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Friedrich Achleitner, geb. 1930 in Schalchen, Oberösterreich, Architekturstudium bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Heute Professor und Vorstand der Lehrkanzel für Geschichte und Theorie der Architektur an der Hochschule für angewandte Kunst. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit hauptsächlich Publikationen über Architektur. Wichtige Publikationen: prosa, konstellationen, montagen, dialektgedichte, studien. Reinbeck bei Hamburg 1970; Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert. Band I, Salzburg 1980, (Band II 1983, Band III/1 1990, Band III/2 1995); Nieder mit Fischer von Erlach. Salzburg 1986; Aufforderung zum Vertrauen. Salzburg 1987; quadratroman. Neuaufl. Salzburg 1995. Die Plotteggs kommen ist zunächst werder Aufruf, der Panik auslösen soll, noch die Ankündigung von etwas Neuem. Solange wir nicht wissen, was Plotteggs sind, bleiben sie ein irritierendes Element, das unsere Wahrnehmung von Natur durcheinanderbringt. Ihr Auftreten in Rudeln, ihre merkwürdige Oberflächenspannung, Form und Inhalt, alles Beschreibbare wird durch Beschreibung noch unheimlicher. Nicht einmal die richtige und harmlose Bezeichnung Rundballen vermag Ordnung und Ruhe in die aufgescheuchten Dinge der agrarischen Welt zu bringen. Sind die Plotteggs nur ein Vorwand? Für was? Ihr Name entsteht zufällig, gewissermaßen aus Informationsmangel, nach einer Fahrt mit Manfred Wolff-Plottegg durch die Obersteiermark, wo ihn diese weißen, glitzernden Dinger, die sich so sperrig, ja anarchisch in der Landschaft verhalten, faszinieren. Diese Begeisterung überträgt sich auf den Autor, der dem allen auf den Grund gehen will. |
Ich bin ihnen wieder in Gösing begegnet, am oberen
Weg zur Ochsenburg, auf einer almartigen Wiese, die man zunächst als
Lichtung erlebt. Sie standen zusammengerottet in zwei weit voneinander
entfernten Gruppen, dicht aneinandergedrängt, abwehrend, als wollten
sie sich verteidigen. Eine Gruppe stand etwas oberhalb der Forststraße,
in der Mitte der Wiese, die andere dicht am Wald, unmittelbar vor einem
Aussichtsplatz mit Tisch und zwei Bänken. Diesmal war der schöne
Blick, die Aussicht verstellt, denn das Rudel war so dicht an den Tisch
herangerückt, daß sich nur mehr einige Partien des Ötschers
ins Gesichtsfeld schieben konnten.
Ich war den Plotteggs schon öfters begegnet, vor
allem in ärmeren, also alpinen Landschaften. Richtig wahrgenommen
habe ich sie aber erst, als ich mit Manfred Wolff-Plottegg Richtung Schoberpaß
fuhr und er mir von ,,diesen Dingern" vorschwärmte, die sich in der
Landschaft so sperrig und unkommunikativ benahmen oder, mit seinen Augen
gesehen, das System Landschaft auf eine ungewöhnliche Weise bereicherten
oder auch in Frage stellten. Meine Assoziationen kreisten eher um mutierte
Ameiseneier, die, Unheil ausbrütend, in der Gegend herumlagen. So
ein Plottegg ist, wurde ich unterrichtet, im agrarischen Kontext betrachtet,
ein Minisilo, der das halbgetrocknete Heu durch Gärung in eine Silage
verwandelt, die dann, vorausgesetzt die luftdichte Hülle hält,
unbegrenzt haltbar sei. Ein Plottegg besteht aus vier Lagen Plastikfolie,
die, über den zylindrischen Heuballen gespannt, sich auch noch durch
den Druck verklebt. Die glasharte Oberfläche ist leicht durchschimmernd,
sieht aus wie Eis auf einem tiefen Teich. Die enorme Spannung der Oberfläche
vermittelt aber die Form: der zylindrische Heuballen erhält durch
das Bandagieren, das Abpressen der Ränder und das Aufquillen der Mittelzone
eine Gestalt, die, mit ländlichen Augen betrachtet, zwischen Faß
und Kürbis einzuordnen wäre; eine Form, die Pressung und Spannung,
Formwiderstand und Krafteinwirkung in einem ausdrückt, eine extreme
Leistungsform also, die gewisserrnaßen durch einen dialektischen
Mechanismus in eine Ausdrucksform hinüberkippt. Diese Plotteggs sind
etwa 1,30 m hoch und haben auch einen gleich großen Durchmesser.
