Wohnpark Eybesfeld | Büro- und Wohngebäude "Pflanzenhaus" Plottegg 2004 |
Besprechung von K.Tschavgova die Presse / Spectrum 1. 7. 2007
Besprechung von K.Tschavgova die Presse / Spectrum 1. 7. 2007
Vom Fordern und Bereichern
Die Architektur als Erzieherin: am Beispiel eines Wohnbaus, der dem Nutzer einiges abverlangt, ihm jedoch auch jede Menge Handlungsfreiheit anbietet. Nachrichten aus der Südsteiermark.
Es war einmal in den 1980er-Jahren: Der steirische
Wohnbau, versehen mit dem Attribut „experimentell“, entwickelte sich zu einem
starken Standbein der örtlichen Architekturbewegung und leistete einen
wesentlichen Beitrag zum guten Ruf der Architektur in der Steiermark. Es war
einmal in den 1990er-Jahren: Erste steirische Geschoßwohnbauten in Holz waren
eine Pioniertat, aus der das Land eine Vorreiterposition hätte entwickeln
können, wäre systematisch weiter Forschung und Förderung betrieben worden. 2007
ist jeglicher Bonus verspielt, der geförderte Wohnbau ist mittelmäßig und
architektonisch ohne Bedeutung. Es überrascht gar nicht, wenn die Jury in der
Beurteilung des Siegerprojekts des aktuellsten großen Wohnbauwettbewerbs lapidar
feststellt, dass die Qualität der Wohnungsgrundrisse keine Überraschungen birgt.
Man muss den Eindruck gewinnen, dass strukturelles Denken im Wohnungsbau
hierorts kaum gefragt ist – und zwar weder bei den Architekten noch beim Land
Steiermark als Fördergeber, der aktuelle Wohnbauforschung auf Ökologie und die
Reduktion von Energiekennzahlen beschränkt. Von der Mehrzahl der
genossenschaftlichen Bauträger ist weder Innovation noch Programmatik zu
erwarten. Kein Wunder, dass nicht wenige Architekten von Rang dem derzeitigen
steirischen Wohnbau ihre Gefolgschaft verweigern. Andere wiederum suchen sich
Nischen, werden selbst zu Bauträgern oder versuchen, mit privaten Bauherren
innovative Konzepte zu entwickeln.
Einer von ihnen ist Manfred
Wolff-Plottegg. Der Architekt aus Graz und Vorstand des Instituts für
Architektur und Entwerfen an der TU Wien hat schon 1991 an seiner ersten
Wohnanlage in Graz-Seiersberg gezeigt, dass er den Wohnbau über die
Planungsmethode, mit einem prozessualen computerunterstützten Entwurfsansatz,
reformieren will. Planung und Ergebnis wurden wertgleich gesehen, Form und
Funktion als Produkt von Rechenvorgängen und digitalen Transformationen, die
freilich durch den Architekten interpretiert wurden. Was Plottegg in diesem
kompliziert klingenden Verfahren entwickeln wollte, waren Grundrisse mit nicht
determinierten Räumen, die maximale Offenheit und Freiheit garantieren sollen.
Form ist das Ergebnis eines unpersönlichen Entwurfsprozesses, sagt der
Architekt, und Funktion entsteht erst aus einer Interpretation der Form oder,
anders gesagt, aus der Aneignung durch den Nutzer.
Prallt eine derart
unorthodoxe Denkweise auf die starren Vorgaben von Wohnbauförderung und
genossenschaftlicher Verwertungslogik, so ist zu erwarten, dass sie nur mit
Abstrichen realisiert wird. Dennoch sind alle späteren Wohnungsgrundrisse des
Architekten Weiterentwicklungen des frühen Seiersberger Prototypus.
Auf
Schloss Eybesfeld in der kleinen südsteirischen Ortschaft Jöß nahe Leibnitz hat
Manfred Plottegg im Zuge einer umfassenden Adaptierung von landwirtschaftlichem
Gebäudebestand einiges umsetzen können. Die ursprünglich barocke Anlage in einem
weitläufigen Parkareal mit Fischteichen und einem jüngst initiierten
zeitgenössischen Skulpturenpark wurde nach und nach saniert, revitalisiert und
punktuell mit Neubauten ergänzt. Alle bis jetzt erfolgten baulichen Maßnahmen
tragen die Handschrift des Architekten, wenn auch die Ausführung durch einen
Generalplaner etliche Abweichungen vom Konzept aufweist.
Das Dachgeschoß
der ehemaligen Scheunen und Stallungen musste ausgebaut werden, ohne die dem
Schloss zugewandten Dachflächen anzutasten. Plottegg hob die nach Westen
orientierte Dachhälfte an und entwarf eine asymmetrische Schnittfigur mit
Oberlichtband, die den Dachraum umfassend erhellt. Eine von Plotteggs Prämissen,
die Offenheit des Grundrisses, manifestiert sich in einer klappbaren Wand aus
Holz, die unterschiedliche Raumfigurationen hervorbringt und starre Abgrenzungen
zwischen Koch-, Ess- und Schlafraum ersetzen soll. Die Grundrisse im Klauberhof,
einem Nord-Süd-orientierten Neubau über bestehenden Fundamenten, wurden aus dem
Prototyp mit geringer Tiefe entwickelt. Zwischenwände wurden weiter reduziert
und durch freistehende boxenartige Trennelemente ersetzt, die Schrank,
Abstellraum oder Garderobe sein können. Bei Bedarf ergänzen raumhohe Türen sie
zur geschlossenen Wand. Die Reduktion interner Erschließungsflächen führt zur
Maximierung der Nutzfläche innerhalb des gegebenen Rahmens.
