Mit Haltung in Käfighaltung

Textbeitrag von M. Wolff-Plottegg für "trans 22 - Haltung",
eine Publikation an der Architekturabteilung der ETH Zürich, 2013

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Die Haltung der Haltung

Wir Österreicher und Schweizer sind einigermaßen neutral ..... aber was die Architekturfakultäten betrifft, wird der ETH mehr Haltung nachgesagt als der TU Wien[2] ..... ich halte mich da haltungslos heraus ..... und ich verbitte mir, in die Nähe einer Haltung gerückt zu werden ..... denn auch für mich gilt die Unschuldsvermutung ..... weil ich damit einfach gar nichts zu tun habe ..... und was dabei herauskommt ..... was interpretiert wird ..... hängt vom Leser, vom Kontext ab.

Da will ich gar keine Haltung haben, so wie bei „meinen“ Computer (-generierten) -Texten ..... ich will da auch kein copyright ..... strg+c / strg+v oder ctrl+alt+del ..... wie man es auch dreht ..... die Argumente beißen sich in den eigenen Schwanz ..... keine Haltung zu haben, wird auch als Haltung hingestellt ..... wird auch mir – je nach Vorurteil – unterstellt[3] ..... so habe auch ich Haltung, jene die mir von anderen umgehängt wird ..... obwohl ich schon lange beschlossen habe, keine Haltung haben zu wollen ..... die Katz´, die Sau, krallt auf den Baum wie ein Aff´, der Hund ..... (alte steirische Spruchweisheit).

Dieser Text will keineswegs Vorhaltungen machen: Haltung bei Architekten ist hauptsächlich Architekten-Logorrhö ….. Haltungsübungen wie Buchhaltung ..... Erwartungshaltung & Gleichschaltung ..... Stimmenthaltung ….. und weiterhin keine Zurückhaltung bei der Aufrechterhaltung (überhaupt Systemerhaltung), Erhaltung der Regeleinhaltung ..... Fehlhaltung / Haltungsmangel / Haltungsschäden .....

Die Haltung ist die Baustelle, der Auftraggeber, Architekt.

 

 

Algorithmen der Haltung

Zu den Fragen ..... woher kommt eine Haltung? ..... woher kommt die Forderung nach einer Haltung? ..... wie entwickelt sich eine Haltung? ..... meint die Psychoanalyse:

..... infolge von Steuerungsmechanismen in Erziehung und Persönlichkeitsbildung ..... schon in der Kindheit übertragen ..... und dadurch persistent ..... bzw. in „Kadettenschulen“ eingebläut ..... konstante Einstellungen (im Kopf) ..... psychoanalytisch strukturell im Über-Ich angesiedelt. Dennoch vermeint jeder „seine“ persönliche Haltung zu haben, subjektiv ..... wie den guten Geschmack ..... so gesehen ist jede Haltung ein hang-up ..... bewegt sich in der Vergangenheit.

Wer sich vernachlässigt fühlt ..... (wer sich von der architektonischen / entwerfenden Inspiration vernachlässigt fühlt .....) nimmt sich kompensatorisch eine Haltung ..... nimmt (eine) Haltung an ..... dort kann man sich (wie pränatal) zu Hause fühlen ..... wer Rückhalt benötigt, nimmt eine Haltung zum Anhalten ..... (wie eine Schablone zum Zeichnen).

In der Haltung liegen phallisch-narzisstische Ansprüche ….. zwanghafte Wünsche ..... die ödipale Identifikation in / mit einer Haltung gibt Halt und Sicherheit und die Verbrüderung mit Gleichgesinnten ..... gibt Macht ..... daher die Rituale der Haltungen ..... und sozial ausgeschlossen wird, wer nicht derselben Haltung ist ..... Kulturdruck / Haltungsdruck ..... Exklusion der Differenz: wer sich der gemeinsamen Haltung, eine Haltung zu haben, entzieht, indem er eine dezidiert andere oder „keine Haltung hat“, stört (provoziert) die anderen.

Bei aller Gemeinsamkeitswirksamkeit untereinander sind Haltungen dennoch hermetisch – schmoren im eigenen Saft ..... sie sind exklusiv, ausschließlich ..... sie schließen aus ..... die anderen und alles, was nicht entspricht ..... durch Ausschließlichkeit bleibt man sauber ..... die ideale Haltung ist sauber ..... radikal sauber[4] ..... Haltungen verpflichten ..... verpflichten zumindest, sauber zu sein ..... sauber zu bleiben .....