Daß sie trotzdem eher länglich erscheinen, ist nur eine optische
Täuschung, die deformierten Zylinderkanten sind resistenter in ihrer
Erscheinung als die im Volumen verborgenen Radien
*
Ich muß jetzt meinen Bericht unterbrechen, denn
ich habe den Verdacht, daß sich in meiner unmittelbaren Nähe
etwas Ungewöhnliches ereignet. Ich sitze unweit jener vorhin beschriebenen
Stelle an einem anderen Aussichtsplatz, diesmal am Rande jener Wiese, in
der sich der obere und der untere Weg zur Ochsenburg vereinen. Vor mir
ist wieder das Bilderbuchbild vom Ötscherland aufgebaut. Heute scheint
die Sonne. Die Tage vorher - regnerisch, windig, treibende Wolken und starker
Lichtwechsel - haben allerdings mehr von der Landschaft preisgegeben. Heute
liegt sie da und läßt den Herrgott einen guten Mann sein, wie
man sich hier in der Gegend auszudrücken pflegt. Vor mir, auf dem
gekippten Almboden, der gleich einer Schüssel daliegt, kurven drei
Traktoren mit einem aggressiven Geknatter ihrer Dieselmotoren. Hinter jedem
dreht sich ein riesiges Spinnenrad, das halb getrocknete Heu in die Luft
wirbelnd. Schon beim Betreten der Lichtung - auch hier hat man, wenn man
den Wald verläßt, den Eindruck eine Lichtung zu betreten - also
beim Betreten der Almwiese war mir aufgefallen, daß die gestrige
Blumenpracht niedergemetzelt am Boden lag. Mich regt diese Brutalität
der Bauern nicht auf, denn sie ist ja eigentlich nur ein Problem der Städter,
die jeden Zustand der Landschaft verweilend (weil so schön) haben
möchten.
Während also die aggressiv kreuzenden Traktoren
das Grünzeug hinter sich in die Luft warfen, fuhr ein vierter, sehr
schnell, ganz knapp an meinem Tisch vorbei. Er hatte hinten eine Rolle
halbgetrockneten Heus geladen, auf einer Art Walze aufgespießt, etwas
größer als ein Plottegg. Kaum war das Gefährt verschwunden,
war mir klar, daß ich einen Embryo gesehen hatte, sozusagen einen
ungeborenen Plottegg, der zur anderen Lichtung geschleppt wurde, um vielleicht
dort, in einem geheimnisvollen Ritual, in einen echten verwandelt zu werden.
Diese geschwinde, etwas übereilte Abwicklung eines Transports machte
mich neugierig, und ich verließ meinen Beobachtungs- und Schreibplatz,
der diesmal ohnehin für eine schablonisierte Betrachtung des Ötscher
ungeeignet war. Während der leere Traktor in entgegengesetzter Richtung
wieder an mir vorbeikrachte, hatte ich Zeit darüber nachzudenken,
ob nicht überhaupt dieser ganze agrarische Aktionismus mehr mit dieser
Landschaft zu tun hatte als mein biedermeierliches Schau- und Ruhebedürfnis,
das eigentlich nur bereit war, ihre reproduktiven Aspekte wahrzunehmen.