Mehrfachzugänge vermeiden Durchgangszimmer, raumhohe Verglasungen stehen
anstelle üblicher Fenster mit Parapet und Sturz. Den vorgelagerten Außenraum
wertet Plottegg über durchgehende Balkone mit Sonnenschutz-Jalousien in der
Brüstungsebene zum integrierten, viel genutzten Teil der Wohnfläche auf.
Ein kürzlich fertiggestellter zweigeschoßiger Riegelbau, der vom Eigentümer ob
seiner üppigen Bepflanzung Glyzinienhaus genannt wird, bildet in linearem
Zusammenspiel mit einem Erdwall das Tor zum Schlosspark. Auf beiden Längsseiten
ist dem Bau eine etwa vier Meter tiefe Stahlkonstruktion vorgestellt – Treppen
und Laubengang im Osten und eine umlaufende, offene Vorzone mit unterschiedlich
großen, zugeordneten Balkonen auf der Westseite. Innerhalb der beiden
Wohnungstrennwände treibt der Architekt den Reduktionsprozess der Grundrisse
weiter. Nur die Sanitärräume sind als abgeschlossenes Element räumlich
determiniert. Die Verweigerung detaillierter Funktionszuordnung zielt darauf,
die Flächen bei Nachfrage auch anders genützt, etwa als Büros vermieten zu
können. Auch das ist Nachhaltigkeit im Bauen: auf vielfältige Nutzung
vorbereitet zu sein.
Dem Mieter wird bei einem offenen Konzept wie diesem
einiges abverlangt. Zugleich bekommt er maximale Handlungs- und
Nutzungsfreiheit. Manfred Plottegg unterzieht den Nutzer einer
Erziehungsmaßnahme. Er muss sich mit dem Raum auseinandersetzen, um ihn optimal
für sich besetzen zu können, und er muss Konventionen und Gewohnheiten wie das
Aufhängen von Vorhängen oder das Einrichten nach Schema überdenken. Er muss
Distanz und Nähe, Gemeinschaft und Intimität für sich definieren, will er etwa
den Mehrwert der großzügigen, der Wohnung vorgelagerten, grün durchwachsenen
Zone genießen. Aus solchermaßen Geforderten können entweder Verweigerer werden,
die nichts mehr wissen wollen von „moderner Architektur“, oder Bereicherte, die
erkannt haben, dass es sich lohnt, Konventionen kritisch zu hinterfragen.
Pflanzenhaus' Schloss Eybesfeld
Das Büro- / Wohngebäude "Pflanzenhaus" bildet die
Ergänzung und den Abschluss der „Umfassenden Sanierung und Revitalisierung“ von
Schloss Eybesfeld, welche in den vergangenen Jahren mit Renovierungen, Um- und
Neubauten betrieben wurde.
Als „Pflanzenhaus“ bildet es gleichsam die
Fortsetzung des Ende des 20. Jhs. errichteten Erdwalles. Etwas zurückgesetzt,
als südlicher Abschluss des Schlossareals entlang der Landesstraße situiert, ist
es zwar im Verständnis eines „Eingangsbauwerkes“ konzipiert, tritt aber als
Gebäude selbst durch die gebäudehoch rankende Bepflanzung der Vorzone als
solches nicht in Erscheinung, sondern ist als „Pflanzenhaus“ integrativer
Bestandteil des Erdwalles bzw. des Schlosspark-Konzeptes.
Der neue
Baukörper ist ein 2-geschossiges Stahlbeton-Skelett im Raster von 11 Feldern mit
ca. 8 Metern Tiefe und 6 Metern Breite und ist so positioniert, dass eine
Wohnungs- oder eine Büronutzung ohne bauliche Maßnahme möglich ist. Diesem
offenen (weitgehend verglasten) Baukörper ist eine vier Meter tiefe um das
gesamte Gebäude umlaufende Stahlkonstruktion vorgesetzt. Diese
Sekundärkonstruktion / Tragkonstruktion / wireframe definiert die großzügig
bepflanzte Vorzone, die äußere Erschließung und Balkone.
In der
wechselseitigen Verbindung von Architektur und Natur erzeugt Wolff-Plottegg eine
Ambivalenz, die das Gebaute weder eindeutig als Gebäude noch als Teil der Natur
einordnen lässt und reiht es nahtlos in das Konzept des Schlossparks ein, den
Bezug zwischen Mensch und Natur auf vielfältige Art und Weise in
zeitgenössischer künstlerischer und architektonischer Sprache umzusetzen. (Text:
Jörg Kindermann