Die anständige Haltung ist kleinlich wie ein Tischset / der eigene Tellerrand: der Mob hat keine (saubere) Haltung ..... Haltung will elitär sein ..... das elitäre Selbstverständnis durch (in der) Haltung ..... durch Haltung ist man selbst und das Projekt, der Wettbewerbsbeitrag besser. [5]

Wer eine persönliche Haltung hat, diese vertritt und dabei bleibt ..... der beweist Haltung. Indem man an einer Haltung festhält, unterwirft man sich operativ der Haltung ..... Haltung ist prädestiniert bei Charakterschwächen ..... obwohl konfliktschwanger, unterstützen Haltungen bei geringem Konfliktpotenzial ..... und über die soziale Interaktion – eingebettet in den Diskurs – erfolgt Absicherung ..... in manchen Kreisen wird zur Haltung verpflichtet, Haltung forciert, (die heilige Haltung) mit Sendungsbewusstsein missioniert[6], wie ein Virus verbreitet .....

Ähnlich wie Lachen oder Gähnen oder Kratzen sind Haltungen ansteckend. Ich zweifle aber an der Theorie, die Haltung sei unsere zweite Intelligenz.

Die Resonanz, das Widerhallen der Haltung ..... Ich meine nicht was ich sage, aber Sie verstehen schon was ich meine, wir haben doch dieselbe Haltung ..... das Surfen auf der gleichen Welle ..... die gemeinsame Haltung verbindet ..... daher brüllt der Sergeant[7] ..... so nimmt die Repression ihren Lauf ..... Haltung duldet keinen Widerspruch .....

Haltung ist der Ursprung der narzisstischen Selbstverdoppelung[8]: Der Entwurf, das Haus, die Wohnung, die Kleidung, der Sex ..... als Expression, als Spiegelbild der Haltung ..... Haltung wird in die Architektur projiziert ..... depressiv > wird gemütlich, zwanghaft > wird comme il faut ..... Haltung als Ersatzhandlung / Entwurfsersatz ..... Architektur als Ausdrucksmittel ..... Womit hat sich die Architektur diese Übertragung verdient?

Der Anfänger lässt sich eine Haltung vom Vorbild kommandieren ..... und lässt sein Handeln fürderhin durch die angenommene Haltung bestimmen ..... Aneignung, bis sogar die eigene Haltung (selbstreferenziell und selbstähnlich) als Vorbild genommen wird ..... die Idealisierung der Haltung ..... bis zum Mythos der Haltung.

In stillschweigender Annahme wird Haltung generell als „subjektiv“ verstanden ..... wohingegen schon ein Mikrozensus zeigt, dass es nur wenige (unterschiedliche) Haltungen / Meinungen / Handlungsziele gibt ..... es also viel weniger Haltungen gibt als Menschen. Viele Haltungen sind Scheinhaltungen. Die Autorenschaft von Haltungen ist kollektiv ..... und eigentlich sind alle Haltungen Putativhaltungen.

Haltungen sind zumeist schlecht artikuliert ..... alles, wofür man selbst keine eigene Artikulation hat, wird in die Haltung verlagert bzw. von dort bezogen ..... daher kann eine Haltung alles bzw. alles eine Haltung sein ..... daher sind Haltungen nicht überprüfbar ..... aber umso besser (anpassbar) können sie jederzeit zur „stringenten“ Argumentation herangezogen werden .....

Mit sich und seiner Haltung ..... mit sich und seiner Welt in Einklang sein ..... und Gefallen an der Arbeit zu haben ..... weil diese der eigenen Haltung entspricht (so nahe kommt) ..... diese so richtig hervorkehrt ..... sich in seiner Haltung geborgen fühlen ..... das romantische Sich-Wohlfühlen ..... sich in seiner Haut / Haltung wohlfühlen ..... auch der Bauherr soll sich wohlfühlen! ..... und dieser selbstreferentielle Einklang wird als „stimmiger Entwurf“, als Richtigkeit verkauft ..... eine richtige Lösung gibt ein sattes Gefühl ..... meist mit moralisch hochstehend, mit Anständigkeit, mit Ehre konnotiert.