*
Mein sechster Sinn, sozusagen meine Plotteggnase, hatte mich nicht im Stich gelassen. Auf der zweiten Lichtung, die in meiner Schilderung die erste war, also dort, wo ich die Rudel Plotteggs entdeckt hatte, war wirklich so etwas wie eine mobile Gebärstation eingerichtet. Ein Traktor, mit einem hinter dem Fahrersitz montierten Gerät, das von zwei Männern bedient wurde, stand neben der Gruppe Plotteggs am Aussichtsplatz. Dieses Gerät bestand aus zwei tiefliegenden Walzen, die mit ihren Spitzen wie Riesenbleistifte aussahen und auf die die Heurolle gelegt wurde. Der Abstand der beiden Walzen war so groß, daß die Rolle gerade nicht durchrutschen konnte, und durch die Drehbewegung der beiden Walzen wurde auch der Plottegg-Embryo gedreht. Die beiden Walzen waren etwa eineinhalb Meter lang und hatten einen Durchmesser von etwa zwanzig Zentimeter. Über diesem mobilen Lager war ein Kranarm montiert (sozusagen ein Ausleger), an dem sich, diesmal an einer senkrecht stehenden Walze, ein Dreharm befand, an dem wiederum eine senkrecht stehende Walze befestigt war, an die man eine Rolle mit Plastikfolien befestigen konnte. Der Dreharm mit der Rolle konnte eine Kreisbewegung ausführen, so daß er den sich langsam drehenden Rundballen - das war die agrarische Bezeichnung für die Plotteggs - segmentweise bandagieren konnte. Dieser Bandagiervorgang hatte etwas geheimnisvoll Gespanntes, manchmal riß auch die Folie mit einem kurzen, hellen Knall, ich dachte eher an ein Krankenhaus, etwa am Fuße des Hahnenkamms.
*
Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit den Geburtshelfern ein Gespräch zu beginnen. Diese Kleinsilos hätten, sagten sie mir, etwa ein Gewicht von mehr als einer halben Tonne. Der Gärungsprozeß dauert einige Wochen. Manchmal soll es auch vorkommen, daß sich so ein Plottegg selbständig macht und den Hang hinunter donnert. Einmal hätte eine Frau G1ück gehabt: sie hatte kurz ihren Liegestuhl verlassen; als sie zurückkam, war dieser in Kleinholz verwandelt.
*
Es ist kein Wunder, daß eine so geheimnisvoll gespannte Form, in der noch dazu ein nicht einsehbarer, unkontrollierter Prozeß abläuft, zur Mythen- und Legendenbildung reizt. Ihr Auftauchen in der Landschaft in gepackten Rudeln in zufälligen, schwer deutbaren Streuungen - eine jede Konstellation konnte etwas anderes bedeuten - ihre oft fast militärische Formation der Landnahme gaben zu verschiedenen Vermutungen Anlaß, von denen die folgende noch die harmloseste ist: Tourismusforscher erkannten darin ein System der Landschaftsvernichtung, so daß Menschen mit bestimmten Wahmehmungsgewohnheiten - etwa jenen von Biedermeiermalem - sie ästhetisch nicht mehr konsumieren können. Nur wer den sogenannten Plotteggschen Code besitzt, hat die Fähigkeit, entweder die beiden Systeme wahrnehmungskritisch zu trennen oder sie als neues und zwar sehr aufregendes ästhetisches System zu erfahren.
