Manfred Wolff-Plottegg
Hecktisch am Ecktisch
2017
Text für „Quantum“ Publikation von Vera Bühlmann (TU Wien) 2017
Meine Informationen bezog ich von einem Tisch, der sehr alt war. Er sagte, daß in der Urzeit die Tische keine Beine hatten, und die Tischplatten ursprünglich so dick waren, daß sie den Boden berührten. Aber eigentlich waren das damals noch keine Tische, eher massive Blöcke. Platz war unter diesen Tischen keiner, daher konnte sich darunter nichts abspielen.
Schon sehr früh hätte man begonnen an den vier Ecken Steine unterzulegen, wodurch erstmalig etwas Raum unter dem Tisch entstand. Schon in dieser frühen Entwicklungsphase konnte etwas unter den Tisch fallen, auch konnte man bereits beginnen etwas unter den Tisch zu kehren. Erstmalig waren somit auch die Konditionen zur Lurchbildung gegeben. Um dem entgegenzuwirken wurden z.B. in Stonhenge größere Steine untergelegt – ein früher Beitrag zur Monumental-Architektur – was für den Gebrauch als Tisch nicht sehr funktional war und dann in der späteren Evolution nicht weiter verfolgt wurde.
Ein besonderer Strang in der Stammesgeschichte der Tische war die zwischenzeitliche Entwicklung in der Hallstadtzeit als erfolgreich versucht wurde, die untergelegten Steine durch Räder zu ersetzen (Strettweger Opferwagen). Dieser evolutionäre Strang verselbständigte sich, so wurde aus dem Tisch der Wagen und später das Auto. Seine Entwicklung führte durch verschiedene Seinsebenen vom Tisch zum Fetisch.
Aber weil das mit dem Unterlegen von Steinen eher behelfsmäßig war, wurden schließlich doch noch die Tischbeine erfunden und die Tischplatten wurden folglich immer dünner. Es stellte sich heraus, daß sich mit der Erfindung der Tischbeine das funktionelle Potential des Raumes unter dem Tisch und damit das Potential der Tische schlechthin wesentlich steigerte. Seit damals gibt es aber den Streit, ob die Tische nun für das was „oben“ geschieht oder für das was „unten“ vor sich geht erfunden wurden.
Es könnte aber auch so gewesen sein, daß die blockartigen Tische überhaupt nicht zum Tischerlrücken geeignet waren und eben deshalb die Tischbeine erfunden werden mußten.
Zumeist sind Tische vierbeinig – wie in der Tierwelt – auch weil zweibeinige Tische wackelig bzw. schwieriger zu konstruieren sind. Wenn vierbeinige Tische wackelig sind werden auch unten Bierdeckel verwendet. Geometrisch gesehen können dreibeinige (viereckige dreieckige oder runde) Tische nie wackeln, aber sie kippen umso leichter.
Wenn die Beine von dreibeinigen Tischen ähnlich Raumdiagonalen angeordnet sind, ist es ein Beitrag zum Diskurs der „Stützenfreien Ecke“. Meistens werden Tischbeine an den Ecken ohnehin als störend empfunden.
Ein Knackpunkt ist die Verankerung der Tischhaxen in der Tischplatte, unabhängig von Material oder Form, gedrechselt, hölzern, rund, Formrohr. Wenn ein pater noster – das Brett welches die Beine ca. 10 cm über dem Boden verbindet – montiert ist, ist das Abstellen der menschlichen Füße bequem, die Füße finden Orientierung und Halt, Frauen können die high heels einhacken oder ausziehen.
Wenn man etwas von unter dem Tisch aufhebt und sich dann beim Aufrichten an der Unterkante des Tisches den Kopf anschlägt, hat das nicht mit Ungeschicklichkeit zu tun, sondern wie Jan Philipp Reemtsma erklärt mit den pataphysischen Raumzuckungen.
Durch die Länge der Tischbeine ergibt sich die Tischhöhe, normalerweise kann man bequem mit der Faust auf den Tisch schlagen. Bei länglichen Tischen gibt es (horizontal gesehen) ein unteres und ein oberes Ende (das ist dort wo ich immer sitze und über den Tisch ziehe). Hier kann man reinen Tisch machen / Tabula rasa spielen, vor allem kann man hier alles ablegen, andere sagen jemandem etwas auftischen, damit dann alles angetischt ist, also nicht nur der Nachtisch am Nachttisch. Der Schanzentisch zeigt, dass bei / am Tisch nicht nur gesessen / gegessen wird, er also auch zum besteigen, bespringen nützlich sein kann, also wenn nicht „locker am Hocker“ dann eben am Ausziehtisch oder „hecktisch am Ecktisch“.
Kurz nachdem mir der alte Tisch dies berichtet hatte, ließ er sich von Roman Signer in die Luft sprengen.