Haltungen wollen Gewissen spielen.
Haltungen maßen sich an Qualitätskriterium zu sein.

 

 

Haltung und Masochismus

Mir ist keine Bauordnung oder Architektur-(Entwurfs-)Regel bekannt, die eine (bestimmte) Haltung einfordern würde ..... auch keine methodische Richtlinie ..... das steht nicht bei Vitruv (Firmitas, Utilitas, Venustas) ..... es heißt auch nicht „form follows Haltung“ ..... an keiner Architekturfakultät gibt es eine Lehrveranstaltung „Haltung“[9] ..... Architekten machen sich Haltung scheinbar freiwillig zumThema, wofür es bislang keine Erklärung gab.

Das Verlangen nach Haltung hat jedoch ein klares (meist unausgesprochenes) Motiv im Hintergrund: Eine Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als Architekt ist der Masochismus ..... die Fähigkeit, Schmerz- und Unterwerfungsverhalten als Lust und Befriedigung zu erfahren. Also gilt das Motto: Architektur ist, wenn Schmerz zur Lust wird.

Eine Haltung zu haben erfüllt die Kriterien des Masochismus ..... das kunstvolle / genussvolle Wechselspiel zwischen Grausamkeiten und Lustgewinn. Das Erleben einer Haltung in allen Facetten dient der masochistischen Befriedigung mit allen Varianten, bringt Lustgefühle ….. und auch Architekten haben ein Recht auf Masochismus .....

Architekten lieben die schwierige Aufgabenstellung, nur diese bringt Genuss (wo alles erlaubt ist, ist keine Herausforderung, kein Genuss) ..... wo es keine Schwierigkeiten gibt, macht sich der Architekt selbst Schwierigkeiten, um den Leidensdruck zu erhöhen ..... Knebel-Vorgaben (durch Behörden und Auftraggeber, „architekturfeindliche“ Überforderungen des Programmes etc.)[10]..... es geht nicht nur um die kleinen Demütigungen ..... um die langen Nächte, den verlorenen Aufwand, die bis zum Nicht-Wiedererkennen veränderten Projekte ..... man unterwirft sich nicht nur allen absurden und widersprüchlichen Anforderungen, man unterwirft sich mit Genuss ..... alle Brutalitäten werden umgepolt zum Genuss ..... und daher wird es – wider jede Vernunft – sobald wie möglich wiederholt ..... keine Herausforderung, der man sich „stellt“, ist dem Architekten groß genug, um die Lust der Unterwerfung zu genießen ..... um mit diesem Antrieb wie Phönix aus der Asche zu steigen, worin dann der Genuss kulminiert.

Mit einer Haltung ist etwas da, dem man sich unterwerfen kann ..... was höhere Anstrengungen verlangt ..... was größere Strenge fordert ..... wofür sich der Einsatz lohnt ..... was vertreten (verteidigt) werden kann ..... was verletzt werden kann (auch Selbstverletzungen kommen vor) ..... und es kann schmerzen, wenn dagegen verstoßen wird ..... sogar die Vorstellung, keine oder zu wenig Haltung zu haben, schmerzt[11] ..... ein Projekt zu verlieren ist weniger gravierend, als die Haltung zu verlieren ..... die Haltung zu bewahren ist ein höherer Genuss, als ein Projekt zu gewinnen ..... auch die Züchtigung der Phantasie schmerzt unwillkürlich, wird aber durch den Genuss am strengen Projekt belohnt.

Wer jemals eine Haltung hatte, litt darunter ..... und wurde Masochist ..... oder auch: Haltung infolge des Masochismus ..... um den Schmerz-/ Genusspegel hinaufzuschrauben ..... bis zum Sadomaso-Architektur-Musterknaben .....

Die Haltung ist eine strenge Kammer.
Architekten mit Haltung sind die besseren Masochisten.
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Haltung und Determinismus

Es gibt natürlich unterschiedlichste Haltungen ..... allen gemeinsam ist: sie zeigen in ihrem parametrischen Rahmen Haltung. Obwohl die jeweils inhaltlichen Orientierungen austauschbar sind, geben sie Anlass für erbitterte Richtungskämpfe. Strukturell sind alle konservativ, rückblickend, argumentierend. Jede Haltung ist deterministisch ..... weil etwas schon bekanntes angestrebt wird. Dominant ist der Wirkungsmechanismus, die Unbeweglichkeit der Haltungen, der Widerspruch zu prozessualen / dynamischen Entwicklungen.