Das subversive gestaltpsychologische Moment besteht in der Einführung eines aggressiven Formelements von besonderer visueller Resistenz, das die historische, vor allem vom konventionellen Landschaftsgenuß abhängige Harmonie in Frage stellt. Für die Bauem sind diese Rieseneier kein Problem, sie besitzen einen nahezu traumhaften Nutzfaktor, der nicht nur in ihrer leichten Verteilbarkeit in Raum und Zeit besteht. Man kann sie im Winter ebenso problemlos zur Wildfütterung verteilen, wie mit leichtem Fuhrwerk in die Ställe holen. Für den Städter, den sommerfrischelnden Spaziergänger brachten sie die gewohnten Landschaftselemente durcheinander, in jeder idyllischen Konstellation von Baum und Bach, Wiese und Wolke, Haus und Hafer stand oder lag so ein Ding, das nicht nur unverschämt in der Sonne glitzerte, ja auf der Sommerwiese die Erinnerung an Schneemänner wachhielt, sondern auch durch die Form überall eine unkommunikative Präsenz signalisierte. Schließlich konnte man kein Dia mehr machen, ohne ein paar gleißende Punkte darauf zu haben, die bei den beschaulichen Urlaubsberichten nur zu unnötigen Fragen führen: Hobts im August no an Schnee ghobt?*Die große Explosion im Ennstal, die am 7. Juli 1992 den Grimming um 7,2 mm nach Nordwesten verschoben hat, ist vermutlich auf die leichte Oberflächenbeschädigung eines Plotteggs zurückzuführen. Wie nachgewiesen werden konnte, breiteten sich die Druckwellen absolut horizontal aus und zwar mit einer Exaktheit der Parallellinien, die als physikalische Sensation zu werten ist. Da gleichzeitig Liezen um rund 6,8 mm nach Südosten verschoben wurde, könnte man sogar die Explosion lokalisieren. Leider wurden aber am Ort des Ereignisses überhaupt keine Spuren gefunden, somit müßten die Berechnungen mit einem großen Aufwand durchgeführt werden. In der Differenz zwischen 7,2 und 6,8 mm liegt nämlich nicht nur die Distanz zum Explosionsort, sondern auch das Gesamtgewicht beider Objekte. Allein was die Berechnung des Grimming betrifft, gibt es schon verschiedene Denk- bzw. Berechnungsschulen, die natürlich meist mit komplizierten Computerprogrammen arbeiten. Was beim Grimming aber der Gestaltfaktor ist, das wird bei Liezen zum Streufaktor. Es gab sogar so abwegige Ansätze, wie etwa nur die gesetzlich genehmigte Baukubatur in Rechnung zu stellen, was, wie jeder Liezener weiß, geradezu lächerlich wäre. Da der Ort der Explosion durch seine Spurenlosigkeit sich am Rande einer immateriellen Existenz befindet, wäre es unverantwortlich, mit Steuergeldern so teure Berechnungen anzustellen. Im Ennstal ist man daher der Meinung, dieses Problem sollte in Graz gelöst werden, man hätte schließlich vor Ort genug damit zu tun, die entsprechenden Bürgerinitiativen zu organisieren. Es müßte jedoch, vermutlich ebenso durch eine kostspielige Untersuchung, erst festgestellt werden, wogegen sich solche Initiativen eigentlich richten müßten.
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Sich in ein Rudel Plotteggs zu begeben, ist nicht ungefährlich. Ein etwas schlecht gewickelter, aber unter vollem Vakuumdruck stehender Plottegg behauptete, es handle sich in diesen prallen Körpern um virtuelle Räume, die aber - er bemerkte meine Skepsis - sich in reale rückverwandelt hätten. Ihre Virtualität bestünde sozusagen resthaft, ihre Unzulänglichkeit läge darin, durch einen Nadelstich in reine Banalität verwandelt werden zu können. Das Prinzip der Virtualität hätte sich bei den Plotteggs auf eine total-kommunikative Interesselosigkeit zurückgezogen, was sich auch in der gestauchten Körperhaltung aller Plotteggs äußere; sie signalisiert - um es in einem Satz zu sagen -, daß nichts von geringerem Interesse sei als der virtuelle Raum eines anderen, daß sie einem allesamt gestohlen werden können. So der schlecht gewickelte Plottegg.
