengeschäft, Verbrauchermarkt odgl.):
Exempel 4:
Regal |
Etagere |
Ware |
Stück |
2. rechts |
mittlere |
3. von links |
5 |
+ = |
. |
m |
|
op |
W |
+ |
M0 |
Falls der Einkaufszettel vergessen oder verloren wurde, kann dieser jederzeit erneuert werden, weil ja ohnehin nichts Prädeterminiertes den Warenkorb (1) ergibt. Womit wieder bekräftigt werden kann, daß der Speisezettel den Lauf der Welt bestimmt (2).
Ähnliche Tabellen-Rezepte könnten für das Servieren und zur Getränkeauswahl etc. hergestellt werden.
p.s.:
Die alte Regel "was auf den Tisch kommt, wird gegessen!" (3) wird nicht mehr angewendet, auch hier kann aleatorisch entschieden werden, ob und wieviel man zu sich nimmt. chi fan! wie schmeckts? Am nächsten Tag frisch aufzuwärmen entfällt, weil die Speise ohnehin schon bekannt ist. Kommentare wie "ho già l´acquolina in bocca" oder "da laß ich jedes Schnitzel stehen" sind unangebracht, es geht nur um die Zahlenkombination des Algorithmus.
(1) schon dieses einfache Beispiel zeigt, daß sich das Konsumverhalten und auch der statistische Warenkorb nicht mehr an die eingefahrenen Limesbilder hält.
(2) siehe: "Die Rolle der Gewürze (insbesondere des Pfeffers) für die wirtschaftliche Entwicklung des Mittelalters" in Carlo M. Cipolla: "Allegro ma non troppo", il Mulino Bologna 1988.
(3)..... Geschirr und Tischtuch auch?
ps.:
Zudem kann ich mir natürlich auch einen persönlich körperlichen Algorithmus präsentieren, hier zur Originalität: Die Vorstellung basiert auf der Nahrungsmittelkette, wenn der Lachs sein zartes lachsrosa Fleisch durch Verspeisen der karotinoiden Farbstoffe von planktontischen Organismen erhält, dann könnte ja ich durch permanentes Lachsessen .......; überhaupt scheint auf Grund der kräftigen Regelhaftigkeit der Nahrungsmittelketten - von der Einnahme bis hin zum Scheißen - prädestiniert für algorithmische Experimente. (Selektion nicht nach GG, sondern zB. je nach gewünschter Konsistenz der zu erwartenden Scheiße, etc.)