Haltungen bilden geschlossene Systeme ..... (wie Handschriften nachhaltig, rechthaberisch, lebenslänglich in sich erstarrt) ..... nichts ist einfacher als zu beharren ..... nichts ist für die Umwelt, für die anderen unerträglicher als unveränderbare Positionen ..... nichts ist langweiliger als eine (auf Grund der Haltung) vorhersehbare Maßnahme ..... nichts ist unangenehmer und frustrierender als mit einer hard-core Haltung konfrontiert zu sein ..... da ist nichts mehr verhandelbar ..... da fährt die Eisenbahn drüber .....

Es ist die Wirkungsweise, das Wesen von Haltungen ..... unabhängig vom Inhalt, unabhängig von der Orientierung[13] ..... fundamentalistisch und entwicklungsgeschichtlich retardiert zu sein ..... unbeweglich starr wie ein Stil ..... die Haltungen marschieren durch ..... kein Wechselschritt, kein tänzeln (Ali Shuffle) wie Cassius Clay, kein let him swing .....

Architekturen mit Haltung sind so gesehen auch architektonisch konservativ ..... systemisch gesehen sind Haltungen langsam und reaktionär ..... das System „Haltung“ ist selbst reaktionär ..... Haltungsarchitekturen sind Schubladenprojekte ..... die Prädisposition von Haltungen limitiert die Kreativität, ist hinsichtlich dynamischer Prozesssteuerung (Hyper Funktionen, Architektur als Prozess, prozesshafte Architektur) unbrauchbar ..... da es um laufende Veränderungen / Nachjustierungen ..... um Planungen und Nutzungen der Zukunft geht ..... Haltungen sind strukturell Fossilien der Vergangenheit!

Grundregel für Haltungen: starr / stur sein und bleiben: ..... wer seine Haltung ändert,[14] hat eigentlich keine Haltung“ ..... wer seine Haltung ändert, ist ein Wendehals ..... Überläufer werden exekutiert. Eine Haltung will behauptet werden ..... und wird so zum Synonym für charakterfest (was gerne als unbeugsam wahrgenommen wird). Aber auffallend dabei ist, dass sich viele nicht an ihre eigene Haltungen halten ..... und das steht nicht im Widerspruch zur Sturheit der Haltungen[15].

Haltungen schaffen Distanz (vom Hier und Jetzt) ..... das dient der bourgeoisen Flucht vor der Realität ..... Haltungen verzerren die Welt der Handlungen ..... schieben sich wie ein Vorhang vor die Planung, der direkte Umgang mit der Umwelt wird ausgeblendet, Architekten mit Haltung sind nicht am Ball. Selbst die reine Haltung verstellt die Sicht ..... die Rücksichtnahme auf eine Haltung verhindert den direkten Umgang mit den Bauteilen. Haltungen begrenzen noch mehr als Planungen allgemein begrenzen ..... verstärken den Determinismus von Planungen.

Der Anarchist kennt keine Haltung, jedes Pamphlet ist besser als eine Haltung.
Die Unterhaltungen über Haltungen sind (nicht) mehr als unterhaltsam.

 

 

Haltungen der Architekten[16]

Haltung ist, was wir in der Planung brauchen ..... kontrollierte Regelhaftigkeit[17] ..... auf die man sich verlassen kann ..... der Bauherr genauso wie der Architekt ..... weil Haltungen einfach anzuwenden sind gehören sie ..... einschließlich Gewöhnungseffekten und Wechselwirkungen ..... zum Standard der Architekten.