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Da ich auf der Bank kurz eingenickt war, weiß ich mit bestem Wissen nicht mehr, ob die Geburt eines Plotteggs nicht doch ein Traum war. Dem steht aber die Nachricht entgegen, daß das System Plottegg überall sogenannte Ersatzhandlungen inszeniere - also eine Scheingeburt von Plotteggs -, um landauf, landab den Eindruck zu erwecken, daß es sich um ganz normale Vorgänge landwirtschaftlicher Produktion handle. Wenn, wurde uns versichert, alle hundert Quadratkilometer eine solche Herstellung vorgetäuscht werden könne, sei das Land vollkommen zu beruhigen. Mir ist nur aufgefallen, daß die Herstellung eines solchen Plotteggs ein relativ langwieriger Prozeß ist und daß ich genaugenommen nur die Produktion eines einzigen Stücks bezeugen kann. Die Männer sagten zwar, sie würden noch einen machen, was vermutlich auch stimmte, denn nach einer halben Stunde haben sie mich mit ihren Traktoren auf der Forststraße überholt. Ihre Gesichter waren merkwürdig erstarrt. Das Gerät war übrigens so zusammengeklappt, daß man seine wirkliche Funktion nicht erraten konnte.
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Am nächsten Tag kam ich wieder zu meinem Platz zurück.
Es begrüßte mich ein gepflegter Herr mit einem Steireranzug,
durch sein Herrenparfum drang unangenehm ein Heugeruch. Auch sein Steirerrock
glich nicht dem grauen Rock des Erzherzogs, sondern eher den Phantasiekostümen
aus dem Ausseer-Land. Er fragte mich freundlich und mit betonter Unverbindlichkeit,
was ich hier mache, woher ich käme, was ich überhaupt mache und
ob mir die Gegend gefiele. Er sei begeistert von diesem Land, nur diese
blinkenden, eisigen Kugeln, die sich hier in der letzten Zeit wie die Pest
verbreiteten, beleidigen sein Auge. Man müsse eine Verordnung herausgeben,
die bestimmte Formationen dieser Kugeln in der Landschaft einfach verbiete:
Alle wie immer gearteten geometrischen Ordnungen, alle weithin sichtbaren,
alle künstlich wirkenden, alle, ja alle Ordnungen und auch die Unordnungen,
schon gar diese punktuellen Erscheinungen, diese unerwarteten, diese plötzlichen.
Schließlich könne sich der Bauer nicht alles erlauben, ein wenig
müsse ihm die Landschaft schon auch heilig sein, sie sei ja schließlich
auch unsere Heimat - nicht? - auch die der Touristen, die ja wegen dieser
Werte - das Wort ewig hatte er irgendwie verschluckt - jedenfalls nicht
wegen dieser neuen in unser schönes Land kämen.
Ich ließ mich auf dieses Thema nicht ein, da mir
dieser gepflegte Herr angesichts des Ötschers nicht ganz geheuer war.
Er hätte Verbindung zur niederösterreichischen Bauemkammer, ja,
er hätte sogar bei der Raiffeisenkassa einiges mitzureden, und er
hätte vor - entsprechende Signale kämen sogar aus der Steiermark
- einen berühmten Wiener Maler einzuladen, der sich überlegen
solle, wie man diese kleinen Ungeheuer besser in die Landschaft einfügen
könne. Er stelle sich nette Bemalungen vor, die natürlich in
einer hübschen Art auch abstrakt sein könnten. Ich konnte mir
den Hinweis nicht verkneifen, da man auf diesem Gebiet schon im Zweiten
Weltkrieg, also im Dritten Reich, gute Erfahrungen gemacht hätte,
indem man durch Bemalung ganze Fabriken, Sendeanlagen oder Kasernen im
Gelände verschwinden lie. Dieser Vergleich gefiel dem Herren gar nicht,
schlielich hätte er ja an Kunst gedacht, die heute, dank der Geldinstitute,
besonders gut gedeihe und die auch eine besondere Verantwortung gegenüber
der modernen Kulturlandschaft hätte. Ich kann das Wort Landschaft
gar nicht mehr hören, sagte ich im Angesicht des Ötschers, worauf
sich der Herr spontan erhob und mich grußlos verließ.