Praktisch scheint es zu sein ..... sich auf eine Haltung zu berufen ..... berufen zu können ..... wenn alle anderen Argumente nicht gefruchtet haben ..... man braucht nur die Haltung herbeizuziehen / auszuspielen ..... eine Haltung wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern ..... die Grundhaltung muss akzeptiert werden ..... dann ergibt sich alles von selbst, dann marginalisiert sich jede Planungsfrage ..... prämarkiert und / oder angenommen, angeeignet ..... damit wird man alle Entwurfszögerlichkeiten zweifellos los ..... eine klare Haltung erübrigt Planungsentscheidungen ..... daher die unzweifelhaft klare Architektur ..... die grüne Welle ..... so gesehen unterstützen Haltungen (wie Vorurteile) die Bequemlichkeit .....

Wer nicht kreativ / produktiv ist, kann sich zumindest auf seine Haltung berufen ..... und vor dem leeren Blatt Papier meldet sich die Haltung vehement zu Wort ..... den Entwurf von einer Grundhaltung ableiten ..... die Grundhaltung des Entwurfes ..... das Reden über die Haltung wird dominant ..... da braucht man nicht mehr über den Entwurf / die Architektur zu sprechen.

Praktisch ist auch, wenn die eigene Haltung mit der Haltung einer Jury harmoniert, dann ist der Wettbewerb gewonnen ..... wenn nichts dazwischen kommt ..... und neue Freunde sind gefunden ..... pour mémoire ..... eine gemeinsame Haltung verbindet ..... das geht über die persönliche Haltung hinaus ..... ist eine gegenseitige / wechselweise Bestätigung der Richtigkeit ..... gemeinsame Haltungsnoten bei der Kür im Synchronschwimmen ..... und mit der richtigen Haltung kann man gute Geschäfte machen[18] ..... Gute Geschäfte sind vermutlich der wahre Grund für die vorgeschobene „idealistische“ Haltung.

Haltungen stellen (sich selbst) immer höchste Ansprüche ..... daher die unter Architekten besonders beliebte und weit verbreitete Haltung: Sendungsbewusstsein + Weltverbesserung + Besserwisserei ..... dabei sind die Architekten Weltmeister ..... kurzum die „Haltungsarchitektur“ ..... gepaart mit der obligaten Nachhaltigkeit (Aufrechterhaltung) begründen die Rechthaberei als Haltung der Architekten.

Beispielhaft ist die Haltung der Trennfugen / Dehnfugen / Schattennuten aller Art: ..... um eines vom anderen „abzusetzen“ ..... um sich (seine Architektur) vom anderen abzusetzen hier also das Ausschließen architektonisch „umgesetzt“ ..... ein klarer Strich bis hierher und nicht weiter ..... der Minimalismus / Reduktionismus ..... der schalungsreine / haltungsreine Beton ..... die Haltung ohne Lunker!

Man kann nie genug Haltung haben ..... und tatsächlich ..... wie Fettaugen auf allen Suppen, schwimmen Haltungen auf jedem Entwurf ..... versuchen sich überall einzumischen ..... nisten in jedem Detail .....

Architekten mit Haltung fühlen sich automatisch als besser ..... ein starker Entwurf ..... muss ja so sein ..... sie haben sich die Haltung jahrelang mit verve erarbeitet ..... und sind an (mit) der Haltung sogar gewachsen ..... dabei schummeln viele Architekten mit ihren Haltungen ..... und dann gären beim Entwerfen die Haltungen.

Unter den vielen diversen Haltungen wäre eine einfache Haltung: sich die Latte so hoch zu legen, dass man aufrecht durchgehen kann[19] ..... aufrecht ..... wie die erigierte Haltung des Zeigefingers (Mittelfingers) ..... die gespreizte des kleinen Fingers ..... die Krawatte als vorderes Rückgrat ..... Kopf hoch, Brust heraus ..... echte Haltungen sind unbeugsam ..... die männliche Haltung (auch bei Frauen) ..... das Gestikulieren bei der Projektpräsentation / auf der Baustelle ..... Haltung als (Psycho-) Prothese ..... Haltung als Entwurfsprothese.

Die Haltung, die Identität, die Trademark eines Büros ..... beim Entwerfen Haltungen artikulieren: Haltung bewirkt Körperhaltung, Lebensstil, Architektur (-Stil) ..... der Entwurf als die Summe aller Haltungen ..... die universelle Zusammenschau des Architekten (für alles zuständig und kompetent) ..... darin liegt der Hang zum Gesamtkunstwerk[20] ..... das Haltungsgesamtkunstwerk.

Haltung, Handschrift und persönlicher Geschmack potenzieren sich und reduzieren sich in einem Limesbild ..... Haltungen bestätigen zuallererst sich selbst und sind folglich beratungsresistent, verzögern Entwicklungen (..... weil zuerst die bestehende Haltung abgebaut werden müsste) ..... klar ist, dass Planungen mit Haltung länger dauern ..... Architektur mit Haltung teurer ist ..... betoniert ist / wird, was sich verändern will ..... auch Universitäten mit „Haltung“ sind teurer[21] ..... jeder Strich muss geprüft werden, ob er der gewünschten vorgegebenen Haltung entspricht .....

Haltung als Selektionsstrategie[22]: die Haltung überprüft, ob etwas zur Haltung passt, und da es so sein soll ..... erfolgt die Anbiederei des Entwurfes an die Haltung ..... den Strich so lange verbessern, bis er zur Haltung passt (Identität) ..... bis man feststellen kann: das habe ich entworfen, ich habe mich dafür entschieden und ich stehe dazu (mit reinem Gewissen)[23].....

Wer Haltung hat, will sie nicht aufgeben ..... dabei zu bleiben ist einfacher, als ein neues setup zu machen ..... eine Frage der Effizienz / Arbeitsökonomie: was ist einfacher ..... ein Leben lang jeden Strich zu überprüfen, ob er der Haltung gerecht wird, oder ein neues setup ohne Haltungen zu machen?

Der prinzipielle Anspruch, die Einstellung, die Grundhaltung machen Vorgaben für die Denkweise, die Handlungen, Zielsetzungen, Aussagen etc. ..... und limitieren damit automatisch die Denkweise, die Handlungen, Zielsetzungen, Aussagen etc. auf diese Vorgaben. Hier wird klar: Haltungen halten unter Kontrolle ..... sind insofern Instrumente der Machtausübung ..... sie entmündigen ..... Haltungen zwingen die Entwürfe in den Käfig[24] der antizipierten Haltung ..... sie produzieren selbstreferentielle Entwürfe ..... Haltungen sind Propaganda (ihrer selbst).

Ich werde den Eindruck nicht los, dass sich Architekten mehr mit sich selbst und ihrer Haltung beschäftigen und weniger mit der Entwicklung der Architektur[25], ..... Architekten übertragen ihre Verantwortung an die Haltung ..... umgekehrt betrachtet ursurpieren Haltungen die Architektur .....

Ein Entwurf ist eine erfundene Behauptung, aber keine Haltung.
Die Haltung in der Architektur ist wie die Missionarsstellung beim Sex.

 

 

Enthaltung als Endhaltung

Versöhnlich ist, ..... dass Haltungen schlampig sind, zumeist expressis verbis nicht ausformuliert ..... dass sie eigentlich nur rührselige Teenagerträume sind.....( in sich widersprüchlich[26] ..... ein affektiv / kognitives / behaviorales Amalgam ..... gehypte Lifestylezugabe ..... wie Vorstadtvereinsstatuten) ..... dass es keine verbindlichen Regeln gibt wie Haltungen anzuwenden wären ..... dass zumindest viele unterschiedliche Haltungen kursieren ..... und dass man Haltungen überdies nicht zu bekämpfen braucht – das erledigen sie ohnehin untereinander (mit Genuss).

Erschwerend ist die Hinterlist der Haltungen ..... dass sich Haltungen oft nicht einmal an die eigene Haltung halten ..... ihr Schlatz macht sie zu einem fiktiven Gegenüber, zum unsichtbaren Gegner ..... Haltung zum Schein (scheinheilige Haltung) ..... Phantomhaltung, wie Phantomschmerz ..... das Szintilieren .....

Weil das System Haltung in der Praxis wie im Unterbewußtsein tief verankert ist ..... weil sich die Wechselwirkung im Schmerz- / Lust-System aufschaukelt ..... lässt es sich nicht so leicht steuern ..... wir werden mit Haltungen als „Umgebungsvariable“ noch länger leben müssen, weil so ein System nicht leicht abzuschalten ist ..... also werden wir weiterhin Haltungen haben ..... zumindest bleibt die Haltung der Haltungslosigkeit.

Ich will mich schon lange nicht mehr über Haltungen unterhalten, ich bin Architekturproduzent.