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Das Problem der Bestimmung der Grimming-Masse oder des
Grimming-Massivs hatte bereits ein breites Interesse erweckt. Wie immer,
rief auch diese Frage eine groe Anzahl von Dilettanten auf den Plan. Hervorzuheben
wäre ein Bauer aus Aigen, der den Vorschlag machte, das Massiv einfach
in Gips abzugieen, die umgedrehte Hohlform mit Wasser zu füllen und
dieses dann über einen Wassermesser auslaufen zu lassen. Dieses Projekt,
das vermutlich billiger als manch wissenschaftliche Berechnungsmethode
gewesen wäre, wurde natürlich von den Wissenschaften abgelehnt.
Genaugenommen hat man die Oberflächengenauigkeit angezweifelt, weil
sich beim Abgu Teile vom Fels gelöst hätten, so da daraus weitere
Streitfragen entstanden wären, vor allem jene, wo nun der Grimming
eigentlich beginnt oder aufhört. Ein Lehrer aus Pürgg träumte
von einer Art umgestülptem Hologramm, was aber zur Methode der Berechnung
eigentlich keinen Beitrag brachte. Ein nicht näher bekannter Herr
dozierte im Wirtshaus - in jener schönen Holzveranda, in der ich mit
Manfred Wolff-Plottegg nach der verhängnisvollen Entdeckung der Plotteggs
sa - es gäbe inzwischen, die Berechnungen des Grimming betreffend,
eine Form- und eine Zeitfraktion. Die Zeitfraktion, um gleich bei der schwierigsten
zu beginnen, beschäftige sich mit der Tatsache, daß der Grimming
ständig in Veränderung begriffen sei, einmal durch die natürliche
Korrosion und zweitens durch die Vegetation. Wasser, Schnee und Eis wurden
aus der vorläufigen Beobachtung ohnehin ausgeschlossen, da man sonst
mit dem Problem überhaupt nicht zurande käme. Die Wissenschaft
liegt schon darüber im Streit, ob die Vegetation als Bestandteil des
Berges an zusehen sei, da schlielich Humus und Wurzelwerk einen beachtlichen
Ungenauigkeitsfaktor darstellen. Die Fundamentalisten piädieren natürlich
für die Berechnung des reinen Felskörpers. Es wird Ihnen nicht
entgangen sein, da bei diesen Ansätzen die Zeitfraktion schon lange
in das Thema der Formfraktion hineinpfuscht, die auf ihre Weise wiederum
zum Ergebnis kam, da kein Zustand des Grimming mit einem anderen ident
sei, so da sich zuletzt die Frage erhebt, ob es den Grimming an sich überhaupt
gibt. Da sich die Zeitfraktion zwangsläufig in eine Formfraktion verwandle
und umgekehrt, beschlo man ein dialektisches Vorgehen, wobei zumindest
eines gesichert ist, da es sich um einen nicht abschließbaren Proze
handle. Sollte es gelingen einen Zustand des Grimming wirklich festzuhalten,
so wäre es dann von untergeordneter Bedeutung, ob man die Veränderungen
in einem exakten Zeitraster registriert oder ob man der Zeit ihr eigenes
Ma lät und dieses mit den Gröenverhältnissen der Ereignisse
bestimmt. Vor der letzteren Methode wurde aus verständlichen Gründen
ausdrücklich gewarnt. Jedenfalls kippt hier das Zeitproblem wieder
in ein räumliches hinüber, denn der Grimming führt uns hier
nicht nur an die Grenzen der Wahmehmung, sondern auch in das Schlamassel
ihrer Mitteilung und Konservierung, von dem man vermutlich noch nicht einmal
in Graz etwas ahnt.
Es wird noch viel Wasser die Enns hinunterflieen, meinte
ein anderer Experte in der schönen Veranda, denn wir haben ja noch
gar nicht vom Mastab, geschweige denn von den Toleranzen gesprochen, auf
die man sich mit aller Vorsicht einlassen könnte. Ab welcher Menge
verändert sich ein Gebirgsmassiv wie der Grimming wirklich? Ist es,
wenn ein Tourist einen faustgroßen Stein lostritt, schon eine Veränderung?
Da müssen sich unsere Experten noch ein wenig die Birnen weichdenken,
sagte ein etwas vorlauter Zaungast.