Klar aufzutreten ist gegen den Determinismus von Haltungen, allein dieser ist schon Grund genug, (planungstechnisch) gegen Haltungen zu sein. Von Algorithmen wissen wir, dass die Steuerungsmechanismen den (inhaltlichen) input overrulen, daher muss der Steuerungsmechanismus „Haltung“ ausgeschaltet werden und nicht nur die Orientierung.

Der Paradigmenwechsel ..... ohne Haltung und ohne Expressionismus (nach außen gestülpte Haltung) auszukommen ..... ist Schwerarbeit wie ein Drogen-Entzugsprogramm; die Edeldisziplin ist Planung ohne Vorbilder, ohne Determinismus.

Der Vorteil ohne Haltung: man entzieht sich dem Kollektiv (der gemeinsamen Haltung), entzieht sich dem vermeintlichen Zugriffsrecht. Die anvancierte Haltung will keine Haltung ..... kennt keine starren Regeln, will operativ Regeln verändern. „quick & dirty“ paralysiert die Abwehrhaltung, die Langsamkeit und Nachhaltigkeit der Haltungen. Es geht um die Beschleunigung der Architektur, es ist nicht erforderlich, den Entwurf mit Haltungen abzustimmen ..... wenn ein Entwurf für die Zukunft plant, soll er nicht in die Vergangenheit schielen.

Ich (ge-)brauche keine Haltung, ..... und steuere die Algorithmen, wie ich will ..... da kommt mir keine Haltung dazwischen ..... die Hardware, die digitalen Algorithmen kennen keine Haltung ..... der Mülleimer (der Colonia) kennt kein Erbarmen ..... Architektur ist Informationsverarbeitung ..... was hat die Haltung dabei verloren, wozu sollte ich eine Haltung haben?

Meine bescheidene Haltung ist ..... ich will meine Entwürfe von (meinen) Haltungen nicht limitieren lassen ..... bevor ich mich von Haltungen und beigepackten Verpflichtungen quälen lasse ..... werde ich die Haltungen quälen ..... und wo zu viel Haltung ist, wandere ich aus .....

Ich relativiere die Ausschließlichkeit, den umfassenden Anspruch von Haltungen, arbeite in / an einem haltungsfreien (haltungslosen) Raum .....

..... noch direkter ..... jedwede Haltung ..... überhaupt die Kategorie Haltung ..... sollte ehestmöglich abgebaut werden. „Haltungen“ gehören einfach abgeschafft ..... da kenne ich keine Zurückhaltung ..... ein offenes System hat keine Haltung .....

An der Haltung scheitern viele Projekte.
Die Wahrheit der Architektur ist ein Fake.

 

 

p.S.:

Ich leiste gerne meinen Beitrag, auch andere von Haltungen zu befreien und plädiere dafür, einen „trans22 Haltungs-Preis“ auszuschreiben .....

o       den ersten Preis, einen Gutschein für die kostenlose Vernichtung des bisherigen Portfolios, erhält der Erfinder einer verlässlichen Methode / Handlungsanleitung um aus Haltungen herauszukommen .....

o       den zweiten Preis: das Ehrenzeichen für Haltungslosigkeit der ETH (am Band), bekommt, wer sich (exemplarisch) am schnellsten von seiner (schwer erarbeiteten und liebgewonnenen) Haltung verabschiedet .....

o       der dritten Preis, eine „Haltestange“,
wird zugesprochen für die Dokumentation über einen eleganten Ausrutscher infolge einer Haltung .....

o       der vierte Preis (Trostpreis): die Zusage für Direktaufträge (Befreieung von Wettbewerben)
wird für einen Entwurf vergeben, der sich an eine Haltung anbiedert und jämmerlich versagt hat .....

o       etc.

 

 

 

 

 

Fußnoten:

[1] Gorilla „Guy“ London Zoo (1958) / Photo von Wolf Suschitzky (Originalabzug im Besitz des Autors)

[2] Das zeigen auch die Flaggen: Die Schweiz hat ein Plus, Österreich hat ein Minus auf rotem Grund.

[3] So, wie ich als vermeintlicher Haltungsexperte zu diesem Textbeitrag eingeladen wurde .....