*
Im Ennstaler Boten vom 25. November 1991 fand man eine kurze Notiz, nach der im hinteren Defreggen schon 1990 die ersten Plottegg-Spiele abgehalten wurden; und zwar hat man, so der Bericht, ausgelöst durch Funkzeichen, zu gleicher Zeit von allen Bergbauernhöfen Plotteggs abgelassen, die mit einem ungeheuren Getöse zu Tal sausten. Bayrischen Berichten zufolge handelte es sich aber um eine archaische Touristenaustreibung, da bei dieser konzentrierten Aktion über 730 (siebenhundertdreiig) frei parkende Autos vernichtet und nebenbei hunderte Appartements und Zweitwohnungen zerstört wurden. Man befürchtet nun, da sich ähnliche Aktionen in der ganzen alpinen Region ereignen könnten.
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Als ich ins Hotel zurückkam, sa eine Runde ernster
Herren um einen runden Tisch. Das sah nach einer Kommission aus, und das
war sie auch. Die Runde bestand aus dem Kurarzt, einem Förster, jenem
Bauern, der das Bandagiergerät bedient hatte, dem parfümierten
Raiffeisenmenschen, zwei Herren - einer von der niederösterreichischen
und einer von der steirischen Bauernkammer - und einem Personalvertreter
des Hotels. Ich wei schon, ich habe die Alibifrau vergessen, aber es war
wirklich keine vorhanden. Ich wollte Guten Abend sagen, da forderte mich
aber der Vorsitzende schon auf stehen zu bleiben, sie hätten, wurde
mir sachlich mitgeteilt, mein Manuskript im Zimmer gefunden, und so mute
leider die Kommission tätig werden. Es erübrige sich an diesem
schönen Ort, der sogar von einem Kardinal aufgesucht werde, sich auf
eine Diskussion einzulassen. Tatsache sei, da ich mich während der
Tage meines Aufenthalts nicht in die Landschaft integriert hätte.
Man wolle davon absehen, sagte der Kurarzt, daß die verordneten Spaziergänge
zu kurz waren, schwerer wiege schon die Tatsache, da ich immer die gleichen
Routen gegangen sei, was das Wild förmlich in einen Stundenplan zwang.
Meine Kleidung und mein Schuhwerk könne man nur als Verspottung der
Ötscherlandschaft auffassen, auerdem hätte ich mich, versicherte
der Personalvertreter, zu den unmöglichsten Zeiten im Zimmer aufgehalten.
Das seien jedoch alles keine Gründe, versicherte einstimmig die Kommission,
einen ruhigen und schweigsamen Gast an die Luft zu setzen.
Nachdem aber mein Manuskript vom Bauernbund und der örtlichen
RAIKA geprüft worden wäre, hätten auch alle anderen einschlägigen
Organisationen festgestellt, da man der Gefahr bereits an der Wurzel begegnen
müsse. Mit solchen Augen und Gedanken durch unsre gemeinsame Heimat
zu gehen, das kann weder im Ötscherland noch im Wallfahrtsbezirk Mariazell
geduldet werden. Der Herr Vorsitzende machte eine imposante Handbewegung
und warf das Manus ins Kaminfeuer und sagte wie der Theatermacher: Das
Taxi steht bereit. Ich wurde noch gebeten, Verständnis für die
Manahme der Kommission aufiubringen, es ginge ja nicht gegen mich persönlich,
nur gegen ein Prinzip, das eben mein Unglück sei, es zu verkörpern.
Diese merkwürdig verunsicherten Menschen versicherten mir noch, sie
seien nur als Funktionäre tätig geworden, die eben ein anderes
Prinzip eingesetzt hätten, und gerade dieses sei von mir so bedenkenlos
herausgefordert worden. Zu ihrer Ehre mu ich noch erwähnen, da sie
das Wort Pflicht nicht in den Mund nahmen. Außerdem, sagten sie,
wisse man, da ich öfters nach Jugoslawien gefahren sei, ja sogar in
die Türkei, wo ich auch hinpasse. Geradezu aber ein Verbrechen sei
es gewesen, das schöne deutsche Wort Rundhallen durch Plottegg zu
ersetzen, das wohl aus dem Slowenischen käme. Ich hätte jetzt
eine heftige etymologische Diskussion eröffnen können, denn das
schöne deutsche Wort Rundballen grenzt ja nicht nur an eine tautologische
Schweinerei, sondern es kommt vermutlich weder rund noch Ballen aus dem
Germanischen. Das Allerbeste behielt ich aber für mich: plot-eggs
gibt es auch im Englischen, wobei plot die Doppelbedeutung von Fleck, Stück
Land, aber auch Verschwörung, Verwicklung und Intrige hat. Genaugenommen
waren die Schotten die Erfinder dieser Überraschungseier, die ursprünglich
aus Stein waren und schon in den Highlands gegen die Römer erfolgreich
eingesetzt wurden.
Im Taxi sitzend, klopfte ich auf meine linke Seitentasche,
in der ich immer mein schwarzes Notizbuch trage. Der Kommission entging
es nämlich, da ich diese Geschichte zuerst darin niedergeschrieben
hatte.
*
P. S.
Zu meiner Freude entdeckte ich im steirischherbstlichen
Graz 1992 einige Plotteggs vor dem Künstlerhaus. Da ich auch gleich
bei der nächsten Ausstellungseröffnung den leibhaftigen Plottegg
traf, erzählte mir dieser folgende Geschichte: Er wollte eine gröere
Zahl von Rundballen in der Grazer Altstadt als Wegweiser, Signale oder
Werbezeichen für verschiedene Ausstellungen verwenden, hatte jedoch
die subversive Kraft dieser Eier unterschätzt. Diese provozierten
nämlich in der ersten Nacht bei den Passanten die wildesten Einfälle:
Einige wurden auf die Fahrbahnen gerollt, andere aufgeschnitten und angezündet
oder in die Mur geworfen. Obwohl sich, wie man den sehr objektiven Polizeiberichten
entnehmen kann, die Plotteggs völlig passiv verhielten, lösten
sie die gröten Aggressionen aus. Ja gerade ihre geballte Passivität,
ihre stumme Anwesenheit, hatte die Aktionen der Grazer provoziert. Und
das Ganze, obwohl sich bis Graz der gezielte Defregger Aktionismus noch
gar nicht durchgesprochen hatte. Man hegt inzwischen den Verdacht, da der
Erfinder der Plotteggs ein Stadtmensch sein müsse, worauf sich die
Landleute ihren Reim machen sollten.
*
P. P. S.
Bei einem weiteren Besuch in der steirischen Landeshauptstadt
(am Freitag, dem 13. November 1992) fand ich am frühen Morgen im Umfeld
des Künstlerhauses einige Plotteggs. Sie waren zum Teil zerfetzt,
enthäutet oder versperrten die Wege durch den Park. Die weniger verwundeten
zeigten die Aufschrift HUMANIC. Natürlich kann ich auf dieser Ebene
die Geschichte nicht mehr weitererzählen und betrachte sie als endgültig
abgeschlossen.
Alle Rechte vorbehalten © 1995 Sonderzahl Verlagsgesellschaft m.b.H.,
Wien
© der Abbildungen bei Friedrich Achleitner (Seite 2, 4, 16, 24
und 42), Paul Ott (Seite 44 und 46) und Manfred Wolff-Plottegg (Seite 18
und 22)
Satz: Design Satz Studio, Wien
Schrift: Times: New Roman
Druck: REMAprint, Wien
ISBN 3 85449 081 X
Umschlag von Thomas Kussin unter Verwendung einer Skizze von Friedrich
Achleitner
Die Skizze und die auf den Vorsatzblättern wiedergegebenen Manuskriptseiten
wurden dem Notizbuch von Friedrich Achleitner entnommen.
Diese Web-Page wurde mit der freundlichen Unterstützung von Holger Neuwirth und der Mithilfe von Michael Grobbauer ins Netz gehängt.