[4] Es ist wie bei den Stilen ..... ein Stil soll rein sein ..... und in diesem selbstauferlegten Reinheitsgebot hat der Minimalismus / Reduktionismus in der Architektur seine Wurzeln. (Da gibt es noch kein Morph, kein Hybrid.)

[5] Anzuregen ist eine wissenschaftliche Studie, eine Zusammenstellung und Auswertung der Psychogramme von jenen Architekten, die sich auf Haltungen berufen. Eine zusätzliche Auswertung sollte die erzielten „Haltungswerte“ mit der Auftragslage / den Wettbewerbserfolgen in Relation setzen.

[6] Der Meister drückt die Haltung seinen Studenten / seinen Mitarbeitern (nicht nur den Projekten) auf und lobt die gute Zusammenarbeit.

[7] Nehmen Sie Haltung an (ein) ..... bewahren Sie Haltung ..... und vor allem: bewahren Sie Contenance!

[8] Vermutlich gibt es „Haltung“ erst seit Aufkommen der Porträtmalerei.

[9] Vgl. Ethikunterricht, Ideologie in totalitären Systemen, Umerziehung ..... etc.)

[10] Die Analyse der üblichen Werkvorträge der Architekten zeigt: Sie beginnen mit der ausführlichen Schilderung der Schwierigkeiten und Vorgaben, um darauf aufbauend den genialen Entwurf zu präsentieren, das „Vorher/Nacher“-Syndrom (wie beim „Bauen im Bestand“).

[11] Gleichzeitig ist das Schimpfen über Haltungsmangel (der anderen) ein Genuss ..... Vorhaltungen machen ist ein Genuss ..... das (zumeist vergebliche, unnütze) Verteidigen der eigenen Haltung ist ein Genuss ..... sogar das gänzliche Fehlen von Haltung, der Mangel, wird für den gelernten Masochisten zum Genuss .....

[12] Der Umkehrschluss „Masoschisten mit Haltung sind die besseren Architekten“ ist wissenschaftlich nicht abgesichert.

[13] Siehe Haltungen in Religion, Wissenschaft und Kunst (und natürlich auch in der Architektur)

[14] Man darf zwar allem und allen widersprechen, aber sich selbst zu widersprechen, verbietet die Integrität der Haltung.

[15] Hier ist der Nachweis, dass Haltungen leere verbale Hülsen sind, letztlich unverbindlich.

[16] Haltungen der Architekten ..... weil Architektur selbst natürlich keine Haltung hat .....

[17] Auch unabhängig von regionalen Haltungs-Monopolen.

[18] Obwohl sich Architekten mit Haltung von den pragmatischen Geschäftemachern unterscheiden, abheben wollen.

[19] D.h.: Die Kunst, einen Limbo zu tanzen, ist bei aufrechter Haltung nicht zulässig

[20] Siehe auch Harald Szeemann When Attitudes Become Form (1969)

[21] Die Ausbildung der Architekten ..... traditionell im besten Fall eine Haltung entwerfen. Wenn eine Haltung erreicht ist, folgt das Diplom mit Auszeichnung (im Meisterklassenprinzip wie in der Kleinkindentwicklung) ..... wer gibt, wer bekommt die besten Haltungsnoten?

[22] Haltungen sind eher etwas für (europäische) Architekturkritiker ..... sie können darüber schreiben, ob etwas ihrer Erwartungs-Haltung entspricht .....

[23] Ob man mit Haltung „hinter einem Projekt steht“ oder nicht, ändert nichts an der Qualität des Projekts, es wird dadurch nicht besser.

[24] Die Hühnerhaltung im Käfig, der Mastschweinhaltung in der Mastbox ..... werden schon verboten; auch in Tiergärten werden die Gitterstäbe abgeschafft.

[25] Auch Ludwig Wittgenstein meinte nach der Fertigstellung des Wittgensteinhauses in Wien: „Die Arbeit an der Philosophie ist – wie vielfach die Arbeit in der Architektur – eigentlich eine Arbeit an einem selbst. An der eigenen Auffassung. Daran, wie man Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt.)“

[26] Selbst die „Grundhaltungen“ setzen sich in der Architektur zumeist nur mit ästhetischen / formalen Problemen auseinander und schwimmen daher an der Oberfläche.